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IRAN
Aus Nr. 06/07 - 2006

KEINE FRAGE VON ATOMWAFFEN. Zu Wort kommt Pierre Bürcher, Weihbischof von Lausanne.

Hoffnungsschimmer aus Teheran


Tagebuch eines katholischen Bischofs in Mission im Iran.


von Giovanni Cubeddu


Teheran. Hier oben, ein Blick auf die Stadt und ein Plakat mit der Darstellung von Ayatollah Khomeini.

Teheran. Hier oben, ein Blick auf die Stadt und ein Plakat mit der Darstellung von Ayatollah Khomeini.

Ein geduldiger, fruchtbarer Dialog mit Teheran ist durchaus möglich. Die Voraussetzungen dafür sind gegeben – trotz solcher Ereignisse wie beispielsweise der querelle über das iranische Nuklearprogramm, die letztendlich die negativen Aspekte überwiegen lassen, das im Keim ersticken, was es an Gutem gibt, und die Christen instrumentalisieren.“ Pierre Bürcher, Weihbischof von Lausanne, leitet die Arbeitsgruppe „Islam“ der Schweizer Bischofskonferenz und ist ein Experte in Sachen interreligiöser Dialog. Mit dem „Guten“ meint er das, was bisher im Zusammenleben zwischen den religiösen Minderheiten und der überwältigenden schiitischen Mehrheit im Iran erreicht werden konnte. Einem Zusammenleben, das auf einem konstitutionellen Diktat basiert – ein Umstand, der im Land der Ayatollahs nicht zu unterschätzen ist. Mit „negativen Aspekten“ meint Bürcher dagegen die Kluft zwischen einer bereits praktizierten Kultfreiheit (für die drei erlaubten Kulte, also den christlichen, den jüdischen und den zoroastrischen) und der vom Hl. Stuhl erhofften vollkommenen Religionsfreiheit. Die Christen, die zum Großteil der armenischen apostolischen Kirche angehören – die assyro-chaldäischen Katholiken, die assyro-chaldäischen Orthodoxen, die Protestanten, die Lateiner und die Armenier – repräsentieren ca. 1 Tausendstel der Bevölkerung. Die Lateiner, die den Triumph des Khomeinismus am meisten zu spüren bekommen hatten – ihr gesamtes religiöses Personal mußte weichen –, konnten ihre Situation seit der Machtübernahme der Regierung Rafsanjani langsam wieder verbessern. Doch wie sieht es heute aus? Der Bericht von Mons. Bürcher ist der eines Augenzeugen, der – auf Einladung der Iraner – zum ersten Mal im April dieses Jahres eine Delegation seines Landes nach Teheran begleiten konnte. Eine religiöse, keine politische Mission, an der auch ein reformierter Pfarrer teilnahm.
„Begonnen hat alles 2004,“ erklärt Mons. Bürcher „mit dem Besuch des damaligen iranischen Präsidenten Khatami in der Schweiz, dem auch ich – in meiner Eigenschaft als Repräsentant unserer Bischofskonferenz – begegnet bin. Aus einem von Khatami gemachten Vorschlag entstand dann der Wunsch, in den Iran zu reisen. Aber die Iraner sind uns zuvorgekommen.“ In Teheran gibt es nämlich das ICRO, oder „Islamic Culture and Relations Organization“, jenes offizielle Organ für den interreligiösen Dialog, das im September 2005 eine Delegation von Ayatollahs in die Schweiz schickte, die dort ein paar Tage des Dialogs mit den katholischen Bischöfen in Zürich, Einsiedeln, Bern, Lausanne und Genf zubrachten. „Ein Grund war auch, daß sie die religiöse Situation der Muslime in der Schweiz besser verstehen wollten,“ betont Bürcher. „Deren Zahl beläuft sich auf ca. 300.000, wobei die überwältigende Mehrheit allerdings keine Schiiten, sondern Sunniten sind, die vor allem aus den Ländern des ehemaligen Jugoslawien und der Türkei kommen. Wir haben den Iranern erklärt, daß die Arbeitsgruppe ‚Islam‘ der Schweizer Bischofskonferenz u.a. Priestern und Laien dabei hilft, die Frage von Ehen zwischen Muslimen und Christen zu besprechen, oder den Religionsunterricht in den Schulen. Das Ergebnis dieser gemeinsam verbrachten Tage war recht ermutigend.“
Die Mission der Schweizer Delegation in Teheran fand dagegen erst kürzlich statt, vom 17. bis 24. April, begann mit einem Empfangszeremoniell, dem die Behördenvertreter einen offiziellen Anstrich geben wollten: „Der Präsident des ICRO, Ayatollah Araqi, und der ehemalige Präsident Khatami, haben uns einen herzlichen, brüderlichen Empfang bereitet,“ erinnert sich Bürcher. „Wir waren uns auch über die Inhalte einig, und die Iraner haben sogar akzeptiert, daß die Begegnungen das Recht der Religionen und der Minderheiten zum Thema hatten. „Als katholische Bischöfe hatten wir für den Aufenthalt im Iran auch gewisse Bedingungen gestellt, beispielsweise darum gebeten, mit drei der vom Staat anerkannten religiösen Minderheiten zusammentreffen zu können – den Christen, den Juden und den Zoroastern –, jeden Tag die Messe feiern zu dürfen und darum, daß es enge Kontakte zur katholischen und christlichen Autorität vor Ort geben würde. All diese Wünsche wurden uns erfüllt,“ berichtet Bürcher. „Man gestand uns sogar weit mehr zu, als wir erwartet hätten.“ „So konnten wir z.B. auch an einer Messe der assyro- chaldäischen Gemeinschaft Teherans teilnehmen, bei der ein Mädchen ihr Ordensgelübde ablegte. Die Christen sind im Iran eindeutig in der Minderheit, aber doch voller Leben; auch an Berufungen fehlt es nicht. Wir wissen natürlich, welch große Sorgen man sich in Europa wegen der Priesterberufungen und denen für das geweihte Leben macht – wie schön war es da, gerade dort, in einem sogenannten schwierigen Kontext, Berufungen erblühen zu sehen. Ein Ordensmann hat mir anvertraut, daß es damals, als die Dinge mit der Regierung recht gut liefen, kaum Berufungen gab. Jetzt dagegen, wo sich die Situation schwierig gestaltet, schon...“ Dann kam es zu Begegnungen mit den armenischen Orthodoxen und den Lateinern. Mit den jüdischen Gemeinschaften gab es Schwierigkeiten. Warum gerade mit ihnen, fragen wir. „Es war gerade Shavuot, einer der wichtigsten jüdischen Feiertage, und da war es nicht einfach, eine Begegnung auf die Beine zu stellen.“
Armenische Gläubige bei der Messe.

Armenische Gläubige bei der Messe.

Nach Teheran reiste die Delegation nach Qom. Vor vielen Jahren befand sich unter den zahlreichen Jugendlichen, die Mullah werden wollten und sich hier an der berühmten Universität für Religionsstudien eingeschrieben hatten, auch einer, den heute alle kennen: der islamische Revolutionsführer Imam Khomeini. Aber in Qom befindet sich auch der Friedhof mit den iranischen Kämpfern des Krieges zwischen Iran und Irak. „Wir hatten Gelegenheit, mit den Professoren der Universität zu sprechen, einen Blick in die Bibliothek zu werfen,“ berichtet Bürcher. „Natürlich war in diesem Ambiente sehr viel Takt erforderlich, aber ich habe den muslimischen Verantwortlichen dann doch gefragt, wieviele Christen es in Qom gibt. Zuerst sagte er mir, daß er nichts davon wisse, dann gab er zu, daß es vielleicht welche gäbe, aber nur ein paar, und daß niemand wisse, wo sie zu finden wären…“.
Die nächste Etappe war Isfahan. Eine Stadt, deren architektonische Kunstwerke von der UNESCO zum Erbe der Menschheit erklärt wurden, die aber heute vor allem wegen ihres Atomreaktors Bushehr zu trauriger Berühmtheit gelangt ist… Was unsere Gruppe von Kirchenmännern ganz gewiß nicht angezogen hat. Bürcher fährt fort: „Auch dort konnten wir mit der katholischen Gemeinschaft zusammentreffen, mit ihnen gemeinsam die Eucharistie feiern und uns über die Situation der Kirche im Iran unterhalten. In Isfahan kann man vor allem feststellen, daß die Katechese nicht nur Sache der Ordensmänner und Ordensfrauen ist, sondern auch der Familien. Und das schon seit vielen Jahren, im Unterschied zu Teheran. Wir haben die Gelegenheit genutzt, um die Maria geweihte Kirche und das Museum der armenischen Orthodoxen zu besuchen. Und dann gab es noch etwas Neues für uns: den Besuch im Feuertempel, in der Gemeinschaft der Zoroaster.“
Wir fragen, ob auch das Thema des Einflusses Teherans auf die Schiiten angesprochen wurde, die heute im Irak regieren. „Wir haben nicht nur darüber gesprochen, sondern konnten auch Iraker treffen, und zwar sowohl den assyro-chaldäischen Bischof von Teheran, Mons. Ramzi, aus der Region Mossul, wie auch verschiedene irakische Gläubige aus seiner Diözese. Ich möchte betonen, daß einige derer, die aufgrund der Tragödie im Irak emigrieren mußten, auch im Iran Zuflucht gesucht haben; andere wieder, die zuerst anderswo, beispielsweise im Libanon, eine neue Heimat gefunden hatten, gehören heute der christlichen Gemeinschaft in Teheran an. Das größte Problem, das sich diesen Christen stellt, ist die Arbeit. Und das ist auch der Grund, warum sie alle – wie uns eine Ordensfrau in Teheran sagte – stets die Koffer gepackt haben, bereit sind, jederzeit den Iran zu verlassen: und das nicht nur wegen der praktischen Beschneidung der Religionsfreiheit, sondern vor allem wegen der Arbeitslosigkeit…“.
Das nach der Reise herausgegebene offizielle Kommuniqué der Schweizer Bischofsdelegation spricht von einer „positiven Bilanz“ und „konkret realisierten Prioritäten“ im Dialog mit den christlichen Minderheiten und den islamischen Behördenvertretern des Iran. Und wenn das – so Bürcher – auch nichts an der Notwendigkeit einer echten Religionsfreiheit ändert, so „ergibt sich doch ein anderer positiver Fakt“. Im 1966 geschlossenen Pakt der Vereinten Nationen über die zivilen und bürgerlichen Rechte wird die Religionsfreiheit garantiert. Der Iran hat ihn 1976 in bester Absicht unterzeichnet, und auch wenn sich einige engstirnige Regierungsbeamte nicht an die Prinzipien halten, muß der Tatsache, daß diese Dokumente die Unterschrift der Leaders Teherans tragen, Rechnung getragen werden.“ Das Rezept ist also, genug Geduld zu haben, bei den iranischen Autoritäten die Aufrechterhaltung der Kommunikationskanäle zu erwirken. Und es stimmt nicht, daß sich die Dinge im Innern nicht bewegen – wenn sie das auch nur langsam tun. Bischof Bürcher erklärt: „Als die iranische Delegation 2005 in die Schweiz kam, war auch ein Christ dabei, ein Parlamentsmitglied, den wir nun in Teheran wiedergetroffen haben. Und einer der Repräsentanten der christlichen Minderheit hat uns erläutert, was derzeit alles für die volle Anerkennung der Minderheiten getan wird, keinen Hehl daraus gemacht, spezifische Gesetze in verschiedenen Bereichen zur Approbation bringen zu wollen. Er ist einer der sechs christlichen, gewählten Parlamentarier, aber da sich das Parlament aus 290 Mitgliedern zusammensetzt, braucht es Zeit und man muß immer versuchen, Bündnisse einzugehen …“.
TEHERAN. Unten, Mons. Bürcher 
(Foto Mitte) mit der Arbeitsgruppe „Islam“.

TEHERAN. Unten, Mons. Bürcher (Foto Mitte) mit der Arbeitsgruppe „Islam“.

Die Idee zu dieser Reise in den Iran und die Beziehungen zum ICRO gehen auf die Zeit der Regierung Khatami zurück. Seit im August 2005 jedoch Ahmadinejad zum Präsidenten gewählt wurde, ist es zu einer tiefgreifenden Wende gekommen: „Wir haben den neuen Präsidenten nicht getroffen,“ präzisiert Bürcher „aber wenige Tage später, als ich gerade in Doha, in Qatar, weilte, wo das vom Emir gewollte Jahrestreffen zum interreligiösen Dialog stattfand, konnte ich dort einen Iraner fragen, was er denn von der internen Religionspolitik des Präsidenten halte. Er antwortete mir, daß der Präsident den Minderheiten brüderlich und freundschaftlich gesinnt sei. Mehr kann ich dazu nicht sagen, doch auch das ist ein Zeugnis. Und daran sieht man, daß das von uns angesprochene Problem der Religionsfreiheit große Aktualität hat.“
Was bleibt also von dieser Mission der ganz besonderen Art? „Der Iran macht heute wegen allem Möglichen Schlagzeilen – nur nicht wegen dieser Themen. Daß man einer Delegation von Bischöfen erlaubt hat, derart intensive Kontakte zur christlichen Gemeinschaft im Iran anzuknüpfen, ist ein Zeichen für großen Weitblick, dafür, daß man etwas Neues zu schätzen weiß. Sogar die Bischöfe vor Ort waren erstaunt darüber, daß es dazu kommen konnte; immerhin war es das erste Mal, daß eine christliche Delegation aus dem Ausland konkrete Kontakte zu ihnen angeknüpft hat. Normalerweise werden Delegationen wie die unsere – Delegationen aus Rom ausgenommen – mit ‚Pflichtprogrammen‘ und flüchtigen Begegnungen mit der Ortskirche abgespeist. Dieses Mal jedoch war es uns möglich, mit den iranischen Christen gemeinsam vorzugehen, die sich so mit uns solidarisch fühlen konnten, im gemeinsamen Gebet, wenn auch stets im Rahmen des Wenigen, was wir dafür tun können, daß die christliche Lehre und Mission im Iran zusehends ‚öffentlich‘ werden. Aber dieser interreligiöse Dialog wird immer wesentlicher dafür, Gerechtigkeit und Frieden herbeizuführen und die Wogen des Kontrasts zu glätten. Sonst kann es keinen dauerhaften Frieden auf der Welt geben. Aus Teheran habe ich den konkreten Eindruck mitgebracht, daß es durchaus Hoffnungsschimmer gibt.“


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