Der Glaube ist es, der das Fragen möglich macht
Bergmesse bei Ruhpolding (Sommer 1952 ).
der Totenmesse für seinen Doktorvater, Prof.
Gottlieb Söhngen (Köln, Pfarrkirche St. Agnes,
19. November 1971)
[…]„In der Weite seines Denkens lag seine Größe und auch sein Schicksal. Denn wer so umfassend fragt, kann keine geschlossene Synthese vorlegen. Söhngen wußte das; er wußte, daß die Stunde der theologischen Summen noch nicht wieder geschlagen hat. Er wußte, daß er sich mit Fragmenten begnügen mußte. Aber er hat sich immer bemüht, das Ganze im Fragment zu schauen, die Fragmente vom Ganzen her zu denken und als Spiegelungen des Ganzen zu entwerfen.
Damit ist zugleich seine geistige Grundhaltung angedeutet: Söhngen war ein radikal und kritisch Fragender. Auch heute kann man nicht radikaler fragen, als er es getan hat. Aber zugleich war er ein radikal Glaubender. Was uns, seine Schüler, an ihm immer wieder von neuem faszinierte, war eben diese Einheit von beidem: Die Furchtlosigkeit, mit der er jede Frage stellte, und die Selbstverständlichkeit, mit der er dabei wußte, daß der Glaube von einem redlichen Suchen nach Erkenntnis nichts zu fürchten hat.
Deswegen schreckte ihn auch nicht, daß das Denken eines einzelnen oder einer ganzen Periode ratlos und hilflos, im Widerspruch bleiben kann. Er wußte, daß es nicht notwendig ist, gewaltsame Lösungen zu erpressen, wo sie ehrlich nicht zu finden sind... So war es für ihn auch klar, daß der Theologe nicht im eigenen Namen spricht, so sehr er sich selbst geben muß, sondern daß er für den Glauben der Kirche steht, den er nicht erfindet, sondern empfängt. Zutiefst kam die Furchtlosigkeit seines Fragens aus der Erkenntnis, daß wir nicht fragen können nach der Wahrheit, wenn sie nicht zuerst gefragt hätte nach uns; daß wir Wahrheit nicht suchen könnten, wenn wir nicht schon zuvor gefunden wären von ihr.
Ich glaube, daß sein Humor, das Unverkrampfte und Gelöste, das er in aller Anstrengung des Denkens behielt, damit zusammenhängt. Zugleich versteht sich von hier seine Kirchlichkeit, die bei aller Kritik nie in Frage stand. Vielleicht auch, weil sie so konkret war. Kirche war für ihn nicht irgendein fernes Abstraktum. Sie war ihm unmittelbar gegeben, in seinem Bischof, im Kardinal von Köln […].
Damit hängt schließlich eine weitere, sehr bezeichnende Eigenschaft Söhngens zusammen: die große Liebe zu seiner Vaterstadt Köln. Er hat es zeitlebens als besonderen Vorzug empfunden, in dieser Stadt mit ihrer uralten römischen und christlichen Kultur zu Hause zu sein. Seine Liebe zu Köln und seine Beziehung zur Kirche gingen eng ineinander. Das Köln, das er liebte, war eben das christliche Köln, durch dessen Bischof er sich hineingehalten wußte in die eine, heilige, katholische Kirche […].
Nun ist er von uns gegangen. Die Richtung, die er gewiesen hat, bleibt. Und er selbst bleibt – in Gottes Händen.“