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BISCHOFSSYNODE
Aus Nr. 10 - 2005

Der Zölibat? Er ist der afrikanischen Kultur nicht fremd


In unserer traditionellen Religion gibt es ohnehin schon unverheiratete Priester, und auch die verheirateten dürfen – wenn sie ihre Riten feiern müssen – drei Tage lang keinen Geschlechtsverkehr haben. Zu sagen, daß der Zölibat etwas für die afrikanische Mentalität Unverständliches ist, ist also eine Unwahrheit.


Interview mit Kardinal Peter Kodwo Appiah Turkson von G. Cardinale


Kardinal Peter Kodwo Appiah Turkson war der einzige Kardinal und Titularbischof einer afrikanischen Diözese, der an der Bischofssynode über die Eucharistie teilnahm. Kardinal Turkson, Erzbischof von Cape Coast in Ghana seit 1992, der während der Synode seinen 57. Geburtstag feiern konnte, ist eines der jüngsten Mitglieder des Kardinalskollegiums. Beim letzten Konsistorium von 2003 wurde er zum Kardinal kreiert; er ist Mitglied der Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung, des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen und der Päpstlichen Kommission für die Kulturgüter der Kirche.

Kardinal Peter Kodwo Appiah Turkson

Kardinal Peter Kodwo Appiah Turkson

Eminenz, eines der Themen, das bei den Massenmedien besonders großes Echo gefunden hat, war das der sogenannten viri probati. Befaßt man sich auf Ihrem Kontinent mit dieser Frage?
PETER KODWO APPIAH TURKSON: Ich kenne keine afrikanischen Diözesen, die dieses Problem aufgeworfen haben, aber der Umstand, daß man darüber diskutiert bedeutet, daß sich der Weg der viri probati als Lösung des – in einigen Zonen der Katholizität realen – Problems des Priestermangels darstellt, wie auch der Tatsache, daß es einigen Gemeinschaften unmöglich ist, ein reguläres sakramentales Leben zu führen. Am Ende hat die Bischofssynode dann aber beschlossen, diese Hypothese einstweilen ruhen zu lassen, in Erwartung, daß alle anderen möglichen Lösungen für dieses Problem unter die Lupe genommen werden.
Lösungen welcher Art?
TURKSON: Diese Lösungen können lang- oder kurzfristig sein. Erstere bedeuten Eingriffe seitens der Kirche dahingehend, in den Familien ein anderes Denken bezüglich der Geburtenraten zu bewirken. In allen Kulturen und Gesellschaften gibt es mehr Berufungen, wenn es mehr Kinder gibt. Kurzfristig bedeutet dagegen, daß sich der Klerus zwischen den Kirchen der dritten Welt und denen der westlichen Welt aufteilt, was nicht bedeutet, einen Überschuß an Personal anzubieten, sondern die Liebe zur Kirche zu zeigen, die von uns verlangt, daß wir unsere mageren Ressourcen teilen… unsere fünf Laib Brot und zwei Fische.
Gibt es in Afrika Gemeinschaften, die das Problem haben, wegen des Priestermangels nicht regelmäßig die Eucharistie empfangen zu können?
TURKSON: Auch bei uns in Ghana gibt es Gemeinschaften, die keinen Priester haben, der regelmäßig, jede Woche, die Messe feiert. Viele Dörfer und Städte müssen ohne Priester über die Runden kommen und sich mit der Präsenz der Katechisten zufrieden geben. Der Priester kann diese Gemeinschaften alle zwei Wochen oder einmal im Monat besuchen. Das bedeutet, daß auch wir keinen Priester für jede Gemeinschaft haben. Diese Situation hängt jedoch auch mit dem Umstand zusammen, daß einige Gemeinschaften allein keinen Priester erhalten können. Wir haben Gruppen von Dörfern geschaffen, die mit vereinten Kräften für einen Priester aufkommen. Der Priester stattet ihnen periodisch seinen Besuch ab, und in seiner Abwesenheit kümmern sich die Katechisten um die Gemeinschaft. Ein Schritt in Richtung des einfacheren Zugangs der Gläubigen zur Eucharistie könnte für uns folglich die Ausbildung von Katechisten sein, die in den Rang von Kommunionspendern erhoben werden können; wie auch die Ausstattung der Kapellen in den Dörfern und Städten mit geeigneten Tabernakeln für die Aufbewahrung der eucharistischen Gestalten.
Stellt der Priesterzölibat in diesem afrikanischen Kontext eine besondere Schwierigkeit dar?
TURKSON: In unserer traditionellen Religion gibt es ohnehin schon unverheiratete Priester, und auch die verheirateten dürfen – wenn sie ihre Riten feiern müssen – drei Tage lang keinen Geschlechtsverkehr haben. Zu sagen, daß der Zölibat etwas für die afrikanische Mentalität Unverständliches ist, ist also eine Unwahrheit. Gewiß, im afrikanischen Klerus kann man Situationen finden, in denen das Gelübde nicht eingehalten wird. Es handelt sich um Sünden, und Sünder gibt es überall, nicht nur in Afrika. Aber das heißt noch lange nicht, daß der Priesterzölibat der afrikanischen Realität fremd ist.
Ein anderes, von den Massenmedien aufgegriffenes Thema war das der Pastoral für die wiederverheirateten Geschiedenen.
TURKSON: Die Frage der geschiedenen, wiederverheirateten Katholiken ist sehr komplex. Die Scheidung wurde in den afrikanischen Ländern und auch in Ghana zwar erlaubt, es gibt aber auch viele Praktiken, die den Rückgriff auf diese Einrichtung auf ein Minimum reduzieren. Eine der Praktiken, die dazu beigetragen hat, daß es weniger Scheidungen gibt, war die Polygamie. Bei uns war die Polygamie beispielsweise historisch ein Element, das das Problem der Scheidung an der Wurzel gelöst hat. Wenn ein Mann eine Frau verstoßen wollte – weil sie unfruchtbar, zu schwach oder zu krank zum Arbeiten war, oder aus anderen Gründen –, setzte er sie nicht einfach auf die Straße, was wieder andere Probleme ausgelöst hätte (wer sollte sich um sie und ihre Kinder kümmern?), sondern nahm einfach eine andere, ohne die erste zu verlassen. Mit dem Einfluß des Christentums und seiner Lehre von der Einzigheit der Ehe, war die Polygamie verpönt und die Monogamie wurde gefördert. Die zum Christentum Konvertierten verstanden die christliche Lehre, die die Unauflöslichkeit der Ehe lehrt. Sie haben sich den Sinn der Ehe als Einladung zum Zeugnisablegen für die untrennbare Liebe Christi zu seiner Kirche zueigen gemacht. Aber da sie eben auch ein Volk in Bewegung sind, kann es vorkommen, daß sie sich zu Schwächen hinreissen lassen, und das Paradox der Scheidung ist eine neue Realität und ein neues Problem für die Pastoral der Kirche. Ich glaube, daß in jenen Fällen von Scheidung, wo jemand ohne es zu wollen verlassen, sich selbst überlassen wird, diese verlassene Person als Opfer einer Ungerechtigkeit betrachtet werden muß und daher einer ganz besonderen Aufmerksamkeit bedarf.
Die Probleme sind also auch in diesem Fall anders gelagert?
TURKSON: Bei uns kann man sowohl dem traditionellen Brauchtum entsprechend als auch standesamtlich heiraten. Bei beiden Formen ist jedoch die Scheidung möglich. Die Christen müssen die (schon traditionell oder standesamtlich gültige) Ehe, außer diesen beiden Formen, auch in der Kirche schließen, als unauflösliches und permanentes Sakrament. Das schafft vielen Gläubigen Probleme. Wer sich für eine traditionelle Heirat entschieden hatte, zögert, die Ehe sakramental zu schließen, also in der Kirche, weil er weiß, daß er sich dann nicht scheiden lassen kann. Es handelt sich also um Gläubige, die an der Schwelle des inneren Lebens der Kirche stehen und Angst haben, ganz einzutreten. Und aus diesem Grund können sie nicht die Kommunion empfangen. Das ist das Problem, mit dem ich bei meinen Pastoralbesuchen am meisten konfrontiert werde. Diese Gläubigen bitte ich dann, sich Mut zu machen, sich dem Herrn und seiner Gnade anzuvertrauen, wie auch der Unterstützung der christlichen Gemeinschaft. Auch ich hätte mich wohl nie zum Priester weihen lassen, wenn ich meine Hoffnung ganz allein auf mich und meine Kräfte hätte setzen müssen.
Am Ende Ihres Beitrags in der Synodenaula haben Sie verlangt, daß der Hl. Stuhl einen besonderen Dispens gewährt, damit die Gläubigen, die auf der Grundlage der kanonischen Normen vom Kommunionempfang ausgeschlossen wären, doch die Kommunion empfangen dürfen...
TURKSON: Diese Bitte hängt mit den Problemen zusammen, die wir eben angesprochen haben. In Ghana haben wir Bischöfe bereits beschlossen, an den vier Kirchengerichten Priester und Laien einzusetzen, die mit Traditionen und Brauchtum des Landes gut vertraut sind. Ihre Aufgabe wird es sein, die Fälle dieser Gläubigen zu untersuchen, die – beispielsweise aufgrund ungerechter Auflagen für das Ehepaar durch unser patrilineares und matrilineares Familiensystem, oder einfach nur aufgrund des Trotzes oder der unbeugsamen religiösen Einstellung eines nicht christlichen Ehepartners – nicht die Eucharistie empfangen können und bei den Bischöfen eventuell um einen Dispens ansuchen. Um eben die Lösung dieser Probleme einfacher zu gestalten, wollen wir den Hl. Stuhl um diesen besondere Dispens bitten. Einige davon könnten von den einzelnen Bischöfen gewährt werden, aber man vermeidet wohl besser, daß die Gläubigen dadurch verunsichert werden, daß die Anweisungen von Diözese zu Diözese verschieden sind. Aus diesem Grund ist der Weg des allgemeinen Dispenses wohl der beste.
Ein in Afrika sehr akutes Thema ist das der Inkulturation der Liturgie.
TURKSON: Die Inkulturation an sich war nie ein Problem; in der Geschichte der Kirche hat es sie immer gegeben. Wichtig ist – und darauf verweist der Hl. Stuhl immer wieder –, daß man bei diesem Prozess nie das aus den Augen verliert, was das Wesentliche unseres Glaubens ist. Was nun uns angeht, sollten wir die Möglichkeit haben, dem Herrn mit den Mitteln Kult zu erweisen, die wir haben. Der Gebrauch der Tamtam, unsere Konzepte, unsere Art der Darstellung, unsere Gesänge, unsere Tänze, sind unsere Gabe, mit denen wir dem Herrn unsere Verehrung zeigen wollen. Die Modalitäten der Inkulturation dürfen nicht als heidnischer Kult oder als einfaches Spektakel empfunden werden. Es ist die Pflicht von uns afrikanischen Bischöfen, darüber zu wachen, daß das nicht geschieht.
Eminenz, Sie haben vorhin die Schwierigkeiten angesprochen, die bei Mischehen zwischen Muslimen und Christen entstehen können. Wie steht es um die Beziehungen zwischen Kirche und Islam in Afrika?
TURKSON: Das Problem mit dem Islam ist, daß der Dialog einspurig verläuft, keine Reziprozität besteht. Der Islam will geben, nicht aber empfangen. Man kann zum Islam konvertieren, nicht aber vom Islam her. Wenn ein Christ beispielsweise eine Muslimin heiraten möchte, ist er verpflichtet, zum Islam überzutreten. Und das ist nicht richtig.
Wie sieht die Situation diesbezüglich in Ihrem Land aus?
TURKSON: Der Islam ist vor dem Christentum nach Ghana gekommen, und in den vergangenen Jahrhunderten war ein gutes Zusammenleben möglich. In den Familien lebten verschiedene Glaubensformen problemlos miteinander. Einer meiner Onkel war Muslim, meine Mutter war Methodistin, mein Papa katholisch – und ich kann mich nicht erinnern, daß das in unserem Zusammenleben Probleme geschaffen hätte. Die Wende kam, als in Nahost die Krise zwischen Arabern und Israelis ausbrach. Das hat alles verändert, eine Identitätswelle der verschiedenen Religionen ausgelöst. Dieser Konflikt hat sich überall verbreitet, auch bei uns, und das allein schon aus dem Grund, weil die muslimischen Gruppen von den Golf-Ländern nicht unerhebliche Fonds erhalten haben. Und mit den Fonds kommt auch die Ideologie ins Land, und damit ist die friedliche Situation unweigerlich zum Scheitern verurteilt. Leider.
Ein anderes von der Synode angesprochene Thema war die Verbreitung der protestantischen Sekten.
TURKSON: In den afrikanischen Ländern, wo die gemeinsame Sprache nicht englisch ist, sind die Menschen dieser Verbreitung weniger ausgeliefert. In den englischsprachigen Ländern dagegen kann sie immer mehr Fuß fassen. Diese Gruppen nützen eine auch in unseren Gemeinschaften bestehende Unkenntnis der Bibel aus, können sich aber auch dank der geringen Liebe der Katholiken zum Reichtum der Sakramente verbreiten. Was also tun? Wir müssen unseren Gläubigen die Bibel nahe bringen, ihnen dabei helfen, den Reichtum und die Schönheit des sakramentalen Lebens ihrer Kirche zu erkennen. Wir müssen daran erinnern, daß sich Jesus uns auf zwei Weisen zeigt, in der Eucharistie und in seinem Wort. Und auf diesen zwei Beinen müssen wir gehen – die protestantischen Sekten dagegen halten sich nur auf einem aufrecht.
Bei der Synode hat einer Ihrer afrikanischen Brüder im Bischofsamt auf die traurigen Fälle von Frauen hingewiesen, die – in Ordenshäuser hier im Westen verpflanzt – diese Häuser verlassen und auf der Straße enden …
TURKSON: Dieses Phänomen gibt es wirklich. Und es betrifft nicht nur die Frauen. Es gibt viele Berufungen, aber manchmal kann dem die Ausbildung nicht genügen. Was nun die angeht, die zum Studieren in den Westen kommen, stimmt es, daß man nicht weiß, ob sie das aus wirklicher Berufung heraus tun oder einfach nur, weil sie ihr Land verlassen wollen. Dann kann es vorkommen, daß einige, die keine wirkliche Berufung haben, der Prostitution oder Drogen zum Opfer fallen. Hier muß klar unterschieden werden. Die beste Lösung wäre die, die Ausbildung in der Heimat vorzunehmen, und nicht im Westen.
Betrifft das Problem dieser Abkehr auch die Priester?
TURKSON: Es gibt auch diese Fälle, aber dieses Phänomen ist sehr viel seltener. Es betrifft vor allem die Seminaristen. Daher ist die Beziehung zwischen dem Bischof und seinen Priestern auch so wichtig. Wenn ein Priester seinen Bischof mag, ist es schwieriger, daß er die Diözese verläßt. Es ist also gut, daß der Bischof seine Priester gut kennt. Um dieses gegenseitige Kennenlernen, diese gegenseitige Wertschätzung zu ermöglichen, nehme ich selbst für den Priesterdienst bereite Diakone sechs oder sieben Monate lang im Bischofspalast auf. So weihe ich keine Priester, die ich nur aus den Erzählungen der Seminarleiter kenne, sondern solche, die ich persönlich kennenlernen durfte. Ich glaube, daß das – mit der Hilfe Gottes – ein guter Weg ist.


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