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Aus Nr. 03 - 2011

Spirituelle Lektüre/41




Im September 2006 haben wir in unserer neuen Rubrik Spirituelle Lektüre damit begonnen, die wichtigsten Dokumente des kirchlichen Lehramts zum Thema Gnade zu veröffentlichen. Oder – wie Péguy sagt – „über das Geheimnis und das Wirken der Gnade“. Begonnen haben wir mit Passagen aus dem Credo des Gottesvolkes von Paul VI. (September 2006-Mai 2007), um dann fortzufahren mit den Canones der Synode von Karthago aus dem Jahr 418 (Juni-September 2007) sowie mit dem Indiculus, dem kleinen römischen Katechismus aus der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts (Oktober 2007-Januar 2008), und den Canones der Synode von Orange aus dem Jahr 529 (Februar 2008-September 2009). Den Abschluss bildeten die Texte des heiligen Ambrosius, die in der unmittelbaren Einsichtigkeit des Gebets die Inhalte derselben Lehre zum Ausdruck bringen (Oktober 2009-November 2010).
In dieser Ausgabe nehmen wir mit den Dekreten des Tridentinischen Konzils, die die Lehre der Kirche über die Gnade unversehrt bewahren und treu darlegen, die Veröffentlichung der Dokumente des Lehramtes wieder auf. Wir beginnen mit der Einleitung und den ersten beiden Canones des Dekrets über die Ursünde, das am 17. Juni 1546 approbiert wurde (nach einer kurzen historischen Einleitung, die die Entstehung des Konzilstextes beschreibt).
Das Dekret des Tridentinischen Konzils hat im übrigen auch eine gewisse „journalistische“ Aktualität im Bezug auf einige kürzlich in verschiedenen Tageszeitungen erschienene Artikel, in denen bestimmte Interpretationen vertreten werden, die die historische Realität der Erbsünde leugnen und sie für eine theologische Erfindung des heiligen Augustinus halten.
Im Bewusstsein darum, dass die Gläubigen aus Erfahrung wissen, wie vernünftig es ist, „in der Lehre Christi zu bleiben“ (2 Joh 9), ist es für das Glaubensverständnis tröstlich zu lesen, was Augusto Del Noce in seinem Buch Das Problem des Atheismus (Bologna 1964) über die Erbsünde geschrieben hat. Der katholische Philosoph untersteicht, dass der moderne Atheismus weniger als „radikale Laisierung“ des Christentums zu verstehen ist, sondern vielmehr als „Neuverständnis der christlichen Neuheit in alten Kategorien“, weshalb „das Übel in der Endlichkeit des Existierenden selbst liegt“: „Die Entscheidung, von der alle Kategorien und die gesamte Entwicklung des Rationalismus abhängen, ist die Ablehnung der Auffassung von der Sünde, wie sie im Buch Genesis dargelegt wird. Die Religionskritik, die die Bibel herabsetzt, indem sie sie auf legendäre Erzählungen verkürzt, ist in Wahrheit eine Folge der genannten Grundentscheidung. Die Erklärung der Bibel, für die das Böse durch uns und einen freien Akt in die Welt kam, wird ersetzt durch die Auffassung, dass der Zusammenhang zwischen Endlichkeit und Tod als notwendig hingestellt wird. Damit kehrt man im Grunde genommen zu einer Erklärung des Bösen zurück, die schon im Anaximander-Fragment enthalten ist.“
Entweder wurde das Böse, das wir in der Welt sehen, durch einen freien Akt des Menschen herbeigeführt („eine schwere Sünde des Hochmuts und Ungehorsams“, wie es der Katechismus des heiligen Pius X. ausdrückt), oder das Böse fällt mit der Schöpfung selbst zusammen und ist deshalb „aus Gott und in Gott“, wie Hegel sagt. Tertium non datur.
Mit den Worten aus dem zweiten Brief des Lieblingsjüngers können wir sagen (vgl. 2 Joh 9): entweder man bleibt in der Lehre Christi und bleibt so in Gott, oder man verlässt sie und verfällt dem Gnostizismus oder der Gnosis, genauer gesagt der falschen Gnosis.
 
 
Historische Anmerkung*
Die Erbsünde war die erste dogmatische Frage, mit der sich das Tridentinische Konzil befasste. Das geschah am 21. Mai 1546 auf Anregung der Päpstlichen Legaten Del Monte, Pole und Cervini, die allein das Recht hatten, Themen vorzuschlagen. Mit der erneuten Bekräftigung der Erbsündenlehre wollte man natürlich die Irrtümer zurückweisen, die die Protestanten in diesem Zusammenhang von Gnostikern und Pelagianern entlehnt hatten. Der vorgeschriebenen Arbeitsweise entsprechend wurde die Frage zunächst in der „Theologenkongregation“ diskutiert, die am 24. Mai zu früher Stunde (5 Uhr morgens!) einberufen wurde. Die Theologen (32 an der Zahl und fast alle Mitglieder der großen Orden) schlossen die Diskussion am folgenden Tag ab. Am 28. Mai fand die „Generalkongregation“ statt, das heißt die Versammlung der wahlberechtigten Konzilsväter, bei der Del Monte den Vätern das Grundschema vorstellte. In den anschließenden Generalversammlungen (31. Mai bis 5. Juni) wurde es bearbeitet. Der erste Entwurf des endgültigen Dekrets erschien am 8. Juni, mit der Hilfe einiger Bischöfe und Theologen von den Legaten persönlich vorbereitet, die sich bemüht hatten, nur Ausdrücke bereits anerkannter katholischer Konzilien und Kirchenlehrer zu verwenden. Nach der Anbringung einiger Verbesserungen wurde der definitive Text des Dekrets am 17. Juni 1546 in der V. feierlichen Sitzung des Konzils promulgiert, das in der Kathedrale St. Vigilius in Trient abgehalten wurde.
 
* Von Lorenzo Cappelletti, auf Italienisch veröffentlicht in 30Giorni, Nr. 1, Januar 1994, S. 71.
 
 
 
 
 
Decretum de peccato originali
Ut fides nostra catholica, „sine qua impossibile est placere Deo“ (Hebr 11, 6), purgatis erroribus in sua sinceritate integra et illibata permaneat, et ne populus christianus «omni vento doctrinae circumferatur» (Eph 4, 14), cum serpens ille antiquus, humani generis perpetuus hostis, inter plurima mala, quibus Ecclesia Dei his nostris temporibus perturbatur, etiam de peccato originali eiusque remedio non solum nova, sed etiam vetera dissidia excitaverit: sacrosancta oecumenica et generalis Tridentina Synodus in Spiritu Sancto legitime congregata, praesidentibus in ea eisdem tribus Apostolicae Sedis legatis, iam ad revocandos errantes et nutantes confirmandos accedere volens, sacrarum Scripturarum et sanctorum Patrum ac probatissimorum conciliorum testimonia et ipsius Ecclesiae iudicium et consensum secuta, haec de ipso peccato originali statuit, fatetur ac declarat:
 
1. Si quis non confitetur, primum hominem Adam, cum mandatum Dei in paradiso fuisset transgressus, statim sanctitatem et iustitiam, in qua constitutus fuerat, amisisse incurrisseque per offensam praevaricationis huiusmodi iram et indignationem Dei atque ideo mortem, quam antea illi comminatus fuerat Deus, et cum morte captivitatem sub eius potestate, „qui mortis» deinde „habuit imperium, hoc est diaboli“ (Hebr 2, 14), totumque Adam per illam praevaricationis offensam secundum corpus et animam in deterius commutatum fuisse: anathema sit.

2. Si quis Adae praevaricationem sibi soli et non eius propagini asserit nocuisse, acceptam a Deo sanctitatem et iustitiam, quam perdidit, sibi soli et non nobis etiam eum perdidisse; aut inquinatum illum per inoboedientiae peccatum mortem et poenas corporis tantum in omne genus humanum transfudisse, non autem et peccatum, quod mors est animae: anathema sit, cum contradicat Apostolo dicenti: «Per unum hominem peccatum intravit in mundum, et per peccatum mors, et ita in omnes homines mors pertransiit, in quo omnes peccaverunt» (Röm 5, 12).
 
 
Dekret über die Ursünde
Damit unser katholischer Glaube, „ohne den es unmöglich ist, Gott zu gefallen“ (Hebr 11, 6), von Irrtümern gereinigt in seiner unversehrten und unverletzten Reinheit fortbestehe und das christliche Volk nicht „von jedem Wind der Lehre umhergetrieben werde“ (Eph 4, 14) – denn jene alte Schlange, der beständige Feind des Menschengeschlechtes, hat neben sehr vielen Übeln, durch die die Kirche Gottes in diesen unseren Zeiten verwirrt wird, auch über die Ursünde und ihr Heilmittel nicht nur neue, sondern auch alte Streitereien entfacht –, beschließt, bekennt und erklärt das hochheilige ökumenische und allgemeine Konzil von Trient, rechtmäßig vereint im Heiligen Geist unter dem Vorsitz der drei Legaten des Apostolischen Stuhls, in der Absicht nunmehr daran zu gehen, die Irrenden zurückzurufen und die Wankenden zu stützen, den Zeugnissen der heiligen Schriften, der heiligen Väter und der voll anerkannten Konzilien sowie dem Urteil und der Übereinstimmung der Kirche selbst folgend, folgendes über ebendiese Ursünde:
1. Wer nicht bekennt, dass Adam, der erste Mensch, nachdem er das Gebot Gottes im Paradiese übertreten hatte, sogleich die Heiligkeit und Gerechtigkeit, in die er eingesetzt worden war, verloren und sich durch den Verstoß dieser Übertretung den Zorn und die Ungnade Gottes und deshalb den Tod zugezogen hat, den ihm Gott zuvor angedroht hatte, und mit dem Tod die Knechtschaft unter der Gewalt dessen, „der“ danach „die Herrschaft des Todes innehatte, das heißt des Teufels“ (Hebr 2, 14) und dass der ganze Adam durch jenen Verstoß der Übertretung dem Leib und der Seele nach zum Schlechteren gewandelt worden ist: der sei mit dem Anathema belegt.
 
2. „Wer behauptet, die Übertretung Adams habe nur ihm und nicht seiner Nachkommenschaft geschadet“, die von Gott empfangene Heiligkeit und Gerechtigkeit, die er verloren hat, habe er nur für sich und nicht auch für uns verloren; oder er habe, befleckt durch die Sünde des Ungehorsams, „nur den Tod“ und die Strafen „des Leibes auf das ganze menschliche Geschlecht übertragen, nicht aber auch die Sünde, die der Tod der Seele ist“: der sei mit dem Anathema belegt, „da er dem Apostel widerspricht, der sagt: ‛Durch einen Menschen ist die Sünde in die Welt gekommen, und durch die Sünde der Tod, und so ging der Tod auf alle Menschen über; in ihm haben alle gesündigt’ (Röm 5, 12).“


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