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ANGELUS
Aus Nr. 07/08 - 2011

„Allein aus eigenen Kräften bist du nicht imstande, dich zu erheben. Halte dich fest an der Hand dessen, der bis zu dir hinabsteigt“


In seinem Kommentar stellt sich der hl. Augustinus vor, wie er sich an den Apostel wendet, und sagt: der Herr „hat sich herab geneigt und dich bei der Hand genommen. Allein aus eigenen Kräften bist du nicht imstande, dich zu erheben. Halte dich fest an der Hand dessen, der bis zu dir hinabsteigt“ (Enarr. in Ps. 95,7: PL 36,1233), und er sagt dies nicht nur zu Petrus, sondern er sagt dies auch zu uns.


Benedikt XVI., Apostolischer Palast in Castel Gandolfo, Sonntag, 7. August 2011


<I>Jesus rettet Petrus aus den Fluten</I>, Mosaik im Dom zu Monreale, Palermo. [© Enzo LoVerso]

Jesus rettet Petrus aus den Fluten, Mosaik im Dom zu Monreale, Palermo. [© Enzo LoVerso]

 

Apostolischer Palast, Castel Gandolfo


Sonntag, 7. August 2011

 

Liebe Brüder und Schwestern!

Im Evangelium des heutigen Sonntags begegnen wir Jesus, der sich auf einen Berg zurückgezogen hat und die ganze Nacht betet. Der Herr offenbart abseits von den Leuten und den Jüngern seine Vertrautheit mit dem Vater sowie das Bedürfnis, in Einsamkeit zu beten, geschützt vor den Unruhen der Welt. Doch diese Zurückgezogenheit in die Einsamkeit darf nicht als ein mangelndes Interesse gegenüber den Menschen oder als ein Verlassen der Apostel verstanden werden. Er ließ vielmehr, wie der hl. Matthäus berichtet, die Apostel ins Boot steigen, um „an das andere Ufer vorauszufahren“ (Mt 14,22), und ihnen erneut zu begegnen. Währenddessen „[war] das Boot […] schon viele Stadien vom Land entfernt und wurde von den Wellen hin und her geworfen; denn sie hatten Gegenwind“ (V. 24), und siehe da, „in der vierten Nachtwache kam Jesus zu ihnen; er ging auf dem See“ (V. 25); die Jünger erschraken, und da sie ihn mit einem Gespenst verwechselten, „schrien [sie] vor Angst“ (V. 26), sie erkannten ihn nicht, sie begriffen nicht, dass er der Herr war. Doch Jesus beruhigte sie: „Habt Vertrauen, ich bin es; fürchtet euch nicht!“ (V. 27).

Es ist dies eine Episode, deren großen Bedeutungsreichtum die Kirchenväter erfasst haben. Der See symbolisiert das gegenwärtige Leben und die Unbeständigkeit der sichtbaren Welt; der Sturm verweist auf jede Art von Drangsal und Schwierigkeiten, die den Menschen bedrücken. Das Boot hingegen steht für die von Christus gestiftete und von den Aposteln geleitete Kirche. Jesus will die Jünger dazu erziehen, mutig die Widrigkeiten des Lebens zu ertragen und dabei auf Gott zu vertrauen, auf den, der sich dem Propheten Elija auf dem Berg Horeb in einem „sanften leisen Säuseln“ offenbart hat (1 Kön 19,12). Der Abschnitt fährt dann fort mit der Geste des Apostels Petrus, der den Meister – ergriffen von übergroßer Liebe zu ihm – bittet, ihm auf dem Wasser entgegengehen zu dürfen. „Als er aber sah, wie heftig der Wind war, bekam er Angst und begann unterzugehen. Er schrie: Herr, rette mich!“(Mt 14,30).

In seinem Kommentar stellt sich der hl. Augustinus vor, wie er sich an den Apostel wendet, und sagt: der Herr „hat sich herab geneigt und dich bei der Hand genommen. Allein aus eigenen Kräften bist du nicht imstande, dich zu erheben. Halte dich fest an der Hand dessen, der bis zu dir hinabsteigt“ (Enarr. in Ps. 95,7: PL 36,1233), und er sagt dies nicht nur zu Petrus, sondern er sagt dies auch zu uns. Petrus geht nicht aus eigener Kraft über das Wasser, sondern kraft der göttlichen Gnade, an die er glaubt, und als ihn der Zweifel überwältigt, als er nicht mehr seinen Blick fest auf Jesus heftet, sondern Angst vor dem Wind hat, als er dem Wort des Meisters nicht völlig traut, so besagt dies, dass er sich innerlich von ihm entfernt und so Gefahr läuft, im Meer des Lebens unterzugehen. Und dies gilt auch für uns: Wenn wir bloß auf uns selbst schauen, werden wir von den Winden abhängig sein und können nicht mehr durch die Stürme hindurch auf den Wassern des Lebens gehen. Der große Denker Romano Guardini schreibt, dass der Herr „immer nahe ist, seiend an der Wurzel unseres Seins… Doch es ist offenbar so, dass wir unser Verhältnis zu Gott zwischen den Polen der Ferne und der Nähe erleben sollen. Durch die Nähe werden wir gestärkt, durch die Ferne geprüft“ (Den Menschen erkennt nur, wer von Gott weiß, Verlagsgemeinschaft topos plus, Kevelaer 2008, S. 75f.).

Liebe Freunde, die Erfahrung des Propheten Elija, der hörte, wie Gott vorüberging, und der Glaubenskampf des Apostels Petrus lassen uns verstehen, dass es, noch bevor wir ihn suchen oder anrufen, der Herr selbst ist, der uns entgegengeht, der uns den Himmel näherbringt, um uns die Hand zu reichen und zu seiner Höhe emporzuheben; er erwartet nur, dass wir ganz auf ihn vertrauen, dass wir uns wirklich von ihm an der Hand nehmen lassen. Beten wir zur Jungfrau Maria, Vorbild vollen Gottvertrauens, dass inmitten so vieler Sorgen, Probleme und Schwierigkeiten, die das Meer unseres Lebens aufwühlen, im Herzen das beruhigende Wort Jesu erklinge, der auch uns zuruft: „Habt Vertrauen, ich bin es; fürchtet euch nicht!“, damit unser Glaube an ihn wachse.



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