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GEOPOLITIK
Aus Nr. 05 - 2003

Ein Artikel des Chefs der Ständigen Vertretung Italiens bei der Abrüstungskonferenz von Genf

Auf kleinen Schritten zur Abrüstung


Paradoxerweise ging die Reduzierung von Atomwaffen und konventionellen Waffen während des Kalten Krieges problemloser über die Bühne als nach dem Fall der Berliner Mauer. Ein Artikel des Chefs der Ständigen Vertretung Italiens bei der Abrüstungskonferenz von Genf.


von Mario Maiolini


Die Abrüstungsverhandlungen im nuklearen Sektor und, allgemeiner, dem der Massenvernichtungswaffen, sind in den vergangenen Jahren nicht in demselben Tempo vorangeschritten wie noch bis zum Jahr 1996, dem Jahr, in dem bei der Genfer Abrüstungskonferenz der CTBT (Vertrag über ein umfassendes Verbot von Atomwaffenversuchen: Comprehensive nuclear test ban treaty) zustandekam, der von 166 Staaten unterzeichnet wurde. Anders dagegen sieht es bei den konventionellen Waffen aus, wo auch weiterhin positive Entwicklungen verzeichnet werden können – und das dank der Konvention von Ottawa zur Ächtung von Antipersonenminen (1997), der Konferenz von New York vom Juli 2001 gegen den illegalen Handel mit kleinen und leichten Waffen und der Verhandlungen im Bereich der Konvention über konventionelle Waffen. Es handelt sich um zwei verschiedene Verhandlungsbereiche – nuklearer und konventioneller Art –, die unterschiedlichen Einflüssen unterworfen sind.
Ein jugoslawischer Soldat bei einer Übung zur Minen-Entschärfung im Kosovo

Ein jugoslawischer Soldat bei einer Übung zur Minen-Entschärfung im Kosovo

Doch werfen wir zunächst einen Blick auf die Entwicklung der Abkommen über die Massenvernichtungswaffen.
Seit den Sechzigerjahren wurden Abkommen von historischer, gobaler Tragweite ausgehandelt, die ein politisches, juridisches Erbe von großer Wichtigkeit darstellen. Das Abkommen, mit dem in der Atmosphäre, im Weltraum und unter Wasser durchgeführte Atomtests untersagt werden (Vertrag über einen teilweisen Atomteststopp: Partial test ban treaty von 1963), das Abkommen, das die Stationierung von Atomwaffen und anderen Massenvernichtungswaffen auf dem Meeresboden verbietet (1971), das Abkommen, das die Aktivität der USA auf dem Mond und anderen Himmelskörpern regelt (1967), das Abkommen über das vollkommene Verbot von Atomtests (1996): das alles hat gezeigt, daß sich die Regierungen nun der von den Atomwaffen ausgehenden Bedrohung und dem Bedürfnis ihrer Bevölkerungen nach Schutz bewußt sind, die Warnungen der Wissenschaft nicht in den Wind geschlagen wurden und auch die bittere Erfahrung der ersten Atomexplosionen nicht umsonst war.
Gleichzeitig fand ein Prozess allmählicher Neutralisierung – wenn man das so sagen kann – ganzer geographischer Zonen statt, wozu die Schaffung „atomwaffenfreier Zonen“ maßgeblich beigetragen hat (die Antarktis mit dem Abkommen von 1961, Lateinamerika mit dem 1967er Abkommen von Tlatelolco, der Südpazifik mit dem 1985er Abkommen von Raratonga, Südost-Asien mit dem Abkommen von Bangkog des Jahres 1995, Afrika mit dem 1996er Abkommen von Pelindaba).
Zur „Neutralisierung“ ganzer geographischer Zonen kam dann noch die Neutralisierung der überwältigenden Mehrheit der Staaten mit dem Kernwaffensperrvertrag (TNP, 1970), den 187 Staaten unterzeichnet haben, und der den Status einer Atommacht nur den USA, Russland, China, Frankreich und Großbritannien zuerkennt.
Der nukleare Abrüstungsprozess wurde 1996 mit dem CTBT konsolidiert, während in dem weitreichenderen Bereich der Massenvernichtungswaffen sowohl die Konvention gegen toxische und biologische Waffen (1972) als auch die Konvention über das Verbot chemischer Waffen (1993) den Kreis der Friedensbemühungen geschlossen und endlich das Bewußtsein der Zerstörungskraft dieser neuen Waffen und deren unabdingbares Verbot geweckt zu haben schienen.
Und all das trotz des Kalten Krieges, der Abschreckung, der Tatsache, daß sich da zwei von Ideologien getrennte Welten gegenüberstanden, eine jede die zerstörerische Macht der anderen fürchtend.
Als die Berliner Mauer fiel und der Kalte Krieg begann, hatte es den Anschein, daß die Abrüstung – durch die Kontrolle, die Reduzierung und die Eliminierung der Massenvernichtungswaffen – auf keine wahren Hindernisse mehr stoßen könnte.
Ausschlaggebend war zunächst einmal dieses Klima voller Erwartung und Optimismus. Mit Resolution 984 des Sicherheitsrats garantierten die Atomwaffenstaaten 1995 den Nicht-Atomwaffenstaaten, sie nicht mit Atomwaffen anzugreifen, während der TNP auf unbegrenzte Zeit ausgeweitet wurde. Im Jahr 2000 versicherten die Atomwaffen- und TNP-Mitgliedstaaten, daß ihre Atomgefechtsköpfe nicht spezifisch und sozusagen „vorbeugend“ auf irgendein besonderes Land gerichtet wären.
Aber das waren auch schon die letzten Lichtblicke im Sektor der Massenvernichtungswaffen. In Wahrheit gelang es der Abrüstungskonferenz von Genf seit 1995-1996 nicht, ein Abkommen ins Rollen zu bringen, mit dem die Herstellung von Kernspaltungsmaterial für Waffen verboten werden konnte; und die Ad-hoc-Arbeitsgruppe für den Abschluß eines Abkommens über die Ächtung toxischer und biologischer Waffen endete im Juli 2001 praktisch mit ihrer Selbstauflösung.
Wie ist es möglich, daß man es trotz positiver, aber bilateraler Übereinkünfte, wie dem Moskauer Vertrag vom Mai 2002, mit dem sich die USA und die Russische Föderation verpflichten, ihre Atomgefechtsköpfe drastisch zu reduzieren, nicht geschafft hat, multilaterale Erfolge zu erzielen?
Die Antwort liegt im wesentlichen in zwei nie dagewesenen, auf weltweiter Ebene zu beobachtenden Entwicklungen. Die erste war der sensationelle technologische Fortschritt der letzten Jahre, mit dem die Zerstörungskapazität der neuen Waffen radikal gesteigert werden und Amerika zu der Überzeugung kommen konnte, eine absolute militärische Überlegenheit ausüben zu können. Die anderen Länder dagegen machten ihre Verhandlungs-Flexibilität auf dem Atomsektor, aus Angst, zu zweitrangigen Mächten heruntergestuft zu werden, von präzisen Zugeständnissen der USA abhängig. Die zweite Entwicklung war die Vervielfältigung staatlicher Realitäten, ein Phänomen, das sich besonders nach der Auflösung der Sowjetunion herauskristallisiert hat und von Zerbrechlichkeit und nicht wenigen Grenz-Streitfragen geprägt war.
Anders gestaltet sich die Situation im Bereich der konventionellen Abrüstung, wobei besonders die 1980 in Kraft getretene Konvention über einige konventionelle Waffen erwähnenswert ist. Das ist nicht nur deshalb grundlegend, weil es in direktem Zusammenhang mit der humanitären Tendenz steht, die sich seit der Erklärung von St. Petersburg des Jahres 1868, der Erklärung von Den Haag (1899), wie auch den bekannten Genfer Abkommen zum Schutz der Kriegsopfer (1949) herauskristallisiert hat, sondern weil es der Konvention von Ottawa von 1997 über das Verbot des Gebrauchs, der Lagerung, Herstellung und Weitergabe von Antipersonenminen und über ihre Zerstörung den Weg geebnet hat.
Die Konvention eliminiert oder beschränkt ganze Kategorien von Waffen. Sie unterscheidet zwischen Zivilisten und Kämpfenden, verbietet den Gebrauch von Waffen, die „übermäßiges Leiden verursachen oder unterschiedslos wirken können“, blind machender Laserwaffen, beschränkt den Einsatz von Minen, Sprengsatzfallen und Brandwaffen. Die Normen des Abkommens für die „non-state actors“ sehen auch die Wiedereingliederung der Opfer in die bürgerliche Gesellschaft vor. Hier kommt die Diskussion über Waffen aus abgereichertem Uran wieder ins Spiel: Diskussionen, die bereits Kontroversen über technologisch fortschrittliche Waffen mit großer Reichweite und Zerstörungskapazität ausgelöst haben. Wir müssen nur daran denken, daß eines der Motive, warum sich die Vereinigten Staaten weigerten, das Abkommen zu ratifizieren, das Atomtests verbietet (CTBT), gerade die Versuchung ist, taktische und miniaturisierte Atomwaffen mit großer Zerstörungskraft zu erproben. Definiert werden sie als „useful nuclear weapons“: an tragisch ironischen Begriffen darf es scheinbar nie fehlen. Aber ohne hier allzu weit gehen zu wollen, kann man doch festhalten, daß die Anwendung der Konvention des Jahres 1980 nicht nur von Jahr zu Jahr kleine Fortschritte verzeichnen kann, sondern auch den Weg für neue spezifische internationale Konventionen ebnen könnte.
In der Tat hat das Protokoll II dieser Konvention, das über die Beschränkung des Einsatzes von Minen, im Jahr 1997 die Konvention von Ottawa hervorgebracht, die die Herstellung von Landminen verbietet. Es war ein wahrer Triumph der bürgerlichen Gesellschaft, die durch die Nichtregierungsorganisationen nicht nur mobil gemacht hat, sondern durchaus auch effizient war. Erinnern wir uns nur an die Bilder von Prinzessin Diana inmitten verstümmelter Kinder in Kambodscha oder an den großen dreibeinigen Stuhl auf der Place des Nations in Genf, Symbol für den Kampf gegen die Landminen! Diese Mobilmachung hat die Regierungen aufgeschlossen gemacht für Verhandlungen, sie dazu gebracht, die Lagerbestände zu zerstören und den Opfern unter die Arme zu greifen. Die genauen Statistiken lassen es einem kalt über den Rücken laufen. Wer hätte jemals gedacht, daß Italien, wichtiger Produzent und Exporteur von Landminen, fähig wäre, seine Industrien zu schließen und in wenigen Jahren einen Lagerbestand von mehr als sieben Millionen Minen zu zerstören? Wir sind zweifellos das Land, das sich am schnellsten darum bemüht hat, seine Verpflichtungen zu erfüllen. Aber dennoch bleibt viel zu tun, und zwar nicht nur dafür, daß auch so wichtige Länder wie die USA, Russland, China und Indien der Konvention zustimmen, sondern auch weiterhin die Millionen von Opfern nicht im Stich gelassen werden.
Zu diesen Erfolgen kommt noch ein weiterer hinzu, der nämlich, der einen Sektor betrifft, wo jedes Jahr eine halbe Million Tote zu verzeichnen sind.
Die Rede ist von dem Aktionsplan, der im Juli 2001 in New York mit der Konferenz gegen den illegalen Handel mit kleinen und leichten Waffen angelaufen ist.
169 Länder haben eingesehen, daß das Problem nicht von den einzelnen Staaten gelöst werden kann, sondern nur durch eine globale Strategie, vorbeugende Maßnahmen gegen den Waffenhandel, Exportkontrollen, die Markierung hergestellter Waffen, die Zerstörung beschlagnahmter Lagerbestände, Beistand für die Opfer. Ein neuer Termin ist für 2006 angesagt.
Man fragt sich, ob der Abrüstungsprozess – trotz aller Hindernisse – weitergeht. Die Antwort lautet ja. Auf dem Sektor der Massenvernichtungswaffen (nuklearer, chemischer und biologischer Art) konnten in den letzten Jahren durchaus Erfolge verzeichnet werden, wenn auch keine sensationellen, wie es der Fall hätte sein können, wenn die Genfer Abrüstungskommission wirklich funktioniert hätte. Die USA und die Russische Föderation haben sich mit dem Moskauer Vertrag vom Mai 2002 darauf geeinigt, ihre Atomgefechtsköpfe auf je 1700 - 2200 zu reduzieren. Leider wurde dann jedoch der ABM-Vertrag über die Raketenabwehrsysteme und Start II gekündigt. Dagegen muß jedoch festgehalten werden, daß Kuba im Jahr 2002 dem TNP beigetreten ist, und die fünf Atomwaffenstaaten haben ihre Sicherheitsgarantie zugunsten der Mongolei als Nichtatomwaffenstaat bekräftigt, während Indien und Pakistan ihr Einverständnis mit dem Moratorium bezüglich nuklearer Explosionen erklärt haben. Am 27. Juni 2002 einigten sich die G8 auf ein Global Partnership im Kampf gegen die Verbreitung von Waffen und Massenvernichtungsmaterialien, mit der sich daraus ergebenden konkreten finanziellen Verpflichtung zur Vorantreibung spezifischer Kooperations-Programme.
Im November 2002 wurde in Den Haag der Verhaltenskodex gegen die Verbreitung von Raketen lanciert.
Wie ist es möglich, daß man es trotz positiver, aber bilateraler Übereinkünfte, wie dem Moskauer Vertrag vom Mai 2002, mit dem sich die USA und die Russische Föderation verpflichten, ihre Atomgefechtsköpfe drastisch zu reduzieren, nicht geschafft hat, multilaterale Erfolge zu erzielen? Die Antwort liegt im wesentlichen in zwei nie dagewesenen, auf weltweiter Ebene zu beobachtenden Entwicklungen...
In der Sitzung vom November 2002 beschloß die Revisions-Konferenz der Konvention gegen toxische und biologische Waffen, die am 7. Dezember 2001 suspendiert worden war, eine Wiederaufnahme der Arbeiten auf der Grundlage eines reduzierten Programms von Übereinkünften und Maßnahmen.
Konkrete und kontinuierliche – wenn auch mühsame – Fortschritte waren in den letzten zwei Jahren im Bereich der Eliminierung chemischer Waffen festzustellen, von denen inzwischen 8.600.000 inventarisiert werden konnten.
Die Wissenschaft ist heute in erster Linie am schnellen Fortschritt interessiert, ohne sich irgendwelche Grenzen zu setzen. Verschraubt in der Spirale des Wissens um das Genom, hat sie erkannt, daß man nukleare Explosionen mit beschränkten Auswirkungen auslösen, daß man versuchen kann, ein perfektes Verteidigungssystem gegen gegnerische Raketen zu erproben. Daß es künstlich herbeigeführte genetische Veränderungen gibt und man zu niedrigen Kosten todbringende Bakterien und Mikroben mit schier grenzenloser Zerstörungskraft herstellen kann. Erkenntnisse, die auch positive Innovationen von großem wirtschaftlichem Nutzen bedeuten können. Daraus ergibt sich, daß diese Perspektive den Ehrgeiz und den Neid all jener anstachelt, die eine solche Forschung ausbeuten können, sie wenig aufgeschlossen macht für Kontrollen oder dafür, Erklärungen über die derzeit laufenden Programme abzugeben. Also davon abschreckt, präzise internationale Verpflichtungen einzugehen, die die nationale Autonomie beschränken könnten. Was für einen Profit hätte jemand, der ein Heilmittel für AIDS oder SARS entdeckt! Dabei vergißt man jedoch, daß nur der politische Wille der Staaten die beste Garantie ist gegen die Möglichkeit, daß diese Erkenntnisse und Produkte in negativer Weise manipuliert werden und Terrororganisationen in die Hände fallen. Jenen, die behaupten, es gäbe keine effizienten Kontrollen könnte man antworten, daß jedes Abkommen seine Mängel hat, aber auch jedes Gesetz den einen oder anderen, der es übertritt. Was jedoch nicht bedeutet, daß Gesetze nicht nützlich wären und nicht gemacht würden.
Die Zunahme der Mitgliedstaaten der Internationalen Gemeinschaft (heute 191) hat erkennen lassen, wie zerbrechlich viele von ihnen sind, wie verzweifelt auf der Suche nach Garantien für die Sicherheit und Konsolidierung ihrer Souveränität. Das sollte eigentlich zu der Einsicht führen, daß es notwendig ist, die Rolle der Vereinten Nationen bei der Garantie der Unabhängigkeit und Souveränität der Staaten zu stärken. Leider untergraben so manche die gesellschaftliche Institution mit ihrer Weigerung, einige grundlegende Abkommen anzuerkennen und zu respektieren: wie beispielsweise im Falle des TNP, dem Indien, Pakistan, Nordkorea und Israel nicht beitreten wollen.
Die politische Klasse in einigen Ländern ist sich zwar der Gefahren des Terrorismus bewußt, tut aber herzlich wenig dafür, die Kontrollmittel von Den Haag auszubauen und durch Verhandlungen die Gefahr der biologischen Waffen abzuwenden.
Eine große Kraft stellt heute der Einsatz der bürgerlichen Gesellschaft beim Vorantreiben der Abrüstung allgemein dar. Eine Kraft, die zur Tendenz der „humanitären Intervention“ (oder besser: „der Verantwortung, einzuschreiten“) beiträgt, diese bestimmt und im Bereich der konventionellen Abrüstung bereits deutlich spürbar ist. Man kann mehr dafür tun, diese Tendenz zu fördern – mit finanzieller Großzügigkeit und einem intensiveren Dialog zwischen Nichtregierungsorganisationen, Politikern und Regierungen. Man denke nur an die positiven möglichen Auswirkungen einer Idee wie der im bürokratischen Rahmen des Sekretariats der Vereinten Nationen entstandenen von einer internationalen Konferenz über die Rolle der Frau bei den Abrüstungsbemühungen. Die Frauen in den verschiedenen Parlamenten können dieses Ziel politisch unterstützen. Abschließend ist zu sagen, daß wenn Wissenschaft und Komplexität der Geopolitik auch immer neue Gefahren und Probleme schaffen, der ausschlaggebende Faktor doch der Mensch sein kann.











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