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JESUITEN
Aus Nr. 03 - 2003

Begegnung mit Peter-Hans Kolvenbach.

Wir in der Zeit dieses absurden Krieges


Die Kirche, die Welt und die Gesellschaft Jesu aus der Sicht des 28. Nachfolgers des hl. Ignatius von Loyola. Der zur irakischen Krise meint: „Es ist absurd, einen Krieg nach dem anderen gegen Länder anzuzetteln, die mit diktatorischen Systemen regiert werden, um mit Gewalt von außen die Demokratie zu bringen.“


von Gianni Valente


Peter-Hans Kolvenbach

Peter-Hans Kolvenbach

Das Pontifikat des derzeitigen Papstes ist inzwischen das fünftlängste der Geschichte. Aber auch der „schwarze Papst“ hat eine beachtliche Bilanz vorzuzeigen. Am kommenden 19. September kann Petrus Jacobus Johannes Maternus Kolvenbach, besser bekannt unter dem Namen Peter-Hans, seinen 20. Jahrestag an der Leitung der Gesellschaft Jesu begehen – und steht damit an siebter Stelle der Generaloberen, die am längsten bei der Societas Jesu das Ruder geführt haben.
Große Feierlichkeiten wird es allerdings kaum geben. Denn wenn die 20jährige Amtszeit dieses asketischen, reservierten und freundlichen Nachfolgers des Ignatius von Loyola von einem geprägt war, dann sicher von einer ausgesprochenen Nüchternheit, einem Stil, dem jegliches Protagonistentum fern war. Den Großteil dieser Zeit ist er um den Erdball gereist, um den entlegensten Truppen und Vorposten einer „Armee“ sui generis seinen Besuch abzustatten, die es immer noch versteht, die ganze Welt mit der fast schon mimetischen Wandlungsfähigkeit, mit der sie ihre Berufung lebt, in Erstaunen zu versetzen, sich an die vielfältigsten Umstände und Gegebenheiten anzupassen. Ad maiorem Dei gloriam.
Aufgrund der von ihm bekleideten Rolle – man kann es fast schon eine Art „Berufskrankheit“ nennen – neigt Pater Kolvenbach dazu, die Dinge in einer globalen, die ganze Welt umfassenden Perspektive zu sehen. Mit ihm zusammen wollen wir uns auf eine kurze virtuelle Reise machen, an den „Angelpunkten“ der „Jesuiten-Geographie“ halt machen, jetzt, wo sich am Himmel die dunklen Wolken eines neuen Krieges zusammenziehen.

Pater Kolvenbach, zwanzig Jahre an der Leitung der Jesuiten sind eine schöne Bilanz. Wenn Sie das große, von Ihren Mitbrüdern auf der Welt geleistete Werk mit einem Satz, einer kurzen Formel beschreiben sollten, was käme Ihnen da in den Sinn?
PETER-HANS KOLVENBACH: Der erste Generalobere der Jesuiten, Ignatius von Loyola, pflegte die Sendung der Gesellschaft Jesu in einem kurzen Satz zusammenzufassen. Auf Spanisch hieß das „ayudar a las almas“, was wir erklärend so übersetzen, daß es darum geht, den Menschen zu helfen, persönlich ihrem Herrn und Retter zu begegnen. Als er die Gesellschaft Jesu gründete, hatte er keinen anderen Wunsch als den, die Sendung Christi, hier und jetzt, mit einer Gruppe von Gefährten im Herrn fortzusetzen, derer sich der Herr bedienen kann, um dorthin zu gehen, wo man ihn noch gar nicht kennt, wenig kennt oder ihn verkennt. Diese Mission, zu „ayudar“, zu „helfen“, hat ihre Aktualität keineswegs eingebüßt. In unserem Jahrtausend, in dem die Kirche nicht versucht, sich aufzudrängen, sondern sich darum bemüht, ihren Herrn anzubieten, bedeutet das einfache Verb „helfen“ ein entschiedenes Verkünden des Glaubens, verbunden mit einem Takt, der keine Hintergedanken kennt und die Gewissensfreiheit der Männer und Frauen unserer Zeit respektiert, die auf die eine oder andere Weise auf der Suche sind nach Gott. Wir als Jesuiten sind uns dessen bewußt, daß wir die Sendung Christi erfüllen müssen, nicht nach unseren eigenen Ideen und Plänen, sondern nach der Art und Weise, in der der Herr den Menschen geholfen hat, den Weg zu seinem und unserem Vater zu finden.
Ich weiß, daß die folgende Frage nicht leicht zu beantworten ist. Aber ich möchte Sie doch bitten, uns eine Episode, einen Umstand, eine Situation aus diesen Jahren zu erzählen, die für Sie am unmittelbarsten und einfachsten das repräsentiert, was die Jesuiten in der Kirche und in der Welt sind.
KOLVENBACH: Da wüßte ich gar nicht, wo ich anfangen soll, meine Verantwortlichkeit bringt nämlich auch das Privileg mit sich, den Jesuiten so ziemlich überall auf der Welt zu begegnen und den Dienst bewundern zu können, den sie für die Kirche des Herrn unter oft widrigsten und prekären Bedingungen erfüllen. Aber da ich nur ein Beispiel nennen soll, fällt mir die Versammlung aller höheren Ordensoberen ein, die wir vor drei Jahren in Loyola abgehalten haben. Das war nicht nur das Abbild, sondern die wunderschöne Realität der Einheit der Herzen im Dienst an dem selben Herrn und seiner Kirche. Mehr als hundert höhere Ordensobere einer bemerkenswerten Vielfalt an Sprachen, Mentalitäten und Kulturen: menschlich gesehen ein Ding der Unmöglichkeit, sich in einer gemeinsamen Sendung einig zu sein – und im Herrn doch möglich. Weil unsere Spiritualität sehr inkarniert ist und in konkreten Bedingungen gelebt wird, mit den Personen in ihrer konfliktgeladenen Pluralität. Die Erfahrung einer Begegnung dieser Art legt Zeugnis dafür ab, daß das neue Gebot des Herrn selbst in unserer geteilten Welt keine Utopie, sondern sehr wohl möglich ist. Möglich dank der Gabe und der Vergebung, die wir von Ihm gelernt und empfangen haben.
Kommen wir auf die komplexe internationale Situation zu sprechen. Nach dem 11. September ist die Tendenz weitverbreitet, Konflikte und Krisen als im Zeichen einer apokalyptischen Schlacht stehend zu interpretieren, die die sogenannte westliche Zivilisation christlichen Ursprungs vor gegen sie gerichteten Angriffen schützen soll. Was halten Sie von einer solchen Interpretation der gegenwärtigen Ereignisse?
KOLVENBACH: Die schrecklichen, unfaßbaren Ereignisse des 11. September haben bewirkt, daß in der ganzen Welt eine „apokalyptisch gefärbte“ Rede- und Denkweise entstehen konnte, verbunden mit der unausweichlichen Sorge, die Welt vor einer Selbstzerstörung zu bewahren, und auch der unausweichlichen radikalen Unterscheidung zwischen einer guten Zivilisation, die es zu verteidigen gilt, und einem Terrorismus, einer „Achse des Bösen“, die es zu zerstören gilt. So kann jede Katastrophe von weltweiten Ausmaßen leicht als apokalyptisch eingestuft werden, aber das ist nicht der Sinn des Wortes, das im letzten Buch der Heiligen Schrift – der Apokalypse – zum Ausdruck kommt. Es handelt sich dort um die Offenbarung dessen, der, Zeichen des Widerspruchs, kommt, indem er die Geschichte mit uns lebt. Das im Fernsehen übertragene Bild der New Yorker Zwillingstürme hat sich in unser Bewußtsein eingeprägt. Wenn auch nicht als einzige große Katastrophe: es gibt viele anderen großen Katastrophen auf der Welt, denen die Presse keine Aufmerksamkeit widmet, wie z.B. den Zehntausenden von Menschen, die in Kolumbien hingeschlachtet wurden. Andererseits ist natürlich jeder Terrorismus zu verurteilen, aber die Verurteilung darf nicht bedeuten, daß man nicht länger nach den Ursachen dieses Terrorismus sucht, danach, diesem ein Ende zu bereiten.
Seit Monaten wird ein neuer Krieg vorbereitet, dieses Mal einer, der als Präventivkrieg definiert wird. Auch er im Namen eines humanitären Aufbäumens gegen die Untaten eines Diktators. Wie beurteilen Sie dieses Pochen auf ethische oder gar religiöse Motivationen, um den Plan einer globalen Regierung der Welt zu rechtfertigen?
KOLVENBACH: Obwohl 15 der 19 Terroristen des 11. September und ihre Finanznetze saudisch sind, bereitet man – unter dem den Vereinten Nationen mehr oder weniger aufgezwungenen Deckmantel – aktiv einen Krieg gegen ein arabisches Land vor. Dieser Krieg, auf den wir uns da hinbewegen, ist ganz gewiß kein Verteidigungskrieg. Und was den sogenannten Präventivkrieg angeht, muß man sich fragen, wer – außerhalb der Vereinten Nationen – das Recht hat, über die Notwendigkeit, gegen ein anderes Land mit Waffengewalt vorzugehen, zu entscheiden, wenn es sich nicht um einen Fall von Notwehr handelt. Ein Einschreiten, das nicht nur unter Zivilisten seine Opfer fordern würde, sondern auch erhebliche politische Folgen hätte. Die Theorie des Präventivkrieges birgt die Gefahr, daß sozusagen unter dem Vorwand, eine Art „Weltpolizei“ zu sein, gegen eine endlos lange Liste von Staaten eingeschritten wird, die mit dem Gedanken zu spielen scheinen, Massenvernichtungswaffen einzusetzen – die überdies heutzutage zahlreiche Länder haben. Das wäre eine gefährliche Illusion. Der Erzbischof von New York hat zu einem klaren und deutlichen Bewußtsein einer klaren und deutlichen Gefahr aufgerufen. Er meint jedenfalls, daß sich die internationale Gemeinschaft nicht in einen Krieg stürzen dürfe. Die Waffen gegen den Terrorismus sind vor allem intelligence und internationale Abkommen. Es ist absurd, einen Krieg nach dem anderen gegen Länder anzuzetteln, die mit diktatorischen Systemen regiert werden, um so mit Gewalt von außen die Demokratie zu bringen. Das irakische Regime befindet sich in den Händen einer sunnitischen muslimischen Minderheit, die ein Land mit einer großen schiitischen Mehrheit regiert. Religiöse Motivationen scheinen nicht vorherrschend zu sein, aber wer Asien und die arabische Welt kennt, der weiß, daß die Leute fast instinktiv Amerika mit allem identifizieren, was weiß und christlich ist. Ein Krieg würde die Gemüter einer Milliarde Muslime erhitzen, und das auf lange Zeit. Von denen ein Großteil nicht weiß oder sich nicht vorstellen kann, daß der Hl. Stuhl, die Bischofskonferenz der Vereinigten Staaten – und die amerikanischen höheren Ordensoberen der Jesuiten – eine moralische Position gegen den Krieg vertreten.
Wenn man dem glauben kann, was einige, auch innerhalb der Kirche meinen, bietet das Klima des „Zusammenpralls der Zivilisationen“ eine günstige Gelegenheit, die christliche Identität zu bekräftigen und die christlichen Wurzeln der westlichen Zivilisation wiederzuentdecken. Was dabei herausklingt, ist die Identifizierung des Christentums mit der westlichen Kultur. Welche Möglichkeiten, aber auch welche Mißverständnisse, kann eine solche Interpretation der derzeitigen Geschichte bergen?
Eine Aula des Kollegs San Ignacio in Medellín (Kolumbien).

Eine Aula des Kollegs San Ignacio in Medellín (Kolumbien).

KOLVENBACH: Vor allem wird in einer Zivilisation, die Angst hat, sich klar zu definieren und somit die Worte ihren Sinn verlieren läßt, jemand, der überzeugt und sicher redet, leicht als intolerant beurteilt. Es ist also eine Gnade, daß uns die Kirche, vor allem durch die Stimme des Heiligen Vaters, in jedem Kontext die Wahrheit in Erinnerung bringt, und das ohne jede Ambiguität, ohne gefallsüchtige Kompromisse, ohne sich des Kreuzes zu schämen. Doch wenn man den gekreuzigten und auferstandenen Herrn verkündigt, muß man dem anderen, um dessen Herz rühren zu können, bereits in seiner Sprache begegnen. Paulus hat diese Erfahrung schon in Athen gemacht: ohne den auferstandenen Herrn auch nur im mindesten zu verleugnen, versucht er, das Herz der Athener zu rühren, indem er ihn als jenen unbekannten Gott vorstellt, den sie verehren. Paulus ist sich zweifellos klar darüber, daß, auch wenn er auf die inkulturierteste Sprache zurückgreift, da doch immer noch die „Torheit“, das „Ärgernis“ des Gekreuzigten bleibt, den es anzuerkennen gilt. Doch wenn man die Verkündigung des Glaubens nicht in der täglichen Realität und Zivilisation ansiedelt, wird die Botschaft nicht vermittelt.
Wie sollte man nicht an die der Kirche wie auch der Gesellschaft Jesu so teure Erfahrung des am 6. Oktober 1552 in Macerata geborenen Matteo Ricci erinnern? Auch wenn damals ganz Europa wie der Franziskanerpater Alfaro der Meinung war, „mit oder ohne Soldaten nach China gehen zu wollen“ wäre wie „nach den Sternen zu greifen.“ Matteo Ricci wurde Chinese mit den Chinesen. In seiner Ablehnung eines farblosen Humanismus pflegt er die Freundschaft, um seinen Herrn in Chinesisch zu verkündigen, und das trotz so mancher Hindernisse. In einem seiner Briefe schreibt er: „An Begegnungen, bei denen wir für unseren Herrn viel Leid erdulden müssen, wird es uns nicht fehlen.“ Wenn man dem Herrn nachfolgt und die Befreiung durch ihn verkündigt, kann man auch Leid und Prüfung kennenlernen. Und ist nicht vielleicht gerade das das Kriterium für einen wahren Dialog und eine wahre Inkulturation?
Apropos Matteo Ricci: die Verkündigung Jesu Christi in China hatte für die Jesuiten schon immer eine besondere Bedeutung. Wie beurteilen Sie heute die Lage der katholischen Kirche in China?
KOLVENBACH: China hat die Jesuiten schon immer fasziniert. Franz Xaver starb an der Schwelle zu China, und Matteo Ricci schrieb im Jahr 1582: China ist die wichtigste und reichste Sache des ganzen Orients, übertrifft alle dortigen Reiche. Mag sein, daß China heute aufgrund seiner riesigen Zahl von Einwohnern anzieht – mehr als eine Milliarde – und daß, nach dem Fall der Ideologien, auch ein gewisser Hunger nach Spiritualität gezeigt wird. In diesem Zusammenhang ist es ein schmerzlicher, aber keineswegs nicht wieder gutzumachender Umstand, daß die Kirche geteilt ist. Neben einer Kirche des Schweigens gibt es auch die 1957 gegründete Patriotische Vereinigung der chinesischen Katholiken, die nach einer ausschließlich chinesischen Autonomie strebt und jede ausländische Einmischung ablehnt. Diese Vereinigung ist eine Regierungsagentur, keine Kirche. Es gibt eine von der Regierung anerkannte Kirche, und einige ihrer Bischöfe und Priester, Ordensleute und Gläubige gehören der Patriotischen Vereinigung an, aber es wäre ungerecht, die Patriotische Vereinigung mit der von der Regierung anerkannten Kirche zu identifizieren: breite Sektoren dieser Kirche stehen der Patriotischen Vereinigung mehr als kritisch gegenüber, wie die Reaktion vieler Gläubiger, Seminaristen und Priester gezeigt hat, die sich weigerten, in Peking am 6. Januar 2000 an der Weihe von Bischöfen teilzunehmen, die der Hl. Stuhl nicht anerkannt hat. Mitglieder der von der Regierung anerkannten Kirche suchen die Gemeinschaft mit dem Heiligen Vater oder stehen bereits mit dem Hl. Stuhl in Kontakt. Die Patriotische Vereinigung dagegen leistet bei ihrem Überlebenskampf Widerstand gegen die Normalisierung der diplomatischen Beziehungen mit dem Vatikan. Die Jesuiten sind weiterhin durch ihre akademische, pastorale und soziale Präsenz aktiv, beispielsweise mit den 101 Leprosarien in 17 chinesischen Provinzen, um die sich die Mitbrüder Matteo Riccis in Macao kümmern. Indem sie, wie der Heilige Vater wollte, für die Aussöhnung mit diesen Millionen von chinesischen Katholiken arbeiten, wahre Zeugen Christi auf einem Kontinent, der mehr denn je seiner Gnade und seiner Wahrheit bedarf.
Kommen wir auf Russland zu sprechen, wo die Beziehungen zwischen Patriarchat Moskau und katholischer Kirche derzeit mehr als gespannt sind. Auch in der Geschichte der Beziehungen zwischen Rom und dem Heiligen Russland spielten die Jesuiten von Anfang an eine wichtige Rolle. Ist das auf orthodoxer Seite bestehende Mißtrauen Ihrer Meinung nach begründet?
KOLVENBACH: Als uns der Heilige Vater nach Sibirien schickte, um die pastorale Betreuung von Zehntausenden von Katholiken zu gewährleisten – Deportierte des Stalin-Regimes –, die seit mehr als fünfzig Jahren ohne Priester waren, wollte er, daß die Gesellschaft Jesu nicht nur polnische Jesuiten entsandte, sondern eine internationale Gruppe, als Ausdruck der Katholizität der Kirche von Rom. Vor allem aber hat er strikte Anweisungen gegeben, jede Form von Proselytismus zu vermeiden. Nach jahrelanger, grausamer Verfolgung braucht die orthodoxe Kirche die Hilfe ihrer Schwesterkirchen, und diese gegenseitige Hilfe ist eine Tatsache, vorausgesetzt, sie bleibt auch dem Anschein nach in der Form eines diskret, ohne Hintergedanken geleisteten Dienstes. So unterhalten die katholischen Diözesen auch Kontakte zu den orthodoxen Diözesen. Es gibt auch gemeinsame Initiativen bezüglich der Ausbildung des Klerus. Die russisch-orthodoxe Kirche ist gerne bei den Versammlungen mit Katholiken präsent, bei denen es um die Spiritualität geht, die Geschichte oder das, was in unserer Zeit auf dem Spiel steht. Erst wenn dieser Dialog christlichen Lebens die Ebene der kirchlichen Strukturen erreicht, stößt man auf ein prinzipielles Problem. Als Patriarchats-Kirche duldet das Heilige Russland auf seinem Territorium keine institutionelle Präsenz eines anderen Patriarchats. Das würde im Widerspruch zu einer sehr alten kanonischen Tradition des Orients stehen. Die russisch-orthodoxe Kirche hat nichts gegen die Präsenz katholischer Bischöfe auf ihrem Territorium, die für die Seelsorge der Katholiken zuständig sind. Die Institutionalisierung dieser Präsenz von Bischöfen in Diözesen der katholischen Kirche toleriert sie jedoch nicht. Es gibt hier zwei einander gegenüberstehende Konzeptionen der Kirche, die eine national, die andere universal. Wahrscheinlich wird man noch sehr viel Geduld haben, wird noch viel Zeit verstreichen müssen, aber in dem Maße, in dem in den beiden Kirchen die Passion des Herrn für die volle Einheit der Christen lebt, wird es dann einen Hirten und eine Herde geben, wenn und wie es der Herr selbst will. An uns ist es, dem Beispiel des Heiligen Vaters folgend, jede Gelegenheit zu ergreifen, dieser Passion für die Einheit in Begegnungen, gegenseitigen Diensten und vor allem dem gemeinsamen Gebet Ausdruck zu geben.
Ein anderer Teil der Welt, der vom missionarischer Genius der Jesuiten geprägt wurde, Lateinamerika, wird gerade von schrecklichen Krisen erschüttert.
KOLVENBACH: Lateinamerika erlebt eine Veränderung, macht eine neue, beunruhigende Krise durch. Soviele, auch von theologischen Motivationen genährte und gestützte Hoffnungen auf eine radikale sozioökonomische Wende sind inzwischen zu der bitteren Erkenntnis geworden, daß die Reichen immer reicher werden, die Armen immer ärmer, und sich der Kontinent immer weiter von dem anderswo stetig steigenden Fortschritt entfernt. Die enttäuschten Menschen haben kein Vertrauen mehr zu den traditionellen politischen Parteien, tendieren dazu, sich charismatische Persönlichkeiten zum Staatsoberhaupt zu wählen, von denen sie sich schnelle, an Wunder grenzende Lösungen erhoffen; das, was man als „phantastischen Realismus“ bezeichnen kann. Die Kirche selbst setzt weiterhin, auf der Linie ihrer Soziallehre, auf die Vorzugsoption für die Armen, und gemahnt die Administrationen und Institutionen an ihre Verantwortung den Armen gegenüber. Eine Verantwortung, die man nicht länger umgehen kann, indem man die Alleinschuld an dem ständig wachsenden Elend in Lateinamerika dem Feind von außen in die Schuhe schiebt. Wenn die Kirche auch prophetisch bleibt, läßt sich doch eine Verlagerung vom Elias des Karmels zu dem Elias von Sarepta feststellen. Nicht ein gewalttätiges Handeln, mit dem auf einen Schlag Strukturen der Sünde gestürzt werden können, sondern eine langsame und geduldige Anstrengung, vor allem auf lokaler und Gemeindeebene, um durch die Institutionen all denen zu helfen, die leiden und so – langsam, aber sicher – eine gerechtere Gesellschaft zu errichten. Ein Beispiel dafür ist das diesbezügliche soziale Werk der Universitäten und Kollegien. Der Kirche tut sich hier ein enormer Aktionsbereich auf. Schwerer ist es da schon vorauszusehen, wie lange die Menschen noch die Geduld aufbringen werden, die beim Warten auf eine dringende soziale Wende vonnöten ist.
Gruppenfoto der höheren Ordensoberen anläßlich der Versammlung von Loyola (September 2000).

Gruppenfoto der höheren Ordensoberen anläßlich der Versammlung von Loyola (September 2000).

Im vergangenen Jahr wurden verschiedene Gemeinschaften lateinamerikanischer Jesuiten in einigen Dokumenten der US-Administration unter den „subversiven Gruppen“ aufgelistet. Gerade in Lateinamerika mußten viele Jesuiten in den vergangenen Jahren ihren Blutzoll bezahlen. Wie beispielsweise Pater Rutilio Grande, und die Professoren der mittelamerikanischen Universität, die 1989 in San Salvador ermordet wurden.
KOLVENBACH: Es stimmt, daß das State Department der Vereinigten Staaten ein Dokument veröffentlichte, in dem die Jesuiten bezichtigt wurden, eine der Guerilla-Bewegungen in Kolumbien ins Leben gerufen zu haben. Nachdem eine Überprüfung der Fakten verlangt worden war, hat das State Department seine Erklärung korrigiert und anerkannt, daß die Jesuiten mit den revolutionären Bewegungen nichts zu tun hatten. Es kommt leider viel zu oft vor, daß jene, welche die Ungerechtigkeit anklagen, um die Gerechtigkeit des Evangeliums zu verkünden, bezichtigt werden, Kommunisten oder Marxisten zu sein. Vor Jahren, als ich mit dem später in San Salvador ermordeten Pater Ignacio Ellacuría eine Messe konzelebrierte, konnte ich über die rohen Worte, die er bei seiner Homilie gebrauchte und die brutalen Bilder auf den Wänden der Kapelle seiner Universität nur staunen. Waren das die Worte eines Leaders der extremen Linken oder die eines Priesters Jesu Christi? Pater Ellacuría gab mir zu verstehen, daß weder die Person Karl Marx´ noch dessen Theorie seinen priesterlichen Einsatz verdienten, daß aber die von Christen in seinem Land aufrechterhaltenen Strukturen der Sünde die unmißverständliche Sprache Johannes des Täufers und der Propheten verlangten, das anspruchsvolle Wort des Herrn, Freund der Armen, bei dieser Ungerechtigkeit, die viele Salvadorianer ins Elend getrieben hatte.
Auch in Afrika gerieten einige Jesuiten ins Kreuzfeuer der Kritik, weil sie die Regierung Sambias davon überzeugt hatten, die Schenkung genetisch veränderter Nahrungsmittel abzulehnen, die von amerikanischen multinationalen Unternehmen „angeboten“ worden waren. Man bezeichnete das als himmelschreiende Undankbarkeit und ideologischen Pauperismus, der letztendlich viele Menschen in den Hungertod treiben würde, die durch die GVOs gerettet hätten werden können. Sehen Sie das auch so?
KOLVENBACH: In Sambia leiten die Jesuiten ein Landwirtschaftszentrum und ein Zentrum für theologische Reflexion. Die sambische Regierung hat diese beiden Zentren, wie übrigens viele andere Nichtregierungsorganisationen auch gebeten, zu der Schenkung genetisch veränderter Nahrungsmittel seitens amerikanischer Konzerne Stellung zu nehmen. Gleichzeitig wurde auch eine Regierungsdelegation in die USA geschickt, um Elemente für eine wissenschaftliche Beurteilung zu sammeln. Die Zentren der Jesuiten haben sich zwar gegen die Schenkung dieser Nahrungsmittel ausgesprochen, standen mit dieser negativen Meinung aber keineswegs alleine da. Die Jesuiten sind allerdings weniger auf die noch nicht geklärte Frage der langfristigen Auswirkungen dieser Nahrungsmittel auf die menschliche Gesundheit eingegangen, sondern stellten vielmehr den katastrophalen Einfluß dieser Schenkungen auf die Landwirtschaft des Landes und die Zukunft der Bauern heraus, die für den Großteil der Maisproduktion Sambias verantwortlich sind. Wirtschaftlich gesehen könnten diese Schenkungen die Auslöschung der gesamten lokalen Landwirtschaft bedeuten. Die Diskussion darüber ist immer noch im Gange, aber in der Zwischenzeit haben, auch dank einer ökumenischen Initiative der Kirchen des Herrn in Sambia, einige wichtige Agenturen versprochen, „normale“ Nahrungsmittel zu schicken, damit die Bevölkerung nicht verhungern muß.


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