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AFRIKA
Aus Nr. 01/02 - 2005

„Ich bleibe ein römischer Missionar in meinem Land“


Nach langjährigem Aufenthalt in Rom kehrte der emeritierte Dekan des Kardinalskollegiums vor zwei Jahren nach Benin zurück. Und kann heute von seinem Afrika erzählen


von Gianni Cardinale


Kardinal Bernardin Gantin

Kardinal Bernardin Gantin

Zunächst einmal möchte ich mich bei 30Tage und Ihrem Chefredakteur Giulio Andreotti herzlich dafür bedanken, daß sie mir die Möglichkeit gegeben haben, meine Dankbarkeit für alles zum Ausdruck zu bringen, was der Papst und der Hl. Stuhl für mein Afrika tun. Mein Herz habe ich in Rom gelassen, wenn ich auch nicht mehr hier lebe. Ich bleibe ein römischer Missionar in meinem Land, in das ich die Sorge der gesamten Kirche trage.“ Trotz der ständigen Unterbrechung der Telefonleitung ist die Stimme des Kardinals klar und deutlich zu vernehmen. Wir haben ihn in Benin angerufen, wollten uns von seinem Afrika erzählen lassen. Der Kardinal hatte den Papst nach langjährigem Aufenthalt in der Römischen Kurie gebeten, in seine Heimat zurückkehren zu dürfen. Eine Bitte, die ihm gewährt wurde. „Ich bin seit zwei Jahren wieder hier, habe diese Entscheidung getroffen, um mit meiner Präsenz und meinem Gebet den Bischöfen meines Landes zu helfen.“

Und Gebete braucht Afrika wirklich dringend...
BERNARDIN GANTIN: Es wird mir immer schmerzlicher bewußt, daß wir in Afrika, in ganz Afrika, von Ost nach West, von Nord nach Süd, physisch wie auch geistlich mit großen Schwierigkeiten eingedeckt sind, einfach keinen Frieden finden. Krieg, Gewalt, Haß, Zwangsemigration, Epidemien, Pandemien – die schlimmste davon zweifelsohne AIDS. Dazu kommt noch, daß die Politiker, die Regierenden wirklich oft alles andere als ein Vorbild an Ehrlichkeit und Gerechtigkeit sind. Es gibt so viele Probleme, und die kennt ihr vielleicht besser als ich, wo ihr euch doch im Zentrum der Welt befindet, der Universalität, der Katholizität.
Aber es gibt auch positive Zeichen...
GANTIN: Ja, die gibt es, Gott sei Dank. Ein Beispiel: ich habe gerade in der größten Pfarrei von Cotonou an einer Seelenmesse für die Tsunami-Opfer in Asien teilgenommen. Eine Katastrophe, die wohl niemanden kalt gelassen hat. Hier in Benin wurden Millionen von Franken gesammelt, um den Opfern der Katastrophe zu helfen. Das ist natürlich nur ein Tropfen auf dem heißen Stein, aber auch ein Zeichen dafür, wie empfänglich Afrika trotz seines eigenen Elends für die Not der anderen ist.
Welchen Eindruck hatten Sie, als Sie nach Afrika zurückkamen?
GANTIN: Ich habe 31 Jahre nicht auf meinem Kontinent gelebt. Eine Zeit, die für Afrika natürlich nicht stehengeblieben ist. Man darf zugeben, daß eine gewisse Verbesserung der Lebensbedingungen eingetreten ist. Das kann man nicht leugnen. Und dafür sind wir dem Herrn dankbar. Vom moralischen Gesichtspunkt aus ist die Situation jedoch so, wie ich sie bereits beschrieben habe, mit all dem Leid, von dem wir umgeben sind. Alles ist größer geworden. Auch das Böse.
Und die Kirche?
GANTIN: Die Kirche wächst, trotz der kargen Mittel, trotz unserer Wenigkeit. Aber das gereicht zum höheren Ruhm des Herrn. Weil die Kirche die Seine ist, nicht die unsrige. In Benin haben wir zwei Seminare, ein jedes mit zweihundert Studenten. Jedes Jahr werden um die 50 Priester geweiht. Und das ist schön, wirklich schön. Es bedeutet, daß uns der Herr ganz besonders gern hat. Eine unserer Sorgen ist es, daß diese jungen Menschen auch wirklich gut ausgebildet, sensibilisiert und begleitet werden, damit sie die Schwierigkeiten, die sich ihnen heute und morgen stellen, auch wirklich meistern können.
Wie man hört, soll auch in Afrika der Islam eine der größten Herausforderungen für die Kirche sein...
GANTIN: Der Islam ist das, was er schon immer war. Manchmal zeigt er sein brüderliches Gesicht, und dann ist alles gut. Dann wieder sein mißtrauisches, und das ist der Punkt, an dem es Probleme gibt. Ich muß aber sagen, daß die Beziehungen hier in Benin gut sind. Auch wenn es islamische Länder gibt, die ihre Reichtümer hier investieren, um Proselytenmacherei zu betreiben. Ich sage das ohne Bitterkeit, aber ich sage es auch, damit die muslimischen Brüder am Wohl dieser Menschen arbeiten, der Männer und Frauen dieses Landes. Denn sie sind es, die unter etwaigen Konflikten zwischen uns zu leiden haben.
Welchen Rat würden Sie der Kirche von Afrika geben?
GANTIN: Die katholische Kirche tut alles, was in ihrer Macht steht. Bischöfe, Priester, Ordensmänner und -frauen, die Missionare, zeigen – mit der Hilfe Gottes – ihren ganzen Einsatz. Bringen selbst ihr Leben in Gefahr. Sicherlich habt ihr von dem jüngsten, unsinnigen Blutbad gehört, das unter Ordensschwestern im Tschad angerichtet wurde. Das kann man leider als Spiegel dessen betrachten, was heute die Realität ist, die Gefahren, denen die Kirche Afrikas ausgesetzt ist. Aber die Kirche läßt sich nicht entmutigen, auch wenn sie von noch so vielen Sekten und Bewegungen umgeben ist, die ihren Platz einnehmen wollen.
Welcher Unterschied besteht zwischen den Missionaren, die Sie in Ihrer Jugend kennengelernt haben und denen von heute?
GANTIN: Der Unterschied besteht darin, daß es heute leider sehr viel weniger davon gibt. Der Grund dafür ist bekannt: der starke Rückgang der Berufungen in den Kirchen Europas und Nordamerikas, die ihr apostolisches „Personal“ nach Afrika zu schicken pflegten. Aber die, die geblieben sind, vor allem die Ordensschwestern, tun wirklich alles, was in ihrer Kraft steht, und zwar sowohl im Gesundheitswesen als auch im Bildungsbereich. Mit vollkommener Selbstaufgabe: sie verdienen unsere ganze Dankbarkeit.
Kinder in einer Comboni-Mission in Rungu (Demokratische Republik Kongo)

Kinder in einer Comboni-Mission in Rungu (Demokratische Republik Kongo)

Wie können die Politiker und die Regierenden der reichen Länder Ihrem Kontinent helfen?
GANTIN: Ich hoffe, daß die europäischen Politiker Gelegenheit hatten, die Appelle des Symposiums afrikanischer und europäischer Bischöfe zu hören, das in Rom abgehalten wurde. Ein wichtiges Ereignis. Dabei wurden die in Afrika herrschenden Mißstände, die Erwartungen unseres Landes deutlich angesprochen. Die Großzügigkeit dieser Politiker ist mehr denn je gefragt. Je mehr wir leiden, um so lauter wird unser Hilferuf. Und umso größer unsere Hoffnung. Wir hoffen, daß sie uns zu Hilfe kommen werden, und das auch allein schon deshalb, weil sie, wenn sie uns helfen, auch sich selber helfen. Solidarität ist auch für die ein Gewinn, die sich solidarisch zeigen. Es stimmt, daß die Regierenden auch mit den Mißständen in ihren eigenen Ländern alle Hände voll zu tun haben. Aber ich möchte sie doch inständig bitten, den europäischen Kirchen bei ihren so wichtigen Wohltätigkeitswerken in Afrika unter die Arme zu greifen.
Wollen Sie damit sagen, daß Afrika besser geholfen werden kann, wenn man sich an die Kirchen wendet, und nicht an die Staaten oder andere Einrichtungen?
GANTIN: Für mich ist das der direkteste und der sicherste Weg. Ich will ja den guten Willen anderer Personen oder Organismen, auch auf freiwilliger Basis, nicht in Abrede stellen. Aber ich glaube doch, daß der effizienteste Weg der der Kirche ist, auch weil es in diesem Fall einfacher ist zu kontrollieren, ob die Güter auch wirklich den jeweiligen Empfängern zukommen und nicht etwa in den schrecklichen Kanal der Korruption fließen, der leider auf unserem Kontinent weit verbreitet ist.
Wollen Sie noch einen Gruß an die Leser von 30Tage richten?
GANTIN: Ich danke 30Tage noch einmal dafür, mir diese Gelegenheit gegeben zu haben. Mein Gesundheitszustand ist nicht der beste. Ich bin ganz in der Hand Gottes. Aber der Papst, der seine Sendung weiterhin fortführt, ist uns ein Vorbild. Und das hilft mir dabei, ein demütiger Zeuge zu sein für die Güte des Herrn. Materiell gesehen habe ich nichts mehr. Und das ist auch gut so: diese materielle Armut hilft mir, die geistliche Armut besser zu leben.


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