Fünf Jahre nach der denkwürdigen Reise Johannes Pauls II.
Die Isla ist nicht für die Isolation gemacht
1998 rief der Papst die Welt auf, sich Kuba zu öffnen und Kuba, sich der Welt zu öffnen. Was hat sich seither geändert? Zu Wort kommt Isidro Gómez Santos, kubanischer Botschafter beim Hl. Stuhl. Die Beziehungen zwischen katholischer Kirche und kubanischer Regierung. Interview.
von Gianni Cardinale

Johannes Paul II. und Fidel Castro bei der Papstreise nach Kuba (21.-25. Januar 1998)
Seit dem Besuch des Papstes sind fünf Jahre vergangen. Der Papst hatte damals dem Wunsch Ausdruck gegeben, Kuba möge sich der Welt und die Welt möge sich Kuba öffnen. Hat sich diese Hoffnung erfüllt?
ISIDRO GÓMEZ SANTOS: Kuba hat begonnen, sich der Welt zu öffnen, wie es das schließlich immer getan hat. Unser Land hat sich noch nie zur Isolation berufen gefühlt. Die anderen haben alles daran gesetzt, uns vom Rest der Welt zu entfernen – allerdings ohne Erfolg. Als der Papst diesem Wunsch Ausdruck gegeben hat, unterhielten wir diplomatische Beziehungen zu 163 Ländern, jetzt sind es 170. Auch die aus dem Ausland kommenden Investitionen konnten dank einer neuen kubanischen Gesetzgebung deutlich angekurbelt werden. Sie werden bereits seit geraumer Zeit in für uns interessanten und unserer sozialistischen Ausrichtung entsprechenden Branchen begünstigt, womit auch das öffentliche Interesse gewahrt werden kann. Unser Land hat viel in den Tourismus-Sektor ýnvestiert, allein im vergangenen Jahr kamen 800.000 Touristen nach Kuba, darunter auch zahlreiche Italiener. Wir richten uns darauf ein, daß noch sehr viel mehr kommen werden, auch Amerikaner – sollte sich deren Regierung endlich dazu entschließen, grünes Licht zu geben.
Ein anderes, meiner Meinung nach sehr wichtiges Element dieser universalen Berufung Kubas ist die permanente Übung der Solidarität, die überdies dem Aufruf des Papstes entspricht, diese zu globalisieren, was Präsident Fidel Castro ansprach, als er den Papst am 21. Januar 1998 am José-Marti-Flughafen von Havanna empfing. Heute gibt es mehr als 3000 im Gesundheitswesen freiwillig Tätige, die aus unserem Land kommen. Der Großteil davon Ärzte: sie sind in 18 Ländern Lateinamerikas, in Asien und Afrika im Einsatz. Darüber hinaus haben wir hier in Kuba, dank von der Regierung zur Verfügung gestellten Stipendien, mehr als 6000 Studenten aus 24 Ländern, die allesamt aus ärmlichen Verhältnissen stammen, 35 davon aus den USA. Es liegt auf der Hand, daß es ohne diese von Kuba gegebene Möglichkeit für diese jungen Menschen sehr schwierig, um nicht zu sagen unmöglich wäre, beispielsweise Medizin zu studieren – die medizinischen Fakultäten, die anderswo sehr teuer sind, sind hier in Kuba nämlich, wie übrigens die Bildung auf allen Ebenen, kostenlos.
Welche Maßnahmen hat die Regierung nach dem Besuch des Papstes in religiösen Belangen ergriffen?
GÓMEZ SANTOS: In Kuba gab es sowohl vor als auch nach dem Besuch des Papstes absolute Religionsfreiheit. Außer der katholischen Kirche gibt es in unserem Land noch 52 andere christliche Konfessionen und die kubanischen Religionen afrikanischen Ursprungs, die neben den Spiritualisten, die am meisten verbreiteten sind. Letztere sind mit dem katholischen Glauben in einem komplexen Religionssynkretismus vermengt. Es gibt auch jüdische Gemeinschaften. All diese Institutionen üben ihre Aktivität vollkommen unabhängig vom Staat aus, der weltlich ist: Ausbildung ihres Personals, Ernennung der Führungspersönlichkeiten, interne Mobilität und die nach außen; soziale Aktivitäten. Sie organisieren die Mitarbeit ihres geweihten Personals in den öffentlichen Repräsentationsorganen, auch auf höchster Ebene, wie das bei unserem Einkammern-Parlament der Fall ist, unter dessen Abgeordneten sich auch drei protestantische Pastoren befinden (die katholische Kirche läßt die Übernahme öffentlicher Ämter seitens ihres geweihten Personals bekanntlich – mit wenigen Ausnahmen – nicht zu).
Die Kirche ist nun auch, um nur zwei Beispiele zu nennen, im öffentlichen Bereich stärker präsent. Und das nicht nur durch eine immer größere Zahl von immer öfter stattfindenden religiösen Feiern und Prozessionen außerhalb der Kirchen: sie ist auch dabei, ihre vom Staat unterstützten Hilfsinstitutionen auszubauen.
Die kubanische Kirche hat sich des öfteren darüber beklagt, nicht ausreichend Zugang zu den Kommunikationsmitteln zu haben. Sind Sie der Meinung, daß es hier Veränderungen geben könnte?
GÓMEZ SANTOS: Laut unserer 1976 mit 99% der Volksstimmen approbierten Verfassung sind die kubanischen Kommunikationsmittel öffentlich. In einem weltlichen Staat wie dem unsrigen haben alle religiösen Einrichtungen und Gemeinschaften – und derer gibt es, wie bereits gesagt, viele – dieselben Rechte und werden mit derselben Achtung behandelt. Bei verschiedenen Anlässen haben deren Sprecher, darunter auch solche der katholischen Kirche, Radiosendungen übertragen, und tun das auch weiterhin.
Die kubanische Kirche weigert sich hartnäckig, ihre Publikationen registrieren zu lassen, weil sie befürchtet, unter die Zensur zu fallen. Eine berechtigte Befürchtung?
GÓMEZ SANTOS: Derzeit sind in unserem Land mehr als 50 katholische Publikationen verschiedener Art in Umlauf, obwohl die Kirche noch nicht dafür gesorgt hat, daß diese in das jeweilige Register eingetragen werden. Dabei handelt es sich um einen ganz normalen Verwaltungsakt; einen, der in allen Ländern vorgesehen ist. Diese Registrierung wurde bereits vor geraumer Zeit für alle anderen Publikationen des Landes vorgenommen, ja sogar für die – übrigens sehr zahlreichen – anderer religiöser Einrichtungen. Natürlich wurde keine dieser Publikationen irgendeiner Form von Zensur unterworfen. Dasselbe wird natürlich auch bei Publikationen der katholischen Kirche der Fall sein.
Dem katholischen Dissidenten Oswaldo Payá Sardiñas, Gründer des Moviemento cristiano Liberación, wurde am 17. Dezember der Sacharow-Preis [„für die Freiheit des Geistes“] des Europäischen Parlaments verliehen. Er hatte nach der Generalaudienz vom Mittwoch, 8. Januar, auch Gelegenheit, den Papst zu begrüßen. Payá ist der Koordinator des sogenannten Proyecto Varela. In dieser Eigenschaft hat er für die Einführung eines institutionellen Referendums im Land Unterschriften gesammelt. Befürchten Sie, daß sich in der Kirche eine politische Opposition herausbilden könnte?
GÓMEZ SANTOS: In einem kürzlich geführten Interview bekräftigte Kardinal Jaime Lucas Ortega y Alamino, Erzbischof von Havanna und Präsident der kubanischen Bischofskonferenz, daß die kubanische Kirche weder mit der politischen Aktivität Payás noch irgendeiner anderen Person, Katholik oder auch nicht, zu tun hat. Damit ist wohl gesagt, wie die Kirche zur Politik steht.
Im März werden die Brigitten-Schwestern nach Havanna kommen. Und doch hört man nicht selten, daß die Kirche zu wenige Visa für Ordenspersonal ausstelle, das seine Sendung in Kuba erfüllen möchte. Daß es keine objektiven Kriterien für die Ausstellung dieser Visa gebe, diese also willkürlich erteilt würden. Sind diese Kritiken gerechtfertigt?
GÓMEZ SANTOS: Dazu möchte ich Fakten sprechen lassen. Derzeit gibt es in unserem Land 55 Frauen- und 22 Männerorden, mehr als zu Beginn der Revolution. Neun davon sind nach dem Jahr 2000 zu uns gekommen. Die Kongregation vom Heiligen Erlöser der hl. Brigitte wird die 56. sein, und untergebracht wird sie in dem Haus, das von der Regierung kostenlos zur Verfügung gestellt wurde – wie schon das Terrain für das neue interdiözesane Seminar in Havanna, an dessen Wiederaufbau die Regierung übrigens maßgeblich beteiligt war.
Die Zahl der aus dem Ausland – derzeit aus 39 verschiedenen Ländern – kommenden Priester, Ordensmänner und –frauen in Kuba ist im Wachsen begriffen. In den vergangenen Jahren wurden noch weitere kubanische Priester geweiht, haben Ordensmänner und –schwestern das Ordensgelübde abgelegt – wohl um die zwanzig. Die beiden Seminare, die es in unserem Land schon immer gegeben hat, werden von ca. 80 Seminaristen besucht, in den verschiedenen Ordenshäusern werden ebenso viele Studenten ausgebildet. Etwa hundert Seminaristen und zukünftige Ordensmänner und –schwestern studieren derzeit im Ausland.
Es hat den Anschein, als würden sich viele in der Kirche für unser Land interessieren. Dieses Interesse daran, nach Kuba zu kommen und hier zu arbeiten, ehrt uns. Es gibt also viele Anfragen seitens der kubanischen Diözesen, aber auch der religiösen Orden, die bereits im Land sind. Aber vielleicht scheinen sie nicht gut koordiniert zu sein. Es hat bisher den Anschein, daß Kuba die Kirche gebeten hat, den Visa-Anträgen Priorität einzuräumen.
In Kuba werden die Beziehungen zwischen der katholischen Kirche und den anderen religiösen Gemeinschaften von einem Büro der kubanischen kommunistischen Partei geregelt, dem Oficina para asuntos religiosos, das aber eben kein Regierungsorgan ist, sondern das einer Partei. Ist das nicht ungewöhnlich?
GÓMEZ SANTOS: Jedes Land und jede Institution, wie auch die katholische Kirche selbst, übernimmt die Strukturen, die am besten im Einklang mit ihrer Geschichte zu stehen scheinen, mit den nötigen Erfordernissen der angemessenen und rechtmäßigen Ausübung ihrer Aktivität, Entscheidungen, die der kubanische Staat allen gegenüber respektiert.
Dieses Büro ist übrigens eine wirklich sehr kleine Struktur, dank derer die Beziehungen zwischen religiösen Institutionen und Gemeinschaften und weltlichem Staat im Rahmen der von unserer Verfassung garantierten Freiheiten einfacher gestaltet werden.
Im Januar wurden Wahlen abgehalten, bei denen eine große Volksbeteiligung verzeichnet werden konnte. Glauben Sie, daß es in Zukunft auch in Kuba ein Mehrparteiensystem geben könnte?
GÓMEZ SANTOS: Gerade diese starke Volksbeteiligung – mit mehr als 97% der über 16 Jahre alten Kubaner, dem Mindestalter für den Gang zu den Urnen (der übrigens keine Pflicht ist), ist der Beweis dafür, daß die überwältigende Mehrheit des kubanischen Volkes, angefangen bei den jungen Leuten, das demokratische, sozialistische System befürwortet und unterstützt, das unser Volk durch souveränen Beschluß angenommen hat.
In Kuba werden die Vertretungsorgane des Volkes auf allen Ebenen, angefangen bei der Nationalversammlung der Volksmacht, unserem Parlament, von der kommunistischen Partei weder vorgeschlagen noch gewählt. Die Kandidaten werden von den Bürgern und ihren sozialen Oganisationen aufgrund persönlicher Verdienste vorgeschlagen. Die Wahlen sind direkt und geheim. Man muß noch nicht einmal der Partei angehören, um vorgeschlagen und gewählt werden zu können.
An dieser Stelle muß auch daran erinnert werden, daß Kuba in der Vergangenheit bereits mit dem Mehrparteiensystem in Berührung gekommen ist. Einem System, mit dem wir Hunger, Leid, Analphabetentum, Diskriminierung, Betrug, Korruption, das Fehlen von wirklicher Demokratie, von Freiheit und Souveränität kennengelernt haben – eine Situation, in der die US-Regierung und das US-Kapital ein Land beherrschten, das dazu verurteilt war, dieser Interessen wegen eine deformierte und unterentwickelte Wirtschaft zu haben.
Unsere Demokratie ist perfektionierbar, wie das übrigens alle sein können. Wir glauben aber, ausgehend von unserer Geschichte und unserer Realität, daß die unsrige den richtigen Weg eingeschlagen, das erreichte Bildungs- und Kulturniveau in Betracht gezogen hat. Die kubanische Bevölkerung hat zum derzeitigen Stand mindestens die neunte Grundschulklasse absolviert; mehr als 800.000 Menschen der 11 Millionen zählenden Bevölkerung sind Akademiker und Intellektuelle (davon mehr als 66.000 Ärzte). Am Anfang der Revolution waren etwa die Hälfte der Bevölkerung Analphabeten, 90% hatten nicht einmal die fünfte Grundschulklasse besucht, die Akademiker machten bei einer Bevölkerung von nahezu 7 Millionen Menschen nur ca. 30.000 aus.
Kuba muß seit Jahrzehnten ein von den USA auferlegtes Embargo erdulden. Sind hierzu Änderungen in Sicht?
GÓMEZ SANTOS: Das ist eine gute Frage, die eine eingehende Antwort erfordert – wenn wir Bedeutung und Substanz dieses Genozids – denn etwas anderes ist es nicht – zu Lasten unseres Landes klarmachen wollen.
Zunächst einmal möchte ich klarstellen, daß es mehr, sehr viel mehr ist als ein Embargo. Es handelt sich um eine wahre Handelsblockade, die längste der Geschichte. Eine, die sich längst nicht nur auf unsere bilateralen Beziehungen zu den USA auswirkt, was die internationale Gemeinschaft allzu gut weiß, die jedes Jahr mit überwiegender Mehrheit im Rahmen der Vereinten Nationen gegen diesen ungerechten und unmenschlichen Aggressionsakt stimmt, den unser Land nun schon seit mehr als 40 Jahren erdulden muß. Nur zwei Nationen stimmen für die Fortsetzung dieser Grausamkeit: die USA und einer ihrer ihnen bedingungslos ergebenen Verbündeten, der Staat Israel.

Die Kathedrale von Havanna
Es gibt keine Nation auf der Welt, die solange eine derartige Situation ertragen mußte.
Die Appelle des Papstes, der diese Situation wiederholt verurteilt hat, fallen bei den USA auf taube Ohren – die schließlich auch die Friedensappelle des Papstes ungehört verhallen lassen –, auch wenn sich in der amerikanischen Gesellschaft ein immer größerer Widerwille gegen diese einschränkenden Maßnahmen breit macht; Maßnahmen, die den Prinzipien der amerikanischen Verfassung zuwiderlaufen, wie die Reisefreiheit, die amerikanischen Bürgern, die nach Kuba reisen wollen, „demokratisch“ untersagt ist.
Es sieht so aus, als könnte dieser wachsende Widerstand gegen das Embargo in den USA, auch seitens wichtiger Vertreter von Kultur, Politik und Wirtschaft, wesentlich dazu beitragen, diese Situation erträglicher zu gestalten, ja letztendlich ganz zu beseitigen. Auch wenn es natürlich nicht einfach ist, die Dauer einer solchen möglichen Entwicklung vorauszusehen.
Der Krieg gegen den Irak scheint immer unausweichlicher zu werden. Wie steht Kuba dazu?
GÓMEZ SANTOS: Dazu möchte ich das wiederholen, was ich schon bei der von unserer Botschaft in Zusammenarbeit mit dem Päpstlichen Rat für die Kultur und dem Circolo San Pietro organisierten Ausstellung kubanischer Malkunst gesagt habe, die anläßlich des fünften Jahrestages der Reise des Papstes nach Kuba abgehalten wurde. Kuba ist gegen den Krieg, der in diesem Fall den offensichtlichen Zweck verfolgt, die Region den politischen und wirtschaftlichen Interessen der Supermacht Amerika zu unterwerfen, das sich zunächst einmal die dort vorhandenen Energiequellen unter den Nagel reissen will. Kuba ist auch gegen den Terrorismus, unter dem unser Land in den vergangenen Jahren sehr zu leiden hatte. Einem genau genommen von amerikanischem Territorium ausgehenden, wo diese Terroristen weiterhin mit Unterstützung und Schutz rechnen können und die Gewißheit haben, nicht einmal von den Regierungsbehörden zur Verantwortung gezogen zu werden, so unglaublich das auch scheinen mag, wenn man die wahre Geschichte nicht kennt. Ich möchte daran erinnern, daß dieser Terrorismus in Kuba 3.478 Menschen das Leben gekostet und 2.099 unserer Bürger zu Behinderten gemacht hat.