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CHINA
Aus Nr. 12 - 2009

Rom und Peking: der sensus fidei hilft die Schwierigkeiten überwinden


Der Glaube des Volkes hat den Plan von einer unabhängigen Landeskirche scheitern lassen. Auch die Regierung muss nun ihr Verhalten den katholischen Gemeinden Chinas gegenüber überdenken. Interview mit Ren Yanli, Mitglied der chinesischen Akademie der Sozialwissenschaften.


Interview mit Ren Yanli von Gianni Valente


Ren Yanli, Mitglied der chinesischen Akademie der Sozialwissenschaften und des Forschungsinstituts für Weltreligionen, befasst sich seit Jahrzehnten mit den Ereignissen um die katholische Kirche Chinas und die Beziehungen zwischen Volksrepublik China und Vatikan. Der Professor versteht es, die einzelnen Fakten in die richtige historische Perspektive zu stellen, ohne über die Veränderungen zu urteilen, die es in den letzten Jahrzehnten in den Beziehungen zwischen katholischer Kirche und Volksrepublik China gegeben hat. Anlässlich seines Besuchs am Sitz der Stiftung für Religionswissenschaften, „Giovanni XXIII“ im italienischen Bologna bat ihn 30Tage um ein Interview.

Ren Yanli [© Ucanews]

Ren Yanli [© Ucanews]

Herr Professor, wie ist es um die katholische Kirche in China bestellt? Es gibt viele Gerüchte...
REN YANLI: Die chinesischen Katholiken sind Katholiken wie alle anderen. Sie haben denselben Glauben, lesen dieselbe Bibel, gehen aus freien Stücken zur Messe in die Kirche, wo sie beten und die Sakramente empfangen. Wie alle anderen Katholiken lieben sie ihre Heimat und wollen zur Modernisierung Chinas beitragen.
Warum gibt es dann aber Probleme?
REN: Es hat eine Zeit gegeben, in der es nicht möglich zu sein schien, gleichzeitig die Heimat und die Kirche zu lieben. Als die Volksrepublik China entstand, betrachtete man den Vatikan als politischen Feind des neuen kommunistischen China. Dann, Ende der 1950er Jahre, als die Politik von der anti-imperialistischen Bewegung beherrscht wurde, brach man alle Beziehungen zum Heiligen Stuhl ab. Die chinesische Kirche schlug die politische Linie der Unabhängigkeit und der eigenmächtigen Bischofsernennungen ein. Aber schon damals verloren jene, die aus Patriotismus oder auch nur dem Schein nach diese Linie verfolgten, schon bald ihre spirituelle Gelassenheit, schienen nicht länger gemeinsame Front zu machen. Wie soll eine Ortskirche, die keine Beziehung zum Apostolischen Stuhl hat, katholisch sein können? So kam es dann ja auch, dass die chinesischen Katholiken nach der unglückseligen Zeit der Kulturrevolution und der von Deng Xiaoping vorangetriebenen neuen Öffnung Chinas die Beziehung zum Heiligen Stuhl, zum Papst und zur katholischen Weltkirche wieder aufnehmen wollten. Wenn auch im gegebenen Zeitrahmen und mit den damals möglichen Mitteln.
Ein Wunsch, den man auf verschiedenen Wegen in die Tat umzusetzen versucht hat.
REN: Einige haben sich den heimlich geweihten Bischöfen angeschlossen, die in Gemeinschaft mit dem Papst standen und die jegliche Beziehung zur politischen Macht oder Kontrolle ablehnten. Aber auch die Bischöfe, die ohne Genehmigung des Apostolischen Stuhls geweiht worden waren, baten nach und nach darum, vom Papst anerkannt und legitimiert zu werden. Auch sie sind also davon abgekommen, die Unabhängigkeit anzustreben. Dieses allgemein feststellbare Phänomen muss in seiner Gesamtheit gesehen werden.
Wie lässt sich das erklären? Was waren die Ursachen?
REN: Mir wird eigentlich immer klarer, dass der wichtigste Grund der Glaube der chinesischen Katholiken war, und zwar sowohl der Laien als auch des Klerus. Die Priester sind nun nicht mehr bereit, ohne apostolisches Mandat Bischöfe zu werden, wenn ihre Ernennung also nicht vom Papst kommt. Vielen neuen Bischöfen war es ein Anliegen, am Anfang und am Ende ihrer Weihezeremonie den Brief, in dem der Papst ihre Ernennung bekanntgibt, öffentlich zu machen. Man weiß immerhin nur allzu gut, dass die Gläubigen Geistlichen, die – ohne Zustimmung des Papstes – autonom gewählt und geweiht worden sind, kein Gehör schenken. Die ohne päpstliches Mandat ernannten Bischöfe werden gemieden; niemand will bei der Messe aus ihren Händen die Kommunion empfangen. Wenn es in der Vergangenheit also auch den ein oder anderen gegeben hat, der vielleicht in einer unabhängigen Kirche Karriere machen wollte, scheiterte dieses Vorhaben letztendlich am Glauben unseres Volkes. Und das hat auch der Regierung geholfen, einen anderen Kurs einzuschlagen.
Worin sehen Sie diese Kursänderung? Nicht alle sind der Meinung, dass die chinesischen Machthaber heute elastischer sind als früher.
REN: Wenn die Regierung will, dass Bischöfe Hirten sind, die von den Gläubigen geschätzt und respektiert werden und man sie nicht als von außen aufgedrängte Beamte betrachtet, dann muss sie verstehen – und das tut sie –, dass eine vom Papst kommende Ernennung und die volle Gemeinschaft mit ihm unabdingbar sind. Etwas, worauf man nicht verzichten kann. Im Klartext heißt das, dass man von dem Gedanken abgekommen ist, der Kirche eine Unabhängigkeit aufzudrängen, die die Trennung vom Papst und von der Weltkirche bedeutet. Die Tendenz zu einer Bekräftigung der Gemeinschaft der chinesischen Bischöfe mit dem Papst – und zu allem, was damit zusammenhängt – ist nicht mehr rückgängig zu machen. Es gibt kein Zurück mehr.
Wie würden Sie die jüngste Phase der Beziehungen zwischen China und dem Vatikan beurteilen?
REN: Meiner Meinung nach hat es wenig Sinn, von einem Ende der „Eiszeit“ zu sprechen, weil es ja schon lange kein Eis mehr gibt und die beiden Seiten bereits vor vielen Jahren direkte Kontakte aufgenommen haben. Aber da ist immer noch dieses Hin und Her: jedes Mal, wenn eine Seite die Initiativen der anderen als Versuch betrachtet, sie auszuschalten, folgen gleich darauf Taten, die als „Gegenschlag“ interpretiert werden können.
Können Sie uns ein Beispiel nennen?
REN: Nehmen wir das Jahr 2005. Alle in jenem Jahr geweihten Bischöfe hatten bereits vor der Weihe die Ernennung durch den Papst in der Tasche. Es war ein friedliches Jahr. 2006 wurde dann aber der Bischof von Hongkong, Joseph Zen, zum Kardinal kreiert – und schon fing man in China wieder damit an, Bischöfe ohne Mandat des Papstes zu ernennen: im April und im November. So konnten sich die Fronten zwischen chinesischer Regierung und Römischer Kurie erneut verhärten. Im Januar 2007, als durchsickerte, dass Benedikt XVI. an die Kirche in China einen Hirtenbrief geschrieben hätte, hörten die von Rom nicht autorisierten Weihen auf. Auch der neue Bischof von Peking wurde damals mit Genehmigung des Papstes gewählt. Dann aber feierte man in China mit großem Pomp den fünfzigsten Jahrestag der Patriotischen Vereinigung und der ersten Bischofsernennungen, zu denen es 1958 ohne Mandat des Papstes gekommen war. Und bei diesen Feierlichkeiten haben die politischen Verantwortlichen betont, dass die chinesische Kirche ihre Unabhängigkeitslinie beibehalten müsse.
chaften diese Sonderbefugnisse, die mit dem Papstbrief aufgehoben worden waren, wieder zurückgegeben werden könnten.
Welche Reaktionen hat das auf chinesischer Seite ausgelöst?
REN: Man musste befürchten, dass es zu neuen Konflikten kommen würde. Als dann aber Hu Jintao zum G8 nach Italien kam, ließ ihn der Papst wissen, dass er ihn gerne im Vatikan begrüßen würde. Diese Begegnung konnte nicht stattfinden; dass der Papst aber diese Einladung ausgesprochen hat, wurde sehr geschätzt.
Und wie geht es jetzt weiter?
REN: Vor ein paar Monaten hätte der achte Kongress der chinesischen Katholiken stattfinden sollen. Das ist die Versammlung der Delegierten der Diözesen, die bei der staatlichen Verwaltung der religiösen Angelegenheiten registriert sind. Ihr obliegt es auch, in offiziellen Organen der Kirche Chinas wie der Patriotischen Vereinigung und dem Bischofskollegium leitende Posten neu zu besetzen, wenn die sie bisher innehabenden Bischöfe verstorben sind. Die politischen Machthaber haben beschlossen, den Kongress auf 2010 zu verschieben.
Kommunionempfang in einer katholischen Kirche Xishiku (Peking). [© Sinopix/LaPresse]

Kommunionempfang in einer katholischen Kirche Xishiku (Peking). [© Sinopix/LaPresse]

Was bedeutet diese Verschiebung Ihrer Meinung nach?
REN: Vielleicht wollte man die Dinge nicht überstürzen. In Peking hat man eingesehen, dass die Oberhäupter der offiziellen Organismen nur dann anerkannt und respektiert werden, wenn es sich um Bischöfe handelt, die in Gemeinschaft mit dem Papst stehen. Und die legitimen Bischöfe hätten Schwierigkeiten damit, Ämter zu übernehmen, wenn der Heilige Stuhl ausdrücklich dagegen sein sollte. Die Entscheidung muss auf den richtigen Mann fallen. Und das dauert seine Zeit. Die heutigen chinesischen Politiker sind Pragmatiker und tendieren dazu, die sich ihnen stellenden Probleme schrittweise zu lösen, ohne allzu drastisch zu sein. Vor diesem Hintergrund fürchte ich, dass solange es nicht gelingt, einige grundlegende Probleme zu lösen, immer die Gefahr bestehen wird, zermürbende Konflikte wieder aufleben zu lassen, die nichts mehr mit der Geschichte zu tun haben. Und das würde letztendlich allen schaden.
Wie kann man die von Ihnen beschriebene Spirale von Aktion und Reaktion unterbrechen?
REN: Der Heilige Stuhl würde gut daran tun, die chinesische Kirche mit ein zu beziehen. Wie bereits gesagt: die Treue der chinesischen Katholiken zum Glauben der Apostel war entscheidend. Und das gilt auch für die Entwicklung der Beziehungen zu den politischen Machthabern unseres Landes.
Was erwarten Sie sich von den chinesischen Politikern?
REN: Im Mai vergangenen Jahres hat eine anonyme, aber einflussreiche chinesische Persönlichkeit in einer Hongkonger Zeitung darauf aufmerksam gemacht, dass Peking in Sachen Autonomie, Unabhängigkeit und Selbstregierung der Ortskirche umdenken könnte. In Seminaren, die für die politischen Entscheidungsträger abgehalten werden, befasst man sich schon seit geraumer Zeit mit dem Thema, wie man eine neue Definition für eine Unabhängigkeit finden kann, die den kirchlichen Aspekt des Glaubens vom politischen trennt. Das Konzept der Unabhängigkeit kann nicht länger auf die mit dem Glauben zusammenhängenden Aspekte des kirchlichen Lebens angewandt werden, sondern ist nur politisch zu verstehen.
Können Sie uns ein konkretes Beispiel nennen?
REN: Die Regierung will die Garantie, dass sich die Kirche nicht wie ein politisches Organ verhält. Dass die chinesischen Bischöfe unabhängig sind von etwaigen politischen und geopolitischen Linien der Römischen Kurie. In der Praxis bedeutet das, dass man vermeiden will, dass ein Bischof oder eventuell ein Nuntius die von der Regierung betriebene Politik kritisieren kann. Und das ist auch der Grund dafür, warum in Peking so mancher die Kontrolle über die Bischofsernennungen beibehalten möchte.


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