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Aus Nr. 12 - 2009

„Gib, was du befiehlst“


„Mit diesem schönen Gebet des hl. Augustinus: „Gib, was du befiehlst, und befiehl, was du willst“, das auch Benedikt XVI. zitiert hat, lässt sich das vorliegende Buch zusammenfassen.“ So Kardinal Jorge Mario Bergoglio, Erzbischof von Buenos Aires, im Vorwort zu dem Buch über die Zeit der Kirche nach Augustinus.


von Kardinal Jorge Mario Bergoglio


Giacomo Tantardini, <I>Il tempo della Chiesa secondo Agostino. Seguire e rimanere in attesa. La felicità in speranza</I>, Città Nuova, Rom 2009, 388 SS.

Giacomo Tantardini, Il tempo della Chiesa secondo Agostino. Seguire e rimanere in attesa. La felicità in speranza, Città Nuova, Rom 2009, 388 SS.

Das Buch Il tempo della Chiesa secondo Agostino bringt uns wieder jene schönen Vorlesungen über die Aktualität des Augustinus nahe, die Don Giacomo Tantardini in den Akademischen Jahren 2005 bis 2008 an der Universität Padua gehalten hat.
Man kann in vielerlei Hinsicht sagen, dass der heilige Bischof von Hippo aktuell ist. Man kann sich an Neuauslegungen seiner Theologie wagen; die Modernität wieder entdecken, mit der er die Tiefen der menschlichen Seele ergründete; oder auch herausstellen, welch geniale Urteile er über die geschichtlichen Ereignisse seiner Zeit abgab. Einer Zeit, die der unsrigen in gewisser Hinsicht so ähnlich ist.
In seinen Vorlesungen über Augustinus konnte Don Giacomo aber auch herausstellen, dass sich durch die augustinischen Texte noch ein roter Faden zieht. Wenn Augustinus aktuell, ja für uns fast schon „zeitgenössisch“ ist, dann ist er das vor allem, weil er einfach nur beschreibt, wie man in der Zeit der Kirche Christ wird und bleibt. Und diese Zeit ist die seine genauso wie die unsrige. „Jene kurze Zeit – wie Augustinus als Kommentar zu den von Jesus im Johannesevangelium (Joh 16, 16-20) gesprochenen Worten mehrfach schreibt –, die zwischen der Auffahrt des Herrn in den Himmel in seinem wahren Leib bis zu seiner Wiederkehr in Herrlichkeit verstreicht“ (S. 123).
Wie man Christ wird, beschreibt Augustinus meiner Meinung nach am eindrucksvollsten dort, wo er von der Begegnung Jesu mit Zachäus berichtet (SS. 279-281). Zachäus ist von kleiner Statur. Damit er den vorbeikommenden Herrn also besser sehen kann, steigt er auf einen Maulbeerfeigenbaum. Augustinus schreibt: „Et vidit Dominus ipsum Zacchaeum. Visus est, et vidit / Und der Herr blickte den Zachäus an. Zachäus wurde angeblickt, und er sah.“ Hier beeindruckt das dreifache „Sehen“: das des Zachäus, das Jesu, und dann wieder das des Zachäus, nachdem ihn der Herr angeblickt hat. „Er hätte ihn vorbeigehen sehen, auch wenn Jesus den Blick nicht erhoben hätte“, kommentiert Don Giacomo, „aber es wäre keine Begegnung gewesen. Er hätte vielleicht jenes Minimum an gesunder Neugier befriedigen können, das ihn auf den Baum stiegen ließ, aber es wäre keine Begegnung gewesen“ (S. 281).
Und genau das ist der Punkt: Manche glauben, dass der Glaube und das Heil unserem beharrlichen Ausschau-Halten entspringen, unserer beharrlichen Suche nach dem Herrn. Dabei ist das Gegenteil der Fall: Du bist gerettet, wenn dich der Herr sucht, wenn er dich anblickt; wenn du zulässt, dass er dich anblickt und sucht. Der Herr sucht dich zuerst. Und wenn du ihn findest, dann verstehst du, dass er da war und dich angeblickt hat, dass er auf dich gewartet hat, zuerst auf dich gewartet hat. Das ist das Heil: Er liebt dich zuerst. Und du lässt zu, dass er dich liebt. Das Heil ist diese Begegnung, bei der er zuerst wirkt. Wenn diese Begegnung nicht gegeben ist, sind wir nicht gerettet. Wir können Reden schwingen über das Heil, können beruhigende theologische Systeme erfinden, die Gott zu einem Notar werden lassen und seine ungeschuldete Liebe zu einer geschuldeten Geste, zu der er von seiner Natur her gezwungen ist. Aber so werden wir nie Teil des Volkes Gottes werden. Wenn du aber den Herrn anblickst und voller Dankbarkeit erkennst, dass du ihn anblickst, weil er dich anblickt, dann lösen sich alle intellektuellen Vorurteile in Luft auf, dann gibt es keinen Elitarismus des Geistes mehr, der so typisch ist für Intellektuelle ohne Talent, und der ein Ethizismus ohne Güte ist.
Wenn der Anfang des Glaubens also Werk des Herrn ist, so beschreibt Augustinus auch, wie es gelingt, sich diesen Anfang zu bewahren. Die entscheidenden Worte stehen im Untertitel: Nachfolge in der Erwartung. Und repräsentiert wird das von der Gestalt des Johannes, des am meisten geliebten Jüngers. Johannes repräsentiert jene, die darauf warten, geliebt zu werden, und die aus Gnade, und nicht durch irgendeine Anstrengung, in dieser Erwartungshaltung bleiben. An ihm wird deutlich, dass „man weder lieben noch nachfolgen kann, wenn man nicht zuerst geliebt wird (vgl. 1Joh 4, 19)“ (S. 171). In ihm erneuert sich in jedem Moment die Erwartung der Gesten des Herrn die Erwartung jener Neuanfänge, in denen die Freiheit „ja“ sagt zur Gnade, „ja“ sagt „wegen der Freude, von der sie angezogen wird“ (S. 372).
Bei Augustinus finden wir – wie uns Don Giacomo sagt –, Hinweise darauf, wann wir vom Herrn angeblickt und in die Arme genommen werden.
Das erste Zeichen ist die Dankbarkeit, die spontane Gemütsregung, von ganzem Herzen zu danken. Augustinus stellt auch heraus, dass das klare Bewusstsein um das, was zur Erlangung des Heils notwendig ist, Grund zu Hochmut geben kann: jenem Hochmut, den er bei den platonischen Philosophen seiner Zeit feststellen konnte, die „gesehen haben, wohin man gelangen muss, um glücklich zu sein; die aber das, was sie gesehen haben, sich selbst zuschreiben wollten, und als sie so hochmütig geworden waren, wieder verloren, was sie gesehen hatten“ (S. 27). Man mag zu der Erkenntnis gelangen, dass nur in Gott die Glückseligkeit liegt, aber dieses Wissen allein kann nicht das Herz rühren. Das Herz bleibt traurig und selbstgerecht. Es löst sich nicht in Tränen der Dankbarkeit auf (SS. 19-25), sondern wird – wenn es vom Herrn in den Arm genommen wird und „demütig meinen demütigen Gott Jesus in den Arm nimmt“ (S. 40)–, unmerklich von Dankbarkeit erfüllt. Und es wird mit dieser Dankbarkeit auch gut. Don Giacomo schreibt, dass „man nicht gut ist, weil man weiß, was das Gute ist; dass man nicht zufrieden ist, weil man weiß, was Glückseligkeit ist. Man ist gut und man ist glücklich, weil man vom Guten und von der Glückseligkeit umschlungen wird“ (S. 330).
<I>Jesus und Zachäus</I>, Fresko in der Basilika Sant’Angelo in Formis, Capua (Caserta).

Jesus und Zachäus, Fresko in der Basilika Sant’Angelo in Formis, Capua (Caserta).

Ein anderes Erkennungszeichen ist gerade dieses Aufkeimen von Glückseligkeit in der Hoffnung, von dem im Untertitel des Buches die Rede ist. Für Augustinus wird die Freude, die der Herr den Seinen verheißt, in spe – in der Hoffnung gegeben und lebt auch aus dieser. Was bedeutet das? Wenn Augustinus in seinen Schriften den Ausdruck in spe gebraucht, meint er damit, dass diese Glückseligkeit stets eine Gnade ist. In unserer irdischen Befindlichkeit ist es etwas für alle unmittelbar Sichtbares: Die Glückseligkeit auf dieser Erde, verheißen als Unterpfand der himmlischen Glückseligkeit, kommt nicht von uns, wir können sie weder selbst bewerkstelligen noch bewahren oder kontrollieren. Sie liegt nicht in unserer Hand, und das macht sie prekär für jene, die meinen, ihr Leben selbst planen zu können. Es ist die Glückseligkeit der Armen, die in den Genuss dieses ungeschuldeten Geschenks kommen. Die Glückseligkeit dessen, der stets getragen ist von der Hoffnung auf den Herrn, und der gerade deshalb beruhigt ist. Es ist nämlich eine schöne Sache, in der Gewissheit leben zu können, dass uns der Herr zuerst liebt, uns zuerst sucht. Der Herr der Geduld, der uns entgegenkommt in der Hoffnung, dass wir, wie einst Zachäus, auf den Baum der humilitas steigen. Ihm hat Augustinus jenes schöne Gebet gewidmet, das auch Benedikt XVI. unlängst zitiert hat und mit dem man auch das vorliegende Buch zusammenfassen könnte: „Gib, was du befiehlst, und befiehl, was du willst.“ Gib, dass wir wieder wie Kinder werden, und dann befiehl, dass wir wie Kinder sind, um ins Himmelreich eingehen zu können.
ben, sind 1.600 Jahre verstrichen.


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