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OSTERN 2010
Aus Nr. 02/03 - 2010

Die Erneuerung der Freude in Christus


Die Meditation zu Ostern, die Kyrill, Patriarch von Moskau und ganz Russland, für 30Tage geschrieben hat.


von Patriarch Kyrill


Kyrill, Patriarch von Moskau und 
ganz Russland, bei der Osterliturgie 
in der Erlöserkathedrale (Moskau, 19. April 2009). [© ITAR-TASS]

Kyrill, Patriarch von Moskau und ganz Russland, bei der Osterliturgie in der Erlöserkathedrale (Moskau, 19. April 2009). [© ITAR-TASS]

Versuchen wir uns einmal folgende Frage zu stellen: gibt es in dieser Welt, die sich in ständiger Veränderung befindet, irgendetwas, das unveränderlich ist?
Hier geht es natürlich nicht um unsere persönlichen Gefühle, um die Überzeugungen und Erinnerungen, die den Mikrokosmos des Menschen darstellen und die dazu verurteilt sind, gemeinsam mit uns, ihren irdischen „Inhabern“, aus dem irdischen Leben zu verschwinden.
Es ist auch nicht unser Planet, auf dem das Menschengeschlecht seit der Zeit Adams und Evas sein Dasein zubringt; attestiert uns doch die Geschichte der Geologie, dass sich dort, wo sich heute Wüsten und hohe Berge befinden, dereinst der Ozean ausbreitete. Ja, selbst die Magnetpole der Erde verschieben sich in periodischen Abständen.
Und es sind auch nicht die Naturgesetze, von denen man nur auf den ersten Blick den Eindruck hat, sie seien für alle Zeit festgesetzt, unveränderlich und unantastbar. So der Schöpfer des Himmels und der Erde nämlich will und es notwendig sein sollte, kann die „natürliche Ordnung“ dank seiner großen Wunder auch „überwunden“ werden.
Und schließlich ist es auch nicht das äußere Erscheinungsbild des homo sapiens, dessen Abbild und Ähnlichkeit mit Gott schon heute entstellt werden kann, beispielsweise durch Operationen zur Geschlechtsumwandlung, die inzwischen fast schon zur Normalität geworden sind. Und wer weiß, ob wir nicht den Voraussagen glauben dürfen, dass wir tiefgreifende biologische Veränderungen des Menschen zu erwarten haben: denken wir nur an die schädlichen Auswirkungen der Anwendung von postindustriellen Techniken auf lebende Organismen, die außer Kontrolle geratene Entwicklung der Gentechnik oder die Frage der Klonation. Ganz zu schweigen von dem von Futurologen vorausgesagten Triumph der Cyberkultur, der die menschliche und die kybernetische Intelligenz in einen einzigen Organismus integrieren will und die radikale Enthumanisierung der Welt der Zukunft voraussagt.
Sollte es also tatsächlich möglich sein, dass es im materiellen und spirituellen Sein nichts gibt, das als eine Art absolute Konstante betrachtet werden kann, als Alpha und Omega des Daseins, als Anfang des Anfangs oder Maß aller Dinge? Offensichtlich nicht. Und meiner Meinung nach würde es auf der Welt kein unglücklicheres Wesen geben als den Menschen, wenn sich eine derartige Situation jemals in unserem Leben ergeben sollte.
Dabei gibt es dieses absolute Prinzip in unserer Welt, und es ist für alle Menschen zugänglich, ohne Ausnahme. Um welches Prinzip handelt es sich? Die Kirchenväter sagen uns, dass es schon seit ewiger Zeit existiert, es ohne Anfang ist, nicht geschaffen, ohne Ende, unwandelbar, unveränderlich, unteilbar, frei von der Materialität, unerschöpflich… Und dieses Prinzip schließt auch die ganze Fülle der Heiligkeit, des Guten und der Lebensenergie in sich ein, mit denen es uns im Laufe unseres gesamten Lebens speist. Der Anfang des Anfangs ist nämlich unser Schöpfer, unser Herr und Gott, der „gestern und heute und derselbe auch in Ewigkeit“ ist (Hebr 13, 8). Er ist der Eckstein des Seins, das einzige unfehlbare Kriterium der Wahrheit von allem, was existiert, der Ausgangs- und der Zielpunkt unseres Pilgerwegs auf Erden.
Das Kommen des allmächtigen Gottes auf diese Welt, der geruhte, in der schwachen, wehrlosen und leidenden Menschennatur Fleisch zu werden, wird bis ans Ende der Zeiten das wichtigste Ereignis der Weltgeschichte und der geistlichen Biographie jeder einzelnen Person in allen kommenden Generationen der Menschheit bleiben. Wir nämlich wissen: Gott ist Mensch geworden, damit der Mensch Gott wird, indem er die Unsterblichkeit erwirbt.
Deshalb sagen wir Christen dem Herrn aus der Fülle unserer an das Heil glaubenden Herzen Dank dafür, dass er uns wieder würdig gemacht hat, in Gemeinschaft zu treten mit seinem Liebesopfer, wieder einzutauchen in diese unermessliche Freude über seine heilige Auferstehung, seinen leuchtenden Sieg über die Finsternis des Todes, seinen kindlichen Gehorsam dem Himmlischen Vater gegenüber.
Der selige Abt Dorotheus von Gaza, der von der Kirche des Altertums heiliggesprochen wurde und im Palästina des 6. Jahrhunderts lebte, wird sowohl von den Orthodoxen als auch den Christen verehrt. In dem Versuch, die größtmögliche mathematische Präzision zu erreichen, verglich er die Welt mit einem Kreis, dessen Mitte mit Gott, und dessen Strahlen mit den verschiedenen Lebensweisen der Menschen. Wenn alle, die Gott nahe kommen wollen, zur Mitte des Kreises gehen, nähern sie sich gleichzeitig einander und Gott. Je mehr sie sich Gott nähern, desto mehr nähern sie sich einander. Und je mehr sie sich einander nähern, desto mehr nähern sie sich Gott. „Das ist die Besonderheit der Liebe“, schlussfolgerte der weise christliche Eremit: „Je mehr wir uns am Rand befinden, ohne Gott zu lieben, umso mehr entfernen wir uns von unseren Nächsten. Wenn wir Gott aber lieben, dann nähern auch wir uns umso mehr einander, je mehr die Liebe uns Gott nahebringt, vereint in der Liebe zu unserem Nächsten; und je mehr wir uns dem Nächsten nähern, umso mehr nähern wir uns auch Gott.“ Der wahre Widerspruch des Menschseins ist nämlich seine Sündhaftigkeit, die dem Wirken der göttlichen Gnade die Pforten unseres Herzens verschließt, das auf die Liebe keine liebende Antwort mehr geben kann oder will.

Am Tag des lichtvollen Paschas des Herrn sind alle Christen von Neuem im Wesentlichen vereint, in der gemeinsamen Erfahrung seines Geschehens in Herrlichkeit. Und indem wir die an uns gerichtete Botschaft hören: „Christus ist auferstanden!“, bezeugen wir: „Er ist wahrhaftig auferstanden!“.


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