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EDITORIAL
Aus Nr. 10 - 2011

Don Giussani und die Präsenz des Laienstandes in der Kirche


Bevor ich von Don Luigi spreche, möchte ich eines klarstellen: Unrichtigerweise wurde die Erfahrung Don Giussanis manchmal als Konkurrenz zur Katholischen Aktion jener Jahre gesehen. Ich war immer der Meinung, dass das schon damals eine Fehlinterpretation war, weil Giussani – soweit ich das von außen beurteilen konnte – nie von der Opposition gegen etwas ausging, sondern von etwas Positivem.


von Giulio Andreotti


Giulio Andreotti und Don Luigi Giussani.

Giulio Andreotti und Don Luigi Giussani.

 

Meine persönliche Bekanntschaft mit Don Luigi Giussani reicht in die 1990er Jahre zurück, aber ich wusste schon seit langem, wer er war. Besonders beeindruckend fand ich, dass es in Mailand an den Universitäten endlich jemanden gab, der auf ein bestimmtes ideologisches Klima reagierte. Wir hatten damals nämlich das Gefühl, dass Mailand stark vom Protest geprägt war, und dass das politisch gesehen auf niedrigstem Niveau zum Ausdruck kam. Die Roten Brigaden hatten ein Klima der Angst geschaffen – die „Warnschüsse ins Bein“, die Morde… Aber auch bei den Rechten gab es beunruhigende Agitationen. In den Institutionen gab man sich der Illusion hin, dass die demokratische Methode, an die wir uns gebunden fühlten und von der wir keinesfalls abweichen wollten, fähig war, den Kommunismus zu bekämpfen. Aber vielleicht reichte das damals schon nicht mehr aus – und gerade, als die Gewalttäter dachten, alles dominieren zu können, ging von Don Giussani und seinen Anhängern so etwas wie ein „Rückeroberungsfeldzug“ aus. Tatsächlich brachte Giussani eine Art Wende, eine Wende um 180 Grad: es gab keine Nachgiebigkeit der dominierenden Ideologie gegenüber mehr, aber auch nicht die gegenteilige Reaktion, also eine erbarmungslose Opposition gegen den Kommunismus.
Bevor ich von Don Luigi spreche, möchte ich eines klarstellen: Unrichtigerweise wurde die Erfahrung Don Giussanis manchmal als Konkurrenz zur Katholischen Aktion jener Jahre gesehen. Ich war immer der Meinung, dass das schon damals eine Fehlinterpretation war, weil Giussani – soweit ich das von außen beurteilen konnte – nie von der Opposition gegen etwas ausging, sondern von etwas Positivem.
Die Katholische Aktion hatte eine Organisation, die sich aus Männern, Frauen, Jugendlichen, Anwärtern, Kindern, und aus zwei Bewegungen zusammensetzte: Akademikern und Studenten (FUCI). In der Zeit des Faschismus funktionierte diese Organisationsform ganz gut, weil sie eine gewisse Autonomie und einen gewissen Stolz darauf, anders zu sein, ohne große Probleme zuließ. Es war wichtig, sie in dieser kapillaren, fast nicht reglementierten Form zu haben. Der Sozialist Saragat hat einmal bei einer Veranstaltung der Mädchen der Katholischen Aktion (der „braunen Baskenmützen“) auf dem Mussolini-Forum gesagt: „Ich möchte auch kommen, um mir das anzusehen“ – und er war ziemlich beeindruckt. Pius XI. hatte die richtige Intuition, als er die Bewegungen und deren Zweige schuf, die Grundlage aber blieb stets die Pfarrei. Mit der Zeit machte sich dann aber doch eine gewisse Müdigkeit bemerkbar. Das sollte nicht heißen, dass die Erfahrung der Pfarrei nicht mehr wirksam gewesen wäre, aber der „Faden“ der Bildung war gerissen. Vor knapp 10 Jahren, bei der 100-Jahr-Feier der FUCI, war ich entrüstet, als folgende Grundhaltung zutage trat: „Es sei klar gesagt, dass wir nicht eine Bewegung sind, die bildet, sondern eine, die auf der Suche ist.“ Dabei war doch für uns, die wir in der FUCI groß geworden waren, genau das Gegenteil wahr gewesen! Für uns war das Hauptziel gerade die Bildung, die die Persönlichkeit formt: die Liturgie, das Studium des Alten und Neuen Testaments, eine mutige Präsenz an den Universitäten, eine aufmerksame Zusammenarbeit mit den anderen Studenten und den Professoren – die unsere Qualitäten schätzen sollten –; die internationale Verbindung durch „Pax Romana“ und eine soziale Sensibilität, die gepflegt wurde durch die Hilfsaktionen der Vinzenz-Konferenzen. In diesem Zusammenhang habe ich den armen Familien von Pietralata – zu denen wir mit den Vinzenz-Vereinen gingen – einige der wichtigsten Lehren fürs Leben verdanken!
In den ruhmreichen Jahren der Katholischen Aktion waren die Massenkundgebungen – wie auch Kardinal Angelini bezeugen kann – nicht nur nützlich, sondern hatten auch eine gewisse Stärke demonstriert. Aber sie waren an einen historischen Augenblick gebunden: Auch die Mobilisierung der Bürgerkomitees hatte 1948 ein bestimmtes Ziel, vereinte Franziskanertertiare, Universitätsprofessoren und Hausfrauen. Diese Kundgebungen waren zwar positiv, aber fehl am Platz, und es bestand die Gefahr, dass man sie nur nach Zahlen, nach der Masse, beurteilte, und das Individuum – den Lehren der nichtkatholischen Ideologie von damals entsprechend – auf der Strecke blieb.
Don Giussani vermittelte, wie bereits gesagt, den Eindruck einer gewissen Unnachgiebigkeit. Er war sicher niemand, der Angst hatte. Er vermittelte den Eindruck, dass man auch auf ideologischer Ebene sehr wohl reagieren konnte, indem man Ideen, Bildung, Aggiornamento einbrachte. Dabei hatte er den Katholizismus in den anderen Ländern ebenso im Blick wie das, was in der Welt geschah. Don Giussani brachte Erneuerung in einer Richtung, die für ihn selbst von Anfang an klar war. Ich glaube aber, dass er sie deshalb erst nach und nach eingeführt hat, weil eine unmittelbare, direkte Verkündigung, wie ich selbst sie gehört habe, zwar faszinieren konnte, aber vielleicht doch eine gewisse Vorbereitung brauchte. Und hier gab es sicherlich eine gewisse Entwicklung.

Don Giussani und Rose Busingye.

Don Giussani und Rose Busingye.

Ein zweiter Punkt: Don Giussani, die Werke von Comunione e liberazione, die Präsenz der katholischen Laien in der Gesellschaft. Erlauben Sie mir den Vergleich mit Marta und Maria im Evangelium. Maria hörte Jesus zu, und wenn Marta sich nicht um die Küche gekümmert hätte – auch wenn an jenem Abend sicher niemand verhungert wäre, schließlich war ja Jesus bei ihnen –, hätte es doch ein kleines Problem gegeben, weil ja irgendjemand dafür zuständig sein musste, das Abendessen vorzubereiten. Bei einem der ersten Treffen der Leiter von Comunione e liberazione mit Don Giussani, an denen ich teilnahm, kam mir dieser Abschnitt aus dem Evangelium in den Sinn. Obwohl mich die Atmosphäre dieses Treffens und das, was dort gesagt wurde, sehr beeindruckt hatten, schien mir doch ein Unterschied spürbar zu sein zwischen Don Giussani und den Werken, der „Gemeinschaft der Werke“. Die waren zwar schön und gut, aber mir schien, als erkenne er sich selbst eher in der Gestalt Mariens wieder. Es war also nur recht und billig, dass sich jemand um die organisatorischen Aspekte kümmern musste – ihn aber interessierte etwas anderes. Ich habe einmal einen Vortrag Guissanis über den Begriff des Werkes gehört, das unfruchtbar wird, verwelkt und stirbt, wenn es nicht in großen Ideen verwurzelt ist, nicht von ihnen gestützt wird. Mich hat vor allem der Hauptpunkt seiner Beobachtung getroffen, die absolut keine Kritik an den Werken war. Aber er sagte: „Vorsicht, wir dürfen uns nicht nur mit dem Materiellen beschäftigen.“ Dieses Thema ist heute wieder aktuell, wo man an den Universitäten und in anderen Bereichen des täglichen Lebens eine gewisse „entmutigte Niedergeschlagenheit“ beobachten kann, eine gewisse Vitalität verlorengegangen ist.
Ein drittes Element: Giussani hatte eine besondere Art der Kommunikation, deren Geist ich anfangs nicht verstanden habe. Mit der Zeit ist es mir dann aber doch gelungen: anfangs war es nämlich so, als spräche er eine andere Sprache als ich: er sagte sehr schöne, zu Herzen gehende Dinge – aber ich verstand sie nicht. Er hatte eine charismatische Ausdrucksweise, daran bestand kein Zweifel. Man sah, dass er anders war, dass in ihm etwas anderes da war. Wenn ich ihn mit jemandem vergleichen müßte, würde ich sagen: Mazzolari, aber auch Don Gnocchi. An ihnen war etwas, das anders war; sie bewegten sich immer in einem weiteren Horizont. Ich dagegen bin von Natur aus eher ein Bürokrat und neige dazu, den alltäglichen Dingen Bedeutung beizumessen. Ich war immer der Meinung, dass ein verdienstvoller Minister der ist, der nicht für die x-te Reform kämpft, sondern zusieht, dass der Mechanismus, der bereits vorhanden ist, funktioniert.
Zwei Dinge haben mir geholfen, Don Giussani wirklich zu verstehen. Das erste war, bei der Grabrede anwesend gewesen zu sein, die Joseph Ratzinger bei der Beerdigung Giussanis hielt. Ich war sehr beeindruckt von dem vollkommen zutreffenden Bild, das der damalige Kardinal Ratzinger von Don Giussani zeichnete. Es war nicht bloß eine Grabrede: Man sah, dass er das, was er sagte, sehr stark empfand. Und meiner Meinung nach entsprechen auch gewisse Richtungen des Pontifikats dem Apostolat-Modell, das Don Giussani aufgezeigt hat. Aus der Art und Weise, wie Joseph Ratzinger bei der Beerdigung, und auch später, sprach, kann man erahnen, dass ihn nicht nur Bewunderung oder Freundschaft mit Giussani verbanden, sondern auch eine Übereinstimmung im Bezug auf das christliche Lebensmodell, das es zu verkünden gilt.
Erlauben Sie mir noch eine Anmerkung: Für mich ist Joseph Ratzinger ein wahrhaft moderner Papst; und die Kritik, die er zu Recht gegen die heute vorherrschende falsche Vorstellung von Modernität richtet, ist, so glaube ich, dieselbe, die auch Giussani lehrte. Unsere Generation war nicht darauf vorbereitet, der Idee entgegenzutreten, dass die Modernität allein darin bestehen sollte, dass es keine Regeln gab. Während wir auf ökonomischer und sozialer Ebene ziemlich gut vorbereitet waren – ich denke an den Kodex von Camaldoli oder an die Modernität der Agrarreform – haben wir an anderen Fronten bestimmten Dingen zugestimmt, weil sie ein Zeichen von Modernität zu sein schienen, ohne zu erkennen, welche langfristigen Konsequenzen das haben würde. Nehmen wir z.B. die im Gesetzbuch durchgeführten Änderungen an den Artikeln über die Ehe, wo der Begriff des Familienvaters, der Autorität, verschwindet. Wir haben es hingenommen, um nicht als unmodern zu gelten.
Don Giacomo Tantardini und Don Giussani auf dem Petersplatz, Palmsonntag, Heiliges Jahr, 23. März 1975.

Don Giacomo Tantardini und Don Giussani auf dem Petersplatz, Palmsonntag, Heiliges Jahr, 23. März 1975.

Don Giussani und Joseph Ratzinger sind Persönlichkeiten, die einen Weg zu weisen wissen. Nicht alle großen Gestalten des Katholizismus haben, über ihren persönlichen Glauben hinaus, diese Gabe. Ein Beispiel ist Lazzati, der sicherlich im Paradies ist: Ich habe ihn manchmal früh morgens in der Kirche Il Gesù bei der Messe gesehen, und er schien mir zutiefst andächtig. Dennoch – und das sage ich mit dem Glaubensbewußtsein des einfachen Römers, der ich bin – finde ich nicht, dass es ihm gelungen ist, der Katholischen Universität eine Richtung zu geben.
Aber zurück zu Don Giussani: Was mir auch erlaubt hat, ihn besser zu verstehen, war, dass ich in den letzten Jahren häufig an der Messe teilgenommen habe, die Don Giacomo Tantardini in der Basilika San Lorenzo fuori le Mura zelebriert – ein Priester, der Don Giussani immer große Bewunderung und Verehrung entgegengebracht, ihn uns stets als Bezugspunkt vor Augen gestellt hat. Seit ich Direktor von 30Tage bin, habe ich oft an diesen Messen am Samstag abend teilgenommen, an Taufen, Firmungen, und jedesmal habe ich etwas Einmaliges gesehen: Studenten und Arbeiter, junge Eheleute mit ihren Kindern an der Hand, die gemeinsam zum Kommunionempfang gehen – das ist etwas wirklich Paradiesisches. Ich habe mich – auch veranlasst durch ein gelungenes Titelblatt von 30Giorni aus dem Jahr 2008, das Lourdes gewidmet war – gefragt, ob nicht das die Zukunft des Christentums ist, das Modell des Laienstandes für die kommenden Jahre. Sicherlich aber hat es mir erlaubt, die in der Vergangenheit von Don Giussani gehörten Worte zu verstehen und tiefer mit ihnen übereinzustimmen.

 

 

(Vortrag beim XV. Internationalen Kongress zum „Volto Santo“, veranstaltet an der Päpstlichen Universität Urbaniana am 22. und 23. Oktober 2011)



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