Startseite > Archiv > 05 - 2012 > Den Papst beim Beten gesehen zu haben
INTERRELIGIÖSER DIALOG
Aus Nr. 05 - 2012

Den Papst beim Beten gesehen zu haben


Das ist auch im Dialog mit dem Islam das, was zählt.

Notizen und Reflexionen des Präsidenten des Päpstlichen Rats für den Interreligiösen Dialog.


von Kardinal Jean-Louis Tauran


Kardinal Jean-Louis Tauran mit den Studenten der Berufsschule Inter-Faith in Bokkos (Nigeria). [© Päpstlichen Rat für den interreligiösen Dialog]

Kardinal Jean-Louis Tauran mit den Studenten der Berufsschule Inter-Faith in Bokkos (Nigeria). [© Päpstlichen Rat für den interreligiösen Dialog]

 

Erst kürzlich sagte ein Professor der Universität Tunis zu seinen Studenten: „Lasst bloß nicht eure Füllfederhalter fallen, sonst könnte es nämlich sein, dass ihr auf einmal ein Messer in der Hand haltet!“ Ein kluger Rat. Je prekärer die Situation ist, desto notwendiger ist der Dialog, weil es keine Alternative gibt. Gewiss, wir Christen sind darauf bedacht, an den Schulen, Universitäten und in den Krankenhäusern, die wir in Ländern mit muslimischer Mehrheit unterhalten, die Liebe zu allen zu verkünden – eine Liebe, die bedingungslos ist, keine Unterschiede macht, und unsere muslimischen Freunde schätzen das sehr. Bei meiner Arbeit in diesem Päpstlichen Rat kann ich Tag für Tag eine neue Dimension entdecken, der man manchmal keine Bedeutung beimisst: unsere muslimischen Freunde respektieren Menschen, die beten. Eine gut vorbereitete und gut gefeierte Liturgie oder Eucharistie stellt ein wertvolles christliches Zeugnis dar. Ich werde nie vergessen, was mir einmal – ich arbeitete damals im Staatssekretariat – ein Botschafter muslimischer Religion gesagt hat, als er seinen Abschied nahm: „Nach drei Jahren Mission beim Heiligen Stuhl kann ich sagen, dass das, was mich am meisten beeindruckt hat, nicht eure Nahost-Politik oder das Prestige der Papst-Diplomatie war, sondern der Umstand, den Papst beim Beten gesehen zu haben“. Ich glaube, dass es für uns wie eine Einladung dazu ist, stets Menschen des Glaubens zu sein und nie Furcht zu haben, das auch zu zeigen. Natürlich gibt es manchmal Hindernisse von außen (Diskriminierung aufgrund religiöser Motive) oder auch von innen (Dummheit, Sünde), die bewirken, dass unser Zeugnis nicht immer ganz so leuchtend ist.

Wenn wir miteinander in Dialog treten, müssen wir klare Vorstellungen haben vom Inhalt unseres Glaubens und ein solides geistliches Profil: ein Dialog kann sich nicht auf Ambiguität stützen. Viele junge Christen haben leider eine oberflächliche Vorstellung vom Inhalt des Glaubens. Und deshalb ist es ja auch eine so große Gnade, einen Papst wie Benedikt XVI. zu haben, der zu bezeugen und zu lehren versteht, dass unser Glaube nicht ein Gefühl, eine Emotion ist – auch wenn es vielleicht in manchen Momenten tatsächlich so sein mag – und ganz gewiss kein Mythos. Jesus Christus hat wirklich existiert, er lebte als Mensch unter uns Menschen; er hat zu einer bestimmten Zeit an einem geschichtlich bestimmten Ort in der Zeit gelebt, er ist gestorben und auferstanden. Papst Benedikt erzählt uns auch vom Gleichgewicht zwischen Vernunft und Glaube. In einer Predigt in Deutschland hat er gesagt: „Der Glaube ist einfach. Wir glauben an Gott – an Gott, den Ursprung und das Ziel menschlichen Lebens. An den Gott, der sich auf uns Menschen einlässt.“ Dann aber fragte er sich: „Ist das vernünftig?“, und fuhr fort:„Wir glauben, dass das ewige Wort, die Vernunft am Anfang steht und nicht die Unvernunft“ (Heilige Messe auf dem Islinger Feld bei Regensburg, 12. September 2006).

Aber nicht nur Glaube und Vernunft sind wichtig – auch die Freundschaft ist es. Der interreligiöse Dialog ist kein Dialog unter den Religionen, sondern bedeutet, dass die Gläubigen gerufen sind, in der Welt von heute zu verkünden, dass der Mensch nicht vom Brot allein lebt. Alles beginnt mit Respekt und endet mit einer respektvollen Freundschaft. Wenn wir mit jemandem konfrontiert sind, der anders glaubt und betetals wir, dann müssen wir uns zuerst die Zeit nehmen, ihn zu betrachten; wir müssen versuchen, seine geistlichen Bestrebungen zu verstehen; erst danach können wir das, was uns unterscheidet, und das, was uns dagegen eint, Revue passieren lassen, Und wenn es wirklich ein gemeinsames Erbe geben sollte, dann ist es an uns, es mit der uns umgebenden Gesellschaft zu teilen, weil der religiöse Dialog nicht auf meine Gemeinde abzielt, sondern auf die andere, auf die meines Gesprächspartners. Der Dialog ist eine Haltung der Öffnung, durch die wir gerufen sind, uns mit Taktgefühl an die Religion und die Kultur der anderen anzunähern.

Was hilft mir bei meiner Arbeit am meisten? Das bewundernswerte Zeugnis der Christen, das ich in den Ländern im Nahen und Fernen Osten, und erst unlängst in Afrika erleben durfte. Ihre bedingungslose Treue zum Glauben, zur Kirche; die kindesgleiche Liebe, die sie für den Papst empfinden: all das ist eine große Hilfe für alle. Jesus ist dort, in diesen kleinen Gemeinschaften. Es ist dieser Glaube der Einfachen, die bereit sind, den Bischof, der ihnen seinen Besuch abstattet, in ihrer Mitte aufzunehmen und die ihn um einen Segen bitten, weil sie durch ihren intuitiven Glauben wissen, dass die Kirche eine Familie ist.

Gewiss, nach meiner Priesterweihe konnte ich nicht ahnen, dass ich meinen Priesterdienst damit zubringen würde, den Dialog zu praktizieren – zuerst den „diplomatischen“, heute den „interreligiösen“, auch wenn ich auf die Erinnerungsbilchen meiner Priesterweihe jene Worte hatte drucken lassen, die Paulus an die Korinther schrieb: „Wir sind also Gesandte an Christi statt, und Gott ist es, der durch uns mahnt. Wir bitten an Christi statt: Lasst euch mit Gott versöhnen! (2Kor 5, 20).“

Der interreligiöse Dialog hat mir – wie ich gestehen muss – erlaubt, meinen Glauben zu vertiefen, denn wenn ich jemanden frage, wie er seinen Glauben lebt, weiß ich, dass er mir morgen dieselbe Frage stellen wird. In der pluralistischen Welt von heute werden wir immer gerufen sein zu der „Hoffnung, die uns erfüllt… aber stets mit Achtung und Milde“, wie Petrus mahnte (1Pt 3, 15-16).

Benedikt XVI. beim Rosenkranzgebet. [© Associated Press/LaPresse]

Benedikt XVI. beim Rosenkranzgebet. [© Associated Press/LaPresse]

Unlängst hielt ich mich in Nigeria auf, wo ich eingeladen wurde, eine Berufsschule zu besuchen, die ein Priester gegründet hat. Dort wurde ich von zwei jungen Männern empfangen, einem Muslim und einem Christen. Ich empfand große Bewunderung angesichts dieses gegenseitigen Respekts, der Freude, zusammen zu sein und auch der religiösen Dimension, die dieser Priester ihnen einzuflößen verstand, ohne Relativismus und Synkretismus.

Ich bin überzeugt davon, dass es nicht nur möglich ist, zusammenzuleben in unseren menschlichen Gesellschaften, die zerrissen sind von so viel Gewalt, sondern dass wir als Gläubige auch Sauerteig der Vergebung, der Buße, der Versöhnung und des Friedens sein müssen.

Und schließlich hat man mich des Öfteren gefragt, ob „Pater Tauran“ nicht Zeugnis ablegen könnte im Rahmen seiner institutionellen Verpflichtungen.

Ich weiß nicht, ob mein Leben ein glaubwürdiges Zeugnis gewesen ist, doch seit meiner Weihe war ich immer von einer Überzeugung beseelt: zuerst muss ich Priester sein, ganz gleich unter welchen Umständen. Das Wichtigste für einen Priester und auch für die Gläubigen ist, dass unser Verhalten dergestalt ist, dass wer Jesus nicht kennt durch unser tägliches Leben „erahnen“ kann, dass er in unserer Mitte gegenwärtig ist. Deshalb ist es ja auch so wichtig, dass die Kirche vereint und missionarisch ist.

In ein paar Tagen werde ich in Rouen einen Vortrag über Johanna von Orleans halten. Bei dieser Gelegenheit werde ich einige Sätze meditieren, die sie vor ihrem Tod gesagt hat. Einen davon habe ich schon am Seminar gelernt: „Dieu fait ma route / Gott steckt meinen Weg ab“. Das Wichtige im Leben eines jeden Christen – und das gilt noch mehr für einen Priester oder Bischof – ist es, sich seine innere Freiheit zu bewahren, damit Gott die Möglichkeit hat, seinen Plan umzusetzen – trotz unserer Schwächen: alle Menschen in einer einzigen Familie zu vereinen.

 

 

(Text zus.gestellt von Giovanni Cubeddu)



Italiano Español English Français Português