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SÜDOSTASIEN
Aus Nr. 09 - 2005

DIE MISSIONARE UND DER TSUNAMI. Wohltätigkeitswerke in Sri Lanka und Thailand.

Vor und nach der Flutwelle


Die Missionare der Salesianer und Jesuiten sind seit vielen Jahren in den vom großen Seebeben des vergangenen Dezember heimgesuchten Regionen tätig. Wo sie der Bevölkerung geholfen haben, zur Normalität zurückzukehren. Vor allem mit konkreten Projekten, dank derer die Überlebenden wieder ein Dach über dem Kopf und eine Arbeit haben.


von Davide Malacaria und Paolo Mattei


Zwei Aufnahmen von den Zerstörungen, die die Tsunami-Katastrophe im vergangenen Dezember in Sri Lanka anrichtete.

Zwei Aufnahmen von den Zerstörungen, die die Tsunami-Katastrophe im vergangenen Dezember in Sri Lanka anrichtete.

Monate sind inzwischen vergangen. Die Welt schien damals stillzustehen, konnte nur mit ungläubigen Augen die verheerenden Zerstörungen betrachten, die die Tod bringende Flutwelle angerichtet hatte. Diese Mauer von Wasser, die erbarmungslos Häuser und Menschen unter sich begrub. Es war der 26. Dezember. Der Tag nach Weihnachten. Tagelang flimmerten Bilder von Tod und Zerstörung über die Bildschirme der ganzen Welt. Und zeigten auch den Schmerz und die Verzweiflung der Überlebenden. Und damals wurde die Welt noch von einer anderen großen, anormalen Welle überflutet – der der Solidarität, die es in wenigen Monaten ermöglichte, großzügige Fonds für die Opfer zu sammeln und ein Hilfsprojekt auf die Beine zu stellen, das seinesgleichen sucht. Und dennoch: wie alle Dinge dieser Welt gehört auch diese Katastrophe der Vergangenheit an und wird schon bald in den Schubladen so vieler kollektiver Erinnerungen verschwunden sein. Was bleibt, sind die Trümmer und die Überlebenden, denen die Flutwelle alles genommen hat. Und einige der Nichtregierungsorganisationen, die versuchen, diesen Herrgottswinkel irgendwie wieder der Normalität zuzuführen. Eine immense Arbeit, um die sich besonders die Missionare verdient machen, die in den betroffenen Regionen (Indien, Sri Lanka, Indonesien, Thailand, Myanmar) tätig sind.

Missionare zwischen Bürokratie und Trümmern
„Am Anfang kamen viele NGOs hierher, um zu helfen. Inzwischen sind nur noch wenige übrig geblieben. Damals versuchten die ein oder anderen, unsere Arbeit herunterzuspielen und sagten, die Salesianer würden weniger als andere, viel zu wenig, tun. In Wahrheit hatten wir beschlossen, das von uns gesammelte Geld nicht auszugeben, sondern in Hilfsprojekte zu investieren. Und die Früchte dieser Arbeit kann man jetzt auch sehen.“
Die Arbeit, die die Söhne Don Boscos in den vom Seebeben Tsunami heimgesuchten Regionen verrichten, wird uns von Pater Francis Alencherry beschrieben, Berater für die Salesianer-Missionen auf der Welt. Für Pater Alencherry gehört die Flutwelle keineswegs der Vergangenheit an: Er ist Inder, und das Seebeben hat auch breite Landstriche seiner Heimat verwüstet, die Region Tamil Nadu, Tausende von Menschen das Leben gekostet. „Wir haben Häuser und Dörfer wieder aufgebaut, die Leute mit Fischerbooten und Netzen versorgt, damit sie ihre Arbeit wieder aufnehmen konnten, was uns aber besonders am Herzen liegt, ist die Sorge um die Kinder, besonders jene, die bei dieser Tragödie ihre Eltern verloren haben. Es handelt sich um Hilfsprogramme, die 10/12 Jahre dauern, also um eine sehr engagierte, langwierige Arbeit. Eine Arbeit, die alle Missionare miteinbezieht, die in den jeweiligen Ländern arbeiten, nicht nur den direkt betroffenen Regionen. Um all diese Kinder unterbringen zu können, mußten wir entsprechende Strukturen bauen und die bereits bestehenden erweitern.“
Die Salesianer haben in den Tsunami-betroffenen Regionen 70 Projekte ins Leben gerufen, in mehr als 70 Städten. Antonio Raimondi ist der Präsident des internationalen Freiwilligen-Hilfsprogramms VIS und koordiniert, von den römischen Kallixtus-Katakomben aus, die Programme der sieben, von den Salesianern inspirierten NGOs, die den Opfern der Katastrophe unter die Arme greifen wollen. Er berichtet von Fischernetzen, Booten und Häuserbauprojekten, kann auch mit Daten aufwarten: in die verschiedenen Projekte wurde bisher eine Summe von 600.000 Euro investiert. Er hofft, bis Ende des Jahres bei einer Summe von 9 Millionen Euro angelangt zu sein – eine enorme Summe, die aus Spenden von so vielen Menschen guten Willens stammt. „Wir haben keine provisorischen Unterkünfte errichtet, sondern lieber gleich richtige Häuser gebaut. Darin haben wir uns von anderen Hilfsprogrammen unterschieden. In Negombo steht der Bau von 13 vierstöckigen Häusern kurz vor dem Abschluß. Häusern mit 204 Wohnungen. Man kann also sagen, daß wir ein ganzes Dorf wieder aufbauen. Um die dortigen Jugendlichen zu beschäftigen, haben wir sie in den Häuserbau miteinbezogen. Sie besaßen bereits die ein oder andere Gerätschaft zur Herstellung von Ziegeln, den Rest haben wir dazugekauft, ihnen die für den Häuserbau notwendigen Ziegel dann abgekauft. Ganz besonders möchte ich aber auf die Projekte verweisen, die auf die Tsunami-Waisen ausgerichtet sind: die Aufnahmezentren, die wir überall bauen, darunter auch die 10 Familien-Häuser, die wir in Bangsak, Thailand, errichtet haben. In einem jeden davon findet etwa ein Dutzend Kinder Aufnahme und wird von Erziehern betreut.“ Er berichtet, daß die Häuser die Form von Drachen haben werden: Drachensteigen ist hier nämlich ein beliebter Zeitvertreib der Kinder. Aus seiner Stimme klingt kein Pietismus heraus. Ernst und sachlich berichtet er von den vielen Projekten und einem Leben, das auch dank dieser Projekte wieder aufblühen kann. Es freut ihn zu hören, daß sich viele Politiker und Staatsbeamte, darunter auch so radikale wie Emma Bonino, lobend über die Arbeit der Salesianer geäußert haben. Noch größer ist seine Befriedigung aber, als wir ihm berichten, daß die italienische Gesellschaft SIM, die im Namen des italienischen Katastrophenschutzes mit der Überprüfung des Werkes der Salesianer betraut ist, einen überaus positiven Bericht abgegeben hat.
Und doch ist es nicht einfach, in diesen entlegenen Ländern zu arbeiten. Unsere Interviewpartner berichten einhellig, mit einer erstickenden Bürokratie zu kämpfen zu haben. Darüber hinaus wurde in den betroffenen Staaten ein Gesetz herausgegeben, das es verbietet, näher als 100m vom Meer entfernt zu bauen. „Eine Vorsichtsmaßnahme, die man aus Gründen der Sicherheit ergriffen hat,“ kommentiert Pater Alencherry. „Die es aber auch leider unmöglich macht, beschädigte Häuser wieder aufzubauen. Die Gebiete, die sich im ausreichenden Sicherheitsabstand befinden, sind zum Großteil Privatbesitz, und die jeweiligen Regierungen tun nichts, um sie zu enteignen. Und damit wissen wir nicht, wo wir bauen sollen. Wo es uns gelungen ist, etwas zu tun, war das dank der dortigen Behörden möglich, die uns die Genehmigung dazu gegeben haben. Aber auch dort hatten wir mit verschiedenen bürokratischen Problemen zu kämpfen. In Thailand hat uns die Regierung anfangs nicht erlaubt, tätig zu werden: der König hatte erklärt, alle Kinder, die Waisen geworden haben, unter seinen Schutz nehmen zu wollen und daß sich der Staat um alles kümmern würde. Dann jedoch, mit der Zeit, war man bereit, unsere Hilfe anzunehmen, und das auch dank des Werkes, das einer unserer Mitbrüder, Joseph Prathan Sridarunsil, ins Leben gerufen hat, der seit 2004 Bischof von Surat Thani ist.“
Silvia Parodi, die die Arbeit der italienischen Jesuiten für die Entwicklung Sri Lankas koordiniert, berichtet von freiwilligen Helfern, die stundenlang Schlange stehen müssen, um ihr Touristenvisum zu verlängern. Ein Ärgernis, das – wie sie meint – durch ein Abkommen zwischen dem italienischen Staat und den betroffenen Staaten gelöst werden könnte. Der erste Jesuit, der auf die Insel kam, war Franz Xaver. Man schrieb das Jahr 1544; die ständige Präsenz der Jesuiten auf der Insel geht allerdings auf das Jahr 1893 zurück. Nach dem Seebeben haben die Jesuiten sofort verschiedene Projekte ins Leben gerufen, die von dem Wiederaufbau von Ein- und Mehrfamilienhäusern bis zur Wiederankurbelung der Fischereiaktivitäten und anderer kleinerer Erwerbszweige gingen; von Finanzhilfen durch die Bereitstellung von Mikrokrediten für das Bildungswesen, einschließlich Stipendien und anderer Hilfsprogramme für Kinder und Jugendliche. Er berichtet vom Häuserbauprogramm, bei dem nicht selten ganze Familien mithelfen. „Von den Kleinsten bis hin zum Großvater machen sich auf unseren Baustellen alle nützlich,“ berichtet er. „Sie helfen beim Transport des Materials oder bei Aufräumarbeiten. Unser Partner vor Ort ist der JTRR [Jesuit Tsunami Relief & Rehabilitation], ein Organismus, den die Jesuiten Sri Lankas unmittelbar nach dem Seebeben ins Leben gerufen haben, um der Bevölkerung unter die Arme zu greifen. Der JTRR hat sich seit dem 26. Dezember in den Häusern der Jesuiten um Tausende von Menschen gekümmert, Essen, Kleidung und Arzneimittel ausgegeben. Neben den MAGIS- Projekten ist der JTRR aber auch mit zahlreichen anderen Initiativen befaßt. Wichtig ist hierbei auch das Werk des JRS [Jesuit Refugee Service], jenes internationalen Organismus der Gesellschaft Jesu, der sich mit Obdachlosen und Notsituationen befaßt.“ Um das Dekret zu umgehen, das den Bau von Häusern in unmittelbarer Strandnähe verbietet, haben die von den Jesuiten geleiteten NGOs – wie uns Frau Parodi berichtet – im Bezirk Galle, im Süden des Landes, im Landesinnern mit dem Wiederaufbau begonnen, auf Privatgelände, nicht sehr intensiv, in einer Art „Patchwork-System“. Kein leichtes Unterfangen, aber eines, das bereits gute Resultate gebracht hat.
Die Tsunami-Katastrophe  in Sri Lanka anrichtete.

Die Tsunami-Katastrophe in Sri Lanka anrichtete.


Ein Tropfen
auf dem heissen Stein
Die Salesianer sind seit 50 Jahren in Sri Lanka tätig. Don Gabriele Garnica lebt seit 23 Jahren in Negombo und ist der Ökonom der Salesianer auf dieser Insel. Er berichtet von den vielen, kleinen und großen, Gesten der Nächstenliebe, von denen ihre Arbeit in den vergangenen Monaten begleitet war: von der Hilfe beim Wiederaufbau der Häuser bis hin zur Ausgabe von Fahrrädern und Motoren für die Fischerboote. Mit unverhohlener Ironie berichtet er uns am anderen Ende der Telefonleitung von den bizarren Streichen der Bürokratie, die die Ausgabe von Motoren mit 25 PS nur in der von der Regierung kontrollierten Region erlaubt; den Tamilen dürfen nur Motoren mit höchstens 12 PS gegeben werden.
Ja, die Tamilen. Seit 25 Jahren wird Sri Lanka von einem blutigen Bürgerkrieg heimgesucht, bei dem sich die Regierung, getragen von der die Mehrheit ausmachenden Ethnie der Singhalesen, und die Tamilen der Untergrundorganisation LTTE (Liberation Tiger of Tamil Eelam) gegenüberstehen. Eine Spaltung, die man auch als religiöse Spaltung bezeichnen kann, da die Singhalesen zum Großteil Buddhisten, die Tamilen dagegen Hindus sind.
Don Gabriele berichtet von einem Konflikt, der im Jahr 1983 begonnen hat, mit dem Aufstand der Tamilen infolge der vielen Ungerechtigkeiten, die sie erdulden hatten müssen. Seit 2002 besteht zwischen den beiden Parteien eine Art prekäre Waffenruhe, vielleicht ein erster Schritt in Richtung eines Friedensprozesses, der nicht so recht in Gang kommen will. Bisher sind jedenfalls 64.000 Tote zu beklagen. „Der Insel ging es früher sehr gut,“ berichtet Don Gabriele. „Heute dagegen ist sie vom Import abhängig. Dazu kommt noch, daß uns der Krieg Millionen von Landminen beschert hat, von denen man nicht genau weiß, wo sie sich befinden, weil es keine Lagepläne gibt. Was die Bewegungsfreiheit und die landwirtschaftliche Aktivität natürlich erheblich behindert. Und jetzt auch noch das Seebeben! Der Tropfen, der das Faß zum Überlaufen bringt...“ Dann fährt er mit einem resignierten Seufzer fort: „Die Menschen, die ihre Häuser verloren haben, leben in provisorischen Unterkünften aus Blech oder anderen nicht sehr widerstandsfähigen Materialien. Und das ausgerechnet jetzt, wo bald der Monsun kommt...“ Er berichtet von den vielen Wohltätigkeitswerken, die die Salesianer in den vergangenen Jahren ins Leben rufen konnten. Wie beispielsweise den vielen Schulen. An der Schule von Negombo werden beispielsweise 450 Schüler unterrichtet, Hunderte von anderen an den anderen Schulen. Er erzählt uns, daß sich die Salesianer in den von den Tamilen kontrollierten Gebieten niederlassen wollen, wo sie ohnehin schon tätig sind. Er erzählt uns die traurige Geschichte eines Dorfes in einer von den Tamilen kontrollierten Zone, das von der Flutwelle regelrecht hinweggespült wurde – mehr als 900 Tote – und von den vielen, die dank einer providentiellen „Verspätung“ verschont worden waren: an jenem 26. Dezember hatten sie die Messe besucht, in einer außerhalb des Dorfes gelegenen Kirche. Und der Gottesdienst, der später als vorgesehen begonnen hatte, hatte die Menschen von ihren Häusern ferngehalten. Die Christen, religiöse Minderheit in Sri Lanka, leben inmitten der Tamilen und Singhalesen.
Natürlich ist die Hilfe, die die Missionare geben können – wie Don Alencherry meint – im Vergleich zu dem, was noch zu tun ist, nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Wenig zwar, aber deswegen doch keineswegs zu unterschätzen. Don Alencherry berichtet von seinem letzten Besuch bei der Salesianer-Mission in Sri Lanka, in Elipitya. Man hatte dort gerade erst Boote verteilt, als eine Italienerin auf ihn zukam und ihn nach Pater Anthony Humer Pinto fragte, dem Oberen der dortigen Salesianer-Mission. Auf den Namen von Don Pinto war sie im Internet gestoßen, wo er als jemand beschrieben wird, der viel für die Opfer der Tsunami-Katastrophe getan hat, ja, sich sogar internationale Anerkennung verdient hatte. Sie wollte ihn kennenlernen, und erzählte Don Alencherry bei dieser Gelegenheit auch ihre eigene Geschichte: sie hatte sich zur Zeit des Seebebens in der betroffenen Zone befunden und bei ihrer Rückkehr in die Heimat Fonds gesammelt, um Kindern helfen zu können, die in einem staatlichen Waisenhaus untergebracht worden waren. Sie kam dann wieder ins Land, um sich davon zu überzeugen, daß das Geld auch wirklich seinem eigentlichen Zweck zugeführt worden war. Das war es... aber die Kinder in diesem Waisenhaus... es war, als würde irgendetwas fehlen. Da kam ihr der Gedanke, sich an Don Pinto zu wenden: sie wollte wissen, was die Salesianer taten. So kam es, daß Don Alencherry die Dame einlud, ihn in eines der Waisenhäuser in der Nähe zu begleiten. Es war nicht sehr viel anders als das, das sie bereits gesehen hatte. Und dennoch... „Sie war sehr zufrieden. Sie meinte, man könne sehen, daß die Kinder ihre Würde nicht verloren hätten...“. Don Alencherry muß lächeln, als er diese Geschichte erzählt. Und mehr muß er dazu auch nicht sagen. Für sie, die Missionare, ist es normal, unter diesen Unglücklichen zu leben. Die gab es auch schon vor dem Seebeben. So sind sie einfach hiergeblieben und haben das getan, was sie immer getan haben. Ohne irgendwelche Hintergedanken. Wie Silvia Parodi meint: „Der Großteil der dank des MAGIS-Projekts gebauten Häuser ist für Muslime! Meiner Meinung nach eine sehr schöne Sache, vor allem in einer historisch so komplizierten Periode wie der unsrigen.“


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