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BEGEGNUNGEN
Aus Nr. 07 - 2003

Danke, Papst Paul!


In Sotto il Monte wurde am 14. Juni auf Initiative des dortigen Bürgermeisters ein Podiumsgespräch zu Pacem in terris abgehalten. Unter den Teilnehmern befanden sich auch Professor Agostino Giovagnoli und Senator Giulio Andreotti. Lesen Sie hier den Beitrag von Msgr. Loris Capovilla, liebevoller Hüter des Andenkens von Papst Johannes.


von Loris Francesco Capovilla


Msgr. Loris Capovilla

Msgr. Loris Capovilla

Im Jahr 2003 jährt sich der 40. Jahrestag der Wahl von Paul VI. und die entschlossene Wiederaufnahme des Konzils. Es ist aber auch ein Jahr anderer bemerkenswerter Ereignisse: des 25. Jahrestages des Todes von Paul VI. (sein Sich-in-die-Hände-des-Vaters-Geben nach 15 Jahren als Papst) in der Nacht des Festes der Verklärung des Herrn, und des 25. Jahrestages der Ermordung Aldo Moros. Die beiden waren schon seit jungen Jahren durch starke Bande gemeinsamen Glaubens, großzügigen und weitblickenden Einsatzes eines erobernden Apostolats eng verbunden; der 40. Jahrestag des tragischen Todes von John F. Kennedy, Präsident der Vereinigten Staaten, der, in seiner Aufmerksamkeit der Soziallehre der Kirche gegenüber, nach der Schlichtung lokaler und internationaler Streitfragen durch die „Allianz für den Fortschritt“ getrachtet hatte.
ýnvergeßliche Ereignisse vor dem Hintergrund von zweitausend Jahren Kirche, bis hin zu dem fünfjährigen Pontifikat Roncallis, das am 3. Juni 1963 im pfingstlichen Feuer ausklang; wiederaufgenommen 18 Tage später durch die Wahl von Kardinal Giovanni Battista Montini, der sich der Welt mit dem emblematischen Namen Paul vorstellte.
Wir sind Albino Luciani dankbar, der am 26. August 1978, seiner Inspiration folgend, die beiden vorherigen Pontifikate in seiner Person vereinen wollte und den Namen Johannes Paul I. annahm, einen Namen, der noch heute in der universalen Kirche wiederhallt, und den auch der aus Krakau gekommene Papst für sich übernommen hat.
Angelo Giuseppe aus Sotto il Monte und Giovanni Battista aus Concesio, die nach den strengen Normen der tridentinischen Reform erzogen und von der soliden lombardisch-venetianischen pietas durchdrungen waren, unterhielten enge Beziehungen der Zusammenarbeit im Dienst des Hl. Stuhls. Aber nicht nur das, wie Roncalli mit prophetischem Weitblick in dem Brief schrieb, den er Montini am Tag seiner Bischofsweihe übergab: „Miteinander werden wir das sacramentum voluntatis Christi des hl. Paulus erfüllen (Eph 1,9-10). Das verlangt die Verehrung des Kreuzes, stellt aber auch eine unerschöpfliche Quelle des Trostes für uns hier auf Erden dar, solange unser Leben dauert und das pastorale Mandat. Liebe, verehrte Exzellenz, was soll ich noch sagen? Was hier für eine längere Rede an Worten fehlt, das lesen Sie in meinem Herzen“ (12. Dezember 1954).
Für die Wahl von Johannes XXIII. zum Papst gab es verschiedene und glaubhafte, wenn auch nicht immer lupenreine Erklärungen. Wer an den Beistand des Heiligen Geistes glaubt, wundert sich zweifellos über nichts, schon gar nicht über das Alter des Berufenen, und gerne freut er sich; aber auch wer ins Wanken kommt, beeinflußt durch eine verkürzende Sicht der göttlichen Wirklichkeit der Kirche, ist überzeugt davon, daß diese Wahl einen biblischen Menschen geehrt hat, „dieser Mann war untadelig und rechtschaffen; er fürchtete Gott und mied das Böse“ (Ijob 1,1), mit kirchlicher Diplomatie, mutiger Öffnung für „einen neuen Himmel und eine neue Erde, in denen die Gerechtigkeit wohnt“ (2 Pt 3,13).
Giovanni Battista Montini hatte das alles und noch mehr bereits seit dem 28. Oktober 1958 erkannt, seit der Ankündigung des Habemus Papam. Das bestätigen seine letzten Schriften als Kardinal, die in einem wertvollen Buch gesammelt sind: Giovanni XXIII nella mente e nel cuore del suo Successore (Tipolitografia Germani, Mailand 1964). Die Widmung in der Kopie, die er mir geschenkt hat, zeigt eine tiefe Zuneigung und seine besten Wünsche: „Für Mons. Loris Capovilla, im gemeinsamen Gedächtnis an Papst Johannes XXIII., unseren Segen mit dem des verehrten Papstes zum ersten Jahrestag seines frommen Heimgangs verbindend. Paulus PP VI., 3. Juni 1964.“
Ich kann mich noch gut an jeden Moment der letzten Tage des verehrten Vaters erinnern. Kardinal Montini informierte sich beim Erzbischof Angelo Dell´Acqua, Substitut im Staatssekretariat, ständig über den Zustand des Papstes, und als dieser davon erfuhr, war er sehr gerührt und vergalt Montini seine außergewöhnliche Güte mit Worten, die eine Intuition der Zukunft erahnen ließen, und in denen er sich auf jene erbauliche Unterhaltung bezog, die er, als Patriarch von Venedig, mit seinen Cousins, Giovanni und Candida Roncalli aus Mailand gehabt hatte: „Seht nur, was eurem Cousin so alles passiert: Bischof, Päpstlicher Vertreter in Nahost, Nuntius in Paris, Patriarch von Venedig. Das einzige, was noch fehlt, ist das Papstamt, aber das steht außer Frage, denn der nächste Papst wird euer Erzbischof Montini sein!“.
Als sich der Gesundheitszustand des Papstes gegen Ende der ersten Sitzung des Konzils zusehends verschlechterte, schrieb mir Kardinal Montini, der gerade dabei war, an seinen Sitz zurückzukehren. „Sehr verehrter Monsignore. Der hl. Ambrosius ruft mich nach Mailand, und die Anwesenheit des Staatspräsidenten zwingt mich, abzureisen. Aber Sie können sich sicher unschwer vorstellen, wie ich mich fühle! Heute morgen war ich auf dem Petersplatz: ich hätte zum hoffnungsvollen Trost weinen können. Ich spreche auch Ihnen, Monsignore, meine aufrichtigsten Wünsche aus, bekräftigt durch mein inbrünstiges Gebet für das, was wir beide in unserem Herzen tragen, den Papst, die Kirche, das Konzil, die Welt! Ihr in Christus Ergebener. Giovanni Battista Kardinal Montini“ (5. Dezember 1962).
Die Notiz, die Johannes XXIII. so sehr rührte, war wie tröstender Balsam für mein Herz und begleitete mich in den ersten fünf Monaten des Jahres 1963, in jenen sorgenvollen, schweren Tagen.
Am Freitag, dem 31. Mai, als angekündigt wurde, daß der Papst auf vorbildliche Weise die Obliegenheiten der Coeremoniale episcoporum erfüllt, die Sakramente empfangen und sich mit einer zwanzig Minuten dauernden Homilie verabschiedet hatte, machte sich der Kardinal von Mailand sofort auf den Weg. In seiner Begleitung befanden sich die Roncallis aus Sotto il Monte. So berichtete er selbst in einem Brief aus Rom: „Ich unternahm die Reise im Flugzeug gemeinsam mit den drei Brüdern und der Schwester des Heiligen Vaters, einfache und bewundernswerte Menschen, die gekommen waren, um ihrem Bruder, dem Papst, den letzten Gruß zu erweisen [...]. Es fließen Tränen, es wird gebetet, wir befinden uns in einer zermürbenden Spannung, aber doch mit einer unaussprechlichen Rührung im Herzen, fast schon einem Gefühl des Triumphes. Was für ein leuchtender Abschluß des irdischen Lebens, was für ein vielversprechender Beginn des himmlischen!“ (31. Mai 1963).
Meine von Dankbarkeit erfüllte Erinnerung rankt sich um zwei Unterhaltungen, die ich mit Giovanni Battista Montini in der Nacht des 31. Mai und am Nachmittag des 21. Juni führen konnte: im selben Zimmer neben dem Angelus-Fenster stehend, mit ein und derselben Person, die zuerst eine schwarze, dann eine weiße Soutane trug. Ich will hier nur das Wesentliche berichten, nicht aus dem Schatten heraustreten, zufrieden mit der Bewahrung des Geheimnisses, das Gabe und Berufung ist: „Mein Geheimnis gehört mir“ (vgl. Jes 24,16) sagte Papst Johannes wieder und wieder. An jenem Abend, nur wenige Schritte vom Bett des Sterbenden entfernt, erinnerte mich Kardinal Montini an den ersten Briefkontakt mit dem damals neugewählten Erzbischof Roncalli, am 2. März 1925, und an ihre jüngste und letzte Privatunterhaltung: „Dieser Mann hatte die Gabe, die Beklemmungen deiner Seele zu erleichtern.“ Er ergriff die Gelegenheit, dem Staatssekretariat, Radio Vatikan, dem Osservatore Romano sein Wohlwollen dafür auszudrücken, die Chronik seines Sterbens in den höchsten Himmel des Glaubens und der Hoffnung zu heben, so sehr, daß sogar ein anonymer Kommentar aus Übersee gelautet hatte: „Nachdem er uns gezeigt hat, wie man ein gutes Leben führt, gibt er uns ein Vorbild für ein gutes Sterben.“
Achtzehn Tage später, am Nachmittag seiner Wahl, wollte mich Paul VI. sprechen. Ich möchte einige der mich betreffenden Worte (die nicht länger der Erzbischof von Mailand zu mir gesagt hatte, sondern der Papst) für mich behalten und hier sein sublimes Geständnis wiedergeben, über das er nicht das Siegel der Verschwiegenheit verhängt hatte: „Ich habe diese Wahl angenommen, um das Werk von Papst Johannes fortzuführen, das sicherlich vom Himmel geleitet war.“
Das war seine Empfindung, seine Überzeugung, seine Zuversicht. Nichts rein Menschliches. Er glaubte daran, daß sich Gott der Menschen für die Erfüllung seiner Werke bedient; oder (um den Titel eines berühmten Films zu zitieren): Gott braucht die Menschen.
„Miteinander werden wir das sacramentum voluntatis Christi des hl. Paulus erfüllen (Eph 1,9-10). Das verlangt die Verehrung des Kreuzes, stellt aber auch eine unerschöpfliche Quelle des Trostes für uns hier auf Erden dar, solange unser Leben dauert und das pastorale Mandat....Liebe, verehrte Exzellenz, was soll ich noch sagen? Was hier für eine längere Rede an Worten fehlt, das lesen Sie in meinem Herzen.“
Mitte des 20. Jahrhunderts, um die Intuitionen seiner Vorgänger im Papstamt, besonders Benedikt XV., deutlich zu machen und auszuweiten, holte Gott aus den Landstrichen um Bergamo und, fünf Jahre später, aus dem fruchtbaren humus von Brescia, die beiden Akteure des „neuen Sprungs nach vorn“, mit dem Ziel „sich die ganze christliche Lehre wieder neu vorzunehmen, mit neuem Interesse, in ruhiger und friedlicher Gesinnung, in ihrer Ganzheit und mit der kristallklaren Präzision der Gedanken und Worte, in die sie die Akten des Tridentinums und des I. Vatikanischen Konzils gekleidet haben, zu ihrer besseren Bekanntheit und Unterrichtung der Seelen“ (Einleitungsansprache zum II. Vatikanischen Konzil, 11. Oktober 1962).
Es kommt oft vor, daß wir in die beunruhigte und angstvolle Klage der Matrosen auf hoher See einfallen. Schon Papst Johannes hatte mit prophetischem Weitblick erkannt: „Wer glaubt, der braucht nicht zu fliehen“ (Jes 28,16): Im Laufe seines langen Lebens, Menschen und Elementen zum Trotz, zeigte er, daß sein Vertrauen von einem felsenfesten Glauben genährt wurde: „Die Ruhe meiner Seele eines einfachen Dieners des Herrn zieht daraus ständige Inspiration; sie hat ihren Ursprung nicht in einer mangelnden Kenntnis der Menschen und der Geschichte, und verschließt ihre Augen nicht vor der Realität. Es ist eine Ruhe, die von Gott kommt, dem weisen Ordner der menschlichen Geschicke“ (17. März 1963).
Montini, der erste von ihm kreiierte Kardinal, wußte das nur allzu gut und deklamierte es vor dem Papst, als er ihm viertausend Mailänder Pilger ad Petri cathedram vorstellte: „In einer Welt, die nach nichts anderem zu streben scheint, als Errungenschaft und Fortschritt ihrer Zivilisation, als sich in der Organisation ihrer modernsten Dienstleistungen geeint zu fühlen, in der Entwicklung ihrer wissenschaftlichen Kultur, in der Sicherheit ihres friedvollen Zusammenlebens, und die doch dagegen zittert, ganz besonders in diesen Tagen, ja fast schon Angst hat vor den von ihr selbst geschaffenen und entfesselten wachsenden Gefahren für ihre Unversehrtheit und ihren Frieden, ist es ein äußerster Trost für diese Pilger, eine höchste Hoffnung, sich und ihre Gedanken hier in dieser glücklichen Stunde um Sie, Heiliger Vater, versammeln zu dürfen, oh, Stellvertreter Christi, oh Vater der universalen Brüderlichkeit, Lehrer einer Wahrheit, die nicht wankelmütig ist, Hirt, der die Menschen gut und zu Freunden machen will; so daß wir uns nun von Ihnen, Heiliger Vater, sehr viel größere Gaben erwarten als wir sie hier erhalten können, für uns selbst, für die lombardischen Diözesen, für alle Menschen und Werke, die uns teuer sind: Ihr Wort und Ihren Segen“ (4. November 1961).
So sah Paul VI. Johannes XIII. Und so sehen wir heute ihn: Vater, Lehrer, Hirt, und wir sind ihm dankbar dafür, das Denkmal für seinen Vorgänger erläutert zu haben, das Emilio Greco konzepiert hatte als „dem Gedächtnis und der Liebe eines Papstes gewidmet, der die seltene Gabe besaß, in einem keineswegs gewöhnlichen Maße, liebenswert zu sein.“ „Spontan kommen mir wieder die Worte in den Sinn, die an jenem Pfingsten 1963 im Mailänder Dom aus meinem Herzen aufstiegen, als die ganze Kirche, die ganze Welt, voller Sorge um den sterbenden Johannes XXIII. betete: ‚Gesegnet sei dieser Papst, der uns eine Stunde geistlicher Vaterschaft und Familiensinns erleben ließ, der uns und die Welt gelehrt hat, daß die Menschheit nichts dringender braucht als die Liebe.‘ Er liebte und wurde geliebt; und so wie dieses Denkmal Papst Johannes in der Haltung seiner vielförmigen apostolischen Liebe zeigt, so will es auch ein Zeichen dafür sein, daß diese Liebe verstanden wurde und diese väterliche Liebe von unserer kindesgleichen Liebe erwidert wird“ (28. Juni 1967).
Hier hält der Füllfederhalter inne, doch das Herz schlägt schneller, und wir fühlen den unwiderstehlichen Drang, für Paul VI. das einzigartige Loblied zu wiederholen, das er für Johannes XXIII. verfasst hat, in unserer Dankbarkeit beiden gegenüber, die gerufen waren, eifersüchtig über die Schätze des Glaubens zu wachen, ihre Tage in der Gemeinschaft der Heiligen zu verbringen, vor allem im Vertrauen auf die Fürsprache der Mutter Jesu, unermüdlich für die Freiheit und das Heil eines jeden menschlichen Wesens zu wirken, das Neue im Einklang mit der Tradition voranzutreiben.
Zwei Namen, zwei Schicksale, zwei Leben voller Opfer, eine einzige Liebe: Christus, die Kirche, die Menschheit.





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