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BÜCHER
Aus Nr. 05 - 2003

Die Konklaven aus nächster Nähe


Das Wahlrecht und seine Bedeutung im Laufe der Jahrhunderte. Angefangen bei dem von Nikolaus II. erlassenen Dekret In nomine Domini des Jahres 1059, bis zu Universi dominici gregis von Johannes Paul II. von 1996.


von Walter Brandmüller


Kardinäle

Kardinäle

Zu den spannendsten und am ungeduldigsten erwarteten Momenten in der Geschichte der Kirche gehören die Papstwahlen. Wenn – nach erfolgter Wahl eines neuen Papstes – der dienstälteste Kardinaldiakon mit den traditionellen Worten „annuntio vobis gaudium magnum: habemus papam...“ seine Ankündigung beginnt, scheint der orbis terrarum den Atem anzuhalten.
Und gerade diesen historischen Momenten hat unser Verfasser eines seiner Bücher gewidmet. Ein Buch, das sich durch Fachkompetenz, Bandbreite und Problembewußtsein auszeichnet. Piazzoni versäumt es bei seinem Abriß der Geschichte der Konklaven nicht – wie wir mit Befriedigung feststellen können –, auch die ein oder andere Anekdoten einzuflechten, mit der die Neugier des Lesers geweckt wird.
Ich will mich allerdings auf gewisse Aspekte beschränken, die mir aufgrund meiner eigenen Studien am vertrautesten sind. Ich meine damit das Mittelalter, besonders das ausklingende 14. und das 15. Jahrhundert.
Kommen wir also auf das turbulenteste Konklave der Geschichte zu sprechen, das nämlich, bei dem – nach einem wütenden Sturm des römischen Volkes auf den apostolischen Palast – am 8. April 1378 der aus Neapel stammende Erzbischof von Bari und Vizekanzler der Heiligen Römischen Kurie, Bartholomäus Prignano, zum Papst (Urban VI.) gewählt wurde. Mit Befriedigung kann ich feststellen, daß Piazzoni meine Auffassung von der Gültigkeit dieser Wahl teilt, die damals zunächst sehr positive, um nicht zu sagen enthusiastische Reaktionen ausgelöst hatte.
Enttäuscht und unzufrieden über die allmählich immer einschneidendere und antifranzösische reformatorische Strenge des neu gewählten Papstes, erklärten die Kardinäle die Wahl wenige Monate später jedoch aufgrund mangelnder Freiheit beim Wahlgang für ungültig, versammelten sich in Fondi und wählten Kardinal Robert von Genf – einen Verwandten des französischen Königshauses –, der den Namen Klemens VII. annahm. Und das ausgerechnet am 20. September, einem fatalen Datum in der Geschichte des Papsttums, schon, weil es auch der Tag der berühmten Bresche der Porta Pia ist. So lösten die Kardinäle also das große Abendländische Schisma aus, das fast vierzig Jahre dauern sollte. Bis beim Konzil von Konstanz, einberufen, um die Kirche unter einem einzigen Papst wieder zu vereinen, am 11. November 1417 Martin V. gewählt wurde. Wieder ein einzigartiges und außergewöhnliches Konklave! Um dieses Schisma zu überwinden, mußte die Wahl, zuerst zwischen zwei und, danach, zwischen drei contendentes de papatu, eine unbestritten legitime, und von allen drei Parteien der gespaltenen Kirche anerkannte sein.
Wie konnte man dieses Ziel erreichen?
In langen und überaus komplizierten Verhandlungen, die von starken Spannungen im Innern des Konzils geprägt waren, fand man schließlich die Lösung in Form einer außergewöhnlichen Zusammensetzung des Wahlgremiums. Teil davon war nicht nur das schon bestehende Kardinalskollegium, ergänzt durch Kardinäle eines jeden der drei sogenannten „Päpste“, sondern auch – und das war die Neuheit – sechs gewählte Abgeordnete einer jeden der fünf sogenannten „Konzilsnationen“.
Zweiter Punkt: für die gültige Wahl eines Kandidaten waren zwei Drittel einer jeden Abordnung notwendig. Trotz dieser überaus komplizierten und extrem riskanten Prozedur – nur drei negative Stimmen in einer Delegation reichten aus, um alles lahmzulegen – gelang die Wahl, und der neue Papst hieß Martin V.
Bei seiner Beschreibung des spektakulärsten Konklaves der Geschichte erklärt uns Ambrogio Piazzoni, wie sich die Bedeutung des Wahlrechts im Laufe der Jahrhunderte entwickelt hat – angefangen bei dem von Nikolaus II. erlassenen Dekret In nomine Domini vom 13. April 1059, bis zu Universi dominici gregis von Johannes Paul II. vom 22. Februar 1996.
Hier die großen Entwicklungen in dieser Richtung: zunächst einmal wurde festgesetzt, daß nur die Kardinalbischöfe den neuen Papst wählen; dem stimmen die anderen Kardinäle bei, und schließlich geben auch der Klerus und das römische Volk ihre Zustimmung. In seinem Dekret Licet de evitanda discordia des III. Laterankonzils schrieb Alexander III. dann 1179 die Notwendigkeit einer Zweidrittelmehrheit für eine gültige Wahl vor. Aus der Formulierung dieses Dekrets geht deutlich hervor, daß die Sorge um die Einstimmigkeit der Wähler und die Einheit der Kirche die Einführung dieses Prinzips der Zweidrittelmehrheit motiviert hatte. Denn gerade in den letzten Jahrzehnten vor Alexanders Wahl zum Papst war es aufgrund strittiger Wahlen zu Schismen gekommen: zuletzt auch im Fall von Alexander III. selbst.
Es ist interessant zu beobachten, daß das bereits erwähnte Abendländische Schisma, die längste und gefährlichste konstitutionelle Krise der Kirche, ein Jahr nach dem einzigen Fall ausgelöst worden war, in dem ein Papst – Gregor XI. im Jahr 1377 – diese Regel aufgehoben und durch die Erfordernis der einfachen, absoluten Mehrheit ersetzt hatte.
ýine andere Neuheit wurde von Pius XII. eingeführt, der die Notwendigkeit der Zweidrittel plus einer Stimme bestimmte, um den Fall auszuschließen, daß einer der Kardinäle dank seiner eigenen Stimme gewählt werden könnte, womit stets das Zweidrittelprinzip gewahrt wurde. Und erst vor kurzem hat der derzeitige Papst verfügt, daß nach einer bestimmten Zahl ergebnisloser Wahlgänge das Kardinalskollegium beschließen könne, sich mit der einfachen, absoluten Mehrheit zufrieden zu geben.
Aber mit diesem Verweis auf das gültige Wahlrecht haben wir bereits die Vergangenheit hinter uns gelassen und die Schwelle zur Zukunft überschritten. Es bleibt uns also nichts anderes übrig, als dem Verfasser zu seinem bemerkenswerten, lehrreichen und interessanten Buch zu gratulieren, das es, nebenbei bemerkt, verdient hätte, auf besserem Papier gedruckt zu werden. A





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