HEILIGES LAND
Aus Nr. 03 - 2003

FALLSTUDIEN. Der Staat Israel degradiert Katholiken arabischer Herkunft zu „illegalen Einwanderern.“

Der Visa-Krieg


Seit zehn Monaten werden die Aufenthaltsgenehmigungen von Dutzenden katholischer Ordensleute und Priester unter fadenscheinigen Vorwänden nicht verlängert. Dem Seminar in Beit Jala könnte schon in ein paar Monaten die Schließung, den dortigen Seminaristen die Ausweisung drohen.


von Gianni Valente


Momentaufnahme aus dem Seminar des lateinischen Patriarchats von Jerusalem in Beit Jala.

Momentaufnahme aus dem Seminar des lateinischen Patriarchats von Jerusalem in Beit Jala.

Im vergangenen Oktober zwang eine dringende Familienangelegenheit Sami Hijazin, Israel überstürzt zu verlassen. Auf dem Weg nach Amman, wo er sich um seine kranke Mutter kümmern wollte, überquerte er die Brücke des Jordantals. Der junge Jordanier drückt seit 11 Jahren die Schulbank. Er will Priester werden, besucht das Seminar des lateinischen Patriarchats in Beit Jala, jener inzwischen mit dem nahen Bethlehem zusammengewachsenen Stadt im Westjordanland. Im kommenden Juni müßte er eigentlich Priester werden. Als er wieder nach Israel zurückkehren wollte, war seine Visum abgelaufen: sein bereits im Mai 2002 eingereichtes Verlängerungsgesuch lag nämlich immer noch unbearbeitet in den Büros des israelischen Innenministeriums. Als seine privaten Probleme geklärt waren, beantragte Sami bei der israelischen Botschaft in Amman ein einfaches Touristen-Visum, um wieder ins Seminar zurückkehren und sich dann vor dort aus um seine Aufenthaltsgenehmigung kümmern zu können. Aber die Botschaftsangestellten taten nichts anderes, als ihn immer wieder zu vertrösten. So sind seit jenem Tag im Oktober bereits fünf Monate verstrichen. Um nicht noch mehr Zeit zu verlieren, legt Sami seine letzten Prüfungen inzwischen per Fax und E-Mail ab, die er seinen Professoren in Beit Jala aus dem lateinischen Vikariat von Amman schickt.
Auf den ersten Blick nichts weiter als ein typischer Fall bürokratischer „Odyssee.“ Wenn etwas ähnliches in den vergangenen 10 Monaten nicht auch einer ganzen Reihe von Priestern, Ordensmännern und –schwestern, Seminaristen und ausländischen Novizen, die im Heiligen Land leben, passiert wäre! Ein „Visa-Krieg“ – still und heimlich und ohne offizielle Erklärungen –, der auf dem besten Weg ist, einen beachtlichen Teil der Truppe katholischer Amtsträger in Israel in sans papiers zu verwandeln.
Anfang März zählten die katholischen Einrichtungen Angehörenden, deren Aufenthaltsgenehmigung Israel nicht verlängert hat, bereits mehr als achtzig. Eine Zahl, die zweifellos weiter in die Höhe schnellen wird: immerhin hat das Visa-Dilemma bereits im Mai 2002 begonnen und die Visa mit Ein-Jahres-Dauer werden schon bald, Schlag auf Schlag, abgelaufen sein. Wenn man sich dann ansieht, wer die Betroffenen sind, kann man sofort feststellen, daß dieser merkwürdige Virus der verweigerten Visa nach ganz gezielten Auswahlkriterien „zuschlägt“: mehr als 90% seiner „Opfer“ sind Araber. Libanesen, Iraker, Syrer, aber größtenteils Ländern angehörend, zu denen Israel solide diplomatische Beziehungen unterhält, wie Jordanien und Ägypten. Was nun aber die Zugehörigkeit zu Ordensfamilien betrifft, scheint es bei Fällen verweigerter Visa scheinbar keine Präferenzen zu geben. Viele Franziskaner der Kustodie des Heiligen Landes sind darunter (auch der Libanese George Abou Khazen, Pfarrer der Jerusalemer Erlöserkirche hýtte Probleme, konnte diese aber lösen); viele arabischen Schwestern und Novizinnen der Kongregationen vom Rosenkranz, vom hl. Josef und von der hl. Dorothee; einige Benediktiner und auch zwei achtzigjährige libanesische Trappisten, die vor mehr als sechzig Jahren nach Jerusalem gekommen sind, als es den Staat Israel noch gar nicht gab, und die nun in ihrem hohen, ehrwürdigen Alter erfahren müssen, was es heißt, als „illegale Einwanderer“ abgestempelt zu werden.
Ein Seminar in Gefahr
Von den Ordensleuten, die sich außerhalb Israels befanden und deren Visa inzwischen abgelaufen sind, wartet nun so mancher in irgendeinem Ordenshaus in Nahost, vielleicht auch in der „römischen“ Basis der eigenen Kongregation darauf, daß sich die Situation endlich wieder normalisiert. Die Tatsache, daß das ein oder andere Mitglied von Orden oder religiösen Kongregationen nicht zurückgekehrt ist, ist zwar sicher bedauerlich, stellt aber für Kongregationen mit Mitgliedern verschiedener Nationen keine wirkliche Gefahr dar. Nicht so im Patriarchatsseminar von Beit Jala: hier, wo der Klerus für das gesamte Diözesan-Netz des Heiligen Landes ausgebildet wird, ist das Dilemma um die nicht erneuerten Visa auf dem besten Weg, sich als Damoklesschwert zu entpuppen.
Unter der Jurisdiktion des lateinischen Patriarchats von Jerusalem stehen auch Jordanien und Zypern, außer Jerusalem und den der Palästinensischen Autonomiebehörde unterstehenden Gebieten. In dem Patriarchatsseminar, das 1852 in Beit Jala ins Leben gerufen wurde, mit Genehmigung der damals über das Heilige Land herrschenden Türken, waren die aus lateinischen Pfarreien jenseits des Jordans kommenden Priesterkandidaten schon immer zahlreich. Bis 1967, nach dem Krieg, im Rahmen dessen Israel Jerusalem und die Territorien des Westjordanlandes besetzt hatte, hatten die jordanischen Seminaristen ihre Einreise- und Aufenthaltsgenehmigungen immer problemlos erhalten. Damals eine Art Routinepraxis, nach der jedes Jahr um die 20 neue Visa und 40 Verlängerungen von Sichtvermerken vorgesehen waren. Auch derzeit ist der Großteil der 50 Absolventen des Knabenseminars und 22 des Priesterseminars jordanischer Herkunft. Von denen, die kurz vor der Priesterweihe stehen, sind 16 Jordanier. Und falls sich bis Mai nichts ändert, droht ihnen allen das Schicksal von „Illegalen“, die mit Ausweisung rechnen müssen. Ein Schicksal, dem George Hattar und Raed Hijazin nur knapp entgehen konnten. Jene beiden Kleriker im ersten und dritten Jahr Theologie, die in den Weihnachtsferien auf der Straße nach Nazareth von der israelischen Polizei angehalten und an die Grenze zu Jordanien gebracht wurden. Nur durch das beherzte Einschreiten eines katholischen Beamten im israelischen Kultusministerium, der die beiden kannte, konnte vermieden werden, daß sie aus dem Land gejagt wurden. Aber das wachsende Gefühl der Unsicherheit hat inzwischen begonnen, das Überleben einer gemeinschaftlichen Einrichtung zu gefährden, die ohnehin schon von dem Konflikt und den endlosen Monaten allgemeiner Ausgangssperre in Mitleidenschaft gezogen wurde, das der gesamten Zone um Bethlehem seit der jüngsten Phasen israelischer Besatzung aufgezwungen wurde. „Wenn das so weitergeht, könnten wir ernsthaft in Erwägung ziehen, das Seminar zu schließen,“ gibt Rektor Maroun Laham zu, auch er Palästinenser jordanischer Nationalität. Auch sein Visum ist abgelaufen, auch er ist ein „Illegaler“, wie viele andere arabische Priester auch, die am Seminar unterrichten oder als Pfarrer in Israel tätig sind.

Schwierige Beziehungen
Das Seminar von Beit Jala ist das einzige katholische Diözesan-Seminar im Heiligen Land. Ein Seminar, das einzige lateinischen Ritus’ in ganz Nahost, das bereits 258 Priester und 11 Bischöfe hervorgebracht hat, darunter zwei lateinische Patriarchen von Jerusalem: Giacomo Beltritti und seinen Nachfolger, den derzeitigen Titular des lateinischen Patriarchats, Michel Sabbah. Von den Fenstern des schlichten, würdevollen Gebäudes sieht man Jerusalem. In den Aulen und im Refektorium kann man arabisch, französisch, oft auch italienisch sprechen hören. Dem Klerus, der hier ausgebildet wird, ist es bestimmt, den Großteil der 60 Pfarreien des Patriarchats zu betreuen.
Eine Schließung des Seminars von Beit Jala würde für die katholische Kirche im Heiligen Land große Schwierigkeiten bedeuten. Man würde damit den Nerv der gesamten Diözesan-Struktur treffen, die für die pastorale Betreuung des Großteils der arabischen Katholiken zuständig ist. Diese kleine, autochthone palästinensische Gemeinschaft, die von verschiedenen Seiten kommendem Druck ausgesetzt ist, es aber auch möglich macht, daß die katholische Präsenz im Heiligen Land nicht nur ein Importartikel ist, eine Liste von Ordenshäusern und religiösen Einrichtungen. Mehr als im Heiligen Land aufgemachte illustre „Zweigstellen“ von auf der ganzen Welt verstreuten Orden und Bewegungen, oder ein Ziel für rastlose westliche Herzen, die es auf der Suche nach ihrem geistlichen Weg hierher verschlagen hat.
In Sachen verweigerte Visa hat die Apostolische Nuntiatur in Israel in den vergangenen Monaten mehrfach bei den israelischen Behörden um Klärung gebeten, aber nie eine Antwort erhalten. Noch vor den im Januar stattgefundenen Wahlen war das Innenministerium ganz in der Hand eines Vertreters der Schas, jener extremistisch religiösen, fremdenfeindlichen Partei, die ein Einreiseverbot für alle „Heiden“ anstrebte, die nach Israel einwandern wollen. Der Gedanke, daß durch das Visa-Dilemma auch die katholische Kirche ihren Preis für die das Land erfassenden antiarabischen Strömungen bezahlen muß, ist naheliegend. Vielleicht macht sich da der ein oder andere das allgemeine, von den schrecklichen Kamikaze-Attentaten ausgelöste Notstandsklima zunutze, um mit den kirchlichen Realitäten vor Ort abzurechnen, die dem derzeitigen israelischen Leadership ein Dorn im Auge sind. Vor allem mit dem lateinischen Patriarchat und den Ostkirchen, die fatalerweise das Schicksal und die Orientierung ihrer palästinensischen Gläubigen teilen. Die übertrieben strengen Kontrollen seitens der israelischen Flughafenpolizei überzeugten den lateinischen Patriarchen Michel Sabbah am 17. Januar zum ersten Mal davon, von einem Besuch in Rom Abstand zu nehmen – und das, obwohl er einen Diplomatenausweis besitzt. In der Zwischenzeit bemüht sich die westliche Presse eifrig darum, die der israelischen Politik am kritischsten gegenüberstehen Kirchen des Nahen Ostens durch den Vorwurf des theologischen Antisemitismus zu verunglimpfen.
Aber die „Affäre“ der verweigerten Visa hat nicht nur mit der schwierigen Beziehung zwischen Israel und den Ortskirchen zu tun. Wie Pater David Jaeger, Professor für kanonisches Recht und Pressesprecher der Kustodie des Heiligen Landes 30Tage gegenüber erklärte, „haben wir es hier mit einer Nichteinhaltung von Artikel 3 § 2 des am 10. März 1994 in Kraft getretenen Grundsatzabkommens zwischen Hl. Stuhl und dem Staate Israel zu tun. Dieser Artikel garantiert das Recht der Kirche, ‚ihr eigenes Personal‘ in ihren jeweiligen Einrichtungen ‚auszubilden, zu ernennen und einzusetzen‘ – im englischen Original wird das Verb deploy gebraucht. Ich war bei den Verhandlungen dabei und kann mich erinnern, daß man mit dieser Formulierung dieses Recht gewährleisten wollte.“
In den vatikanischen Palästen hofft man, daß der Fall um die Visa für Israel, der quantitativ konsistenter ist als die analoge querelle, die die Beziehungen zu Rußland erschwert, mit dem Beginn des Mandats der neuen Regierung aus der Welt geschafft werden kann, der die Knesset am 28. Februar ihr Vertrauen ausgesprochen hat, und an deren Spitze Innenminister Avraham Poraz stehen wird, der 1945 in Rumänien geborene Vertreter der laizistischen Partei Schinui. Man hofft, daß damit auch die bisher von den israelischen Regierungsbehörden gezeigte gewisse Nachlässigkeit bei den ordentlichen Geschäftsbeziehungen mit dem Hl. Stuhl aufhören wird. Man bedenke nur, daß die Arbeiten der bilateralen ständigen Arbeitskommission zwischen Hl. Stuhl und Israel im vergangenen November von israelischer Seite unilateral suspendiert wurden. Einer Kommission, die es seit 1994 gibt und deren Aufgabe es ist, detaillierte Normen zu den im Fundamental Agreement angesprochenen Punkten auszuarbeiten. Das Organ war gerade dabei, das heikle Thema des Status des Eigentums und der katholischen Institutionen in Israel vom steuerlichen Gesichtspunkt aus anzugehen. Als Rechtfertigung für den Verhandlungsstopp wurde die ýegierungskrise angegeben und das Warten auf die Wahlen, aus der die neue Regierung hervorgehen würde. Seit 1994 wurden aber in Israel bereits dreimal allgemeine Landeswahlen abgehalten – was den Arbeiten der Kommission damals keinen Abbruch getan hatte.







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