Begegnung mit Michael L. Fitzgerald
Niemand ist in Rom ein Fremder
„Oft sind gerade diejenigen, welche den Islam des Fundamentalismus bezichtigen, selbst nicht frei davon. Diese Angst vor dem Islam muß ausgetrieben werden.“ Begegnung mit Michael L. Fitzgerald, Präsident des Päpstlichen Rates für den interreligiösen Dialog.
von Giovanni Cubeddu
Michael L. Fitzgerald.
Diese Worte Musas zeigten dasselbe Taktgefühl, das schon 800 Jahre zuvor die Beziehungen Gregors VII. zu dem algerischen Sultan Al Nasir geprägt hatte, der ihm einige seiner Freigelassenen zum Geschenk gemacht hatte und den Papst bat, ihm einen Priester zu schicken, der sich um die Christen in seinem Sultanat kümmern konnte. Hätte Musa jemals von Franz von Assisi und seiner Begegnung mit einem Verwandten des Saladin in Ägypten erfahren, hätte er sich sicher gefragt, wie es nur möglich war, daß in der Kirche so barmherzige Männer mit anderen zusammenleben konnten, die Verfechter der Kreuzzüge waren.
Nicht zuletzt im Kielwasser solcher Fälle beispielhafter Liebe verweist das II. Vatikanische Ökumenische Konzil in der dogmatischen Konstitution Lumen gentium ausdrücklich auf die Muslime („Der Heilswille umfaßt aber auch die, welche den Schöpfer anerkennen, unter ihnen besonders die Muslim, die sich zum Glauben Abrahams bekennen und mit uns den einen Gott anbeten, den barmherzigen, der die Menschen am Jüngsten Tag richten wird“ LG 16). Und die konziliäre Erklärung Nostro aetate sollte dann in der Folge die Grundlagen für den heutigen Dialog zwischen Islam und Christentum schaffen („Mit Hochachtung betrachtet die Kirche auch die Muslim [...]. Da es jedoch im Lauf der Jahrhunderte zu manchen Zwistigkeiten und Feindschaften zwischen Christen und Muslim kam, ermahnt die Heilige Synode alle, das Vergangene beiseite zu lassen, sich aufrichtig um gegenseitiges Verstehen zu bemühen und gemeinsam einzutreten für Schutz und Förderung der sozialen Gerechtigkeit, der sittlichen Güter und nicht zuletzt des Friedens und der Freiheit für alle Menschen“, NA 3).
Darüber, welche Bedeutung der interreligiöse Dialog, besonders mit den Muslimen, heute für die Kirche hat, haben wir uns mit Michael L. Fitzgerald unterhalten. Der Missionar der Weißen Väter [Afrikamissionare] ist seit Oktober 2002 Präsident des Päpstlichen Rates für den interreligiösen Dialog (in dem er schon 1972 als Konsultor und ab 1987 als Sekretär tätig war).
Das von Paul VI. 1964 als Organ für den Dialog eingerichtete Sekretariat für die Nicht-Christen sollte – so Montini – eine ähnliche Funktion erfüllen wie dasjenige „für die getrennten Christen.“ In seiner Homilie zu Pfingsten 1964 hatte er es der Welt mit folgenden Worten vorgestellt: „Kein Pilger, wie weit sein Herkunftsland aus religiöser und geographischer Sicht auch entfernt sein mag, wird länger ein Fremder sein in diesem Rom, das noch heute treu festhält an dem historischen Programm einer patria communis, das ihm der katholische Glaube bewahrt.“
Die christliche
Liebe bezieht alle mit ein
Die beiden grundlegenden Texte dieses Päpstlichen Rates sind: Die Haltung der Kirche gegenüber den Anhängern anderer Religionen. Reflexionen und Orientierungen zu Dialog und Mission aus dem Jahr 1984, zum 20. Jahrestag des Dikasteriums, und Dialog und Verkündigung. Reflexionen und Orientierungen zum interreligiösen Dialog und der Verkündigung des Evangeliums Jesu Christi aus dem Jahr 1991. Darin wird der Begriff „Dialog“ dem der „Mission“ und „Verkündigung“ zur Seite gestellt. Es besteht also keine dialektische Gegenüberstellung. Aber läuft man so nicht Gefahr, daß der Dialog zu einer irritierenden Wiederholung der Prinzipien der Dialogpartner wird? Doch kommen wir zu unserem Gespräch mit Msgr. Fitzgerald:
„Die beiden Dokumente siedeln den Dialog im Mittelpunkt der Sendung der Kirche an, einer in ihrer Ganzheit verstandenen Sendung,“ präzisiert Fitzgerald. „Wie es schon in dem Dokument von 1984, unter Punkt 13, heißt, ‚stellt die Mission im Bewußtsein der Kirche zwar eine einheitliche, aber komplexe und artikulierte Realität dar.‘ Der fünf Elemente zugrunde liegen: Präsenz; Dienst; Gebet und Kontemplation; Dialog; Verkündigung und Katechese. Ich pflege stets zu sagen, daß man Mission auch durch die bloße Präsenz tut. Ein Gläubiger, der mit seinem täglichen Leben Zeugnis ablegt, ist Missionar. Aber es gibt keine Mission, wenn man nicht betet, nicht Eucharistie feiert, nicht den Armen dient, die nicht unbedingt Christen sein müssen. Mutter Teresas christliche Liebe zu den Armen war eine bedingungslose Liebe. Den Sterbenden, die sie von der Straße geholt hat, um ihnen in ihren letzten Stunden beizustehen, ließ sie den Trost der Religion spenden – und zwar je nach deren jeweiligem Glauben, der nicht unbedingt der christliche Glauben sein mußte. Liebten sie den Herrn denn etwa deswegen weniger? ‚Ich habe mein ganzes Leben wie ein Tier gelebt, und jetzt sterbe ich wie ein Engel,‘ waren die letzten Worte eines Armen, den sie selbst in einem entlegenen Winkel von Kalkutta aufgelesen hatte. Der Dialog zielt nicht auf eine Zwangsbekehrung ab, aber die Kirche kommt nicht umhin, Christus zu verkündigen und dazu einzuladen, durch die Taufe Teil von ihr zu werden. Es ist unser innigster Wunsch, das zu vermitteln, denn wir kennen die Großzügigkeit des Herrn, sind ihm unendlich dankbar. Aber die Fülle der Gnade des Herrn ist etwas, das freiwillig angenommen werden muß.“
Wir wollten von Msgr. Fitzgerald wissen, ob der Wunsch, einen Text abzufassen, in dem die „rechte Beziehung“ zwischen Dialog und Aufforderung zur Bekehrung nicht zu vielen Unterscheidungen geführt hat. „Den 1991er Text zu Dialog und Verkündigung haben wir zusammen mit der Kongregation für die Evangelisierung der Völker geschrieben. Für die Lösung der Frage – was ist der Dialog und wann wird er zur Verkündigung – können wir aus der Erfahrung schöpfen. Auch ich konnte, als ich von 1978 bis 1980 im Sudan weilte, einigen Menschen Jesus verkündigen und sie dann mit der Taufe bei ihrem Eintritt in die Kirche begleiten. Mit anderen widerum, den Muslimen des Nordsudans, konnte ich einfach nur einen Dialog führen, und das habe ich auch getan. Es ist keinesfalls ein Widerspruch, wenn ein und dieselbe Person verschiedenen Personen gegenüber zwei verschiedene Dinge tut. Die Beziehung zwischen Dialog und Verkündigung kann nicht vollkommen in der Theorie gelöst werden, denn es handelt sich dabei um zwei je nach dem jeweiligen Individuum getane Gesten, die in dessen Wunsch, daß etwas geschehen möge, wahr werden. Die Ermahnung von Paul VI., Evangelii nuntiandi, spricht in einem sehr weiten Sinne von der Evangelisierung, verstanden als das Eindringen der Werte des Evangeliums in die Gesellschaft. Aus diesem Text haben wir unsere Definition von Evangelisierung, die auch den Dialog miteinschließt. Auch Johannes Paul II. bestätigt in seiner Redemptoris missio, daß der interreligiöse Dialog Teil der Evangelisierungssendung der Kirche ist. Daran gibt es keinen Zweifel. Dem, der sagt ‚wir wollen keinen Dialog führen, wir müssen keinen Dialog führen‘, antwortet der Papst, daß gerade das Teil der Sendung der Kirche ist!“
Kein Gefühl der
Überlegenheit
Im März des Jahres 1999 schickte der damalige Präsident des Päpstlichen Rates für den interreligiösen Dialog, Kardinal Francis Arinze, einen Brief über die Spiritualität des Dialogs an die Präsidenten der Bischofskonferenzen (Lettera ai presidenti delle conferenze episcopali sulla spiritualità del dialogo). Dieser Brief ist noch heute für die Männer des Dialogs eine Art kleine summa. Wir wollen von Msgr. Fitzgerald mehr darüber wissen, und das auch schon aus dem Grund, weil nach Abwägung einiger in besagtem Brief enthaltener Anregungen und Anhörung der Bischofskonferenzen dieses Jahr ein weiteres Schlüsseldokument herausgegeben werden wird. Die diesbezüglichen Entwürfe wurden (und werden) der Kongregation für die Glaubenslehre unterbreitet.
In dem Brief von Kardinal Arinze heißt es: „Es ist unsere feste Überzeugung, daß Gott will, daß alle das Heil erlangen, und daß Gott seine Gnade auch über die sichtbaren Grenzen der Kirche hinaus schenkt. Gleichzeitig ist sich der Christ auch dessen bewußt, daß Jesus Christus, der Sohn des menschgewordenen Gottes, der einzige und alleinige Retter der gesamten Menschheit ist, und daß nur in der Kirche, die Christus gegründet hat, die Heilsmittel in ihrer ganzen Fülle gefunden werden können. Das darf die Christen in keinster Weise dazu verleiten, eine triumphalistische Haltung einzunehmen oder ein Gefühl der Überlegenheit an den Tag zu legen. Im Gegenteil: in Demut und mit dem Wunsch nach gegenseitiger Bereicherung erfolgt die Begegnung mit anderen Gläubigen, in fester Verwurzelung mit den Wahrheiten des christlichen Glaubens.“
Was bedeuten diese Worte für Msgr. Fitzgerald?
„Wenn wir in der Heiligen Schrift nach einer Grundlage für den Dialog suchen, können wir den ersten Petrusbrief lesen, der uns auffordert, jederzeit in aller Bescheidenheit für unsere Hoffnung Rechenschaft abzulegen. In dem Brief an die Philipper schreibt Paulus, daß Christus, der Gott gleich war, nicht daran festhielt, sondern sich erniedrigte und gehorsam war bis zum Tod. Die Spiritualität des Dialogs ist eine kontemplative, die sich nicht davor fürchtet, das Wirken Gottes in den anderen Menschen zu erkennen, auch wenn diese anderen Glaubens sind. Und doch können wir das Fragezeichen nicht leugnen, vor das uns ein solcher Umstand stellt. Und wir können nicht das Mitgefühl mit den Menschen unterdrücken, die den Herrn nicht kennen. Diese Erfahrung habe ich beispielsweise mit einem buddhistischen Mönch gemacht, der 1986 nach Assisi gekommen ist. Er war fast neunzig Jahre alt, klein und mager. Was mich an ihm so sehr beeindruckt hat, war die Güte, die er als Mensch besaß, seine Offenheit dem Christentum gegenüber, obwohl er selbst kein Christ war. 1999 kam eine kleine und schlichte Frau nach Rom, die eine Anhängerin Gandhis war, eine Hindu. Darf ich Ihnen gestehen, daß man in ihr ein ungewöhnliches Taktgefühl erkennen konnte, eine Heiligkeit? Wenn es sie gibt, dann führen wir sie auf den Herrn zurück, der auch außerhalb der sichtbaren Grenzen seiner Kirche wirkt.
Und so können wir anerkennen, daß die Gnade nicht etwas ist, das wir besitzen. Wir haben die Berufung erhalten, unseren Glauben zu leben, aber wir sind schwach. Viele Menschen haben nicht den Vorteil des Glaubens, den wir haben, und sind moralisch besser als wir.“
Oben, Franziskus vor dem Sultan, Storie di san Francesco, Giotto, Oberbasilika, Assisi. Auf den folgenden Seiten, Details.
Dialog zwischen
armen Sündern
Aus dem Brief über die Spiritualität des Dialogs an die Präsidenten der Bischofskonferenzen: „Im Dialog ist der Christ gerufen, Zeuge Christi zu sein, dem Herrn in seiner Verkündigung des Himmelreiches nachzufolgen, in seiner Sorge und seinem Mitgefühl mit jedem und seiner Achtung der Personenfreiheit.“ Fitzgerald kommentiert: „Jesus ist in den Evangelien stets geduldig. Geduldig auch mit den Aposteln, die ihn nicht immer verstehen. Und er verlangt nicht von allen, denen er begegnet, ihm sofort zu folgen. Er heilt, hilft, antwortet, und sagt dann: ‚geh´ nach Hause.‘ Vergibt die Sünden und sagt: ‚kehr nach Hause zurück.‘ Er sagt nicht: ‚Du mußt mein Jünger werden.‘ Das ist ganz einfach unglaublich: ein Mysterium. Ein so großes Mitgefühl, eine so große Liebe zur Freiheit. Der Großteil der Menschen, denen Jesus begegnete, waren Juden. Jesus praktizierte keinen interreligiösen Dialog in dem Sinne, was wir darunter verstehen, denn er begegnete nur selten Menschen, die nicht dem jüdischen Volke angehörten – das werden wir im kommenden Dokument unseres Päpstlichen Rates ansprechen –, aber er gibt uns doch ein Beispiel für grundlegende Haltungen, die vor jedem Dialog kommen. Er ist geduldig, der Herr, kennt den Wert des Impliziten, wo es dagegen heute viel zuviel verbal Explizites gibt. Jesus ist in den Evangelien stets geduldig, ausgenommen mit den Heuchlern...“
Weiter heißt es in dem Brief: „Die Verkündigung führt zur Bekehrung im Sinne der freien Annahme der Frohen Botschaft Christi und dem Mitglied-der-Kirche-Werden. Der Dialog dagegen setzt die Bekehrung im Sinne einer Rückkehr des Herzens zu Gott in Liebe und im Gehorsam seinem Willen gegenüber voraus. Mit anderen Worten: Öffnung des Herzens dem Wirken Gottes gegenüber [...]. Gott ist es, der die Menschen anzieht, indem er seinen Geist schickt, der in der Tiefe ihrer Herzen wirkt.“ Fitzgerald kommentiert: „Das ist für alle eine große Befreiung. Gott ist es, der entscheidet, wir sind Werkzeuge. Im Dialog spielt stets auch meine Bekehrung eine Rolle, mein Wunsch, dem Herrn nah zu sein. Ein ehrlicher Dialog über den Glauben, über den eigenen Glauben, kann nur von der Erkenntnis der eigenen persönlichen Grenzen ausgehen. Dialog ist nicht: ‚ich habe alles, du hast nichts, du kommst zu mir, und ich gebe dir den ganzen Reichtum des christlichen Glaubens.‘ Der Dialog legt uns immer wieder als Sünder bloß.“
Zur Beziehung mit den anderen Religionen heißt es in dem Brief: „Man wird sehen, daß es viele Berührungspunkte gibt [...]. Die Unterschiede dürfen aber dennoch nicht unterbewertet werden. [...] Und auch wenn man das Wirken des Geistes Gottes bei Menschen anderer Religionen wertschätzt, nicht nur in den Herzen Einzelner, sondern auch in einigen ihrer religiösen Riten [...], muß die Einzigartigkeit des christlichen Glaubens respektiert werden.“ Fitzgerald erläutert: „Damit soll gesagt werden, daß wir im Anhängen an unseren Glauben die Freiheit haben, den einen oder anderen Funken zu schätzen, wo immer wir ihn auch erkennen mögen. Der Ramadan-Monat der Muslime ist für sie beispielsweise ein Mittel – das Fasten – sich Gott zu nähern und kommt vom Brauchtum der Juden und der Christen. Können wir denn sagen, daß dieser Ritus etwas Schlechtes ist? Daß es schlecht ist, wenn sie sich zum Gebet niederwerfen?“
Fructum
dabit tempore suo
In dem Brief steht auch geschrieben, daß „die Spiritualität, die den interreligiösen Dialog belebt und unterstützt jene ist, die in Glaube, Hoffnung und Nächstenliebe gelebt wird.“ Der Präsident des Päpstlichen Rates für den interreligiösen Dialog meint dazu: „Man könnte sagen, daß der interreligiöse Dialog das christliche Leben ist, das neben Personen gelebt wird, die keine Christen sind. Die Nächstenliebe knüpft unter den Menschen Freundschaftsbande. Meine Mitbrüder, die lange in muslimischen Ländern gelebt haben, hatten nicht die Gelegenheit, viele Taufen zu feiern, aber sie haben durch die Liebe des Herrn eine sichere Frucht in der Freundschaft vieler Menschen anderen Glaubens erhalten.“
Ein letzter Auszug aus dem Brief: „Die Hoffnung zeichnet einen Dialog aus, der nicht den Anspruch stellt, unmittelbare Resultate zu sehen, sondern unbeirrbar an dem Glauben festhält, daß der Dialog ein Weg zum Reich Gottes ýst, und daß er sicher Früchte tragen wird, auch wenn nur der Vater den Zeitpunkt und die Jahreszeit kennt. Die Liebe, die von Gott kommt, und die uns durch den Heiligen Geist mitgeteilt wird, treibt den Christen dazu, die Liebe Gottes mit anderen Gläubigen in unentgeltlicher Weise zu teilen.“
„Man verlangt keine Resultate.“ Das ist der Grund, warum ich als Bischof das Motto „Fructum dabit“ gewählt habe, Psalm 1 zitierend, „fructum dabit tempore suo“: der Gerechte ist wie ein Baum, der an Wasserbächen gepflanzt ist und der zur rechten Zeit seine Frucht bringt. Die Dinge müssen wachsen, die Ernte muß wachsen, die Freundschaft muß wachsen. Saint-Exupéry hat gesagt, daß man den anderen mit der Süße gewinnen muß. Wer darauf drängt, sofort die Resultate des Dialogs zu sehen, ist ein Feind des Dialogs, denn diese kann man nicht nicht mit der Waage messen, und doch sind sie manchmal da. Und mögen sie manchmal einfach nur das Fehlen eines Krieges sein, der anderswo dagegen gerade tobt. Ich kenne ein muslimisches Paar in Mazedonien. Lange haben sie sich geweigert – im Gegensatz zu vielen ihrer Glaubensgenossen –, alles stehen und liegen zu lassen und wegzugehen, eingeschüchtert von den Druck ausübenden extremistischen Fraktionen unter den Ortodoxen. Eines Tages gaben sie der Angst nach, beschlossen, ihr Haus zu verkaufen und anderswo ihr Glück zu suchen. Und dann standen auf einmal ihre Nachbarn, Orthodoxe, vor der Tür und sagten: ‚Wir wollen euch nur sagen, daß wir hier sind, um euch zu beschützen.‘ Die beiden sind geblieben. Der ein oder andere mag vielleicht sagen, das sei eine Episode, die keine Bedeutung hat, daß nichts passiert ist, es kein ‚Resultat‘ gegeben hat. Aber wer das sagt, der weiß nicht, daß das tägliche Leben gerade aus diesen kleinen Zeichen besteht.“
Wahre Muslime
oder auch nicht
üwischen dem 9. und 10. Jahrhundert erlebten in Bagdad die klassischen Studien ihre Blüte: Christen und Muslime übten sich daran, die Berührungspunkte zwischen ihren Glauben zu entdecken. Heute, einen Schritt vom Präventivkrieg gegen den Irak entfernt, kommt man nicht umhin, den Präsidenten des Päpstlichen Rates für den interreligiösen Dialog zu fragen, ob letzterer in der Frage des interreligiösen Dialogs mit dem Islam auf der Stelle tritt. Msgr. Fitzgerald ist folgender Meinung: „Nach dem 11. September macht man nichts anderes, als den islamischen Fundamentalismus anzuklagen. Das ist eine Simplifizierung, bei der man einige Dinge herausstellt, indem man andere unter den Teppich kehrt. Und oft sind gerade diejenigen, welche den Islam des Fundamentalismus bezichtigen, selbst nicht frei davon. Unterscheidungen zu treffen ist notwendig, und das ist, wie ich meine, die Aufgabe unseres Organismus. Ich bin Realist, und in Anbetracht der derzeitigen Schwierigkeiten muß ich zugeben, daß einige, die sich Terrorakte zuschulden kommen lassen, das im Namen des Islam tun. Aber Muslime, die den Islam instrumentalisieren, sollten nicht als wahre Muslime angesehen werden. In der Tat haben nämlich auch die muslimischen Partner unseres Päpstlichen Rates den 11. September verurteilt. Diese Angst vor dem Islam, die es uns unmöglich macht, einander zu begegnen, muß ausgetrieben werden. Der Dialog braucht Vertrauen. Als Präsident des Päpstlichen Rates muß ich vorsichtig sein. Als Mann der Kirche muß ich alle Umstände der Begegnung zwischen Christen und Muslimen kennen und wissen, daß es Christen gibt, die in muslimischen Ländern viel Leid erdulden müssen. Ich bin also nicht so frei wie es Michael Fitzgerald mit seinen muslimischen Freunden sein könnte. Ich versuche, keinen Aspekt außer Acht zu lassen.“
Als wir uns voneinander verabschieden, fällt mein Blick auf die vielen Bücher und Unterlagen auf seinem Schreibtisch. Da ist auch das Foto von der Begegnung Pauls VI. mit den saudischen Ulema im Oktober 1976 in Rom. Damals, als der Papst, nachdem er sich für das Geschenk – einen Gebetsteppich – bedankt hatte, sagte: „Lasset uns beten.“ Und der beste Dialog war jene Minute des Schweigens, die darauf folgte.