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UKRAINE
Aus Nr. 11 - 2003

ORIENTALISCHE KIRCHEN. Zu Wort kommt der Großerzbischof der griechisch-katholischen Ukrainer.

Unsere „Sendung auf Zeit”


„Zur Wiederherstellung der Gemeinschaft genügt es, daß sich alle orthodoxen Kirchen des Ostens der vollen Gemeinschaft mit dem Nachfolger Petri öffnen. Alles weitere bleibt dann unberührt. An diesem Punkt angelangt hätten wir katholischen orientalischen Kirchen unsere historische Funktion erfüllt.“ Interview mit Kardinal Lubomyr Husar, der bald nach Kiew übersiedeln wird.


von Gianni Valente


Kommunion der Apostel, Mosaik in der St.-Sophien-Kirche in Kiew, Ukraine.

Kommunion der Apostel, Mosaik in der St.-Sophien-Kirche in Kiew, Ukraine.

Der ukrainische Kardinal Lubomyr Husar, Oberhaupt der bedeutendsten Kirche orientalischen Ritus’ in Gemeinschaft mit dem Papst ist ein höflicher und umgänglicher Mensch. Er verliert auch nicht leicht die Geduld, und das, obwohl ihm schon seit langer Zeit immer wieder dieselben Fragen gestellt, er sich immer wieder dieselben Polemiken anhören muß. Seit fast 15 Jahren konsolidiert seine aus den zermürbenden „Untergrund“-Jahrzehnten der Sowjetzeit mit neuer Kraft hervorgegangene Kirche ihre Strukturen auf dem gesamten ukrainischen Territorium. Eine „Wiedergeburt“, die viele als Stolperstein für alle Vorsätze einer Aussöhnung zwischen der Kirche von Rom und dem Patriarchat Moskau sehen.
Man kann sich leicht vorstellen, daß der Großerzbischof der griechisch-katholischen Ukrainer nicht gerade begeistert war von dem Interview, das der russisch-orthodoxe Metropolit Kyrill von Smolensk 30Tage erst vor kurzem gewährt hat. Und in dem der Verantwortliche der Abteilung für Äußeres des Patriarchats von Moskau gegen die „Expansionspläne“ der griechisch-katholischen Gläubigen in der Ukraine wetterte und dem „Anspruch“, daß ihre Kirche in den Rang eines Patriarchats erhoben werde, jede historische Grundlage absprach. Aber was Husar wirklich ganz gewaltig gegen den Strich geht, ist, daß die katholischen Ukrainer orientalischen Ritus’ als „Spielverderber“ des ökumenischen Dialogs abgestempelt werden. Er ist nämlich vom genauen Gegenteil überzeugt.

Eminenz, in Kiew wird gerade die neue Auferstehungskathedrale errichtet. Wann werden Sie in die Hauptstadt umziehen? Handelt es sich um einen „Umzug“ im Hinblick Ihrer Erhebung zum Patriarchen?
LUBOMYR HUSAR: Die beiden Dinge haben nichts miteinander zu tun. Ich werde nach Kyiv [Kiew auf Ukrainisch, Anm.d.Red.] gehen, auch wenn ich – nach kirchlicher Terminologie – noch ein „Großerzbischof“ bin, unabhängig davon, ob unser Patriarchat nun anerkannt wird oder nicht – heute, morgen oder in 10 Jahren. Kyiv wird ab Dezember mein Hauptsitz sein. Die Kathedrale wird in ein paar Monaten fertiggestellt sein, die Büros und Gebäudekomplexe dagegen erst in ca. zwei Jahren.
Johannes Paul II. und Kardinal Lubomyr Husar in Kiew (Juni 2001).

Johannes Paul II. und Kardinal Lubomyr Husar in Kiew (Juni 2001).

Wieso diese Übersiedelung?
HUSAR: Zunächst einmal aus pastoralen und historischen Gründen. Es stimmt, daß die Präsenz der Katholiken orientalischen Ritus’ und die Strukturen unserer Kirche in der Ost-Ukraine vom Zarenreich nahezu vollkommen „ausgemerzt“ wurden. Aber im vergangenen Jahrhundert konnten unsere Gläubigen wieder dort Fuß fassen, und das dank Stalin. Mit seinen Deportationen ist er zum unfreiwilligen Apostel des Katholizismus in verschiedenen Teilen der Sowjetunion geworden. Aus pastoralen Gründen ist es für uns nun ratsam, unseren zentralen Sitz nach Kyiv zu verlegen, weil wir den nun im ganzen Land verstreuten Gemeinschaften so näher sind. Wenn wir in Kyiv sind, ersparen wir uns auch die langen Reisen, die wir jedes Mal auf uns nehmen müssen, wenn uns der staatliche Kirchenrat und die staatlichen Büros aus irgendeinem Grund einberufen. Es ist schließlich kein Zufall, daß alle Oberhäupter der vom Staat anerkannten Konfessionen in der Hauptstadt residieren.
Die Gläubigen Ihrer Kirche sind jedoch auch weiterhin in der West-Ukraine angesiedelt. Welche „historischen Gründe“ haben Sie also für Ihren Umzug?
HUSAR: Aus Kyiv hat man uns vertrieben. Lemberg ist sozusagen nie unsere Heimat gewesen, war nie im Zentrum der Geschichte unserer Kirche. Auch die Ereignisse in der modernen Geschichte, wie damals, als acht der 10 Bischöfe des ukrainischen Territoriums ihre Gemeinschaft mit dem Bischof von Rom bekräftigten – in der Union von Brest-Litovsk von 1596 – hatten Kyiv zum Zentrum. Paradoxerweise waren die einzigen Bischöfe, die bei diesem Anlaß den Akt der Einheit mit Rom nicht unterzeichnet hatten, die von Lemberg und Przemysl, ebenfalls im westlichen Teil der derzeitigen Ukraine. Als der Zar Anfang des 19. Jahrhunderts die Strukturen unserer Kirche in Kyiv liquidiert hatte, wurden diese in Lemberg mit Zustimmung des Hl. Stuhls wieder eingerichtet. Und seit damals kam es nur aus dem Grund in der West-Ukraine zu einer Konzentration unserer Gläubigen, weil diese Gebiete nicht dem Zar unterstanden, sondern dem Habsburger-Imperium und Polen. Aber wie bereits gesagt: unsere Gemeinschaften blühen nun im ganzen Land auf. Und somit kehren wir nun sozusagen nach Kyiv zurück.
Ukrainische Gläubige bereiten dem Papst bei seiner Ankunft am Flughafen von Chayka, bei Kiew,  wo er den Vorsitz bei einer Eucharistiefeier hatte, einen herzlichen Empfang (24. Juni 2001).

Ukrainische Gläubige bereiten dem Papst bei seiner Ankunft am Flughafen von Chayka, bei Kiew, wo er den Vorsitz bei einer Eucharistiefeier hatte, einen herzlichen Empfang (24. Juni 2001).

In der letzten Zeit haben Sie die nie wirklich verworfene Forderung der Anerkennung Ihrer Kirche als Patriarchat erneuert. Warum beharren Sie so sehr darauf?
HUSAR: In unserer östlichen Tradition ist das Patriarchat die natürliche Folge des normalen Wachstumsprozesses einer Kirche. Wenn eine Ortskirche östlicher Tradition in ihrer historischen Entwicklung in den verschiedenen Aspekten des kirchlichen Lebens – Spiritualität, Liturgie, Theologie, kanonische Disziplin, hierarchische Struktur, Organisation – einen gewissen Grad der Reife erreicht hat, stellt die Anerkennung des Patriarchats keinen „Sprung“ dar, keinen Moment der Diskontinuität, sondern die einfache Zurkenntnisnahme einer bereits erfolgten Entwicklung, eines bereits hinter sich gebrachten Weges. Auch in dem jüngsten postsynodalen Apostolischen Schreiben Pastores gregis hat der Papst wiederholt, daß dort, wo es die Bedingungen erfordern, Patriarchate eingerichtet werden müssen. Im vergangenen Jahr sind die griechisch-katholischen Ukrainer übereingekommen, daß unsere Kirche bereits ein Patriarchat ist. Von diesem internen Konsens gestärkt und mit Unterstützung unserer Gläubigen haben wir auch die höchste Autorität der katholischen Kirche gebeten, diese Realität anzuerkennen und ihren Segen zu geben.
Obliegt es dem Bischof von Rom, die Patriarchate einzurichten?
HUSAR: Die Dinge haben sich im Lauf der Geschichte geändert. Die ersten fünf Patriarchate wurden durch die von der noch ungeteilten Kirche abgehaltenen ökumenischen Konzilien anerkannt. Die erst in jüngster Zeit geschaffenen sind oft von zeitlichen Mächten kreiert worden, von Kaisern und Königen verschiedener Nationen, und wurden dann allmählich von den anderen Kirchen anerkannt. Auch das Patriarchat Moskau hat anderthalb Jahrhunderte warten müssen, bevor es von den anderen orthodoxen Kirchen einhellig anerkannt wurde. Heute, in moderner Zeit, eröffnen sich für uns andere Wege...
Man sagt, daß auch der ukrainische Staat die Schaffung Ihres Patriarchats unterstützen könnte...
HUSAR: Wir wollen nicht, daß das Patriarchat vom Staat eingerichtet wird, um keine Untertanenschaft unter die zivile Macht erdulden zu müssen. Dann wäre das Patriarchat nämlich eine staatliche Einrichtung. Wir wollen dem kirchlichen Weg folgen. Das klassische Brauchtum sieht vor, daß die neuen Patriarchate durch das in Sitzung versammelte ökumenische Konzil anerkannt werden. Aber schließlich liegen zwischen dem I. und dem II. Vatikanischen Konzil fast 100 Jahre...
Eine Kind empfängt bei der Messe unter Vorsitz des Papstes die Eucharistie (Flughafen Chayka).

Eine Kind empfängt bei der Messe unter Vorsitz des Papstes die Eucharistie (Flughafen Chayka).

Und ein III. Vatikanisches Konzil scheint ja nicht in Sicht zu sein.
HUSAR: Nein, ganz im Gegenteil... Aber in der katholischen Kirche haben wir eine andere Möglichkeit, die auch in den Kodexen des kanonischen Rechtes sanktioniert ist, und die es bei den Orthodoxen leider nicht gibt. Die Einrichtung neuer Patriarchate kann vom Papst ratifiziert werden.
In 30Tage hat der orthodoxe Metropolit Kyrill von Smolensk die eventuelle Schaffung von Patriarchaten durch den Papst als Versuch bezeichnet, „die Ekklesiologie der Zeit der Kreuzzüge wiederaufleben zu lassen, als im Osten bekanntlich katholische Parallel-Patriarchate zu den orthodoxen errichtet wurden.“
HUSAR: Es ist doch nicht der Papst, der das Patriarchat schafft. Ein Patriarchat ist eine Kirche des Volkes, die bereits da ist, mit ihrer Spiritualität, ihrer Theologie, ihrer Hierarchie, die nur anerkannt werden muß. Und wenn der Papst dann seine Zustimmung gibt, erkennt er das lediglich an. Und schließlich sind alle Patriarchate – orthodoxe und katholische – in der Geschichte in den verschiedensten Weisen entstanden, eine jede ihrem besonderen Weg folgend. Es gibt kein obligatorisches Einheitsmodell.
Es bleibt jedoch die Tatsache, daß sich die Errichtung eines Patriarchats, noch dazu in Kiew, unweigerlich auf den Dialog mit den Ortodoxen auswirken würde. Die sich als die legitimen Erben der 988 in Kiew erfolgten „Taufe der Rus’“ sehen. Es würde zu einer Art Erbstreit kommen.
HUSAR: Aber dort liegen auch die Wurzeln unseres Baumes. Wir sind eine autochtone Kirche: unsere Realität beruht nicht auf einer fremden „Einpflanzung“ in diesem Gebiet. Im Unterschied beispielsweise zur lateinischen Kirche, die sowohl in Russland als auch in der Ukraine keine Kirche des Volkes ist, eine nicht „landesgeborene“ Realität bleibt. Auch wir sind Kinder der ersten Taufe der Rus’. Und nach dem Bruch der Einheit im Jahr 1054 hat sich unsere Kirche nie auf die eine oder andere Seite gestellt.
Aber die Metropoliten von Kiew wurden damals doch von Konstantinopel geschickt.
HUSAR: Ein paar Jahrhunderte lang ja. Aber unsere Bischöfe gingen zu den Konzilien, die im Westen abgehalten wurden, wie dem von Lyon oder Florenz, wo unser Metropolit Isidor von Kyiv einer der Protagonisten der zeitweisen Wiedervereinigung der Kirchen des Ostens mit der Kirche von Rom war. Ende des 16. Jahrhunderts erkannten unsere Bischöfe an, daß unsere Kirche, wenn sie überleben wollte, ihre Gemeinschaft mit dem Bischof von Rom bekennen mußte, jene Gemeinschaft, die von uns jedoch nie offiziell geleugnet worden war. Ein solcher Schritt war damals nur der Endpunkt eines Prozesses, der beim Konzil von Florenz seinen Ausgang genommen hatte. Und doch liegt die Wurzel all unserer Probleme gerade darin, daß wir eine landesgeborene Kirche sind...
Wie meinen Sie das?
HUSAR: Unter dem Zar und auch in den schwierigsten Momenten der Sowjetepoche hat man die – wenn auch minimale – Präsenz der lateinischen Kirche toleriert, da man sie als eine „ausländische“ Präsenz sah. Aber wir sind Ukrainer byzantinischer Tradition, und als solche bedeutete für uns die Anerkennung des Bischofs von Rom einen Verstoß gegen die strengen Identifizierungskodexe nationaler Zugehörigkeit und religiösen Bekenntnisses. Unsere Gemeinschaft mit dem Papst wurde nicht so sehr aus religiösen Gründen bestraft, sondern als eine Art Verrat an der Nation.
Segnung der Speisen für das Ostermahl in einer griechisch-katholischen Pfarrei in Lemberg.

Segnung der Speisen für das Ostermahl in einer griechisch-katholischen Pfarrei in Lemberg.

Die Orthodoxen sagen, daß die vom II. Vatikanischen Konzil zum Ausdruck gebrachte Theologie der Schwesterkirchen in den letzten 15 Jahren „begraben“ wurde. Euer „Wiederauftauchen“ nach Jahren der Verfolgung wäre als Werkzeug dazu benutzt worden, alle Kirchen des Ostens unter dem einzigen römisch-katholischen „Imperium“ unter lateinischer Führung zu absorbieren...
HUSAR: Aber auch unsere Kirche ist doch – im Bezug zu Rom – eine „Schwesterkirche“. Die universale Kirche existiert nicht auf abstrakte Weise, als platonische Idee. Sie existiert in bestimmten konkreten Gegebenheiten, die von der lokalen Kultur konditioniert werden. Wir sind eine Kirche sui iuris, die sich in Formen und Traditionen ausdrückt, die menschlichen, nicht göttlichen Ursprungs sind. Aber wir sind eine Kirche im vollkommenen Sinne, der lateinischen Kirche gleichgestellt. In diesem Sinne bilden wir eine Gemeinschaft von Schwesterkirchen, die auf ekklesiologischer Ebene dieselbe Würde, denselben Wert haben, unabhängig davon, welche Ausmaße sie haben mögen. Es ist nicht so, daß man in den Versammlungen von 100.000 Personen im Vatikan mehr „universale Kirche“ ist als in jeder beliebigen Pfarrei, wo die Eucharistie gefeiert wird.
Historisch gesehen hat es in den Beziehungen zwischen katholischen orientalischen Kirchen und Kirche von Rom nie an Problemen gemangelt.
HUSAR: Die Kirche lateinischen Ritus’ hat immer wieder Momente, wo sie ein gewisses Gefühl der Überlegenheit entwickelt, weil sie größere Ausmaße hat. Das geht soweit, die katholischen orientalischen Kirchen als Anhängsel oder Museumsstücke zu betrachten. Hierbei ist nun eine Veränderung festzustellen, auch dank des Ökumenismus, der der Grund dafür ist, daß man im Westen anfängt zu begreifen, daß es nicht nur die Kirche lateinischer Tradition gibt.
Kommen wir wieder auf die Beziehung zu den Orthodoxen zurück. Ein eventuelles griechisch-katholisches Patriarchat in Kiew, das die Kontinuität mit dem ältesten Sitz des Christentums auf den Gebieten östlich des Dnjepr bekräftigt, würde von der russisch-orthodoxen Hierarchie als ein Umstand gesehen werden, der ihr ihre kanonischen Autorität abspricht, sozusagen als eine Art „Abwertung“ des Patriarchats Moskau.
HUSAR: Wir stellen aber doch keinen Exklusivanspruch auf unser Erbe. Wir erkennen an, daß auch die russisch-orthodoxe Kirche ihre Wurzeln in ihrer gültigen apostolischen Sukzession in der ersten, in der Rus’ von Kiew erfolgten plantatio Ecclesiae hat. Nicht wir nähren die Spaltung. Im Gegenteil. Der Großteil unseres Handelns ist darauf ausgerichtet, zur ursprünglichen Einheit zurückzukehren.
Welche Vorstellung haben Sie von dieser Einheit?
HUSAR: Um die Gemeinschaft wiederherzustellen, müssen alle orthodoxen orientalischen Kirchen, die ihrer apostolischen Tradition treu sind, nichts von ihrem Erbe ändern, sie müssen sich einfach nur der vollen Gemeinschaft mit dem Nachfolger Petri öffnen. Alles andere bleibt dann unberührt. Wir müssen nicht mehr verlangen als das. Wenn wir mit den orthodoxen Kirchen erst wieder den gleichen Weg eingeschlagen haben, hätten wir orientalischen katholischen Kirchen unsere historische Funktion erfüllt und könnten zu den orthodoxen Schwesterkirchen wieder ein vertrauliches Verhältnis aufbauen, wie eben vor der Spaltung.
Und Sie erkennen wirklich an, eine „Sendung auf Zeit“ zu haben, die von einem Moment auf den anderen zu Ende sein könnte?
HUSAR: Nach Jahrhunderten der Spaltung und Feindseligkeit haben sich auch viele Brauchtümer geändert. Auf praktischer Ebene wäre vielleicht eine angemessene Zeitspanne vonnöten, in der man parallel die Strukturen der beiden Kirchen aufrecht erhalten könnte. Eine Zeit gegenseitigen „Aneinandergewöhnens“, zwei oder drei Generationen lang, vor der vollständigen Vereinigung.
Sie sind also der Meinung, daß es für die Wiederherstellung der Einheit ausreichend ist, wenn sich die Orthodoxen der Gemeinschaft mit dem Papst öffnen? Im Laufe der Jahrhunderte haben sich aber die Formen der Ausübung des Petrus-Primats geändert.
HUSAR: In seinem wesentlichen Inhalt ist der Petrus-Primat vor allem ein Dienst an der Einheit. In der Gemeinschaft zwischen den Kirchen brauchen wir ein Zentrum. Es ist ein wenig wie im Krieg, wenn man die Fahne hißt, und alle zu einem bestimmten Heer gehörenden Soldaten einen gut sichtbaren Orientierungspunkt haben, um den sie sich versammeln. Das Haupt der Kirche ist Christus. Der Bischof von Rom ist der Nachfolger des Apostels, den Christus dazu auserkoren hat, das sichtbare Zeichen zu sein, um das herum wir anerkennen, in Gemeinschaft zu sein. Die Gemeinschaft manifestiert sich um diese beiden Realitäten herum, die göttliche Eucharistie und den Papst.
Kann das Papsttum, so wie es derzeit aussieht, von den orthodoxen Kirchen akzeptiert werden?
HUSAR: Man muß anerkennen, daß der Primat Petri und seiner Nachfolger, auf Wunsch Christi, der ihn begründet hat, objektive Merkmale und Eigenschaften hat. Sonst wäre auch die Einheit um Petrus zu vage und würde mit der Zeit verblassen. Außerdem braucht der Papst bei der Ausübung seines Amtes auch konkrete, praktische Werkzeuge. Es gibt jetzt eine Kurie, viele Kardinäle, die zuerst in Rom konzentriert waren, und heute über die ganze Welt verstreut sind... Diese Werkzeuge können, wie alles Menschliche, zuviel oder zuwenig entwickelt werden. Das ändert sich im Lauf der Geschichte. Manchmal werden diese Werkzeuge für die Ausübung des Petrus-Primats zu umständlich, und etwas muß verändert werden.
In der Vergangenheit hatten auch die orientalischen katholischen Kirchen unter solchen Exzessen zu leiden...
HUSAR: Als die römisch-katholische Kirche etwas in der reinen Tradition der orientalischen Kirchen ändern wollte – und dazu ist es in der Vergangenheit manchmal gekommen – hat sie die Wiederherstellung der Gemeinschaft unmöglich gemacht.
In einigen Punkten gibt es noch Spannungen. Einer ist die Ernennung der Bischöfe. In der orientalischen Tradition ist sie dem Synod der einzelnen Kirche überlassen, in der lateinischen katholischen Kirche, mit wenigen Ausnahmen, ist sie dem Papst vorbehalten, wobei die Römische Kurie eine wichtige Rolle spielt.
HUSAR: Der Bischof wird Bischof nicht kraft der vom Papst erhaltenen Ernennung, sondern kraft der Sakramente. Das Wesentliche, das, was man bewahren muß, ist, daß der Bischof seine Gemeinschaft mit dem Papst von Rom erklärt. Die Prozedur ist dann zweitrangig, kann sich je nach Zeiten und Umständen ändern. Im österreichisch-ungarischen Reich hatte der Kaiser beispielsweise viel Gewicht, was man heute nicht mehr sagen kann.
Es hat kürzlich auch mit Ihren verheirateten Priestern Probleme gegeben, die in Westeuropa arbeiten. Die den Orthodoxen vorgehaltene Lehre vom „kanonischen Territorium“ taucht auch sin den Forderungen einiger europäischer Episkopate auf...
HUSAR: Die spanischen und auch die italienischen Bischöfe haben uns geschrieben und gebeten, keine verheirateten Priester für die Seelsorge unserer Gemeinschaften zu schicken. Aber wir haben nicht genügend unverheiratete Priester, die wir nun, da die Gläubigen unserer Kirche in der ganzen Welt verstreut sind, im pastoralen Dienst einsetzen können. Ich kann unsere Mitbrüder im Bischofsamt im Westen verstehen. Sie haben angesichts der Tatsache, daß dieses Thema in ihren Kirchen Debatten auslöst, Angst vor diesem „schlechten Beispiel.“ Man muß sich der Verbundenheit mit den kulturellen Formen bewußt sein, aber diese dürfen nicht verabsolutiert werden. Man kann sachlich erklären, daß es nicht nur in der orthodoxen Kirche Verheiratete gibt, die zu Priestern geweiht werden, sondern auch in der katholischen Kirche. Ich stamme selbst aus einer Priesterfamilie. Mein Großvater war Priester, viele meiner Familienangehörigen waren verheiratete Priester. Die einen waren vorbildliche Priester, die anderen nicht. Dasselbe gilt für die unverheirateten: auch da kenne ich vorbildliche, und weniger vorbildliche Priester. Die Qualität des Priesters hängt nicht davon ab, ob er verheiratet ist oder nicht. In einigen Fällen kann es für jemanden, der seine Berufung zu leben versucht, von Vorteil sein, eine Familie zu haben. Aber ich will meinen lateinischen Brüdern nicht auf den Schlips treten. Ich wäre nur sehr glücklich darüber, wenn unsere Priester auch im Westen mit demselben Respekt behandelt werden würden, mit dem unsere orthodoxen Brüder im Priesteramt behandelt werden.


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