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KOSOVO
Aus Nr. 04 - 2003

Vier Jahre nach dem humanitären Krieg

Wachen über einen zerbrechlichen Frieden


Kfor-Kommandant General Fabio Mini bestätigt, daß die italienischen Soldaten auch weiterhin die serbisch-orthodoxen Klöster bewachen werden. Und beschreibt, welche Ziele die internationale peacekeeping-Mission erreichen konnte und welche nicht. In einem Gebiet, „wo die interethnischen Konflike nach wie vor eine Bedrohung darstellen.“ Interview.


von Gianni Valente


Kfor-Kommandant  General Fabio Mini bei einer Begegnung mit dem orthodoxen Bischof Artemije.

Kfor-Kommandant General Fabio Mini bei einer Begegnung mit dem orthodoxen Bischof Artemije.

Die Task Force Sauro wird in Decani bleiben. Das Militärkontingent italienischer Soldaten, das das antike serbisch-orthodoxe Kloster und die dort lebenden Mönche schützt, wird – im Gegensatz zu den Plänen einer Neu-Verteilung der seit Juni 1999 im Kosovo eingesetzten NATO-Friedenstruppen Kfor – nicht abgezogen werden. Nach dem in der Februar-Nummer von 30Tage erschienenen Dossier hat es vermehrte Stellungnahmen, Appelle, ja sogar parlamentarische Anfragen gegeben – wie die von Senator Giovanni Russo Spena – , in denen auf die Notwendigkeit hingewiesen wurde, weiterhin alles für den Schutz der antiken orthodoxen Kirchen im Kosovo zu tun, für die die albanischen Extremisten eine ständige Bedrohung darstellen. Am Sonntag, dem 2. März, räumte General Fabio Mini, der derzeitige Kfor-Kommandant, bei einem Besuch des Klosters von Decani jeden Zweifel aus. „Die Task Force Sauro wird unter meinem Mandat nicht abgezogen werden. Ich habe schon vor geraumer Zeit diesbezüglich präzise Anweisungen gegeben,“ gab er den Mönchen gegenüber zu verstehen.
Das offizielle Bulletin der orthodoxen Diözesen Raska und Prizren machte darauf aufmerksam, daß es dieser Entschlußkraft zu verdanken ist, wenn die in Decani stationierten italienischen Truppen nun doch nicht abgezogen werden– wie unter dem vorherigen Kfor-Kommandanten Marcel Valentin vorgesehen.
Ausgehend vom „Fall“ Decani wollte 30Tage General Fabio Mini zur Situation im Kosovo und zu den Resultaten der peacekeeping-Mission einige Fragen stellen. Der in Pesaro aufgewachsene General Mini wurde vor 60 Jahren im italienischen Manfredonia geboren, ist verheiratet und hat zwei Kinder. Sein beruflicher Werdegang kann sich sehen lassen. Er hatte das Kommando über die „Brigata Legnano“ bei der Operation „Vespri Siciliani“ gegen das organisierte Verbrechen in Sizilien. Von 1993 bis 1996 lebte er in China, wo er als Militärattaché der italienischen Botschaft in Peking tätig war. Im Jahr 2001 betreute er für den Verlag „Libreria Editrice Goriziana“ die italienische Ausgabe des Werkes der beiden chinesischen Obersten Qiao Liang und Wang Xiangsui Guerra senza limiti, jenes Handbuch über die Kunst des „asymmetrischen Krieges“, das für Militärstrategie-Interessierte nach den Attentaten vom 11. September sozusagen zum Kultbuch geworden ist.

General Mini, die jüngsten Attentate auf zwei orthodoxe Kirchen im Kosovo wurden im November verübt. Könnte dieses Schicksal auch die Klöster von Pec und Decani ereilen, wenn man die heiligen Stätten der serbischen Orthodoxie nicht mehr schützt?
FABIO MINI: Die Gefahr besteht. Die interethnischen Konflikte im Kosovo stellen nach wie vor eine Bedrohung dar. In diesem Sinne sind die beiden genannten Klöster ein leicht zu treffendes Ziel, gehören schon in Anbetracht ihres hohen künstlerischen Wertes zu den Stätten, die auch weiterhin bewacht werden müssen.
Kann man Ihrer Meinung nach heute, dreieinhalb Jahre nach Beginn Ihrer Mission, im Kosovo von einer Normalisierung sprechen?
MINI: Die derzeitige Situation ist vollkommen anders als die vor drei Jahren. Die Kfor hat es verstanden, im gesamten Kosovo die Sicherheit wiederherzustellen, die Menschen haben ihr normales Leben wiederaufgenommen. Das gilt natürlich am meisten für die Kosovaren albanischer Ethnie, für die die Kfor für Befreiung und die Hoffnung auf eine andere Zukunft steht. Was die Minderheiten angeht, garantiert die Kfor die Sicherheit der serbischen auch weiterhin durch direkten Schutz. Aber die Situation ist nach wie vor prekär.
Gibt es dennoch Programme einer allmählichen Demobilisation der internationalen Militärkräfte?
MINI: Im Bereich der NATO sprechen wir nicht von Demobilisation, was ein Ende des Einsatzes bedeutet, sondern von Rationalisierung – einen besseren, effizienteren Einsatz. Die Tätigkeit der Kfor erfolgt gemäß UNO-Resolution Nr. 1244, in der die Aufgaben und Merkmale der Mission der NATO-Truppen im Kosovo beschrieben sind. Die Anwesenheit der Kfor dient dazu, Sicherheit und Stabilität des Territoriums zu gewährleisten, ein Klima zu schaffen, das der Bevölkerung ein ruhiges, normales Leben ermöglicht. Angesichts der Verbesserung der Lage analysiert die NATO nun die Möglichkeit, ihre Präsenz auf dem Balkan zu überdenken, besonders in Bosnien und im Kosovo. Und zwar nach dem Kriterium der Kräfterationalisierung, aber stets unter Berücksichtigung der Notwendigkeit, bereits eingegangene Pflichten noch zu erfüllen. Und unter Berücksichtigung der neuen Bedrohungen, wie der des organisierten Verbrechens, der interethnischen Gewalt und der politischen Intoleranz, die auch innerhalb des albanischen Lagers herrscht. Instabilitätsfaktoren also, die Aufklärungs- und Verhütungsmaßnahmen erfordern, nicht nur Verbrechensbekämpfung. Die Kfor erfüllt im Kampf gegen das Verbrechen eine unterstützende und abschreckende Funktion. Darüber hinaus bemüht sie sich um die Verhütung und Niederschlagung der interethnischen und politischen Extremismen, die bei der Herausbildung bewaffneter Gruppen auftreten können. Aber die militärische Präsenz kann qualitativ und quantitativ modifiziert werden. Man trägt sich mit der Absicht, die Kfor-Truppen bis zum kommenden Sommer weiter zu reduzieren, wobei man beim Sektor „Unterstützung“ ansetzt, in dem wir darum bemüht sind, ein Höchstmaß an Synergie und Multinationalisierung zu erreichen. Weitere Reduzierungen – in diesem Sinne versteht sich – sind bis zum Ende dieses Jahres vorgesehen.
Birgt diese Reduzierung der militärischen Kontrollposten Ihrer Meinung nach kein Risiko?
MINI: Wir sind uns dessen bewußt, daß die Reduzierung der Militärkräfte und deren sichtbarer Präsenz ein gewisses Risiko birgt. Aber wir wissen auch, daß wir den zivilen Behörden mehr Verantwortung und Vertrauen schenken müssen – wie sollten sie sonst jemals lernen, unabhängig zu sein, legitimiert werden können? Gerade in diesem Sinne ist die Reduzierung der militärischen Präsenz und der Abhängigkeit der lokalen Regierungsorgane von der Kfor von grundlegender Bedeutung für den Wiederaufbau des Kosovo. Mit der Schaffung und dem Funktionieren der internationalen und lokalen zivilen Regierungsorgane zielen wir auch darauf ab, bei der Bevölkerung den Eindruck zu beseitigen, die Kfor fungiere als Besatzungsmacht.
Sie haben vor kurzem erklärt, daß die Priorität der internationalen Institutionen im Jahr 2003 die Rückkehr der Flüchtlinge in den Kosovo sei. Wie bereitet man sich darauf vor?
MINI: Es handelt sich dabei um ein komplexes, nur schwer umzusetzendes Programm der UNO. Aber auch um eines, das der Schaffung einer multiethnischen Gesellschaft förderlich ist – eine Voraussetzung also, die die internationale Gemeinschaft für unbedingt notwendig hält, wenn der Kosovo Teil von Europa werden will. Die Kfor wird dieses Programm unterstützen, soweit es in ihren Kräften steht, sich darum bemühen, ein sicheres Umfeld zu garantieren, in dem es den Flüchtlingen und Vertriebenen möglich ist, in aller Sicherheit in ihre Häuser zurückzukehren, wie es in genannter Resolution 1244 der UNO heißt. Die zu garantierende Sicherheit ist jedoch nicht nur militärischer Natur. Eine Rückkehr ist nur dann möglich, wenn auch die Bedingungen für ein Leben in Würde gegeben sind. Die Wirtschaft bietet derzeit keine guten Aussichten. Die Arbeitslosenrate liegt im Kosovo bei 60%, bei Serben und Zigeunern fast bei 100%. Die Stätten für die Rückkehr müssen nach dem Kriterium ausgewählt werden, ob dort auch die nötigen Voraussetzungen gegeben sind, also Arbeitsplätze, Schulen, die Möglichkeit der Ausdrucks- und Bewegungsfreiheit. Dinge, die im Moment noch fehlen. Die Flüchtlinge zurückkehren zu lassen, um sie dann in Ghettos einzusperren oder in von Wachposten umstellten Lagern, ist gegen deren Würde, aber auch gegen die derjeniger, die sie aufnehmen müßten. Was mir dabei am meisten Kopfzerbrechen bereitet, ist nicht der technisch-militärische Faktor des Schutzes für die Zurückgekehrten, sondern die Schwierigkeit klarzumachen, daß eine andere Mentalität vonnöten ist.
Italienische Soldaten des Battaillons San Marco halten vor der orthodoxen Kirche in Mitrovica Wache.

Italienische Soldaten des Battaillons San Marco halten vor der orthodoxen Kirche in Mitrovica Wache.

Bisher konnten kleine serbische Enklaven in einer Art „Belagerungszustand“ – unter ständigem Schutz – inmitten einer deutlichen albanischen Übermacht überleben. Ist es nicht unrealistischer Idealismus, zu meinen, man könnte ein multiethnisches Zusammenleben sozusagen „verordnen“?
MINI: Die Rückkehr der Flüchtlinge stellt – und daran gibt es nichts zu rütteln – eine Notwendigkeit dar. Es gibt kein Land in Europa, das das Prinzip des friedlichen Zusammenlebens zwischen verschiedenen ethnischen Gruppen nicht akzeptiert. Es ist natürlich klar, daß ein solcher Integrationsprozess gemäß der Prinzipien eines stufenweisen Vorgehens, im Rahmen des Möglichen, durchgeführt werden muß, was das Ganze langwierig und schwierig gestaltet. Der Gedanke, daß Integration Assimilierung bedeutet, muß entschieden ausgeräumt werden. Vor allem diejenigen, welche dank der internationalen Intervention gewonnen haben, müssen als erste ihre Bereitschaft zeigen, die Verschiedenheit zu tolerieren und alles und jeden zu akzeptieren, der zu diesem Land gehört. Das ist meiner Meinung nach eine Art Test für den Kosovo. Wenn Albaner, Serben, Zigeuner und die anderen diesen Test nicht bestehen, wird man nur schwer annehmen können, daß der Kosovo stabil genug und bereit ist für den Eintritt in Europa. Ein instabiler und intoleranter Kosovo ist – ganz gleich, welche Gründe es dafür gibt – ein Problem für den Balkan und das gesamte Europa.
Die orthodoxen Repräsentanten waren von der Nachricht einer Verringerung der militärischen Schutzmaßnahmen für die Kirchen alles andere als begeistert. Hat sich Ihre Beziehung inzwischen wieder gebessert?
MINI: Die Beziehungen zu den serbisch-orthodoxen Autoritäten sind bestens, wie übrigens auch die zu den anderen religiösen Gemeinschaften im Kosovo. Das Problem des Schutzes der religiösen Stätten liegt hier allen am Herzen. Der Mufti des Kosovo hat erst vor kurzem einen Bericht über 212 im Jahr 1998 zerstörte Moscheen herausgegeben – als Antwort auf den Bericht der Orthodoxen über die Zerstörung von 107 Kirchen im Jahr 1999. Das sind nicht die Resultate von Religionskriegen, sondern die eines interethnischen Hasses.
Nach meiner Ankunft habe ich den religiösen Oberhäuptern gegenüber zu verstehen gegeben, daß ich persönlich und die Kfor alles daran setzen werden, den Schutz der religiösen Stätten von historisch-künstlerischem Wert auch weiterhin zu gewährleisten. Ich habe ihnen aber auch erklärt, daß ich die bisher von meinen Vorgängern verfolgte Politik guthieß, nach der man dort, wo es die Umstände erlaubten, vom Schutz einzelner Gebäude zu einem „Gebietsschutz“ überging. Der Vorfall vom November betraf Kirchen, die bereits seit Monaten unter dem Schutz der lokalen Polizeikräfte standen, in Gebieten, wo die Kfor in einer Übergangsphase gelegentliche Patrouillen durchführte. Gebieten, in denen es aber lange Zeit keine großen Probleme gegeben hatte. Der Vorfall hat gezeigt, daß die Gefahr der Provokation und Instrumentalisierung besteht. Mit diesen Attentaten am Vorabend des Besuchs von Kofi Annan sollte wohl gezeigt werden, wie instabil der Kosovo ist – was der Entwicklung großen Schaden zugefügt und die serbische Gemeinschaft in Angst und Schrecken versetzt hat. Nach dem Bombenanschlag haben die serbischen religiösen Autoritäten ein früheres Komuniqué des Kommandos bzgl. der internationalen Bemühungen um den Schutz religiöser Stätten instrumentalisiert, in dem dýr direkte Schutz der Stätten von hohem künstlerischen Wert und derer, die der Kultausübung offen stehen garantiert wurde, sowie der allmähliche Übergang zu einem gebietsbezogenen Schutz für die verbliebenen. Diese Perspektive, die die religiösen Autoritäten seit Monaten kennen und über die sie sich nie beklagt haben, wurde im Kosovo verdreht und in Italien noch mehr aus dem Zusammenhang genommen. Ich habe mich um eine Begegnung mit Bischof Artemije bemüht und, trotz einiger „Kontraste“, die vor allem darauf zurückzuführen waren, daß der Bischof dieses Gespräch mit mir vor laufender Telekamera und den Mikrophonen eines serbischen Radiosenders hatte führen wollen, hat es zwischen uns keine Mißtöne gegeben. Dank dieser und anderer nachfolgender Begegnungen konnten der Bischof und seine Mitarbeiter unsere policy besser verstehen und auch mir wurden einige besondere Seiten der politischen Sensibilität klarer, die die religiösen Oberhäupter mehr berühren, als man meinen sollte. Der Reduzierung auf eine „archäologische Präsenz“ gilt im Bezug auf das Überleben der serbischen Kultur im Kosovo meine Hauptsorge. Wenn sich die Verhaltensweisen der Kosovo-Albaner nicht radikal ändern, wenn die Präsenz der Serben nicht endlich kulturell, intellektuell und spirituell akzeptiert wird, besteht tatsächlich die Gefahr, daß die Wiege der orthodoxen Spiritualität zu einem archäologischen Trümmerfeld wird. Der ethnische Faktor hat leider immer noch großes Gewicht, die orthodoxe Kirche wird eher als ethnisches Bollwerk denn als religiöser Pilaster betrachtet. Und das von beiden Seiten.



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