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VEREINIGTE STAATEN
Aus Nr. 03 - 2006

Wie Staat und Kirche den Armen helfen.

Verschieden ja, aber in der Zusammenarbeit


Die Leitung des „Caritas“-Büros des Weißen Hauses hat George W. Bush einem Demokraten übertragen. Einem Freund von Mutter Teresa. Begegnung mit Jim Towey.


Interview mit Jim Towey von Giovanni Cubeddu


George W. Bush bei der Initiative der Faith Based and Community 
in Washington  (9. März 2006).

George W. Bush bei der Initiative der Faith Based and Community in Washington (9. März 2006).

Die Begegnung im Versammlungssaal des Hilton Washington Hotels geht zuende. Um George W. Bush scharen sich ca. 1.200 Sozialarbeiter aus allen US-Bundesstaaten, in der Hoffnung, ihrem Präsidenten die Hand geben zu können. Der Anlaß: die Jahresversammlung des Faith Based and Community Initiatives, FBCI. Der FBCI ist jenes Büro im Weißen Haus, dem es Laien-Gemeinschaften oder religiöse Organe zu verdanken haben, wenn ihre sozialen und karitativen Initiativen durch Bundesmittel finanziert werden – natürlich mit einem Minimum an Kontrolle darüber, wie die öffentlichen Gelder ausgegeben werden und unter der Bedingung, daß die erreichten Resultate auch wirklich ermutigend sind.
Geleitet wird Faith Based and Community initiatives (www.FBCI.gov) von Jim Towey. Der überzeugte Demokrat – gerüstet mit einer kleinen, aber gut motivierten „Mannschaft“ von nur sieben Beamten – konnte die Prozeduren für den Erhalt öffentlicher Subventionen erheblich erleichtern und ist nun auf dem besten Weg, eine Brücke zwischen Bundesregierung und religiösen Realitäten zu schlagen. Interview.

Mr. Towey, Sie waren 12 Jahre lang auf Freiwilligenbasis für Mutter Teresa von Kalkutta tätig. Heute sprechen Sie mindestens einmal wöchentlich mit Präsident Bush über den Stand der Zusammenarbeit zwischen Kirche und Staat in Sachen Caritas und Sozialwesen.
JIM TOWEY: Bush hat diese Aktivität als eine Initiative der Barmherzigkeit, eine Hilfe für die Armen ins Leben gerufen. Die Faith Based Initiative sollte eine Mahnmal gegen die Scheinheiligkeit sein; etwas Positives für die Armen und die Ausgegrenzten. Wenn die Regierung mit den religiösen Caritas-Werken zusammenarbeitet, kann im Leben der Menschen etwas bewirkt werden. Die Wahl des Präsidenten ist auf mich gefallen, weil ich mich bereits für die Armen eingesetzt habe, und von Mutter Teresa natürlich dementsprechend „verwöhnt“ bin. In dem Sinne, daß sie mich viele Dinge über die Armen gelehrt hat, über die Größe der Armen, die unsere Brüder und Schwestern sind – und nicht etwa eine Last. So empfinde ich es als Privileg, nun schon seit vier Jahren für den Präsidenten arbeiten zu dürfen; ich konnte ihm und seiner Gattin Laura auch Sr. Nirmala vorstellen, die Nachfolgerin von Mutter Teresa. Der Präsident ist der Ansicht, daß die Trennung von Staat und Kirche nicht die Freiheit der Religionsausübung beschneiden darf, sondern ihr vielmehr neuen Aufschwung geben müßte. Was bedeutet, das Gute, das es in Amerika in so vielen gläubigen Menschen gibt, frei wirken zu lassen: wie Sie sicher wissen, glauben 95% der Amerikaner an Gott. Wir Amerikaner fühlen uns verpflichtet, diesen Idealen auch wirklich zu entsprechen und nicht nur davon zu reden. In Sachen Barmherzigkeit können wir aber noch viel vom Rest der Welt lernen – ich denke hier vor allem an Indien, wo uns Mutter Teresa diesbezüglich ein großes Vorbild war.
Was können Sie uns über dieses Büro erzählen, das mit den Belangen der verschiedenen religiösen Realitäten befaßt ist?
TOWEY: Meine Beziehungen zu den evangelischen Christen und den anderen protestantischen Gruppierungen ist eine sehr gute. Man hat mich herzlich aufgenommen. Wir alle haben die eine Taufe empfangen, das vereint uns und stärkt unsere Beziehung zueinander. Auch sie sind froh, den Glauben vorantreiben zu dürfen; der Rest ergibt sich dann ganz spontan. An meiner Stelle hätte gut auch jemand anderer sein können, der kein Katholik ist. Schließlich müssen wir hier keine Religion vorantreiben, sondern Programme der Bundesregierung für die Armen. Und da ist Effizienz gefragt. Daher sind all diese Beziehungen zu den anderen Christen für mich persönlich etwas sehr Schönes, beruflich gesehen arbeite ich aber für den amerikanischen Steuerzahler, im Dienst dieses Büros, für all jene, die einen christlichen Glauben haben, einen anderen – oder aber auch gar keinen… Darin liegt die Größe unseres Landes: daß wir soviele verschiedene Religionen haben, die alle zusammenarbeiten.
In welcher Größenordnung bewegen sich die von Ihrem Büro bewilligten Finanzierungen?
TOWEY: Im vergangenen Jahr haben wir zweitausend karitativen Einrichtungen Subventionen von mehr als zwei Milliarden Dollar zur Verfügung gestellt. Der Präsident hat für jeden, der Regierungsfonds beantragt, ein offenes Ohr. Ob das nun eine afroamerikanische Kirche in einem Vorstadt-Slum ist, eine muslimische Einrichtung – die Aga-Khan-Stiftung erhält Millionen von Dollars –, Evangelische oder Katholiken...
Über die Verwendung der Fonds hat es die ein oder andere Polemik gegeben; so hat man sich beispielsweise gefragt, ob es richtig ist, sie für die Reparatur oder den Bau von Kirchen zu verwenden, wie das nach dem Wirbelsturm Katrina der Fall war.
TOWEY: In den ersten fünfzig Jahren der Geschichte der USA haben die Steuerzahler den Bau der Kirchen getragen, aber das hat sich seit der Urteilssprüche des Obersten Gerichtshofs zum 1. Amendement geändert, laut dem der Kongress keine Gesetze erlassen darf, die eine Religion „institutionalisieren.“ Man ist allgemein der Meinung, die Regierung dürfe keine „Sekten“-Aktivitäten finanzieren, und das betrifft auch den Bau von Kirchen. Aber es gibt auch Ausnahmen, die vom Gericht nicht angefochten wurden. So hat die Regierung beispielsweise, nach den Attentaten in Oklahoma City, dort den Bau einer Kirche finanziert.
Präsident Bush ist der Meinung, daß wir nicht einen Glauben finanzieren, nicht für Proselytenmacherei oder irgendwelche Prediger zahlen sollen, und gerade das ist ja oft der Fall, wenn man für den Bau einer Kirche aufkommt. Der Fall von Schulen, die von Ordensleuten geleitet werden, liegt dagegen anders: sie haben das Recht auf Erhalt von Fonds der Bundesregierung, wie jede andere Schule auch.
Die Missionarinnen Mutter Teresas von Kalkutta in der Basilika  der Unbefleckten Empfängnis in Washington.

Die Missionarinnen Mutter Teresas von Kalkutta in der Basilika der Unbefleckten Empfängnis in Washington.

Das amerikanische System ist nicht auf das gegründet, was wir einen Sozialstaat nennen würden. Macht es das nicht schwierig, gesellschaftlich Benachteiligten auch wirklich unter die Arme zu greifen?
TOWEY: Die Situation der Sozial­arbeiter ist gut, weil der Präsident der Meinung ist, daß sie jene, die arm sind, dazu anzuspornen können, an einer Verbesserung ihrer Situation aktiv mitzuarbeiten. Einem Bedürftigen kann man Nahrung, ein Dach über dem Kopf, Kleidung geben, man kann ihm helfen, aus dieser Situation des Ausgegrenzt-Seins herauszukommen, so daß er nicht länger eine Gefahr für die Gesellschaft ist, wenn er in die Drogenabhängigkeit abzugleiten droht, zum Verbrecher wird. Die religiösen Organisationen können all das tun – und darin müssen wir sie bestärken, und ebenso bestärken müssen wir auch die Sozialarbeiter.
In Europa hat man ein ehrliches Interesse am Menschen; dort gibt es viele Vereinigungen, die sich um die Bedürftigen kümmern. Das ist bewundernswert. Die Vereinigten Staaten haben zwar keine welfare state Politik, aber doch den Wunsch, sich um ihren Nächsten zu kümmern. Die grundlegenden, allseits gültigen Fragen sind folgende: „Bin ich der Hüter meines Bruders, meiner Schwester?“. Das sind die Fragen, die wir uns auch heute noch stellen; und das gilt auch für mich. Auch ich frage mich: ist dieser Drogensüchtige aus New York mein Bruder? Wer ist mein Nächster? Das sind Fragen, die die Kirche schon immer aufgeworfen hat, aber es sind auch Fragen, die die Gesellschaft betreffen. Es ist ein Skandal, daß es in einem so wohlhabenden Land wie Amerika noch immer Verzweiflung und Armut gibt.
Präsident Bush hat sein Land – und noch viele andere Länder mit ihm – in den Irakkrieg getrieben. Das Ergebnis haben wir ja nun alle vor Augen…
TOWEY: Thomas Morus hat einmal gesagt: „Ich bin ein guter Diener des Königs, aber in erster Linie bin ich Diener Gottes.“ Auch ich bin ein guter Diener des Präsidenten, in erster Linie aber bin ich Diener Gottes. Ich bewundere den Präsidenten, weil er ein guter Mensch ist, aber das muß natürlich nicht heißen, daß wir immer einer Meinung sind. Und das erwartet er von seinen Mitarbeitern auch gar nicht. Er ist für die Freiheit in der Politik, für die Religionsfreiheit, und für das, was Freiheit grundsätzlich bedeutet – sie ist in den Menschen gelegt, als ein Geschenk Gottes, nicht der Vereinigten Staaten.
Ich habe für Mutter Teresa gearbeitet und weiß, was es bedeutet, für jemanden zu arbeiten, der heilig ist – Präsident Bush hält sich sicher nicht für einen Heiligen. Aber sein Glaube ist ein ehrlicher, und dafür kann ich ihn nur bewundern. Das Weiße Haus ist nicht das Paradies, und der Präsident weiß das. Seine Prioritäten sind gut: er liebt die Familie, sein Land, er liebt Gott, und er versucht, in einer sehr schwierigen Ära das Steuer ruhig zu halten. Der Krieg im Irak wird in Europa viel kritisiert, auch, wie er begonnen hat – und das weiß er. Aber der Präsident weiß auch, daß er auf die Freundschaft unserer Alliierten in Europa zählen kann, auf die aller, die sich für die Freiheit einsetzen. Die Frage ist nun, wie man diese Freiheit vorantreiben kann, und da gibt es eben oft verschiedene Meinungen.
Auch in Ihrem Büro hat man sicher von den kritischen Stimmen gehört, die fürchten, der Staat könne sich in die kirchlichen Belange einmischen, und umgekehrt.
TOWEY: Der einzige politische Druck, den Mutter Teresa jemals ausgeübt hat, war ihr Lächeln. Als sie einmal gefragt wurde, wie man denn ein bißchen Frieden in die Welt bringen könne, antwortete sie, wir müßten einfach nur damit beginnen, einander zuzulächeln, weil es diese kleinen Gesten sind – und das hat auch schon Theresia von Lisieux gesagt –, die die Menschen ändern können. Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht an Mutter Teresa denke und um ihre Fürsprache bitte. Sie hatte einen so großen Respekt vor allen: Muslimen, Hindus, Buddhisten… „Vergeude das Werk Gottes nicht,“ hat sie zu mir gesagt. Und darum bete ich: daß ich das Werk Gottes nicht vergeude.


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