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KATAR
Aus Nr. 05 - 2008

Die Kirche so vieler einfacher Leute


Ein persönliches Zeugnis: dreißig Jahre christliches Leben in Katar.


von Loredana Zanon Casiraghi


Die Fassade der Kirche, die auf dem 
von Emir  al-Thani gespendeten Terrain entstehen konnte.

Die Fassade der Kirche, die auf dem von Emir al-Thani gespendeten Terrain entstehen konnte.

Wenn es heute ein Land gibt, das es verdient, als Vorbild für schnellen und intelligenten Fortschritt zu gelten, dann Katar. Das Emirat, das wir kennenlernten, als wir Mitte der siebziger Jahre hierher kamen, war anders: wenig Einwohner, wenig Autos; eine entspannte, lockere Atmosphäre, wie sie typisch ist für heiße Länder, in denen man kein Hetzen kennt. Der christlichen Gemeinschaft ging es gut – zumindest aus den Augen einer italienischen katholischen Familie betrachtet, der unsrigen nämlich: Vater, Mutter, zwei Kinder und Großmutter. Gewiss, man hatte nicht die Freiheit, den Glauben öffentlich zu praktizieren, aber niemand legte uns offen Steine in den Weg, und wir konnten ohne Probleme ein Kruzifix um den Hals tragen.
Es gab sogar ein kleines Fabrikgebäude der Firma Shell, das für unsere religiösen Feiern „eingesetzt“ wurde. Dort drängten wir uns jeden Freitag zusammen. Es war zwar eng und heiß, aber wir waren doch überglücklich, gemeinsam beten zu können. Wir hatten auch einen italienischen Priester, Pfarrer Adriano, der es verstand, die Gläubigen so vieler verschiedener Nationalitäten mit seinem fröhlichen südländischen Elan zusammenzuhalten – und manchmal auch mit einem Teller köstlicher „Tagliatelle alla bolognese“ (damals in Katar eine Rarität).
Wir Italiener waren nur wenige, bei weitem nicht so zahlreich wie die indische Gemeinschaft, die eine richtige Pfarrei war. Zahlenmäßig gesprochen stand die arabische christliche Gemeinschaft an zweiter Stelle, die französische, die amerikanische und die philippinische waren recht beachtlich, die italienische die kleinste. Die heilige Messe und andere Feiern waren schon damals indisch geprägt, die Liturgie sehr bunt, nicht nur wegen der leuchtenden Farben der festlichen Saris, sondern auch wegen der Riten, der Gesänge und der Novene, die die verschiedenen Ethnien des asiatischen Subkontinents wiederspiegelten.
Bis 1978 verlief alles relativ ruhig. Dann aber kam es zur Machtübernahme Khomeinis im Iran, und die Golfregion stand Kopf. Das Shell-Gebäude wurde dem Erdboden gleichgemacht, die Priester erhielten keine Einreisegenehmigungen mehr. Ein Gefühl der Verlassenheit machte sich bei uns breit, aber der Heilige Geist setzte seine Arbeit unermüdlich fort. Gerade wenn die Not am schlimmsten ist, muss man sich etwas einfallen lassen, und so stellten viele ihre Privathäuser zur Verfügung, die jeden Freitag zur Kirche umfunktioniert wurden. Mit dem Priester war man überein gekommen, dass abwechselnd vier Messen in den zur Verfügung stehenden Wohnungen gefeiert würden. Viele machten mit, angesichts der besonders schwierigen Zeiten aber waren Zusammenkünfte von mehr als hundert Personen verboten: daher die Notwendigkeit, die Teilnehmerzahl bei den Messen gering zu halten.
Während der Feier wurden die Kinder vor dem Altar auf den Boden gesetzt oder von ihren Eltern im Arm gehalten, damit auch sie etwas sehen konnten. Unsere Kinder ließen den Klingelbeutel herum gehen, und sie taten das mit großem Eifer, vor allem Matteo, der Kleinste, der sich nicht abwimmeln ließ und jeden zu einer Spende überreden konnte.
So konnte die Feiertagsmesse letztendlich doch immer abgehalten werden; das Problem stellte sich an hohen Festtagen, wenn sich der Andrang fast verhundertfachte. Die Messen wurden in verschiedenen Sprachen gehalten, nicht nur auf Englisch, sondern auch auf Arabisch, Malayalam, Hindu, Urdu, usw. Meist aber in kleineren Wohnungen oder Häusern, manchmal sogar in der des Priesters, der gerade „dran war“. Einen „fixen“ Priester hatten wir nämlich nie. Unser Priester musste einen englischen Ausweis haben, weil er nur so keine Einreisegenehmigung brauchte. Er musste aber in jedem Fall oft den Standort wechseln, und so war es unvermeidlich, dass wir oft ohne Seelsorger waren. In diesem Fall gaben Diakone die bereits konsekrierten Hostien aus. Besonders gut erinnere ich mich an einen Priester namens Dunn, einen wahren Asketen, einen einfachen, aufrichtigen Menschen: die Güte in Person. Oft zelebrierte er die letzte Messe bei uns zu Hause und blieb dann zum Abendessen mit den Kindern, sah sich mit uns ein Fußballspiel im Fernsehen an. Er selbst hatte nämlich keinen. Alles, was ihm geschenkt wurde, gab er an die Pfarreien weiter, die noch ärmer waren. Für sich selbst wollte er nichts.
Als Pfarrer John hierher kam, fühlten wir uns als wirkliche Pfarrei. Er war Amerikaner, war von einer amerikanischen Schule angestellt worden und hatte als Dozent eine ständige Aufenthaltsgenehmigung. Für unsere Freitage mietete er die Eingangshalle und die beiden angrenzenden Korridore der Schule, die damals sehr klein war, so dass nur ca. hundert Personen auf einmal bei der Messe dabei sein konnten. Danach wurde die amerikanische Schule in ein großes, modernes Gebäude verlagert. Man hatte sich nach der Niederlassung des neuen amerikanischen Militärstützpunktes in Katar dem Wachstum der Gemeinschaft anpassen müssen. Pfarrer John schaffte es, einen größeren Raum anzumieten, eine Sporthalle, und in diesem riesigen Saal konnten sogar tausend Menschen auf einmal an der Messe teilnehmen. Jeden Freitag wurden hier vier oder fünf Messen gefeiert.
In der Zwischenzeit war die Pfarrgemeinschaft sichtlich gewachsen. Von ca. 10.000-15.000 Gläubigen auf 50.000 – der Priester war aber immer noch ein und derselbe: Pfarrer John! Und der musste sich um alles kümmern: liturgische Feiern, Taufen, Beerdigungen, Erstkommunionen. Bei den Beichten wäre er sicher ganz schön in Bedrängnis geraten, wenn unsere Pfarrei nicht zum Glück eine päpstliche Dispens für die Gemeinschaftsbeichte gehabt hätte. Dank Pfarrer John konnten die Messen nun auch in französischer und italienischer Sprache gehalten werden, und nun fühlten wir uns wirklich zu Hause...
Im Jahr 1995 war es endlich soweit: der neue Emir, Hamad bin Khalifa al-Thani, erlaubte die Kultfreiheit, und andere Priester konnten ins Land kommen und unseren Pfarrer unterstützen. Wie Pfarrer Tomasito, ein junger philippinischer Priester, der sich hier in Doha niedergelassen hat, um sich um seine Gemeinschaft zu kümmern, die inzwischen die zahlenreichste war.
In der Zwischenzeit – das Haus von Pfarrer John, das u.a. als Kapelle fungierte, musste abgerissen werden, um dem Olympiadorf Platz zu machen – konnten wir eine große Villa anmieten, die unseren Priestern (inzwischen drei an der Zahl) als Unterkunft diente. Zu der Villa gehörte auch ein großes Grundstück, auf dem ein großer Saal für ca. 400 Personen errichtet werden konnte: endlich hatten wir unsere eigene Kirche! Wir nannten sie „die Kapelle“ – nicht nur wegen ihrer bescheidenen Dimensionen, sondern auch, weil wir noch keine Erlaubnis hatten, eine richtige Kirche zu bauen. An die Kapelle wurden dann noch einige port-a-cabin angebaut – und so hatten wir nun auch Büroräume, Aulen für den Katechismus und endlich auch die Grotte Unserer Lieben Frau von Lourdes.
Kardinal Ivan Dias und Mons. Giovanni Bernardo Tremoli.

Kardinal Ivan Dias und Mons. Giovanni Bernardo Tremoli.

Anfang des neuen Jahrhunderts kam Lester Mendonza als Pfarrer zu uns, und auf dem Grundstück der Kapelle entstanden weitere Räume für den Katechismus und ein Volleyballplatz für unsere Jugendlichen: das Oratorium war fertig. Mehr Priester bedeutete natürlich auch mehr Messen, Ausbildungs- und Fortbildungskurse für Katechisten und einen Organisationskalender, der nicht nur Pfarreien derselben Nationalität miteinander verband, sondern und vor zum Bischof von Abu Dhabi ernannt wurde, konnte Pater Bernardo stolze 11 Kirchen in seiner Diözese bauen lassen – die die größte der Welt ist, sich von den Vereinigten Arabischen Emiraten bis Oman erstreckt, von Jemen bis nach Saudi-Arabien, von Bahrein bis Katar. Die Kirche von Doha ist seine 12. Kirche, deren Umsetzung er jedoch seinem Nachfolger überlassen hat, Bischof Paul Hinder. Pater Bernardo war bei der Weihe dabei, am 15. März 2008, und damals hat er sicher an all jene Jahre des Wartens denken müssen, an alle Schwierigkeiten, die Emotionen und die Bitterkeit über nicht eingehaltene Versprechen und unerfüllte Hoffnungen. Die Kirche von Katar war vielleicht sein zerbrechlichstes Geschöpf – ein Geschöpf voller Probleme, und vielleicht gerade deshalb so sehr geliebt. Heute, wenige Wochen nach der Weihe der Kirche, die schon jetzt als „Kathedrale in der Wüste“ bezeichnet wird, scheinen all diese Jahre wie im Flug vergangen: wir können es noch gar nicht glauben, dass unsere Kirche Wahrheit geworden ist! Gewiss, sie wurde mit der Unterstützung eines weitblickenden Staatschefs gebaut, der allen Religionen des Buches den Baugrund zum Geschenk gemacht hat. Entscheidend war aber auch die Geduld derer, die sich für die nötigen Genehmigungen bei den Regierenden eingesetzt haben. Vor allem aber wurde sie gebaut mit dem Geld vieler einfacher Leute, die tatkräftig geholfen haben, dass „Seine Kirche“ wachsen kann.


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