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ZEUGNISSE
Aus Nr. 03 - 2005

Gebete für den kranken Irak


„Der Irak braucht besonders heute eure Gebete, eure und die eurer Leser, und wir Iraker können euch nur für diese Gebete danken und für alles , was ihr unserem Land Gutes getan habt.“


von Emmanuel III. Delly


 Emmanuel III. Delly

Emmanuel III. Delly

Wir haben den Patriarchen der Chaldäer, Emmanuel III. Delly, beim ersten Rom-Besuch nach seiner Wahl im Dezember 2003 getroffen. Die Umarmung dieses treuen und intelligenten Kirchenmannes war dem Papst sicherlich ein großer Trost. Emmanuel III. Delly besuchte Johannes Paul II. am 19. Februar. Bei der halbstündigen Audienz hörte ihm der Papst aufmerksam zu und stellte ihm spezifische Fragen zur Situation des Landes und zum Leben der christlichen Gemeinschaften im Irak.
Emmanuel III. Delly war bereit, 30Tage sozusagen „aus erster Hand“ zu berichten, was im Irak wirklich vor sich geht. Lesen Sie hier das Zeugnis des Patriarchen der Chaldäer.
(G.C. und D.M.)

Zunächst einmal möchte ich 30Tage von Herzen danken. Indem sie die christliche Lehre verbreitet, tut die Zeitschrift nicht nur Italien Gutes, sondern der ganzen Welt, und insbesondere der Kirche. Den Menschen Christus bringen, das ist die Sendung von 30Tage, das sollte sie sein. Gewiß, man sollte allem Interesse entgegenbringen, aber der einzige Zweck sollte doch der sein, den Seelen Christus zu geben; dann wird der Segen des Herrn auf der Zeitschrift ruhen, die Gutes tut, und zwar nicht nur den italienischen Lesern, sondern der ganzen Welt. Ich bitte den Herrn, den Chefredakteur der Zeitschrift zu segnen, seine Mitarbeiter und die Zeitschrift selbst, auf daß sie Werkzeug dafür wird, nicht nur der Welt die Gnade zu bringen, sondern der ganzen Menschheit.
Ich bin sicher, daß ihr gekommen seid, um den Patriarchen der Chaldäer auf der Welt zu fragen, wie es um den Irak bestellt ist. Viele Journalisten kommen in den Irak und fragen mich: „Wie ist es um die Christen im Irak bestellt?“. Und ich antworte dann immer gleich: „Diese Frage gefällt mir nicht. Warum fragt ihr mich nicht, wie es den Irakern geht? Was nämlich den Christen passiert, das passiert auch den Muslimen, die unsere Brüder sind, und was den Muslimen passiert, passiert auch den Christen. Fragt mich also besser, wie es den Irakern geht.“ Die derzeitige Lage ist, daß der Irak krank ist, wirtschaftliche „Medizin“ braucht, geistliche „Medizin“, Medizin für alle Krankheiten, an denen er leidet. Wir selbst hegen eine große Hoffnung: daß diese Medizin bald eintreffen und dem Irak gut tun wird, der so genesen und den anderen Ländern, nah und fern, Gutes tun kann. Der Irak ist ein reiches Land, ein Land, auf das – besonders in den letzten Jahren – der Blick der ganzen Menschheit gerichtet war. Ich danke der ganzen Welt für die Gebete, die für den Irak gebetet wurden. Der Irak wäre tiefer gesunken, wenn da nicht die Gebete der Freunde gewesen wären, die Gebete, die sich aus so vielen Herzen zum Herrn erhoben haben, damit er unser Land behüte, bewahre und den Weg zum Guten einschlagen lasse. Der Irak und die Iraker haben viel erlitten, und zwar alle, Christen und Muslime, die Angehörigen einer jeden Religion. So müssen wir uns dessen bewußt sein, daß die Religion für den Herrn ist, das Vaterland aber für alle. Wir Iraker müssen mit gemeinsamen Kräften an der Entwicklung des Landes und für seine Freiheit arbeiten: eine wahre Religions-, Kult-, Wirtschaftsfreiheit; Freiheit in allem für alle Iraker. Der Irak braucht besonders heute eure Gebete, eure und die eurer Leser, und wir Iraker können euch nur für diese Gebete danken und für alles, was ihr unsrem Land Gutes getan habt.
Im Irak haben wir fast 800.000 Christen; fast 600.000 davon sind Katholiken. 80% der Katholiken sind chaldäischen Ritus’ (chaldäisch bedeutet katholisch). In unserem Land gibt es noch andere Kirchen: syrisch-katholische, armenisch-katholische, melchitische, ein paar maronitische, sehr wenige syrisch-orthodoxe, armenisch-orthodoxe, dann noch die sogenannten Nestorianer, die heute nicht mehr so genannt werden, sondern Heilige katholische apostolische Kirche des Ostens. Die Katholiken machen also 80% der Christen aus, die im Irak leben. In Bagdad haben allein wir Chaldäer 28 Pfarreien, zwei Seminare, ein Knaben- und ein Priesterseminar; darüber hinaus haben wir auch Ordensmänner und -frauen, die Töchter der Unbefleckten Jungfrau Maria und die Töchter vom Heiligen Herzen. Dann noch die chaldäischen Mönche aus dem Orden des hl. Antonius. Wir haben viele Berufungen, die allerdings aufgrund der Emigration zurückgegangen sind, die in letzter Zeit überhand genommen hat. Es handelt sich dabei um eine Emigration, die nicht von einer Diskriminierung herrührt, die es nicht gibt, und auch nicht von Verfolgungen, die es ebenfalls nicht gibt, sondern die soziale, wirtschaftliche oder familiäre Ursachen hat bei den irakischen Familien, die im Ausland leben beispielsweise. Es kommt nicht selten vor, daß Iraker, die nach Amerika oder Australien gezogen sind, ihren Vater oder ihre Brüder zu sich holen. In den letzten Jahren hat die Angst und die Instabilität viele Iraker zum Auswandern bewogen – vor allem die Guerrilla. So haben viele Iraker das Land verlassen. Der Großteil der Emigranten sind Muslime, weil die Muslime sehr viel zahlreicher sind als die Christen. In den vergangenen Monaten haben viele Iraker, Christen und Muslime, wegen der vielen Banditen das Land verlassen, die sich auf Entführungen spezialisiert haben, um Lösegeld zu erpressen. Das macht sehr vielen Menschen Angst. Es stimmt, sie haben die Kirchen angegriffen, aber nicht nur die. Auch die Moscheen wurden ins Visier genommen, und auch die Gebetsstätten der Schiiten. Es stimmt auch, daß sie einen Bischof und einen Priester entführt haben. Aber dasselbe Schicksal haben auch viele religiöse Muslime erlitten: Mullah, Ulema und andere... viele Personen, von denen wir immer noch nicht wissen, wo sie sind, und für deren Befreiung wir alle Hebel in Bewegung setzen. Die Kirchen werden also nicht angegriffen, weil man sie haßt, sondern wegen des allgemeinen Chaos’ im Land. Wir haben hier Räuberbanden, die entführen, um Lösegeld zu erpressen; Banden, die den Menschen Angst einjagen – und zwar Muslimen ebenso wie Christen. Vielleicht stecken hinter diesen Aktionen auch andere Gründe, politische Gründe beispielsweise, aber ich kenne sie nicht.
Taufe in einer katholischen Kirche von Bagdad

Taufe in einer katholischen Kirche von Bagdad

Ich weiß nicht, ob die Amerikaner das Land verlassen sollen oder nicht. Es stimmt zwar, daß eine Besatzung eine Besatzung ist – niemand will wohl von anderen besetzt werden, und daher beten wir darum, daß uns der Herr alle befreit, alles rettet, was uns gehört, in der rechten und wahren Weise.
Die Wahlen haben uns gut getan und gezeigt, was der Wunsch des Volkes ist. Viele der Sunniten haben gewählt; andere dagegen haben nicht gewählt, und werden wohl ihre Gründe dafür haben. Auch einige Christen haben nicht gewählt und haben ihre Gründe dafür. Die Schiiten haben fast alle gewählt, weil sie die Mehrheit sind, und haben die Mehrheit erreicht. Nicht zu wählen und von der Regierung ausgeschlossen zu sein, ist nie lohnend. Wir haben den Leuten gesagt: „Wählt, wenn ihr ins Parlament einziehen wollt. Auch wenn ihr nicht in der Regierung seid, so könnt ihr doch die Opposition stellen.“ Auch viele Sunniten haben diesen Rat befolgt, den ihnen Freunde gegeben haben, Personen, die den Irak lieben. Und sie haben gewählt; viele jedoch sind dieser Aufforderung auch nicht nachgekommen. Dafür haben fast 95% der Schiiten gewählt, und so haben sie heute auch die Mehrheit der Gewählten. Sie werden auch im zukünftigen Parlament die Mehrheit haben, das Ordnung in die Dinge bringen, eine ständige Verfassung formulieren wird. Wir können nur hoffen, daß es eine gerechte Verfassung sein wird, die absolute Religionsfreiheit garantiert, Kultfreiheit, für alle Iraker, ohne Unterschied, weil, wie ich ja schon gesagt habe, die Religion für Gott ist, das Vaterland aber für alle.
Abschließend möchte ich noch sagen, daß uns außer dem Gebet nichts helfen kann, die Krankheiten des Irak zu heilen. Beten wir also alle für die Genesung des Irak; und ich möchte bei dieser Gelegenheit vor allem dem Heiligen Vater meinen besonderen Dank aussprechen, der nie aufgehört hat, für den Irak zu beten, und seinen Mitarbeitern, die für uns beten, für den Frieden, für die Stabilität des Landes. Ich danke allen Italienern, denen ich mich besonders verbunden fühle: immerhin habe ich 14 Jahre in Italien gelebt, als Student, und Italien ist für mich so etwas wie eine zweite Heimat geworden. Ich danke den Lesern von 30Tage, ich danke allen, die für uns beten, damit uns der Herr Sicherheit und Frieden schenke. Und ich bitte den Herrn, durch die Fürsprache unserer himmlischen Mutter, Maria, euch alle zu segnen.


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