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NAHOST
Aus Nr. 09 - 2005

Persönlichkeiten. Wie der Nachfolger von Yassir Arafat zu Frieden, Dialog und Religion steht.

Und jetzt Palästina


Das erste Interview mit dem Vorsitzenden der Palästinensischen Autonomiebehörde, Mahmoud Abbas, nach dem israelischen Rückzug aus Gaza. Und eine Einladung an Papst Benedikt ...


von Giovanni Cubeddu


Der Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde, Mahmoud Abbas, bekannt als Abu Mazen.

Der Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde, Mahmoud Abbas, bekannt als Abu Mazen.

Die ganze Welt hofft auf einen wirklichen Fortschritt im Friedensprozess zwischen Ihrer Organisation und Israel. Welche Bedingungen müßten dafür gegeben sein? Was verlangen Sie, und zu welchen Zugeständnissen sind Sie im Namen des Friedens bereit? Haben Sie Vertrauen zu Ariel Scharon?
MAHMOUD ABBAS: Obwohl der israelische Rückzug aus dem Gazastreifen eine unilaterale israelische Entscheidung darstellt, und obwohl die israelische Regierung seit mehr als einem Jahr unsere Forderung nach einer bilateralen Koordinierung im Austausch gegen einen regulären Rückzug ablehnt, sind wir angesichts der derzeitigen Evakuierung der Siedler und der Besatzungstruppen dennoch zufrieden.
Damit dieser kleine Schritt ein Anfang für die Lösung des Konflikts sein kann, muß man weitermachen, darf die Siedlungspolitik in Westjordanland nicht weiterverfolgen, und genauso wenig die der „Hebraisierung“ Jerusalems oder den Bau eines Sicherheitszauns, der nach Rassen trennt.
Wir wollen, daß dieser Rückzug den Anfang der Umsetzung der Resolutionen internationaler Legalität der UNO bedeutet, vor allem der Road Map, die klar besagt, daß die seit 1967 anhaltende Besatzung aufhören muß und die damit zusammenhängenden Probleme – beispielsweise das der Flüchtlinge – gelöst werden müssen.
Das ist für die Erreichung des Friedens und die Gewährleistung der Sicherheit von größter Wichtigkeit. Und das habe ich auch bei meinen Begegnungen mit US-Präsident Bush und Ministerpräsident Scharon bekräftigt. Ich denke, daß Präsident Bush das verstanden hat – was seine Initiative und seine Ideen zur Zwei-Staaten-Lösung zeigen. Scharon dagegen beharrt weiter auf seinen Weigerungen, die wir schon in der Vergangenheit entschieden zurückgewiesen haben, als da wären: der Weigerung, von seinem Beharren auf der Schaffung großer Siedlungskomplexe auf dem Terrain von Westjordanland abzukommen; seiner Weigerung, über Jerusalem zu verhandeln; und schließlich seiner Weigerung, die Flüchtlinge zurückkehren zu lassen.
Was nun die Frage meines Vertrauens zu Scharon betrifft, möchte ich klarstellen, daß es sich nicht um eine persönliche Frage handelt, sondern um eine, die das Schicksal zweier Länder betrifft. Mit der Besatzung kann es keinen Frieden geben, und der Frieden erfordert, daß man den anderen anerkennt und respektiert.
Was ist Ihrer Meinung nach besser: die verschiedenen Etappen der Road Map zu verfolgen oder Verhandlungen über eine definitive Lösung zu führen?
ABBAS: Die Road Map zeigt uns den Ausgangs- und den Zielpunkt. Ihre Etappen stehen also nicht im Widerspruch zur definitiven Lösung, die die Grundlagen für einen dauerhaften Frieden schafft und der 1967 eingeleiteten Besatzung, die Westjordanland, Ost-Jerusalem und den Gazastreifen betrifft, endgültig ein Ende setzt.
Die Umsetzung der Road Map wurde von israelischer Seite behindert. Die Israelis haben von Anfang an mit den berühmten 14 Punkten Vorbehalte gegen die Road Map vorgebracht und dann die unilaterale Befreiung von Gaza beschlossen.
Sie waren jüngst in den Vereinigten Staaten, Kanada, Brasilien, Chile, Japan, China, Pakistan, Indien und anderen Ländern. Wie beurteilen Sie diese Besuche?
ABBAS: Der in unserer Region schwelende Konflikt spiegelt sich in der gesamten Welt wider, es besteht also ein internationales Interesse daran, wie er sich entwickelt. Es ist daher nur natürlich, wenn wir nicht nur unsere Beziehungen zu diesen Ländern, sondern auch zu anderen Ländern aufrechterhalten. Wir sind der Meinung, daß die internationale Gemeinschaft in Sachen Frieden in dieser Region durchaus eine Rolle spielt – das zeigen nicht zuletzt die vielen UNO-Resolutionen, die seit Beginn des Konflikts bis heute erarbeitet wurden. Die von mir besuchten Länder – wie auch andere, die ich in Zukunft besuchen werde – können geschlossen oder auch einzeln dazu beitragen, Palästinensern und Israelis bei der Lösung ihrer Probleme zu helfen.
Wie beurteilen Sie die Haltung der internationalen Gemeinschaft beim israelisch-palästinensischen Friedensprozess?
ABBAS: Die internationale Gemeinschaft verfolgt diesen Prozess mit großem Interesse, was für uns natürlich eine große Genugtuung ist. Ich persönlich hoffe jedoch, daß die Wirtschaftshilfen in Zukunft noch konsistenter werden. Die Arbeitslosigkeit hat bei uns bereits die 70%-Grenze erreicht. 50% der Bevölkerung leben am Rande des Existenzminimums. Auf politischer Ebene hoffen wir auf eine größere Beteiligung der internationalen Gemeinschaft, vor allem, was die Komponenten des „Quartetts“ betrifft.
Präsident Bush hat auf die Notwendigkeit der Schaffung eines palästinensischen Staates hingewiesen. Erscheint Ihnen diese Prämisse ausreichend?
ABBAS: Präsident Bush ist der erste amerikanische Präsident, der eine klare Initiative gezeigt hat, die die Schaffung eines palästinensischen Staates vorsieht. Das ist ein sehr wichtiger Schritt vorwärts. Und da wäre noch die Beteiligung der Amerikaner und ihre sichtbare Präsenz auf dem Terrain. Ich bin zuversichtlich, daß Präsident Bush und seine Administration nach der Befreiung Gazas auf die Umsetzung der Road Map und die Zwei-Staaten-Lösung drängen werden.
Die Europäische Union hat dem palästinensischen Volk bisher erhebliche Wirtschaftshilfen geleistet. Wünschen Sie sich eine größere politische Beteiligung Europas? Mit welchen Mitteln kann die Europäische Union einen Beitrag leisten?
ABBAS: Zunächst einmal möchte ich meine ehrliche Dankbarkeit für die zahlreichen Subventionen zum Ausdruck bringen, die die Europäische Union und ihre Mitgliedsländer zur Verfügung gestellt haben. Aufgrund der Zugehörigkeit zum „Quartett“ haben wir immer auf eine größere politische Rolle der EU gedrängt. Ich kann nur hoffen, daß es schon bald eine Angleichung der wirtschaftlichen und politischen Rolle der EU geben wird.
Ich bedaure es, daß Israel immer versucht, die politische Rolle Europas in dieser Frage zu schwächen, obwohl diese doch so wichtig ist, da sie an die Rolle Amerikas anschließen könnte, deren Zentralität alle anerkennen.
Manchmal wird auch ein Beitritt Palästinas und Israels zur Europäischen Union vorgeschlagen. Ist das Ihrer Meinung nach realistisch?
ABBAS: Europa hat inzwischen auch uns erreicht. Zypern ist Mitglied der Union, über den Beitritt der Türkei wird verhandelt, es gibt viele Abkommen zwischen arabischen Mittelmeerländern und Europa – ganz zu schweigen vom euromediterranen Partnership von Barcelona: all das zeigt uns, daß in naher Zukunft für uns und Israel die Möglichkeit besteht, bessere Grundlagen für die Beziehungen zur EU zu schaffen. Was bedeutet, daß es – wenn es schon zu keiner vollen Mitgliedschaft kommt – doch zumindest privilegierte und besondere Beziehungen geben wird.
Wie sieht es mit den Hilfen aus arabischen Ländern aus?
ABBAS: Die arabische Welt bietet unserem Land die verschiedensten Hilfen an: Wirtschaftshilfen, Arbeitsmöglichkeiten für Zehntausende von Palästinensern; Unterstützung und politische Solidarität. Ich bin daher froh, sagen zu können, daß unsere Beziehungen zu den arabischen Staaten gut sind.
Nachdem Yassir Arafat Jahrzehnte lang die Sache Ihres Volkes symbolisierte, haben nun Sie das Leadership übernommen. In welcher Situation befindet sich die PNA nach Arafat?
ABBAS: Die PNA führt den Kampf des palästinensischen Volkes weiter fort, sieht die palästinensische Sache als Anliegen eines Volkes, das ein Recht auf Selbstbestimmung hat, und nicht als das einfache Anliegen von Flüchtlingen. Man muß sagen, daß der große Leader Yassir Arafat durch die Schaffung repräsentativer Einrichtungen des palästinensischen Volkes die Grundlagen für die Demokratie gelegt hat. Einrichtungen, die nach seinem Tod, nach den Wahlen, den friedlichen Übergang der Macht ermöglicht haben. So konnte ich zum Präsidenten der PLO und der PNA gewählt werden.
Ich kann sagen, daß die PNA ein festes Fundament hat: wir haben den 25. Januar 2006 als Stichtag für Parlamentswahlen festgelegt, um den Parlamentsrat zu erneuern. Alle palästinensischen Faktionen werden zum ersten Mal an diesen Wahlen teilnehmen; so wird, mit demokratischen Methoden, die Exekutive entstehen, also der palästinensische Ministerrat.
Momentaufnahmen des Rückzugs der Israelis aus den Siedlungen im Gazastreifen (13.-23. August 2005).

Momentaufnahmen des Rückzugs der Israelis aus den Siedlungen im Gazastreifen (13.-23. August 2005).

Wie wollen Sie starke Gruppen wie die Hamas davon überzeugen, sich am Bau des palästinensischen Staates zu beteiligen?
ABBAS: Zunächst einmal durch den Dialog, der bereits konkrete Resultate erbracht hat, wie das Abkommen, das mit allen palästinensischen Organisationen hinsichtlich ihrer Verpflichtung getroffen werden konnte, während der Evakuierung der Siedlungen im Gazastreifen die Waffen ruhen zu lassen. Hier wurde tatsächlich auch nach der kaltblütigen Ermordung palästinensischer Bürger durch die Hand jüdischer Terroristen Wort gehalten. Dank der Ausübung der Demokratie wird das Volk sicher demjenigen seine Stimme geben, der seiner Meinung nach das Land aufbauen und entwickeln will; es wird seine Stimme demjenigen geben, der seine Zukunft auf der Grundlage der Rationalität und Mäßigung plant. Das ist ein ausschlaggebender Faktor für eine jede Organisation oder Aktion.
Wie weit konnte der Fundamentalismus ins Innere der palästinensischen Gesellschaft vordringen? Wie kann man dieses Phänomen eindämmen?
ABBAS: Unser Volk mit seinen christlichen und muslimischen Bürgern ist ein religiöses Volk mit einem gewissen Kriterium und einer gewissen Mäßigung. Geschichtlich gesehen ist Palästina das Vaterland, in dem Juden, Christen und Muslime gemeinsam gelebt haben und in dem ein jeder von ihnen seinen Glauben frei gelebt hat. Wenn es unlängst zu Formen religiösen Extremismus’ gekommen ist, dann gibt es dafür verschiedene Gründe: die Reaktion auf bestimmte politische Momente und Handlungen; ein Gefühl von Frustration und Verzweiflung. Daher kann ich nur bekräftigen, daß dann, wenn es eine Hoffnung gibt, oder besser: wenn der palästinensische Bürger in den vollen Genuß seiner Freiheit kommt, also seine Lebensbedingungen verbessern kann, in unserer Gesellschaft für Extremismus kein Platz mehr sein wird.
Wir wollen mehr Europa <BR> Aufgrund der Zugehörigkeit zum „Quartett“ haben wir immer auf eine größere politische Rolle der EU gedrängt. Ich kann nur hoffen, daß es schon bald eine Angleichung der wirtschaftlichen und politischen Rolle der EU geben wird.
An welchem Punkt sind Sie mit der Vereinheitlichung der Sicherheitsapparate angelangt?
ABBAS: Wir haben große Fortschritte gemacht. Unsere Sicherheitskräfte benötigen aber noch mehr Waffen und eine bessere Ausbildung. Das wichtigste ist aber, daß wir alle von Israel den Polizeikräften auferlegten Einschränkungen beseitigen müssen, damit diese ihre Pflicht erfüllen können.
Was halten Sie von der Theorie des Exports der Demokratie in die arabische Welt?
ABBAS: Das sind Theorien, die auf den Holzweg führen. Die Demokratie ist keine Ware, die man feilhalten kann, sondern eine Regierungsmethode, eine richtiggehende Kultur. Jede Demokratie ist an die Charakteristiken einer Gesellschaft gebunden. Anstatt von Export der Demokratie in die arabische Welt zu sprechen, sollte man diesen Ländern vielmehr beim Bau der bürgerlichen Gesellschaft und der Regierungseinrichtungen helfen. Man könnte eine größere Volksbeteiligung an den Wahlen fördern und man müsste damit aufhören, von außen Einfluß nehmen zu wollen, weil das dann, wenn sich ein arabisches Land für diese Erfahrung als noch nicht reif erweisen sollte, zum Chaos führen würde.
Syrien hat sich aus dem Libanon zurückgezogen. Welche Auswirkungen hätte eine eventuelle Instabilität im Libanon auf Ihren Dialog mit Israel? Und was wird mit den palästinensischen Flüchtlingen im Libanon geschehen?
ABBAS: Ich kann nur hoffen, daß es im Libanon Stabilität geben wird und daß unsere Brüder und Schwestern in Syrien wie auch im Libanon im Interesse der beiden Länder gute Beziehungen zueinander aufbauen. Was nun unseren Dialog mit Israel betrifft, hängt alles vom Ende der Besatzung und der Umsetzung des Friedens ab. Dasselbe gilt auch für Syrien, wo Israel auch weiterhin das Territorium der Golanhöhen wie auch die Shebaa-Farmen im Libanon besetzt. Wir sind drei Parteien, die ein und dieselbe Sache verfolgen, wenn unsere Meinungen in verschiedenen Punkten auch auseinandergehen mögen.
Was nun die palästinensischen Flüchtlinge im Libanon angeht, muß man anfügen, daß ihre Präsenz in diesem Land nur solange dauern wird, bis sie wieder in ihre Heimat zurückkehren können. In der Zwischenzeit müssen sie jedoch in den Genuß ihrer Bürgerrechte kommen, vor allem dem Recht auf Wohnung. Die libanesische Regierung hat vor kurzem damit begonnen, einige Arbeitsbeschränkungen für Palästinenser aufzuheben, und dafür bin ich dankbar.
Glauben Sie, daß es – nach dem Irak – nun in der Frage des Atomprogramms zum Konflikt mit dem Iran kommen kann?
ABBAS: Ich glaube nicht, daß es zum Konflikt kommen wird. Die Resultate, die wir im Irak sehen, zeigen uns, daß Kriege und Auseinandersetzungen die Probleme nur verschärfen, anstatt sie zu lösen. Ich bin zuversichtlich, daß die Bemühungen Europas dazu angetan sind, diese Krise zu überwinden und daß man das Problem lösen können wird.
Für die sharia ist Palästina das Heilige Land – wie Arafat so gerne betonte, manchmal auch auf Italienisch und Lateinisch. Welche Rolle spielt die Religion Ihrer Meinung nach in der Nahost-Politik? Und was halten Sie von einem auf den Frieden abzielenden interreligiösen Dialog?
ABBAS: Das Heilige Land gehört den drei monotheistischen Religionen. Das ist eine Wahrheit, die von einem jeden vernünftigen Muslim, Christen und Juden geteilt werden muß. Das Problem ist meiner bescheidenen Meinung nach nicht die Religion an sich, weil der Glaube eine Frage ist, die den Menschen und den Schöpfer betrifft. Der Gläubige ist jener, der an den nach dem Ebenbild des Schöpfers geschaffenen Menschen glaubt. Wer Gott liebt, liebt auch seine Mitmenschen, die seine Brüder und Schwestern sind. Das Problem ist ein anderes: die Politisierung der Religion und die Instrumentalisierung des Glaubens zu politischen und manchmal auch rassistischen Zwecken – dann nämlich, wenn man dem anderen seine Rechte verweigert. Das Problem ist die Monopolisierung Gottes für die eigene Sache und die Mobilmachung der Leute durch diese gefährlichen Konzepte.
Ich bin ein gläubiger Muslim, mein wahrer Glaube ist der an alle Propheten, ich glaube an die anderen beiden Religionen, die jüdische und die christliche, und ich befürworte den Dialog zwischen den Religionen als Werkzeug, mit dem man gemeinsame Elemente finden kann, die zur Entwicklung dieses Dialogs beitragen, wie es schon der verstorbene Papst Johannes Paul II. wollte, der sich stets für die Eintracht unter den Kindern Abrahams eingesetzt hat.
Mahmoud Abbas mit George Bush und Ariel Scharon beim Gipfeltreffen von Aqaba, Jordanien, am 4. Juni 2003. Rechts

Mahmoud Abbas mit George Bush und Ariel Scharon beim Gipfeltreffen von Aqaba, Jordanien, am 4. Juni 2003. Rechts

Johannes Paul II. hat sich für eine Vermeidung des Zusammenpralls der Zivilisationen eingesetzt. Benedikt XVI. hat erklärt, daß sich die katholische Kirche auch weiterhin für die Verbesserung der Freundschaft mit den anderen Religionen einsetzen wird. Welche Werkzeuge können diesen Dialog Früchte tragen lassen? Was halten Sie von der Emigration der Christen aus dem Heiligen Land, ein­schließlich Palästina?
ABBAS: Mehr Dialog, Türen öffnen, die noch verschlossen sind. Ich bin der Meinung, daß Papst Johannes Paul II. hierin ein Vorbild sein kann, mit seinen Reisen in die ganze Welt, beispielsweise seinem denkwürdigen Besuch in Palästina. Er hat allen Religionen Gehör geschenkt, mit den Leaders und den Völkern dialogiert. Nicht zuletzt deshalb waren bei seinem Begräbnis auch fast alle Mächtigen dieser Welt anwesend und haben damit ihre Anerkennung für das zum Ausdruck gebracht, was dieser große Papst bewirkt hat. Es war die Beerdigung des Jahrhunderts, im wahrsten Sinne des Wortes. Dieser große Papst war ein mutiger Verteidiger der Rechte unseres palästinensischen Volkes; mit unserem verstorbenen Präsidenten Yassir Arafat verband ihn eine besondere und tiefe Freundschaft.
Dieses große Erbe ist nun auf den Heiligen Vater Benedikt XVI. übergegangen, der nach seiner Wahl versprochen hat, diesen Kurs weiterzuverfolgen. Ich kann nur hoffen, daß die Sache unseres Volkes im Mittelpunkt der Interessen des neuen Papstes steht, und damit wären wir bei dem zweiten Punkt angelangt, der uns am Herzen liegt. In Wahrheit hat das Leid unseres Volkes, die Belagerung, die es in den verschiedenen Dörfern und Städten – einschließlich Bethlehem – über sich ergehen lassen muß, zur Massenemigration unserer christlichen Brüder geführt. Eine Gefahr, auf deren Folgen der Hl. Stuhl schon mehrfach aufmerksam gemacht hat, weil man riskiert, daß die christlichen heiligen Stätten zu bloßen archäologischen Stätten ohne Gläubige, ohne Gebete, degradiert werden. Nach den Osloer Abkommen von 1993 sind viele christliche Brüder definitiv nach Palästina zurückgekehrt, nach der zweiten Intifada mit ihren Belagerungen, den von den Israelis begangenen Brandstiftungen, der ständigen Konfiszierung der palästinensischen Territorien und dem noch immer voranschreitenden Mauerbau, wovon die heilige Stadt Bethlehem erheblich in Mitleidenschaft gezogen wird, sahen sich viele Christen jedoch gezwungen, ihre Häuser zu verlassen.
Gibt es irgendeine besondere Bitte, die Sie gerne an Benedikt XVI. richten würden?
ABBAS: Ich bitte ihn, alles spirituelle und moralische Gewicht der katholischen Kirche dafür einzusetzen, dem Leid des palästinensischen Volkes ein Ende zu setzen und ihm sein legitimes Recht zu garantieren, einen unabhängigen Staat mit Ostjerusalem als Hauptstadt zu schaffen. Und schließlich möchte ich durch Ihre Zeitschrift meinen Appell an den Heiligen Vater, Benedikt XVI., wiederholen, den ich einlade, das palästinensische Volk in Palästina zu besuchen.
Was ist der größte Fehler, den die PNA nach Oslo begangen hat? Und welches ist der größte, den sich Israel zuschulden kommen ließ?
ABBAS: Der schlimmste Fehler unsererseits war es, trotz aller Schwierigkeiten nicht die Institutionen errichtet zu haben, die für ein Voranschreiten notwendig gewesen wären. Der größte Fehler Israels war es, mit der Ausweitung des Siedlungsprogramms weiterzumachen, ohne die Fristen zu beachten, die zwischen den beiden Parteien beschlossen worden waren.
Sind Sie heute optimistisch oder pessimistisch? Und warum?
ABBAS: Ich bin optimistisch: immerhin hat schon das Ende der Besatzung und der israelischen Siedlungen begonnen. Ich bin optimistisch, weil Condoleeza Rice und andere Persönlichkeiten von der Notwendigkeit sprechen, nicht bei Gaza aufzuhören, sondern mit dem Rückzug aus Westjordanland weiterzumachen. Ich bin optimistisch aufgrund der vielen Versprechen und Wirtschaftshilfen, die wir aus verschiedenen Staaten erhalten haben. Und schließlich bin ich auch sehr optimistisch, weil die öffentliche Meinung zum Großteil den Rückzug aus Gaza befürwortet hat. Ich hoffe, daß schon bald alle Formen von Gewalt ein Ende haben werden und die Zahl der Befürworter sowohl auf palästinensischer als auch auf israelischer Seite wachsen kann.


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