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AFRIKA
Aus Nr. 10 - 2006

UGANDA. Die Verhandlungen zwischen Regierung und LRA-Guerilla.

Wenn Frieden ausbricht


Nach zwanzig Jahren Krieg, Millionen von Toten und unsäglichem Leid weht heute im Norden des Landes ein neuer Wind. Aber wie alle Friedensprozesse hat auch dieser seine Dornen, kann sich durchaus als Schlag ins Wasser erweisen.


von Davide Malacaria


Vielleicht ist es nun soweit. Vielleicht kann nun in Norduganda tatsächlich Frieden einziehen. Zwanzig Jahre, Millionen Tote, 25.000-30.000 entführte Kinder, aus denen die Rebellen des größenwahnsinnigen Joseph Kony blutrünstige Killer machten. Aber vielleicht ist es nun zum ersten Mal nach jahrelangen, im Sande verlaufenen Versuchen wirklich endlich soweit. Die Leader der LRA-Guerilla (Lord’s Resistance Army), die dem Norden des Landes seit Jahren einen hohen Blutzoll abverlangt, und die ugandische Regierung haben nun Verhandlungen eingeleitet, die den Konflikt beenden könnten. In Norduganda, wo die ethnische Gruppe der Acholi das Sagen hat, weht jetzt ein neuer Wind: nach drei Jahren Terror haben die Menschen neue Hoffnung. Aber wie alle Friedensprozesse hat auch dieser seine Dornen, seine Stolpersteine. Und wie alle Friedensprozesse könnte er sich als Schlag ins Wasser erweisen.
LRA-Leader Joseph Kony bei der Begegnung mit einer Delegation der ugandischen Regierung und Vertretern der Nicht-Regierungsorganisationen 
(31. Juli 2006).

LRA-Leader Joseph Kony bei der Begegnung mit einer Delegation der ugandischen Regierung und Vertretern der Nicht-Regierungsorganisationen (31. Juli 2006).

Pater Giuseppe Filippi, Oberer der Comboni-Missionare in Uganda, meint: „Ich glaube, daß wir diese neue Chance Mons. John Baptiste Odama zu verdanken haben. Der Bischof von Gulu, der seit Jahren nach Wegen des Friedens sucht, hat sich an die UNO, die internationale Gemeinschaft gewandt, daran appelliert, doch nicht auf dieses entlegene Fleckchen Erde zu vergessen. Und konnte tatsächlich das Interesse nordeuropäischer Staaten wie Deutschland und anderer wecken. Der ugandische Präsident Joweri Museweni hat in der Vergangenheit kein großes Interesse an einem Dialog mit den Rebellen gezeigt. Dann aber bekam die Beziehung zu seinen wichtigsten internationalen Förderern England und USA wegen gewisser Misstöne bei den Wahlen, die den Oppositionsleader ins Gefängnis brachten, Risse. Und nun bleibt ihm eigentlich nichts anderes übrig als mit den Rebellen zu sprechen, wenn er wieder als demokratischer Leader gelten will. Aber ohne den Frieden im Sudan hätte es nicht soweit kommen können. Der Friede zwischen sudanesischer Regierung und Rebellen des Südsudan hat die LRA-Kämpfer ihrer Stützpunkte und ihrer Verpflegung beraubt. Und die Regierung des Südsudan kann die Präsenz bewaffneter Banden auf ihrem Gebiet nicht akzeptieren.“ Pater Mario Cisternino, auch er Comboni-Missionar, ist zwar vor ca. acht Jahren aus Uganda zurückgekehrt, hat jedoch nie aufgehört, sich für sein Missionsland zu interessieren. Er besucht es noch heute regelmäßig, weshalb der Kontakt zu seinem Volk und seinen dort tätigen Mitbrüdern auch nie abgerissen ist. Er beschreibt ein Land, das am Abgrund steht, Menschen, die vor Jahren alles verloren haben, Millionen Menschen, die in Flüchtlingslagern leben, so daß Norduganda wie ein enormes „Konzentrationslager“ anmutet. Er berichtet von Kriegen im Süden Afrikas, von Soldatenheeren, die er zuerst in Richtung Uganda, dann gen Kongo, aufmarschieren sah, wo es zu unglaublichen Massakern kam. „Viele dieser Soldaten habe ich selbst getauft,“ erinnert er sich resigniert. Aber hier sind es keine Muslime, die töten, und so interessiert sich auch niemand dafür. Der Pater ist verbittert. Wie sollte man ihm auch Unrecht geben können? „Ich kann nicht glauben, daß Museweni wirklich den Frieden will. Das glaubt niemand in Norduganda. Und deshalb muß die internationale Gemeinschaft Druck ausüben, sonst wird sich auch dieser Versuch als Schlag ins Wasser erweisen.“ Wie viele Beobachter nimmt auch er kein Blatt vor den Mund, läßt seinen vielen Zweifeln an diesem Krieg freien Lauf, bei dem eine Handvoll Rebellen, insgesamt ein paar tausend, eine der mächtigsten Armeen Afrikas in Schach gehalten haben; eine Armee, die so mächtig war, daß sie sogar den angrenzenden Staaten Krieg brachte. Und die Armee war bereit, ein Auge zuzudrücken, während die Rebellen mordeten und entführten, einer ethnischen Minderheit, die ein potentieller Rivale für jene ist, auf die sich Museweni stützte, unerbittlich zusetzten. Aber das gehört inzwischen der Vergangenheit an. Jetzt gilt es, dem Land Frieden zu bringen. Pater Cisternino berichtet, daß besonders die allgegenwärtige Gemeinschaft Sant’Egidio – die sog. „UNO von Trastevere“ [Stadtteil Roms, Anm.d.Red.] – und eine holländische Friedensbewegung, Pax Christi, darauf drängen, eine Lösung für den Frieden zu finden. Vittorio Scelso verfolgt schon seit Jahren für Sant’Egidio die Krise in Uganda, berichtet, wie diese Gemeinschaft damit begonnen hat, sich für Uganda zu interessieren – nach der Entführung der Mädchen von Aboke, als die LRA 139 Mädchen der Missionsschule Saint Mary College entführte (109 wurden sofort freigelassen, 24 gelang die Flucht, die anderen wurden umgebracht oder verschleppt). Der Fall erregte internationales Aufsehen. Sant’Egidio schritt ein, unternahm mehrere Vermittlungsversuche. Aber etwas hat dieser Fehlschlag doch gebracht, wenn es stimmt – und das tut es –, daß am Verhandlungstisch auch einer ihrer Gesandten zugegen ist. „Gescheiterte Vermittlungsversuche hat es in Uganda genug gegeben. Wir beschreiten diesen Weg seit dem letzten Jahr, dank der Kontakte zu den Rebellen der Diaspora, die ihren Sitz in London haben. Einen Weg, dem wir die gegenwärtige Situation zu verdanken haben und den übrigens auch die holländische Pax Christi eingeschlagen hat. Ich glaube, daß zu dem, was passiert ist, erheblich die militärischen Schwierigkeiten beigetragen haben, in denen sich die LRA befand, besonders nach dem Frieden in Südsudan. Einen aktiven Beitrag zu diesem Klima leistete auch der Vizepräsident des Südsudan, Riek Machar, der wahre Schiedsrichter dieses Dialogs, der sich in Juba, der Hauptstadt des Südsudan abspielt. Machar unterstützt die Rebellen nicht nur mit Verpflegung; es gelingt ihm auch, deren Aggression im Zaum zu halten, da viele ihrer Razzien das Ziel verfolgten, Verpflegung zu beschaffen.“ Er berichtet, daß die Dialoge ein erstes Ergebnis erbracht haben, nämlich eine Gefechtspause. Die erste wahre Gefechtspause seit Jahren, die von beiden Parteien eingehalten wird. Und das ist nicht wenig. Außerdem haben die Rebellen akzeptiert, in zwei großen Lagern im Südsudan untergebracht zu werden. Bisher haben sich dort schon 1.600 Menschen eingefunden. „Das mag wenig erscheinen, in Wahrheit aber sprechen wir fast von der gesamten Zahl der Rebellen,“ erläutert Salso. „Bis jetzt haben sich nur die Kommandanten der Rebellen nicht ergeben. Wenn das aber geschehen würde, wäre der Fall erledigt. Aber das Problem ist sehr komplex...“ Das stimmt: immerhin wurde gegen Kony vom Internationalen Strafgericht ein Haftbefehl erlassen. Wenn er sich stellen würde, könnte das seine Auslieferung nach Den Haag bedeuten. Und deshalb bemüht er sich einerseits um Friedensverhandlungen, und versucht auf der anderen Seite, den Ketten zu entgehen. Und das ist ein ernstzunehmendes Problem für den Frieden, weil sich Kony ohne Garantien nicht ergeben wird. „Ausgeführt werden sollte der Haftbefehl von den Mitgliedstaaten des Internationalen Strafgerichtshofs, und dazu zählen auch Uganda und der Sudan. Auch aus diesem Grund hat sich Kony nicht persönlich an den Friedensverhandlungen beteiligt. Man muß eine Lösung finden, die die Arbeit des Internationalen Strafgerichtshofs gewährleistet, aber auch Kony einen Ausweg bietet.“ In diesem spezifischen Fall kann man wirklich sagen: summum ius summa iniuria. Das zumindest denken die Menschen Ugandas. „Unser Volk hat genug von diesem Krieg,“ meint Pater Cisternino weiter. „Für den Frieden wären sie zu allem bereit. Auch dazu, die Untaten Konys zu vergeben. Diese Meinung ist bei der den Acholi angehörenden Bevölkerungsschicht weit verbreitet. Man muß eine Lösung finden. Am meisten beharrt England auf dem Den Haager Haftbefehl. Aber eine allzu große Starrheit könnte noch alles verderben.... Man muß einen Mittelweg finden, vor allem aber dem Wunsch der Acholi entsprechen, einem Volk, das schon viel zuviel gelitten hat.“ Der ein oder andere ist der Meinung, Kony solle mit einem Stammesritual für seine Untaten Sühne tun; eine Lösung, die so ziemlich allen gefällt, von der Regierung bis zur bürgerlichen Gesellschaft. Aber das ist noch alles in der Schwebe. Die Rebellen hätten es gerne, wenn ihre militärische Kraft in irgendeiner Weise anerkannt würde, sie sozusagen eine Art Parallelmiliz zur offiziellen Miliz bildeten. Davon will die Regierung aber nichts wissen. Dann hätten sie auch gern einen „Ersatz“ für die Kindersoldaten. „Ich glaube, daß man einen Kompromiß finden wird,“ erklärt Scelso. „Ein Teil der Rebellen wird in die Armee eingegliedert werden, die Kindersoldaten dagegen ins Schulsystem. Schwieriger wird es da schon, wenn es um eine Übereinkunft in Sachen politischer Forderungen geht: die Rebellen verlangen nämlich eine gewisse Autonomie für den Norden; eine Forderung, die von einem Teil der Regierung prompt zurückgewiesen wurde.“ Diese letzte Forderung hat etwas Makabres an sich, schwingen sich doch hier die Henker zu Verteidigern der eigenen Opfer auf. Aber auch das ist Teil der vielen Mysterien, in die dieser x-te afrikanische Konflikt gehüllt ist, wo man Kinder – das Ave Maria auf den Lippen, sozusagen eine Art Zauberspruch – zum Töten ausschickte. „Wenn es auch viele Schwierigkeiten gibt, so glaube ich doch, daß wir auf dem richtigen Wege sind,“ meint Scelso. „Ich habe den Eindruck, daß ein Friedensabkommen dieses Mal in greifbarer Nähe liegt.“ Auch die Missionspatres teilen diese Hoffnung, wenn auch, wie er selbst, mit dem Realismus jener, die die prekäre Situation in Afrika, wo sich von heute auf morgen schlagartig alles ändern kann, seit Jahren kennen. Einem Realismus, der auf die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft hofft, ohne die auch dieser Versuch zum Scheitern verurteilt wäre.
Inzwischen geht in Uganda das Sterben weiter – und trifft auf allgemeine Gleichgültigkeit. In der Tat ist über dieses Drama wenig bekannt, weniger noch als über das nahe Darfur, im Sudan, wo Regierungsfreunde und -feinde ihre Streitigkeiten auf dem Buckel der armen Leute austragen. „Die Erklärung dafür ist einfach,“ meint Pater Cisternino. „In Darfur macht man die islamische Regierung von Khartum für das Gemetzel verantwortlich, die nach Meinung der USA und Englands bei diesem Zusammenprall der Zivilisationen, der der Welt schon seit ein paar Jahren zusetzt, auf der anderen Seite der Barrikade steht. Uganda dagegen betrachtet man als einen Verbündeten im Kampf gegen den Terrorismus. Weshalb die Tragödie in Norduganda und die Verfehlungen der Regierung von Kampala auch nicht an die große Glocke gehängt werden.“
Pater Filippi erläutert, unter welchen Bedingungen die Bevölkerungen im Norden des Landes leben müssen: „Fast alle leben in Flüchtlingslagern, die man nicht vor neun Uhr morgens verlassen und in die man nicht spät abends zurückkehren darf. Man darf sich nicht aus ihnen entfernen. Wer das tut, der tut es auf eigene Gefahr und Risiko, weil seine Sicherheit nicht gewährleistet ist. Das macht natürlich jede landwirtschaftliche Aktivität unmöglich; die Leute müssen mit dem auskommen, was die NGOs austeilen. Und das ist leider nicht genug. Außerdem ist die Situation, soweit das überhaupt möglich ist, dort noch schlimmer als in anderen, ähnlichen Lagern, die man in Afrika eingerichtet hat. Vor allem die großen Lager sind vollkommen überbelegt; die Lebensbedingungen sind schlichtweg unzumutbar. Korruption und Gewalt sind da natürlich Tor und Tür geöffnet. Die Nerven der Leute sind zum Zerreißen gespannt, schon bei Kleinigkeiten kann es zu Handgreiflichkeiten kommen. Offizielle Schätzungen liegen nicht vor, glaubhafte Quellen sprechen aber von tausend Toten pro Woche; Menschen, die von Malaria dahingerafft werden, Selbstmord begehen, usw... Gewiß, die blutigen Auseinandersetzungen haben im Moment aufgehört, genauso wie die „Nachtwanderungen“ ganzer Scharen Jugendlicher, die Nacht für Nacht kilometerweite Fußmärsche auf sich nahmen, um in den wenigen, von der Regierung kontrollierten Missionszentren Schutz zu suchen. Aber alles hängt noch am seidenen Faden zermürbender Verhandlungen. Und am Haftbefehl eines Tribunals, das die Opfer schützen sollte, anstatt deren Situation noch zu verschlimmern. „Die Leute hoffen, daß es dieses Mal soweit ist,“ erklärt Pater Filippi, „daß dieser Krieg endlich ein Ende nimmt, die Flüchtlingslager abgebaut werden und die Menschen nach Hause zurückkehren, ein neues Leben beginnen können...“ Und wir mit ihnen.


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