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JAHRESTAGE
Aus Nr. 04 - 2003

EIntausendsiebenhundert Jahre nach der großen Verfolgung


Das erste Dekret zur Verfolgung der Christen der Kaiser Galerius und Diokletian geht auf den Februar des Jahres 303 zurück. Dahinter stand ein grausamer religiöser Aberglaube. Was angesichts der Tatsache, daß das Römische Reich, von außen betrachtet, schon damals als Reich der Christen erschien, paradox anmutet. Eine blutige Verfolgung, die zwar ein Jahrzehnt lang neue Christen hervorbrachte, aber auch Ursache für Verrat und Spaltungen im Innern der Kirche war. Auch der Bischof von Rom, Papst Marcellinus, brachte den Göttern Rauchopfer dar.


von Lorenzo Cappelletti


Kaiser Diokletian, Izmit, 4. Jh. n. Chr., Archäologisches Museum Istanbul, Türkei.

Kaiser Diokletian, Izmit, 4. Jh. n. Chr., Archäologisches Museum Istanbul, Türkei.

Am Morgen des 23. Februar des Jahres 303, dem Tag der Terminalia, Fest des „Jupiter der Grenzen“ (Juppiter Terminalis), einem Tag, der eine mehr als günstige symbolische Gelegenheit darstellte, ein für allemal mit dem christlichen Glauben aufzuräumen, machten die Prätorianer die christliche Basilika von Nikomedeia, der Stadt, in der damals die Kaiser Diokletian und Galerius residierten, in einer Blitzaktion dem Erdboden gleich. Noch am selben Tag, oder tags darauf, wurde ein Edikt erlassen, in dem mit den Christen kurzer Prozess gemacht wurde: verfügt wurde darin die Zerstörung ihrer Kultstätten und ihrer heiligen Bücher; ihre Enthebung von allen öffentlichen Ämtern sowie der Verlust des Rechtes auf Verteidigung gegen jedwede Art von Anschuldigung; die soziale Degradierung der angesehensten unter ihnen, die damit auch der Folter unterworfen werden konnten; sowie die Unmöglichkeit der Freilassung christlicher Sklaven.
Das alles bildete den Auftakt zu einer blutigen Verfolgung, die ein Jahrzehnt lang nicht nur neue Christen hervorbringen sollte, sondern auch Ursache für Verrat und Spaltungen im Innern der Kirche war (vgl. Eusebius, Historia Ecclesiastica VIII, 2-3), angefangen bei Rom, wo Papst Marcellinus, wie es in seiner offiziellen Biographie lapidar heißt, den heidnischen Göttern Rauchopfer darbrachte: „ad sacrificium ductus est ut turificaret, quod et fecit“ (Liber pontificalis I, 162). Nicht umsonst bittet ein jeder Gläubige den Herrn jeden Tag im Gebet „et ne nos inducas in tentationem.“
Der 1.700. Jahrestag des Beginns dieser Verfolgung, bekannt als die große oder „Diokletianische Verfolgung“ hat im Kulturteil der Presse keinerlei Echo gefunden. Und das, obwohl es sich dabei keinesfalls um einen unwichtigen Umstand handelt, der für uns heute keinerlei Bedeutung hat. Für uns – „die ersten“, wie Péguy sagte „nach Jesus, ohne Jesus“ –, deren Ohr das Echo des von Johannes in seiner Apokalypse beschriebenen radikalen und geheimnisvollen Kampfes nicht mehr erreicht. Und die wir deshalb nicht verstehen, warum der Glaube an Jesus Christus hassenswert sein soll und seine Verfolgung lediglich als Frucht primitiver und barbarischer Bräuche sehen, oder im äußersten Fall als Instrumentalisierung, hinter der andere Interessen stehen. Wie wir auch – den Fakten zum Trotz – die Konversion des Konstantin als barbarisch und/oder instrumentalisiert sehen.
Diesem Jahrestag zu gedenken, soll hier unsere Aufgabe sein. Gestützt auf zwei Autoren der damaligen Zeit, den Griechen Eusebius, Bischof von Caesarea in Palästina, und den Rhetoren lateinischer Kultur und Sprache, Lucius Caelius Firmianus Lactantius. Der Standpunkt der beiden ist fragwürdig – immerhin schrieben sie ihre historiographischen Werke als Vertreter eines inzwischen siegreichen Christentums. Aber was uns hier interessiert, ist nicht so sehr der mehr oder weniger ideologische und thriumphalistische Rahmen, in den beide Sieger und Besiegte einfügen, sondern vielmehr das, was sich zwischen dem 3. und 4. Jahrhundert im Osten ereignet hat, und was die beiden in gewissen Momenten als Augenzeugen miterlebt haben.

Die Magier und
das Zeichen des Kreuzes
Wer es verstand, nicht nur in der Leber von Schafen oder dem Flug der Vögel die Zeichen der Zeit zu deuten, sondern in dem, was im vorherigen Jahrzehnt geschehen war, der wußte schon lange vor dieser Kristallnacht des 23. Februar, daß man hier die „Endlösung“ vorbereitete.
Es war nämlich schon in den Neunzigerjahren des vorausgegangenen Jahrhunderts zu verschiedenen Säuberungsaktionen im Heer und bei den kaiserlichen Beamten gekommen – wenngleich es sich dabei auch um sporadische Aktionen gehandelt hatte, die – scheinbar – ohne Folgen für den christlichen Glauben waren. Folgen, die dann an der Jahrhundertwende sehr wohl ans Tageslicht kamen. Genaugenommen nach dem siegreichen zweiten Feldzug gegen die Perser unter Caesar Galerius – von dem dieser mit dem anmaßenden Titel Persicus maximus zurückgekehrt war – und dank der entschlossenen Einflussnahme der Kaste der Haruspizes (Wahrsager). „Diokletian befand sich im Osten. Er, der wie immer verzweifelt nach Vorzeichen suchte, um einen Blick in die Zukunft werfen zu können, ließ so manches Stück Vieh opfern, um aus der Leber der Opfertiere die Zukunft wahrsagen zu lassen. Einige der Bediensteten, die einer dieser Zeremonien beiwohnten und den Herrn kannten, bezeichneten sich auf der Stirn mit dem unsterblichen Zeichen [des Kreuzes]. Die bösen Mächte wurden durch diese Geste in die Flucht geschlagen, die Opferung gestört: Die Haruspizes mußten zu ihrer Bestürzung erkennen, daß in den Eingeweiden der geopferten Tiere nicht die gewöhnlichen Zeichen lesbar waren: sie wiederholten das Opfer daher mehrfach, doch die Vorzeichen, die aus den geopferten Tieren zu erkennen sein sollten, blieben aus. Bis Tages, berühmtes Oberhaupt der Haruspizes – wohl weil er einen Verdacht hegte, oder etwas gesehen hatte – behauptete, daß die heiligen Zeremonien erfolglos blieben, weil Profane bei den Ritualopferungen anwesend wären. Der erzürnte Diokletian gab sofort den Befehl, daß nicht nur die Kultdiener der heiligen Zeremonien Opfer bringen sollten, sondern alle, die sich im Palast befanden, und daß jeder, der sich diesem Befehl widersetzte, ausgepeitscht werden würde; durch an die Oberbefehlshaber gesandte schriftliche Depeschen ordnete er an, daß auch die Soldaten diese frevlerischen Opfer bringen müssten, und wer sich weigerte, dem drohte der Ausschluß aus dem Heer“ (Lactantius, De mortibus persecutorum, X).
Wie in vielen Berichten über Verfolgungen in antiker und moderner Zeit mag die Motivation ungenügend und folglich unglaubwürdig erscheinen: „Für jemanden, der niemals eine Verfolgung erlebt, nie einen Christen gekannt hat, ist es schwer, an diese Berichte zu glauben,“ schrieb Eliot im 6. Chor von The Rock (der Anspruch, diese Schwierigkeit mit einem kulturellen Ansatz zu lösen, ist heute in einer noch größeren Ungläubigkeit begründet, die das Ganze oft sogar noch nährt). Hier kommt uns ein Präzedenzfall zuhilfe: hinter der letzten großen Verfolgung der Jahre 257-58, angeordnet von Kaiser Valerianus, der – wie später auch Diokletian – bei sich so viele Christen aufgenommen hatte, daß „sein Haus eine Kirche Gottes [•kklhsía Yeoû] geworden war“ – so Eusebius [HE VII, 10,3]– hatte sicher der wilde Aberglaube des Ratgebers Macrianus gestanden. So weiß Eusebius über ihn zu berichten: „Sein [des Valerianus] Lehrmeister [Macrianus], der das Oberhaupt der ägyptischen Magier war, überzeugte ihn, einen anderen Kurs einzuschlagen: er verleitete ihn dazu, diese reinen und heiligen Männer umbringen und verfolgen zu lassen, weil sie sich gegen die unreinen, abstoßenden Zauberbräuche stellten und diese behinderten. Es gab und gibt nämlich dennoch Christen, denen es durch ihre Präsenz, ihren Blick, allein durch ihren Atem, ihre Stimme, gelingt, die Pläne der frevlerischen Dämonen zu vereiteln. Er riet ihm, unreine Riten zu praktizieren, abscheuliches Hexenwerk, frevelhafte Opfer zu bringen; armen Kindern die Kehle durchzuschneiden, die Kinder unglücklicher Eltern zu opfern, die Eingeweide von Neugeborenen zu zerfleischen, die Geschöpfe Gottes zu zerteilen und zu zerstückeln, als könne man so das Glück erlangen“ (HE VII, 10,4).
Die um das Jahr 300 unternommenen „Säuberungsaktionen“ im Palast und in den Reihen des Heeres – wie schon fünfzig Jahre zuvor ausgelöst von einem wilden Aberglauben – konnten also als erste, gefährliche Anzeichen gelten.

Andere erste Anzeichen
Aber derer hatte es durchaus schon andere gegeben. Zur Zeit des ersten Persischen Krieges im Jahr 297 hatte man mit dem Manichäismus kurzen Prozess gemacht, ja, war man nicht einmal davor zurückgeschreckt, dessen Anführer zu enthaupten und die Schriften zu verbrennen, weil „religio nova et inopinata“ (Edikt gegen die Manichäer), vor allem aber, weil „de Persica adversaria nobis gente progressa“ (ebd.). Zog also gegen jenen Manichäismus ins Feld, der später Augustinus faszinieren sollte. Der Umstand, daß Augustinus neun Jahre lang auditor in der Sekte des Mani war ist der Beweis dafür, daß diese Häresie etwas sehr Anziehendes an sich gehabt haben mußte, das wir, die wir nur einen Teil der vorhergehenden, von Mani übernommenen Traditionen kennen, heute nur schwer beurteilen können, stellte Erik Peterson im Schlusswort der Katholischen Enzyklopädie fest (diese, von einem Gelehrten seines Kalibers gemachte Feststellung, sollte uns eigentlich nahe legen, die Beziehungen des Augustinus sowohl zu den Manichäern Roms [„amicitia eorum familiarius utebar quam caeterorum hominum qui in illa haeresi non fuissent“: Confessiones V,10,19] als auch, später, in Afrika, zu den Donatisten, die er zwar widerlegte, aber auch zu schätzen wußte [seine Wertschätzung des Ticonius geht soweit, daß er dessen Regeln für die Interpretation der Heiligen Schrift übernommen hat] außerhalb eines „Konversionsschemas“ zu deuten. Es könnte sonst nämlich noch schwieriger scheinen, Berichten über Konversionen zu glauben als solchen über Verfolgungen. Das nebenbei, aber doch nicht ohne einen gewissen Nachdruck, gesagt.
Seite gegenüber, Gruppen von Tetrachen aus Porphyr, Venedig, Palazzo Ducale

Seite gegenüber, Gruppen von Tetrachen aus Porphyr, Venedig, Palazzo Ducale

Politik und Wirtschaft
Aber auch die politischen und administrativen Reformen des vorherigen Jahrzehnts versprachen nichts Gutes. Angefangen bei der umfassenden Reichsreform, der Tetrachie. Seit Beginn seiner Regierungszeit hatte Diokletian an seiner Seite, wenn auch in untergeordneter Stellung, einen Mitkaiser gewollt, Maximian. Diesem General und Landsmann des Diokletian vertraute der Kaiser vor allem das von Unruhen geplagte Gallien an. Die nachfolgende Adoption der Gardepräfekten Galerius und Constantius Chlorus und Ernennung zu Nachfolgern (Caesares) von Diokletian und Maximian im Jahre 293 sollte die tetrachische Reform vollenden, dem Reich eine angemessenere Regierung geben und die reibungslose Nachfolge sichern. Besagte Reform, die weit mehr war als nur ein technischer Notbehelf, nahm einen stark ideologischen und religiösen Charakter an – wie William Seston in seinem Klassiker Dioclétien et la tétrarchie darlegte. Und das vor allem seit 289, im ersten schicksalsträchtigen 89er Jahr, als Diokletian den Titel „aus der Familie des Jupiter“ (Jovius) annahm und Maximian den „aus der Familie des Herkules“ (Herculius) verlieh: und das wären dann auch ihre jeweiligen Nachkommen gewesen. Deren Schicksale – über diese „göttlichen Familienbande“ hinaus – ohnehin schon durch Familienbande zwischen den beiden Kaisern (Augusti) miteinander verflochten waren. Wegen dieser Verwandtschaftsbeziehungen sah sich schließlich auch Constantius Chlorus gezwungen, Helena, die Mutter Konstantins, zu verlassen und die Tochter des Maximian zur Gemahlin zu nehmen.
Wenn die auserwählten Götter einerseits auch jene des traditionellen römischen pantheon waren – keineswegs traditionell waren dagegen die „göttlichen Familienbande“, welche dem konstitutionellen System zugrunde lagen. „Dieser theokratische Absolutismus erhob jene von den orientalischen Monarchien ererbten Zeichen des Respekts zu System und wahrem Ritual, die allmählich in Gebrauch gekommen waren und die in der obligatorischen adoratio der Fürsten gipfelten“ (J. Moreau, La persécution du cristianisme dans l’ Empire romain, S. 104). Paradoxerweise verhielt sich die Macht in Rom (aber Rom hatte seine Rolle als Zentrum des Reiches in Wahrheit bereits eingebüßt) wie jene Monarchien, gegen die es seine ganze Heereskraft aufwendete. Und die Nachahmung des symbolischen Apparats war gegenseitig. So kam es, daß sich Narseh, 293 in Persien an die Macht gekommen – demselben Jahr, in dem Galerius und Constantius zu Caesares erhoben wurden –, zum „Sohn“ des großen Schapur I. proklamierte.
Die im Rahmen der Tetrarchie vorgenommene Neugestaltung der Provinzen und der Verwaltung sowie die steigende Bedeutung des Heeres hatten darüber hinaus eine Steuerpolitik notwendig gemacht, die die Bürger jedes Anscheins von Freiheit beraubte auf der Grundlage des „rigoros angewandten Prinzips der kollektiven Verantwortlichkeit“ (S. Mazzarino, L´impero romano, II. S. 590). Die für einen Verwaltungsbereich festgesetzte Abgabenquote war von den zu diesem Verwaltungsbereich Gehörenden zu entrichten. Der Einzelne wird nun also mit dem Boden gleichgesetzt (wir stehen am Beginn der Schollen-Knechtschaft: eine Arbeitereinheit entspricht – zu Steuerzwecken – einer steuerpflichtigen Bodeneinheit; auf einen Kopf Arbeiter-Kolone (caput) kommt eine Einheit einer von einem Arbeiter-Kolonen (iugum) zu bearbeitenden Fläche Boden. [...] Das von Feinden umgebene und von Bürgerkriegen in seinen Grundfesten erschütterte Römische Reich wurde so organisiert wie ein riesiges Arbeitsfeld, eine ‚Baustelle‘, wo eine plebs rusticana – jene eben, die unter die capitatio fielen (von der die niedrigen Bürgerschichten der Städte prinzipiell nicht betroffen waren) – ohne Unterlaß für den Unterhalt der römischen civilitas arbeitete, daran, die für die annona militaris und für die civilis gebrauchten Nahrungsmittel zu produzieren“ (ebd., SS. 589-591).
Alles war auf die Aufrechterhaltung des Lebensstandards des Plebs in den großen Städten des Reiches und der Erhaltung eines in seinem Effektivbestand vervierfachten Heeres ausgerichtet, dessen Treue gewährleistet werden mußte. Der Preis dafür war jedoch eine steigende Inflation, die der Landeswährung den Todesstoß versetzte und die vom 301 erlassenen Edictum de pretiis nicht einmal berührt wurde. Mit dem Beginn der Verfolgung nahmen die wirtschaftlichen Schwierigkeiten und der Steuerdruck, von dem vor allem die Ärmsten ins Elend gestürzt wurden, noch zu.
Auch diese Fakten darf man nicht vergessen, wenn man von der großen Verfolgung spricht, denn jede ernstzunehmende Wirtschaftskrise führt zu Überlebenskämpfen, bei denen mors tua vita mea zum einzig gültigen Prinzip wird. Man denke nur an den Zusammenhang, der zwischen dem ins Stocken geratenen Wachstum Afrikas und den Formen von Gewalt besteht, die man in den vorherigen Jahrzehnten auf diesem Kontinent nicht kannte. Ganz zu schweigen von den Epidemien, die – auch ohne bakteriologische Kriege – ganze Bevölkerungen dezimieren.
Eine unerwartete Verfolgung
Dennoch kam die blutige Verfolgung vollkommen unerwartet.
Diokletian regierte seit dem Jahr 284, und das Christentum schien auch unter ihm eine Blüte zu erleben. Zu verdanken hatte es das einem Edikt des Jahres 260, das Gallienus, der Sohn des Valerianus erlassen hatte, nachdem sein Vater im Krieg gegen die Parther von Schapur I. gefangengenommen worden war, was ihn– im wahrsten Sinne des Wortes – um Kopf und Kragen gebracht hatte: Seine Haut hing nun als Trophäe im Tempel der Parther. Jenes Edikt hatte dem Christentum eine Situation garantiert, die man vielleicht schon damals als voll legitim bezeichnen konnte. So daß, wie Marta Sordi schrieb, „Romanisierung und Christentum im Orient in dem einen oder anderen Fall miteinander einhergingen. So versteht man, daß [...] das Christentum in den Augen des Orientalen Mani die für die römische Welt charakteristische Religion war“ (Il cristianesimo e Roma, S. 479). Mazzarino fügt noch Einzelheiten an, die unterstreichen, wie unhaltbar widersprüchlich es war, einen „Staat von Christen mit antichristlicher Politik“ zu haben: „In der Seert-Chronik sollte es dann heißen, daß ‚es den römischen Deportierten [darunter auch der Bischof von Antiochien, Demetrian, und einige der Priester, die bei einem der Feldzüge Schapurs in Gefangenschaft geraten waren] in Persien besser ging als in ihrer Heimat, und das durch sie im Orient Proselyten gemacht werden konnten.‘ Das Römische Reich befand sich also in einer paradoxen Situation: es setzte sich, vor allem in seinen östlichen Teilen, aus Christen zusammen, erschien also, von außen betrachtet, als Reich der Christen; und hatte doch einen Kaiser, der ein Verfolger gewesen war. [...] Eine merkwürdige Situation eines Staates von Christen (besonders im östlichen Teil des Reiches) mit einer antichristlichen Politik“ (L`Impero romano, II, 529).
Wie wir jedoch gesehen haben, hatte es bis zum Jahr 303 nur die eine oder andere Maßnahme in den Reihen des Heeres und im Palast gegeben – überdies keinesfalls systematisch ergriffene Maßnahmen. Einige christliche Beamte, wie Petrus, Dorotheus und Gorgonius genossen zum Zeitpunkt des Beginns der Verfolgung das Vertrauen des Kaisers und standen in Nikomedeia noch in seinem Dienst. Das wissen wir von Lactantius, der gegen Ende des 3. Jahrhunderts auf Einladung Diokletians aus Afrika nach Nikomedeia gekommen war, wo er sich wahrscheinlich zum Christentum bekehrt hatte, was ihn aber nicht hinderte, weiterhin als Rhetor im kaiserlichen Palast tätig zu sein. Es hat den Anschein, daß sogar die Gemahlin und die Tochter Diokletians, Prisca und Valeria, mit dem Christentum sympathisierten.
In dem ersten Edikt wie auch den anderen 303 erlassenen – wenngleich immer strenger werdenden – Verfügungen war auf ausdrücklichen Wunsch Diokletians nicht die Todesstrafe vorgesehen.
Doch dann, Anfang 304, wurden alle unterschiedslos und überall aufgerufen, öffentlich ein Opfer und eine Libation zu bringen – und dieses Mal, im Falle einer Weigerung, unter Androhung der Todesstrafe.
Warum diese „Abrechnung“? Warum hatte sich die Politik, die doch von Natur aus kompromissbereit und gemäßigt ist, gegen die Religion gerichtet? „Der Kampf erhielt so eine politische Bedeutung, aber nur in dem Maße, in dem die Politik selbst ein Religionsfaktum wurde“ (M. Sordi, Il cristianesimo e Roma, S. 340). Diokletian, der genug politischen Verstand besaß, um zu erkennen, daß eine Verfolgung der Christen die Situation noch verschlimmert hätte, hatte sich dem Wunsch des Galerius beugen müssen. Dieser war gerade erst siegreich von der balkanischen Front, und dann von der östlichen, zurückgekehrt; und er, der einzige General, dem es jemals gelungen war, die Erzfeinde Roms – Germanen und Parther – in die Knie zu zwingen, wurde immer mehr zum stärksten Mann des Regimes. Galerius war es also, wie unsere Quellen belegen (vgl. De mort. pers. XI und XIV; und HE VIII, Nachhang), der die „Endlösung“ wollte. Es hat ganz den Anschein, daß er auch bei zwei in Nikomedeia ausgebrochenen Feuersbrünsten, denen bereits nach dem ersten Edikt viele dort lebende Christen zum Opfer gefallen waren, darunter auch Bischof Antimus, als Drahtzieher fungiert hatte. Auch Diokletian wurde ein Opfer des Ganzen – und das nicht nur politisch gesehen: er, der nichts und niemandem mehr traute, erkrankte an einer Geisteskrankeit, und dankte im Jahr darauf ab.
War Galerius also für Diokletian, was Macrianus für Valerianus war? In einem gewissen Sinne ja. Aber allein wäre er nichts weiter gewesen als jener korpulente Besessene, von dem die Quellen sprechen. Er selbst stand in Wahrheit unter dem Einfluß einer wild abergläubischen Mutter und eines inzwischen auf Theurgenpraxis reduzierten Neoplatonismus, der im christlichen Glauben das größte Hindernis für die Verbreitung seiner Zauberpraktiken sah. Das Gegen die Christen des Lieblingsjüngers von Plotinos, Porphyrius, ebnete den Weg für die Verfolgung bereits vor dem Ende des 3. Jahrhunderts. Die wahren Reden des Hierokles, derselben Strömung, aber eine Generation später, sollten ihre Entfaltung begleiten. Wie auch der Philosoph Theotechnos, eingesetzt als Oberaufseher in Antiochien von Syrien, und andere. In Syrien, Phönizien, Palästina und Ägypten wie auch in den Provinzen der anatolischen Halbinsel, wüteten sie als Vollstrecker des Edikts gegen die Christen fast bis zum Frieden des Jahres 313.

Der hl. Barlaam, Opfer der Diokletianischen Verfolgung, wird vor den Altar geschleppt, wo ihn sein Peiniger zwingen will, den Göttern zu opfern.  Miniatur aus dem Menologion von Basilius II., Cod. Vat. Gr. 1613, Blatt 187, Vatikanische Apostolische Bibliothek.

Der hl. Barlaam, Opfer der Diokletianischen Verfolgung, wird vor den Altar geschleppt, wo ihn sein Peiniger zwingen will, den Göttern zu opfern. Miniatur aus dem Menologion von Basilius II., Cod. Vat. Gr. 1613, Blatt 187, Vatikanische Apostolische Bibliothek.

Pax romana und pax christiana
Das Thema des Friedens muß noch warten. Wir wollen hier nur blutige Ereignisse behandeln, und das auch aus offensichtlichen Gründen der Aktualität. Aber eines muß gleich gesagt werden. Wenn sich mit der Bekehrung Konstantins des Großen auch der Traum des Origines erfüllt zu haben schien – der Traum von einer Deckung der Kirche mit dem Reich, eines Zusammenschweißens der pax costantiniana mit pax romana und pax christiana – war die Situation der Christen des anderen Reiches, des der Parther, untrügliches Zeichen dafür, wie illusorisch und tragisch diese Erwartung war (man darf nicht vergessen, daß es Christen auch dort und anderswo gab, weit über die Grenzen des Römischen Reichs hinaus, und das seit apostolischer Zeit). Diese Christen waren Opfer einer Verfolgung, die sich gerade kraft des Erfolgs des Konstantinischen Friedens noch grausamer gestaltete. Im vorhergehenden Jahrhundert hatten – wie wir bereits gesehen haben – aus dem Römischen Reich kommende Christen in Persien in Sachen Glaubensausübung und -mitteilung sehr viel bessere Bedingungen vorgefunden als in der Heimat. Jetzt, wo Romanisierung und Christentum identifiziert wurden, wurden die Christen als Feinde empfunden und liefen Gefahr, sich selbst als solche zu sehen, was bis zu ihrer Loslösung von der Gemeinschaft mit Rom führen konnte. Unter diesem Aspekt erscheint die Organisation des Friedens für alle anstelle einer aus Bündnissen gemachten Politik als wilde Anmaßung, die zunächst einmal einige dazu verurteilte, Opfer der Verfolgung zu werden. In einem kürzlich erschienenen Artikel von Msgr. Raffaele Farina steht zu lesen: „Die Organisation des Friedens war damals [im 4. Jahrhundert] nicht ein Überbau der internationalen Ordnung, wie uns das heute glaubhaft erscheinen mag [wie anachronistisch diese Reflexion von vor weniger als zwei Jahren doch klingt!], sondern Aufgabe und Sonderrecht jenes Universalstaates, des Römischen Weltreiches. Dem man wegen seines ethischen und religiösen Charakters das Schicksal der gesamten Menschheit anvertraut wähnte. [...] Daß das Reich nicht wirklich universal war, in dem Sinne, als es nicht konkret die gesamte bekannte Welt umfasste, war den damals lebenden Menschen klar. Es war aber doch auch gängig, das Reich als Wächter der Zivilisation und den Kaiser als Herrn und Gebieter aller Völker zu betrachten. Mit Konstantin gelangte man zur Bekräftigung der Theorie, nach der auch das Terrain der foederati zum Reich gehörte. Die Organisation der Welt wurde so mit der des Reiches identifiziert. Die Organisation einer pax romana, die einzige, die damals denkbar war, konnte so, nach und nach, das „System der Abkommen“ ersetzen, „das Rom in der vorhergehenden Epoche errichtet hatte und dessen Voraussetzung eher die Etablierung einer politischen Überlegenheit in Funktion einer nach außen gerichteten Aktion war als die später vorherrschende Sorge der Bewahrung des Friedens um jeden Preis“ (La concezione della pace nel IV secolo, in Chiesa e Impero. Da Augusto a Giustiniano, SS. 185-186).
Aber bereits am Beginn des 5. Jahrhunderts, unmittelbar nach der Proklamation des nicänischen Glaubens als verbindliche Norm für das Römische Reich, zeigt sich der kontingente Charakter dieser Anschauung und „pax romana und pax christiana sollten einander gegenübergestellt werden. Bewerkstelligen sollte das Leo der Große, nicht so sehr in Polemik mit dem Rom der Vergangenheit, sondern dem ‚neuen Rom‘, Konstantinopel“ (ebd., S. 195).
Leo der Große ist nicht der einsame eigenbrötlerische Held, als den ihn eine gewisse romantische und populistische Betrachtungsweise der Päpste gerne sieht – und was schließlich schon sein Name nahe legt –, sondern Ausdruck einer treuen Schule, in der ihn andere begleitet haben, ihm vorausgegangen oder nachgefolgt sind. Innozenz I., Leo der Große und Gelasius sind drei Männer, die die Steine der Freiheit der Kirche des Abendlandes aufgetürmt haben, [...] das theologische Genie des Augustinus hat die Steine zurechtgehauen (vgl. H. Rahner, Kirche und Staat im frühen Christentum). Ob sie nun Römer, Toskaner oder Afrikaner sind – was all diese Männer und viele andere im 5. Jahrhundert verbindet ist die Tatsache, daß sie zu dem Glauben und der Tradition Roms stehen (wozu auch das unlösbare Band mit der jüdischen Gemeinschaft wie auch der Respekt vor der römischen Rechtskultur und, paradoxerweise, die Schwächen vieler ihrer Bischöfe gehören). Dort holen sie die Steine, und dort haben sie zu unterscheiden gelernt zwischen dem Wirken der Natur und dem Wirken der Gnade, zwischen pax romana und pax christiana. Die Größe der Theologie des Augustinus besteht eben gerade im Kongruent–Sein mit diesen Steinen, darin, sich nicht auf die Suche nach dem Stein der Weisen begeben zu haben. Und gerade aus diesem Grund empfanden sie Innozenz I., Coelestin I., Leo und Gelasius als so natürlich und machten sie sich zueigen.
Doch darüber sprechen wir ein anderes Mal.








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