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IN ERINNERUNG AN DON...
Aus Nr. 05 - 2012

Das Christentum: eine einfache Geschichte


Begegnung mit Don Giacomo Tantardini im Kulturzentrum Fabio Locatelli von Bergamo. 15. Dezember 2000


von Don Giacomo Tantardini


Ich möchte mit einem Satz aus einem Gedicht von Charles Péguy beginnen, das im Grunde alles zusammenfasst, was wir bisher gehört haben. In diesem Gedicht an Unsere Liebe Frau von Chartres sagt Péguy: „Allzu viel hat man uns gesagt, oh Königin der Apostel / Wir haben die Lust am Reden verloren / Wir haben keine Altäre mehr als die deinen / Kennen nichts als ein einfaches Gebet“.

Ich glaube, dass sich Péguy, als er Anfang des 20. Jahrhunderts nach Chartres pilgerte, um für seine Kinder die Gnade der Heilung zu erbitten… die Kinder waren nicht getauft: Péguy lebte mit einer jüdischen Frau zusammen, die sich geweigert hatte, die Kinder taufen zu lassen. Péguy hatte also nie christlich heiraten können, und er konnte auch die Sakramente der Kirche nicht empfangen, und doch glaube ich, dass uns Péguy das größte dichterische Zeugnis der letzten Jahrhunderte hinterlassen hat, gleich nach Dante. Die Gnade des Herrn wird nach dem Maß des Geschenks Christi gewährt, ganz wie es Ihm beliebt.

Allzu viel hat man uns gesagt, oh Königin der Apostel / Wir haben die Lust am Reden verloren / Wir haben keine Altäre mehr als die deinen / Kennen nichts als ein einfaches Gebet“. Und doch muss ich heute abend sprechen. Ich möchte einfach nur drei Dinge sagen, die mir die Dinge der Tradition der Kirche zu sein scheinen, die die Einfachheit der Tradition („einfaches Gebet“ meint soviel wie Einfachheit der Tradition), die Einfachheit der christlichen Tradition, gerade an Weihnachten wiederholt.

 

<I>Gott ruft Adam und Eva nach der Ursünde</I>, Cappella Palatina, Palermo.

Gott ruft Adam und Eva nach der Ursünde, Cappella Palatina, Palermo.

1. Es gibt einen dogmatischen Ausdruck, den die moderne Welt, jene Welt, die in der Kirche ist, vor allem in den letzten Jahrzehnten zu zensieren versucht hat. Dabei versteht man nichts vom Leben der Menschen, und man versteht nichts vom Christentum, wenn man nicht von hier ausgeht: von der Ursünde. Der Ursünde. Alle Menschen, außer Maria, werden mit der Ursünde geboren. Man versteht nichts vom Leben, absolut nichts – wie es in einem wunderschönen Wort des letzten Ökumenischen Konzils der Kirche heißt – von der menschlichen Gesellschaft, wenn man nicht von hier ausgeht: dass die Menschen böse geboren werden. Wie Jesus sagt: „Ihr, die ihr böse seid“. „Warum nennst du mich gut? Nur Gott ist gut“. „Si homo non periisset, Filius hominis non venisset“: mit diesen Worten fasst Augustinus das Bewusstsein der Kirche zusammen: wenn der Mensch nicht gesündigt hätte, wäre der Menschensohn nicht gekommen.

Nehmen wir den Anfang des Weihnachtshymnus von Alessandro Manzoni…

Alessandro Manzoni ist unter vielen Aspekten nicht gerade ein aktueller Autor, denn er beschreibt in seinem herrlichen Roman Die Brautleute die christliche Befindlichkeit einer bestimmten Epoche, er spricht also nicht von uns, weil es diese Befindlichkeit heute nicht mehr gibt. Die vielleicht aktuellste Seite der Brautleute ist jene, in der die Bekehrung des Ungenannten beschrieben wird; als der Ungenannte nach jener Nacht, als er sieht, wie das zufriedene Volk Kardinal Federico empfängt, sich fragt , warum diese Leute denn so zufrieden seien. Ja, das ist die aktuellste Seite. „Warum sind diese Leute bloß alle so zufrieden?“. Und da erwächst in seinem Herzen die Neugier, herauszubekommen, warum diese Leute so zufrieden sind. Es ist die Seite, die beschreibt, wie man heute Christ werden kann… Die Vorfahren des Alessandro Manzoni sind aus meinem Dorf, aus Barzio; es ist ein kleines Dorf bei Lecco, und der Großvater von Alessandro Manzoni hieß Alessandro, wie der Patron von Barzio und der Patron von Bergamo: der hl. Alessandro. Ich glaube also, dass auch der Verfasser der Brautleute deshalb Alessandro heißt… Ich fühle mich ihm auch aus anderen Gründen verbunden. Obwohl Manzoni – wie ich wiederhole – unter vielen Aspekten nicht aktuell ist, ganz bestimmt nicht wie Péguy.

Der Weihnachtshymnus beginnt mit dem Bild des Felsbrockens, der vom Berg heruntergestürzt ist und nun unten im Tal liegt: „Dort, wo seine schwere Masse / unbeweglich ruht; / Und trotz der vielen Jahrhunderte, die ins Land gehen, / Nie mehr wird schauen die Sonne / Von der Höhe seines alten Gipfels, / Wenn nicht eine Freundeskraft / Ihn zurückhebt in die Höh“. Der Stein, der vom Berg herunterfällt, wird die Sonne des Gipfels nicht mehr schauen, wenn ihm nicht eine Freundeskraft beisteht, die ihn hochhebt. So lag der Mensch darnieder, Kind der ersten Sünde. Genauso: „Dort, wo er nicht erheben konnte / sein erhabnes Haupt“. Und das ist, wie ich glaube, die realistischste Definition der Ursünde.

Was ist die Ursünde? In seinem letzten Buch der Reihe mit den Konversationen in einem Haus der Memores Domini sagt Don Giussani:„Was ist die Ursünde? Was ist der Stolz der Ursünde? Es ist die Bekräftigung seiner selbst vor der Realität“. Der Mensch sieht nichts anderes als sich. Von dieser Höhe herabgestürzt, sieht er nichts anderes als sich selbst. Die Bekräftigung seiner selbst vor der Realität. Und dann gibt es da eine Strophe des Hymnus, die ich vorlesen möchte, weil sie so realistisch ist: „Wer auch immer von den zum Hass Geborenen“. Zum Hass geboren. Einfach so. Das ist die Befindlichkeit des Menschen. Vor ein paar Wochen hat mich beeindruckt, dass ein nicht-christlicher, nicht-katholischer Schriftsteller, Bobbio, als er an der Universität Stuttgart einen Preis verliehen bekam, Hegel zitiert hat (Hegel, Lehrmeister aller, leider, in den letzten Jahrzehnten), und zwar eine seiner realistischen Aussagen, wenn er sagt, dass die Geschichte der Menschheit nichts anderes ist als ein großes Schlachthaus. Das stimmt. Die Geschichte der Menschheit istnichts anderes als ein großes Schlachthaus. Die Geschichte der Menschheit, sagt Augustinus, und nimmt als Beispiel Rom, die Geschichte Roms, die auf einen Brudermord gründet, reicht von Mord zu Mord. „Wer immer von den zum Hass Geborenen“. Zum Hass geboren. Nicht aus der schöpferischen Geste. Die Schöpfung ist gut. Tatsächlich aber wird man – Schuld der Ursünde – zum Hass geboren. Auch die guten Dinge, auch die schönen Dinge, werden sofort fremd. Und die Erfahrung dieser Befindlichkeit der Ursünde kann man machen, der Mensch macht diese Erfahrung. Die große Dichtung spricht von nichts anderem. Um die Auswirkungen der Ursünde zu kennen, braucht man keinen Glauben; es reicht die menschliche Intelligenz. Die Auswirkungen der Ursünde nicht zu erkennen, ist eine Frage von Nicht-Intelligenz, ist eine Frage der Illusion, eine Frage des Idealismus.

Wer von den zum Hass Geborenen, / Wer von allen Menschen, / Könnte dem unerreichbaren Heiligen sagen…“. Wie christlich ist Manzoni doch in diesem Moment. „Unerreichbar“: der Heilige, den man nicht erreichen kann, der unbekannte Heilige, der Heilige, dessen Antlitz man nicht kennt. Und wenn jemand sagt, dass es Gott gibt, man Ihn aber nicht sieht (wie der hl. Bernhard in einem Brief des Stundengebets in der Weihnachtszeit), wie kann er nach einiger Zeit erkennen, dass es Ihn gibt, wenn er Ihn nicht erreichen kann, wenn er in den Abgrund gestürzt ist, und er beim Licht des Anfangs, beim Licht der Morgenröte des ersten Anfangs der Schöpfung nicht anlangen kann? Wie kann er sagen, dass es ihn gibt? „Wer von allen Menschen / hätte dem unerreichbaren Heiligen / jemals sagen können: Vergib mir?“. Vergebung! „Wem danken, wen verfluchen?“, fragt Cesare Pavese in einem der letzten Sätze seines Tagebuchs. Wem danken, wen verfluchen, wenn es das Geheimnis gibt, es aber kein Gesicht hat, es zwar existiert, aber unverständlich ist, es zwar existiert, man es aber nicht kennen kann? „Ein ewiges Bündnis schmieden? / Und dem teuflischen Sieger / Seine Beute entreißen?“. Wer konnte dem Teufel seine Beute entreißen?

Das ist der erste Hinweis: man wird mit der Ursünde geboren. Und das Dogma der Kirche sagt, dass die Ursünde den Menschen in naturalibus verletzt, in seinen natürlichen Dimensionen. Sie macht nicht nur die Kohärenz unmöglich. So weiß man z.B., dass Abtreibung Sünde ist, und ist dann doch nicht konsequent. Aber das ist nicht alles. Die Ursünde macht es auf lange Sicht auch unmöglich, sich dessen bewusst zu sein, dass Abtreibung Sünde ist, weil die Ursünde die Menschen in ihrer natürlichen Intelligenz verletzt: wegen der Ursünde ist nicht nur der Wille geschwächt, sondern die Intelligenz als solche verschwommen. Daher ist für den Menschen auch die Erkenntnis dessen vernebelt, was natürlich ist, auch dessen, was geschöpflich ist, was gegen das Herz ist, gegen die geschöpfliche Geste. Es ist nicht so, dass er es nicht erkennen kann, aber es ist innerlich vernebelt. Man versteht die Realität nicht; man versteht die Welt nicht, wenn man nicht von hier ausgeht. Man versteht die Welt nicht, in der wir leben, man versteht die Umstände nicht, in denen wir uns befinden.

 

<I>Die Verkündigung</I>, mit einer Szene der Vertreibung Adams und Evas aus dem irdischen Paradies nach der Ursünde, Beato Angelico, Prado-Museum, Madrid.

Die Verkündigung, mit einer Szene der Vertreibung Adams und Evas aus dem irdischen Paradies nach der Ursünde, Beato Angelico, Prado-Museum, Madrid.

2. Was bleibt von dieser Befindlichkeit? Das unerreichbare Geheimnis, das kein Gesicht hat, und der Mensch, dessen Licht (Licht steht für die Überraschung der Schöpfung, die gut ist) nicht länger vertraut ist. Die Schöpfung ist nicht länger traute Schönheit, werter Glanz, sondern Fremdheit, Feindschaft – so stimmt es ja auch, dass Kain den Abel erschlägt. Was bleibt? Es bleibt das Herz. Das Herz ist verwundet, aber das Herz bleibt Herz. Das ist die andere große Sache, die der Katholizismus besagt. Verletzt, verschwommen in der Erkenntnis des Wahren und geschwächt in der Möglichkeit, dem Wahren gegenüber konsequent zu sein – und doch bleibt das Herz. Was bleibt, ist das Herz des Menschen. Das Herz, das unsere Mutter, unser Vater uns gegeben haben, das Gott uns durch sie gegeben hat; was bleibt, ist das Herz. Das Herz bleibt also in Erwartung, in Erwartung einer Begegnung. Das Herz bleibt Bitte darum, glücklich zu sein, das Herz bleibt Bitte um Glückseligkeit. Das verletzte Herz bleibt Herz.

Ich möchte euch zwei Auszüge aus dem schönsten Gedicht von Leopardi vorlesen: An seine Frau; dort, wo Leopardi sagt, dass das, was er in der Schönheit der Frau suchte, eine noch größere Schönheit war, eine Schönheit, die die Erwartung des Herzens endlich erfüllen konnte. Doch dann fügt er an, dass dies ein Traum aus seiner Jugendzeit gewesen sei; dass er nun, da er erwachsen ist, erkennt, dass dieser Traum unmöglich ist. „Lebendig Dich zu sehn / Vergeblich ist jede Hoffnung“. Es gibt keine Hoffnung mehr, dich lebendig zu sehen, oh Schönheit. Ich habe keine Hoffnung mehr, hier in diesem Leben, diese unvorhergesehene Sache zu sehen, die mein Herz erwartet. „Beim Anbruch / Meines ungewissen düsteren Tages“. Die menschliche Genialität ist Prophetie Christi. Nicht in dem Sinne, dass sie Christus vorwegnimmt, nicht in dem Sinne, dass sie christliche Reden schwingt. Aber in dem Sinn, dass sie Ihn erwartet – zweifelnd und fluchend vielleicht – aber sie erwartet ihn. „Beim Anbruch / Meines ungewissen düsteren Tages“. „Ungewiss“. Wenn der Heilige, wenn das Geheimnis unerreichbar ist, was kann der Mensch dann anderes sein als unsicher? Was kann der Mensch tun? Man kann den Menschen nicht verurteilen, man kann den Menschen wegen seines Nihilismus nicht verurteilen, man kann den Menschen wegen seines „Nicht-Glaubens“ nicht verurteilen. Was kann er tun, wenn das Geheimnis kein Gesicht hat? Was kann er tun? Auch weil aus dem Nihilismus (darin nimmt Augustinus Nietzsche vorweg, ja beantwortet ihn sogar) der Umstand geboren wird, dass man merkt, dass jener Gott, den er zu bekräftigen vorgibt, eine Projizierung seiner selbst ist, er also merkt, dass er nicht existiert. Wenn Gott eine Projizierung ist, ein Bild seiner selbst, dann erkennt man, dass dieser Gott nicht existiert, dass er nichts ist. Nihil est, es gibt nichts. „… ungewiss und düster, / Meine Gedanken kreisen um Dich / Reisende auf dieser ungastlichen Erde.“ Ich habe geglaubt, dir auf dieser ungastlichen Erde zu begegnen; dem zu begegnen, was das Herz erwartet. „Und doch gibt es nichts auf Erden / Das Dir gleicht“. Aber auf Erden bin ich nichts, niemandem begegnet, der wirklich mein Herz verdient hätte. Viele Dinge (auch Leopardi hatte viele Frauen), aber nichts, niemanden, der wirklich mein Herz verdient hätte. „Es gibt nichts auf Erden/ Das Dir gleicht; und selbst wenn Dir eine gleichen sollte / Im Antlitz, in den Gesten und im Tun, / Auch wenn sie dir noch so sehr gleichen sollte, wärst doch Du unvergleichlich schöner“. Hier haben wir die Intuition, die nur die der Gnade sein kann: aber auch, wenn es eine Sache gäbe, die deinem Antlitz gleicht, deinen Worten und deinen Gesten, „wärst Du doch unvergleichlich schöner“, schöner als das, was mein Herz erwartet.

Dieses Gedicht endet mit einem Gebet, dem wunderbarsten Gebet, weil Giacomo Leopardi Atheist und Materialist war. Kein Frommer hat je ein solches Gebet an das Geheimnis geschrieben, das sich offenbart hat: „Wenn von den ewigen Gedanken / Du diejenige bist, die in sinnlich wahrnehmbare Form / zu kleiden sich geruht“. Wenn du, oh Schönheit, wenn Du, oh Sache, die das Herz erwartet, wenn du, oh Sache, die das Herz verlangt, wenn du, Glückseligkeit, einer der ewigen Gedanken bist, der geruht, sich in eine sinnlich wahrnehmbare Form zu kleiden. „Und in sterblicher Hülle / Die düstre Mühsal des Erdenlebens kostest“, und du hier auf Erden die Mühsal dieses Lebens erduldest, das auf den Tod hinausläuft, „Von dieser Erde, wo die Jahre flüchtig und unheilvoll verstreichen, / empfange ich die Hymne einer unbekannten Geliebten“.

Von dieser Erde, wo die Jahre flüchtig und unheilvoll verstreichen“. Das ist christlicher Realismus. Eines Atheisten, aber dennoch christlicher Realismus. Es ist menschlicher Realismus, und folglich Prophetie dessen, der das Herz so geschaffen hat. Von dort, wo die schönen Dinge vergänglich sind. Die schönen Dinge sind vergänglich, auch das Lächeln des Kindes, die Zuneigung zu der Frau, die man liebt. „Von dieser Erde, wo die Jahre flüchtig und unheilvoll verstreichen, / empfange ich die Hymne einer unbekannten Geliebten“. Es bleibt das Herz, das Herz, das etwas erwartet, das so ist. Aber der Mensch (und hier gebrauchen wir wieder einen Begriff des Augustinus, der in der Kirche das vielleicht faszinierendste Zeugnis für dieses Herz abgelegt hat), der Mensch ist von diesem Herzen weit entfernt, fugitivus cordis sui. Der Mensch ist weit entfernt von dieser Frage, und der Mensch gibt sich zufrieden. Er gibt sich zufrieden.Und womit gibt er sich zufrieden? Mit Geld, Wollust, Macht. Und dagegen ist kein Kraut gewachsen. Alle begnügen sich mit diesen drei Dingen: Geld, Wollust und Macht – ob sie nun an Gott glauben oder nicht. Und das ist einer der beeindruckendsten Aspekte des De civitate Dei des Augustinus. Der Glaube an Gott an sich verändert nicht das Leben. Alle Bücher von Augustins De civitate Dei sind aktuell. Im achten, neunten und zehnten Buch spricht Augustinus von den Philosophen, die Gott gekannt, die die Existenz Gottes anerkannt haben. Und doch haben sie „letztendlich gedacht, dem Teufel göttliche Ehren und Riten anbieten zu müssen“. Der Satanismus kann auch die Folge dessen sein, sich als an Gott Glaubende zu bekennen, weil der Glaube an Gott nicht wirklich das Leben verändert. Etwas anderes verändert das Leben. Wenn der Glaube an Gott das Leben verändern würde, dann hieße es: mestier non era parturir Maria.

 

<I>Ruhe auf der Flucht nach Ägypten</I>, Bartolomé Esteban Murillo, Puschkin-Museum, Moskau.

Ruhe auf der Flucht nach Ägypten, Bartolomé Esteban Murillo, Puschkin-Museum, Moskau.

3. Deshalb feiern wir Weihnachten. Versteht ihr? Wenn nämlich der Glaube an Gott das Leben verändern würde, dann wäre das, was vor 2000 Jahren geschehen ist, nicht notwendig gewesen. Und nicht nur das: man könnte nicht dankbar sein, wie wir dankbar sind. Als der Erzengel Gabriel vor 2000 Jahren in dieses Dorf an der Grenze zu Palästina, im Galiläa der Heiden, zu einem jungen jüdischen Mädchen namens Maria geschickt wurde… Damit fing alles an. Der unerreichbare Heilige; Er, der das gute Herz geschaffen hat… (aber die Ursünde hat zu dieser Befindlichkeit geführt, in der sich der Mensch mit Wollust, Macht und Geld begnügt), der unerreichbare Heilige ist im Schoß einer Frau Fleisch geworden. Ein Fakt. Diese einfache Geschichte hat hier begonnen. Und sie hat als Geschichte begonnen, als einfache Geschichte. Es begann mit dem „Gegrüßt seist du, voll der Gnade, der Herr ist mit dir“. Und dieses junge jüdische Mädchen, das nicht sofort verstand, war verstört und fragte sich, was dieser Gruß wohl zu bedeuten habe. Und der Engel sagte zu ihr: „Fürchte dich nicht, Maria, du hast Gnade bei Gott gefunden“. Und da sprach dieses junge Mädchen dieses „Ja“; dieses „Hier bin ich“, weshalb der Mensch die Hoffnung hat, gerettet zu werden. Ohne dieses „Hier bin ich“ kann der Glaube an Gott dem Menschen keine Hoffnung geben. Mit diesem „Hier bin ich“ beginnt eine Geschichte, eine einfache Geschichte. Eine Geschichte bedeutet, dass Derjenige, der so mit Maria begonnen hat („Du hast bei Gott Gnade gefunden“), ist Er. Und Er ist es, der diesen Beginn vorantreibt. Denken wir nur an unsere Muttergottes. Denkt nur: sie ist in diesem „hier bin ich“ geblieben, auch als sie der Engel verließ. Denkt an den Trost… (das ist eines der Dinge, die mich am meisten beeindrucken, am meisten bewegen, wenn ich an die Muttergottes denke), denkt nur an den ersten Trost, den sie gehabt hat, den ersten Trost, dass das, was sie gehört hatte, wirklich war, wie es jeder Frau passiert, die merkt, dass sie schwanger ist. Es muss etwas ganz Unerhörtes sein. Weil es bedeutete, dass dieses Versprechen wahr war, dieses Versprechen, zu dem sie sofort „Ja“ gesagt hat, zu dem sie sofort „hier bin ich“ gesagt hat, dieses Versprechen war wahr, das ein Anderer begonnen hatte und das sie nun zu erfüllen dabei war. Und so ist der andere Trost, der mich erstaunt und rührt jene Episode, als der Engel im Traum zu Josef sagt: „Josef, Sohn Davids, fürchte dich nicht, Maria als deine Frau zu dir zu nehmen, denn was in ihr erzeugt ist, das ist vom Heiligen Geist.“ Stellt euch das einmal vor… (es ist eine andere Sache verglichen mit allen Religionen dieser Welt, es ist eine andere Sache. Es ist eine Geschichte von Menschen, jungen Leuten, da waren zwei junge Leute), denkt nur, was es für Maria bedeutet haben muss, als Josef sie zu sich nahm. Es war eine weitere Bestätigung, eine weitere Bestätigung dieser Begegnung; dieses „Gegrüßt seist du, voll der Gnade“ war real. Und dann sind sie gemeinsam zu Elisabeth gegangen, weil der Engel ihr gesagt hatte, dass auch Elisabeth ein Kind erwartete, und auch dieser Umstand hat dieses „Gegrüßt seist du, voll der Gnade, fürchte dich nicht, Maria“ bestätigt.

Warum ist das Christentum eine einfache Geschichte? Es ist eine einfache Geschichte (gebrauchen wir ein Wort, das die Kirche seit 2000 Jahren gebraucht), weil es Gnade ist, weil es ein Ereignis ist und folglich eine Geschichte der Gnade. Wenn es nicht Gnade wäre, wäre es eine komplizierte Sache. Warum ist die menschliche Religiosität nicht einfach? Weil sie vom Menschen kommt. Weil es der gute Versuch des Menschen ist, ausgehend von den geschaffenen Dingen den Schöpfer zu erkennen. Aber das ist keine einfache Sache, es ist eine mühevolle Sache. Das Dogma des Glaubens sagt: es ist eine mühevolle Sache, eine Sache von wenigen, eine Sache, die auch wenn die Religiosität an ihrem Ziel ankommt (das Geheimnis existiert), mit Irrtümern vermischt ist. Das sind die Worte des Dogmas der Kirche. Es ist nicht nur wenigen vorbehalten, es ist nicht nur mühevoll: auch wenn man soweit ist, zu sagen: „Gott existiert“, ist diese Bekräftigung mit Irrtümern vermischt. Vor 2000 Jahren dagegen hat etwas begonnen, das überaus einfach ist. Jenem jungen Mädchen wurde versprochen, dass es empfangen und gebären würde. Und in diesen neun Monaten sind viele überaus menschliche Dinge passiert… Vor allem einmal merkt sie, dass sie schwanger ist (und ihr Bauch wächst wie der Bauch jeder schwangeren Frau). Und das Zeugnis des Josef, der sie im Gehorsam zu dem Geheimnis, das größer ist als er, zu sich nimmt. Und das Zeugnis der Base Elisabeth: auch sie hat ein Kind. Und jenes Weihnachten, jenes erste Weihnachten, als die Augen zweier junger Leute, Marias und Josefs, zum ersten Mal Gott geschaut haben. Sie haben Gott geschaut. So also beginnt das Christentum. Sie haben nicht geglaubt, dass es Gott gibt, nein, das glauben auch die Muslime, die in dieser Religiosität vielleicht religiöser sind als wir, aber sie haben ihn nicht gesehen. Sie haben nicht gesehen – und doch ist er gekommen – und in der Religiosität und in der Moral können sie moralischer und religiöser sein als wir. Auch deshalb war es klug von Paul VI., dass er nichts unternommen hat, um den Bau der Moschee in Rom zu verhindern, ja, dass er allen, die ihm sagten, er müsse auf Reziprozität bestehen, antwortete, dass sich die Kirche nicht auf dieses Niveau herablasse. Aber da ist noch eine andere Sache. Das Christentum ist eine andere Sache verglichen mit allen Weltreligionen, der ganzen Moral der Welt. Und dass vor 2000 Jahren ein junger Mann und ein junges Mädchen, Josef und Maria, mit eigenen Augen Gott gesehen haben, keine mystische Vision. Maria hat ihn geboren. Und Josef und sie haben ihn voll Staunen angeblickt. So begann die christliche Geschichte. Sie konnten die Augen gar nicht lassen von Gott. Und dann, in dieser Nacht, haben die Engel den Hirten verkündet, dass in der Stadt Davids (weil Gott seine Versprechen hält), „in der Stadt Davids ist euch der Retter geboren“. Und sie sind losgezogen, die Hirten, sie sind losgezogen und haben ein Kind gesehen. Dieses Kind war Gott. Wenn wir im Glaubensbekenntnis also sagen: „ Gott von Gott, Licht von Licht, wahrer Gott vom wahren Gott [dieses Kind], gezeugt, nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater, durch ihn ist alles geschaffen. Für uns Menschen und zu unserem Heil ist er vom Himmel gekommen [für uns Menschen, für den Menschen, der sich mit der Wollust begnügt, mit Geld und mit Macht, für diesen Menschen, nicht für die Menschen guten Willens (Sein Wille ist der gute Wille), sondern für diesen konkreten Menschen]. Für uns Menschen und zu unserem Heil ist er vom Himmel gekommen, hat Fleisch angenommen …“

Lasst mich Folgendes anfügen. Nach Maria und Josef, nach diesen 30 Jahren, in denen der Ewige, der begonnen hat, in der Zeit zu existieren und zu wachsen (indem er ewig bleibt, hat der Ewige begonnen, in der Zeit zu existieren und zu wachsen, und die Tage zu zählen, die Stunden, die Monate und die Jahre, wie jedes Kind), nach diesen 30 Jahren, in denen er in Nazareth gewohnt, seinem Vater und seiner Mutter gehorcht hat, beginnt seine Sendung, als die ersten beiden an jenem Nachmittag, an den Ufern des Jordan, Ihm begegnet sind, als Johannes und Andreas, nachdem Johannes der Täufer den Hinweis gegeben hatte: „Das ist das Lamm Gottes, das hinwegnimmt die Sünden der Welt.“ Und da sind sie Ihm nachgefolgt. Sie sind Ihm nachgefolgt, weil sie sich von Ihm angezogen fühlten. Und da dreht Jesus sich zu diesen beiden jungen Leuten um – Andreas war verheiratet, weshalb er wohl ein paar Jahre älter war, Johannes aber war wirklich noch sehr jung –, und fragt diese beiden jungen Männer: „Was sucht ihr?“. Das macht mich sehr betroffen. Sie haben ihm nicht geantwortet: wir suchen die Wahrheit, wir suchen die Glückseligkeit, sie haben ihm nicht einmal gesagt: wir suchen den Messias. Das, was das Herz suchte, stand vor ihnen. Sie konnten es vor sich sehen. Das Herz ist unfehlbar, darin ist das Herz unfehlbar. Es gibt da eine wunderschöne These der katholischen Theologie, die von der Unfehlbarkeit des Glaubens spricht. Die Unfehlbarkeit des Lehramts ist zweitrangig verglichen mit der Unfehlbarkeit des Glaubens. Der Glaube ist unfehlbar. Das, was sie suchten, was das Herz suchte, hatten sie vor sich. Und so antworteten sie auf diese Frage: „Was sucht ihr?“, indem sie das einzige fragten, was man fragen kann. Wenn man dem begegnet, wonach das Herz verlangt, kann man nur darum bitten, dass diese Sache auch bleibt. „Meister, wo wohnst du?“, bzw. „wo bleibst du?“. Wo bleibst du, damit wir bei dir sein können? In aller Öffentlichkeit, hier. Dort, bei Maria und Josef, sagen wir es einmal so: privat. In den 30 Jahren privaten Lebens, privat, aber mit vielen öffentlichen Episoden: die Hirten, dann die Sterndeuter, dann im Alter von 12 Jahren im Tempel… Aber dennoch eine private Geschichte. Hier ist der Anfang der öffentlichen Geschichte, der Geschichte, wegen der wir heute Abend hier sind. Deshalb existiert auf der Welt diese einfache Geschichte von Personen, die erstaunt darüber waren, Ihm begegnet zu sein. Eine einfache Geschichte: sie waren erstaunt darüber, weil sie Ihm begegnet sind und nachdem sie ihm also begegnet waren, hängt es von Ihm ab, hängt es nicht vor allem von dir ab, sondern von Ihm, ob er bei dir bleibt. So gesehen ist es einfach. Sonst – angenommen, dass der Beginn des Christentums Gnade ist (wenn jemand Christ ist, kann er das nicht sagen) – leitet man eine andere Dynamik ein. Nein! Und wenn man ihm erst begegnet ist, was geschieht dann? Was hast du getan, um Ihm zu begegnen? Nichts. So musst du dich auch gar nicht bemühen, etwas zu tun, weil es von Ihm abhängt. Es hängt von Ihm ab, der dir begegnet ist und der dir treu bleibt. Es hängt von Ihm ab, der treu bleibt, es hängt nicht vor allem von deiner Treue ab. Es hängt von Ihm ab. So gesehen ist es einfach. Es ist einfach, weil nicht nur Er es war, der dir begegnet ist, nicht nur Er es war, der den Ersten entgegen gegangen ist, sondern weil es von Ihm abhängt, der bei den Ersten geblieben ist, weil es von Ihm abhängt, Tag für Tag, nachdem er es zugelassen hat, dass Ihm die Ersten erneut begegnet sind, es hängt von Ihm ab, Tag für Tag, immer wieder…

Andreas ist an diesem Abend nach Hause gegangen und hat zu seinem Bruder Petrus gesagt: „Wir sind dem Messias begegnet“. Etwas anderes, das mich erstaunt, ist zu denken, dass das erste Mal, das Petrus menschlich einen Blick auf das fleischgewordene Geheimnis geworfen hat war, als er das Antlitz seines Bruders betrachtete. Nie hatte er das Antlitz des Andreas so gesehen, das Antlitz seines Bruders hatte er noch nie so gesehen, weil die Gnade einen Widerschein im Menschlichen hat. Sie ist sichtbar, die Gnade. Sie hat eine unsichtbare Quelle, aber einen sichtbaren Widerschein, den Widerschein der Gnade sieht man, man sieht ihn und er ist unverkennbar. Er ist unfehlbar, der Widerschein der Gnade, mit keiner anderen Schönheit zu vergleichen. Es ist die Schönheit, für die das Herz geschaffen wurde. Und so ist nicht nur Er es, der Begegnung wird, sondern Er bleibt auch; so stimmt es ja, dass am Tag danach, als er Petrus gesehen hat, er zu diesem sagte: „Du bist Simon, Sohn des Johannes, du sollst Petrus heißen“. Und so sind aus zwei drei geworden, und so ging es drei Jahre lang …So. Aber denkt einmal an diese drei Jahre, denkt einmal daran, wessen Initiative es war. Nicht die jener, die Ihm nachfolgten; die Initiative war immer die Seine. Wie damals, bei dem reichen jungen Mann, der aufgefordert wurde, Ihm nachzufolgen, ja, von ihm geliebt zu werden… Jesus blickte ihn an und war gerührt, ermochte ihn. Dennoch folgte er Ihm nicht nach, und da sagte Jesus, dass es für einen Reichen unmöglich sei, ins Himmelreich einzugehen, und Petrus stellte ihm folgende Frage: „Aber wer kann dann gerettet werden?“. Und hier haben wir einen der schönsten Sätze des Engels: „Und Jesus blickte sie an [indem er anblickte, nicht Theologie betrieb, sondern sie anblickte] und sagte: „Für Gott ist nichts unmöglich“. Indem er sie anblickte: denn das, was ihm als Geheimnis offensichtlich war, als Mensch, das lernte er von den Dingen, die geschehen, so wie wir von dem lernen, was geschieht. Wenn Petrus dort war, wenn Johannes dort war, wenn Matthäus dort war (ich dachte heute, wenn ich mir die Gemälde des Caravaggio so ansehe, an die Berufung des Matthäus von Caravaggio in San Luigi dei Francesi in Rom), wenn Zachäus voller Freude herabgestiegen war, dann heißt das, dass für Gott nichts unmöglich ist. Wenn Matthäus, der reich war, ja sogar Geld für die römischen Besatzer eintrieb, und Zachäus, der reichste Mann von Jericho… dort waren, dann heißt das, dass für Gott nichts unmöglich war. Auch Jesus hat als Mensch die Natur des Geheimnisses aus dem gelernt, was geschah. Das, was er als Gott kannte, hat er als Mensch von der Erfahrung gelernt. In einem seiner schönsten Sätze über das Geheimnis Jesu sagt der hl. Bernhard: das, was er von Natur aus kannte aus der Ewigkeit (dass für Gott nichts unmöglich ist), hat er aus der menschlichen Erfahrung gelernt. Auch Er hat sich gewundert, als er Zachäus herabsteigen sah. Denkt nur an die Episode des Zachäus. Dieser kleine Mensch, der auf den Baum steigen musste, um ihn vorüberziehen zu sehen. Dieser kleine Mensch, derdie illegalen Banden der Stadt Jericho anführte, und Jesus, der vorüberzieht, ihn ansieht und sagt: „Zachäus, ich muss heute in deinem Haus bleiben“. Er hat nichts gesagt, hat ihm nicht geantwortet. Doch er ist gleich herabgestiegen, voller Freude. Und dann hat er viermal soviel an die Leute verteilt, wie er gestohlen hatte. Und dann, und dann, und dann! Er ist sofort herabgestiegen, voller Freude, und nach Hause gelaufen. Dann ist es einfach, es ist nicht nur deshalb einfach, weil der Anfang Gnade ist, sondern auch, weil jeder Schritt Gnade ist. Der hl. Thomas sagt in einem seiner schönsten Sätze (die katholische Kirche hat im letzten Jahr, gerade diesen Satz gebrauchend, ein Dokument mit den Lutheranern unterzeichnet, in dem sie sagt, dass Katholiken und Protestanten in den wesentlichen Aspekten der Rechtfertigungslehre dasselbe anerkennen): „Gratia facit fidem“, die Gnade schafft den Glauben. Der Glaube ist die Anerkennung dieser Anziehungskraft, der Glaube ist die Anerkennung dieser Begegnung, der Glaube ist das anerkannte Staunen über diese Begegnung. „Gratia facit fidem non solum quando fides incipit esse in homine“, die Gnade schafft den Glauben nicht nur, wenn der Glaube in einem Menschen beginnt, „sed quamdiu fides durat“, sondern in jedem Moment, in dem der Glaube währt. In jedem Moment, nicht nur am Anfang, in jedem Moment, nicht nur am Anfang, in jedem Moment ist die Initiative die Seine.

Heute Nachmittag habe ich mir hier in Bergamo eine Caravaggio-Ausstellung angesehen. Wunderschön. Unser Führer war ein Priester, der auf eine sehr schöne, humane Weise die Dinge beschrieb. Dann aber hat er gesagt, dass Caravaggio die Mühsal des Glaubens zum Ausdruck bringt. Das würde ich nicht sagen. Der Glaube, wenn er eintritt, ist niemals mühevoll. Einfach ist der „Nicht- Glaube“. Ja, der „Nicht-Glaube“ ist einfach. „Ihr Kleingläubigen, warum zweifelt ihr?“. Es ist sehr einfach; auch für jene, die Ihm nachgefolgt sind, ist der „Nicht-Glaube“ einfach, ist der Zweifel einfach, ist das Fluchen einfach, das ja. Die Gnade der Taufe löscht die Ursünde aus, nicht aber die Folgen der Ursünde. Der „Nicht-Glaube“ ist einfach, der Zweifel ist einfach, der Verrat ist einfach. Denkt an Petrus: „Auch wenn dich alle verlassen, niemals werde ich dich verlassen“. Drei Stunden später… Drei Stunden später! Eine halbe Stunde später war er eingeschlafen. Und dann, drei Stunden später, hat er ihn verraten. Verrat ist einfach. Aber der Glaube ist einfacher. Der Glaube ist einfach. Wenn nicht, bedeutet es, dass man nicht weiß, was es ist. Es ist einfacher, denn als ihn Jesus nach dem Verrat angeblickt hat, war es einfacher, in Tränen auszubrechen, einfacher als alles andere. Der Glaube ist einfacher. Es gibt keinen schwierigen Glauben. Er ist einfacher. Es ist ein nicht christliches Glaubensbild zu sagen, dass der Glaube schwierig ist. Es ist einfacher, einfacher noch als der Verrat. Denkt an den armen Menschen Petrus, diesen armen Sünder Petrus: als ihn Jesus angeblickt hat, da war es die einfachste Sache seines Lebens, in Tränen auszubrechen; es war einfacher als das Leben, in Tränen auszubrechen. Es war die einfachste Sache seines Lebens, zu sagen: „Wie gern du mich doch hast, wie gern. Und doch habe ich dich verraten“. Der Glaube ist einfach, so einfach. Es gibt keinen Glauben (das ist ein Glaubensdogma), es gibt keinen Glauben, wenn der Heilige Geist nicht die Süße gibt (er spricht von Süße, die Süße kann nicht schwierig sein, das wäre ein un-menschliche Sache), der Süße des Ja-Sagens. Der Geist, die Gnade ist es, die die Süße gibt, Ja zu sagen. Er gebraucht das Wort Süße: was ist einfacher als das! Der Glaube ist einfach. Schon einen Moment später kann man nicht mehr glauben. Einen Moment später kann man fluchen, einen Moment später kann man dem Geld hinterherlaufen, der Wollust und der Macht. Aber wenn man diese Süße erfahren hat, kann man hinterherlaufen wie alle, und doch ist diese Süße das Einfachste, sie ist das Einfachste. Und in Tränen auszubrechen, nachdem man der Wollust, dem Geld und der Macht hinterhergelaufen war, damit diese Süße wiederkehre, damit dich dieser Blick wieder ansieht, in Tränen auszubrechen, das ist die einfachste Sache. Es gibt nichts Einfacheres für ein Kind, das sich, nach allen Launen dieser Welt, in die Arme seiner Eltern flüchtet, es gibt nichts Einfacheres. Meint ihr, dass das schwierig ist für ein Kind? Es wäre unmenschlich, wenn es sich nicht in ihre Arme flüchten würde. Es ist die einfachste Sache der Welt, sich in die Arme seiner Eltern zu flüchten.

 

<I>Die Berufung des Petrus und Andreas</I>, Caravaggio, Royal Gallery Collection, Hampton Court Palace, London.

Die Berufung des Petrus und Andreas, Caravaggio, Royal Gallery Collection, Hampton Court Palace, London.

Lasst mich noch ein Letztes sagen. Was erbittet diese Gnade vom Menschen, ohne die er nichts tun kann? „Deine Gnade komme uns stets zuvor und begleite uns“, heißt es in einem Gebet der Kirche. Lex orandi legem statuat credendi, lautete die einfache Formel, die Pius XII. zitiert, dann aber, vielleicht das vorausahnend, was geschehen sollte, in Lex credendi legem statuat orandi verändert hat, bzw., dass das Gesetz des Glaubens das Gesetz des Gebets festlege. Die alte Formel besagte, dass es das Gesetz des Gebets ist, das das Gesetz des Glaubens festlegt. Bei den Antworten, die Augustinus den Pelagianern gibt, gebraucht er normalerweise folgendes Argument: Ihr sagt, dass der Glaube keine Gnade ist, warum aber betet die Kirche darum, dass sich ein Nicht-Glaubender bekehrt? Entweder sind diese Gebete nur eine Redensart, oder Gott ist es, der das Herz bekehrt. Ihr sagt, dass im Glauben zu bleiben, keine Gnade ist, warum aber bitten wir den Herrn dann im Gebet, uns nicht in Versuchung zu führen? Wenn es in unserer Macht läge, der Versuchung zu widerstehen, dann würden wir nicht darum bitten, uns nicht in Versuchung zu führen. Es heißt also, dass es Gnade ist, sich nicht von der Versuchung verleiten zu lassen. Entweder plappert die Kirche ihre Gebete nur dahin, oder ihr müsst akzeptieren – sagt Augustinus zu den häretischen Pelagianern –, dass jeder Schritt im christlichen Leben Gnade ist; andernfalls müsst ihr die Gebete der Kirche auslöschen. „Deine Gnade komme uns zuvor und begleite uns, oh Herr“. Was aber erwartet den Menschen dann auf diesem Weg, auf dem die Initiative die Seine ist? „Wenn Du nicht die Initiative ergreifst, fange ich nicht an“, sagte Papst Luciani am Tag vor seinem plötzlichen Tod. Donnerstag nacht ist er gestorben, und am Mittwoch hatte er die Geste vollbracht, die der Papst jeden Mittwoch vollbringt, wenn er von der Liebe spricht. Eine Geste, die ganz auf diese eine Sache konzentriert ist: wenn Du nicht die Initiative ergreifst, fange ich nicht an. Und er sagte: was bedeutet es, die Initiative ergreifen? (und hier zitierte er Augustinus, einen der schönsten Sätze des Augustinus). Es heißt nicht nur, dass meine Freiheit angezogen wird, sondern dass ich auch zufrieden darüber bin, angezogen zu werden. Ich werde nicht nur angezogen, sondern mir ist auch die Freude (Augustinus sagt gerade das: voluptas, Vergnügen) gegeben, angezogen zu werden. Wenn er mir nicht die Freude schenkt, ja zu sagen, wenn er mir nicht die Freude schenkt, Ihm nachzufolgen, dann kann ich Ihm nicht nachfolgen. Er zieht nicht nur meinen Willen an, sondern er schenkt mir auch die Freude darüber, angezogen zu werden. Das ist eine der schönsten Seiten des ordentlichen Lehramts der Kirche, diese Worte über die Liebe, die Papst Luciani vor 22 Jahren gesagt hat.

Was ist dann aber für den Menschen möglich? Ich sage es mit den Worten Don Giussanis, die in einem Artikel über den Heiligen Rosenkranz veröffentlicht wurden (Avvenire, Sonntag, 30. April) (meiner Meinung nach eines der schönsten Dinge, nicht nur Giussanis, sondern der ganzen Kirche in diesen Jahrzehnten): „Die Antwort auf diese Gnade liegt im Gebet, dessen wir fähig sind“. Die Antwort auf diese Gnade (die nicht nur der Anfang ist, sondern jeden Schritt begleitet) liegt ganz und gar im Gebet, dessen wir fähig sind. Unsere Antwort ist ein Gebet, eine Frage. Unsere Antwort ist die Überraschung einer Frage, einer Frage wie der des Johannes und des Andreas: „Wo bleibst du?“. Angesichts einer so schönen Sache lautet unsere Antwort: „Bleib!“. Angesichts einer so großen Süße, lautet unsere Antwort: „Lass mich nicht allein, bleib!“. Unsere ganze Antwort ist das, und das ist die ganze Antwort des Kindes, wenn es sich von seinen Eltern geliebt fühlt. „Unsere Antwort ist ein Gebet. Es ist keine besondere Fähigkeit, es ist nur die Kraft des Gebets“. Es kann das Weinen eines Kindes sein, das die Eltern darum bittet, es lieb zu haben. Das Weinen. In der alten Liturgie gibt es eine Messe, die um die Gabe der Tränen bittet. Man bittet sehr viel mehr mit den Tränen als mit den Worten. Die Kraft, die Kraft einer Frage. Habet et laetitia lacrimas suas, sagt der hl. Ambrosius. Wenn man zufrieden ist über diese Süße, hat auch diese Freude ihre Tränen. Im Grunde wird die Freude nur durch das Weinen zum Ausdruck gebracht. So sagt Giussani in besagtem Artikel: „Unsere Antwort ist ein Gebet, es ist keine besondere Fähigkeit, es ist nur die Kraft des Gebets“. Und dann fügt er an (ich lese es wieder vor, um wieder auf Péguy zurückzukommen, mit dem wir begonnen haben): „Treten wir in den Monat Mai ein [wir befinden uns nun in der Weihnachts-Novene]. Das Christenvolk war seit Jahrhunderten dadurch gesegnet [der Beginn ist der Seine: gesegnet] und bestätigt, dass es auf das Heil ausgerichtet war [bestätigt: wenn nämlich Er nicht bestätigt, auch wenn wir Ihm begegnet sind, bleiben wir nicht in der Begegnung]. Das ist die Einfachheit der Tradition. Ein Dogma des Konzils von Trient besagt: „Wenn jemand in der Gnade ist, ohne eine besondere Hilfe der Gnade, dann kann er nicht in der Gnade bleiben“. Versteht ihr, wie das ganze christliche Leben von Seiner Initiative gestützt wird? Wenn jemand in der Gnade ist, ohne eine besondere Hilfe der Gnade, die man erbitten kann, ohne eine Anziehung, die sich erneuert, dann bleibt er nicht in dieser Anziehungskraft. Man kann nicht von einer vergangenen Liebe leben, man kann nicht von der Anziehungskraft von gestern leben, und auch nicht von der Anziehungskraft, die erst einen Moment her ist. Das kann man nicht. Man lebt nur von der Gegenwart. Wenn jemand also nicht in der Gnade ist, bedarf er, um in der Gnade zu bleiben, der Erneuerung dieser besonderen Hilfe]. Das Christenvolk war seit Jahrhunderten gesegnet und bestätigt darin, auf das Heil ausgerichtet zu sein – vor allem, wie ich meine, durch eine Sache: den Heiligen Rosenkranz“. Das christliche Leben ist einfach. Nach so vielen Worten, so vielen Kämpfen, so vielen Konflikten… Es gab da ein Angelusgebet, in dem Papst Luciani sagte: „Weniger Schlachten und mehr Gebete“. Das Christenvolk wurde – wie ich meine – vor allem durch eine Sache gesegnet und bestätigt: das Gebet des heiligen Rosenkranzes.

Lasst mich zum Schluss einige Verse des Gedichts von Péguy vorlesen, mit dem ich begonnen habe. Es beschreibt das Bleiben in dieser Gnade. „Hier ist der Ort der Welt, wo alles einfach wird“. Einfach auch die Sünde, auch der Verrat, wie bei Petrus. Einfach auch die Versuchung, der Wollust, dem Geld und der Macht hinterherzulaufen. Aber auch einfach, wieder umarmt zu werden. Und Tränen der Dankbarkeit zu weinen. Einfacher. Der Unterschied ist, dass wer diese Erfahrung nicht macht, diese einfachste Sache nicht kennen kann. Er kennt alle anderen Sachen, aber nicht diese einfachste Sache. Einfacher, schöner, einfacher. Alles wird einfach. „Das Bedauern, die Abreise, ja auch das Ereignis“. Auch das Wiedergeschehen dieses Staunens ist einfach: im Paradies wird es ewig sein, hier ist es einfach, hier ist es einfach, dass es wieder geschieht, nicht ewig. Augustinus sagt: der Herr kann auch Seinen Erwählten, Seinen Heiligen in manchen Momenten die einnehmende Kraft nicht geben, die sie zu Ihm zieht, damit sie so, indem sie die Erfahrung machen, Sünder zu sein, ihre Hoffnung in Ihn setzen und nicht in sich selbst. Einfach. „Es ist der zeitweise Abschied, die Trennung, / Der einzige Winkel der Erde, wo alles einfach wird. […] Was überall anders einer Prüfung bedarf / Ist hier nichts anderes als die Folge einer unschuldigen Jugend“. Was überall anders einer Prüfung bedarf, durch die du beweisen musst, gut zu sein. Auch zuhause ist das oft so. Du musst zeigen, dass du gut bist. Und du kannst kein armer Sünder sein. Du musst zeigen, dass du gut bist. So kommt zu dem Umstand, Sünder zu sein wie alle auch die Scheinheiligkeit dazu, die die schlimmste Sünde ist, die der Pharisäer. „Was überall anders einer Prüfung bedarf / Ist hier nichts anderes als der Effekt einer wehrlosen Jugend. / Was überall anders einen Aufschub verlangt / Ist hier nichts anderes als eine gegenwärtige Zerbrechlichkeit. // Was überall anders einer Bescheinigung bedarf / Ist hier nichts anderes als die Frucht einer armen Zärtlichkeit. / Was überall anders einer Spur Geschicktheit bedarf / Ist hier nichts anderes als Frucht einer demütigen Untauglichkeit […]. Was überall anders Regelzwang ist / Ist hier nichts anderes als eine Kraft und ein Verzicht“. Wie Giussani sagt. Nur die Kraft des Gebets, nur die Kraft der Frage. Wie das Kind, das im Laufe des Tages mehrmals ein Glas zerbrechen kann. Es würde es auch tausend Mal zerbrechen und tausend Mal sagen: „Mama, hilf mir, es nicht zu zerbrechen“, das ist der christliche Mensch. „Mama, hilf mir, es nicht zu zerbrechen“. Und es ist einfacher, schöner für das Kind, im Arm seiner Mutter zu sagen: „Mama, hilf mir, es nicht zu zerbrechen“; einfacher noch, als das Glas zu zerbrechen. „Was überall anders Regelzwang ist / Ist hier nichts anderes als eine Kraft und ein Verzicht; / Was überall anders eine harte Strafe ist / Ist hier nichts anderes als eine Schwäche, die erhoben wird. […] Was überall anders eine harte Anstrengung wäre / Ist hier nichts anderes als Einfachheit und Stille; / Was überall anders runzelige Rinde ist/ Ist hier nichts anderes als der Saft und die Tränen des Sprößlings. […] Was überall anders ein leicht verderbliches Gut ist / Ist hier nichts anderes als stille und schnelle Befreiung; / Was überall anders ein Sich-Brüsten ist / Ist hier nichts anderes als eine Rose und eine Spur im Sand. […] Allzu viel hat man uns gesagt, oh Königin der Apostel / Wir haben die Lust am Reden verloren / Wir haben keine Altäre mehr als die deinen / Kennen nichts als ein einfaches Gebet“. Frohe Weihnachten.



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