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STUDIENTAGUNGEN ZUR...
Aus Nr. 08/09 - 2010

PADUA, 17. APRIL 2007

„Wenn ich die Liebe nicht habe, mag ich alle anderen Güter haben, aber sie können mir nichts nützen“


Lesen Sie hier Auszüge aus den Vorlesungen über der Aktualität des Augustinus an der Universität Padua, die in dem Buch Il tempo della Chiesa secondo Agostino. Seguire e rimanere in attesa. La felicità in speranza von Giacomo Tantardini gesammelt sind.


von Giacomo Tantardini


Giacomo Tantardini, <I>Il tempo  della Chiesa secondo Agostino. Seguire e rimanere in attesa. La felicità in speranza</I>, Città Nuova, Rom 2009,  388 SS., Euro 22.00

Giacomo Tantardini, Il tempo della Chiesa secondo Agostino. Seguire e rimanere in attesa. La felicità in speranza, Città Nuova, Rom 2009, 388 SS., Euro 22.00

VORWORT
Ich danke Herrn Professor Fellin auch für diese letzte Klarstellung, die er uns gegenüber machen wollte*. Sie hat mich sehr beeindruckt. Schon Augustinus pflegte nämlich zu betonen, dass „Gott Mensch geworden ist, damit die Menschen Gott werden“1. Damit sie Gott werden nicht kraft ihrer Natur, sondern kraft jenes Gnadenereignisses, aufgrund dessen Gott Mensch geworden ist2. Eine weniger schematische und gewiss vollständigere Interpretation sowohl der westlichen als auch der östlichen theologischen Traditionen sollte die Dialektik zwischen einer östlichen Theologie, die die Vergöttlichung im Blick hat und einer westlichen Theologie, die dagegen die Erlösung von der Sünde im Blick hat, vermeiden. Zwar werden in den beiden Traditionen unterschiedliche Akzente gesetzt, man kann aber sicher zu einem angemesseneren Verständnis beider gelangen, wenn man nicht von diesem Schema ausgeht.
Ein Beispiel. Normalerweise stellt man die Trinitätstheologie der griechischen Väter der Trinitätstheologie der lateinischen Väter gegenüber: erstere hätten versucht, das Geheimnis ausgehend von der Unterscheidung der drei Personen zu erklären, um die eine [göttliche] Natur aufzuzeigen; während die Lateiner – und besonders Augustinus – von der einen [göttlichen] Natur ausgehend zur Unterscheidung der drei Personen gelangt wären. Dabei muss man nur Augustins De Trinitate lesen, um sich darüber klar zu werden, dass der Gedankengang von der Unterscheidung der Personen zur Einheit der Natur gelangt, und nicht umgekehrt. Ebenso wie Athanasius und Basilius geht auch Augustinus von der Reflexion über die drei Personen zur Reflexion über die Substanz über. Diese Feststellungen sind jedoch nur ein erster Antwortversuch.
Ich danke Prof. Fellin auch für den Verweis auf die Schöpfung in der Zeit. Mein erster Essay im ersten Theologie-Jahr in Venegono befasste sich mit De Deo creatore. Vor der Schöpfung gibt es keine Zeit, und die Schöpfung ist Schöpfung in der Zeit. Und schließlich danke ich dem Herrn Professor auch für seine Bemerkung zu der überraschenden Konkretheit, dem überraschenden Realismus, die Augustinus dort zeigt, wo er von den zwei Staaten spricht.
Heute, zum Abschluss der Begegnungen dieses Jahres und ausgehend von einigen Überlegungen, die der ehemalige Kardinal Ratzinger in seinem Buch über Augustin3 angestellt hat, möchte ich auf das hinweisen, was für Augustinus und den Christen die Mitte des christlichen Ereignisses ist: die Liebe.
Erlauben Sie mir eine Anmerkung, die die Vorlesung vom letzten Mal an die heutige anschließt. In der letzten Vorlesung, bei der ich vor allem auf Augustins Schriften gegen die Donatisten zu sprechen kam – die gegen das Schisma des Donatus – haben wir gesagt, dass die Perspektive der Donatisten die Einheit der Kirche war. Die Perspektive des Augustinus ist die jetzige Gegenwart des Ereignisses Jesus Christus; die Einheit der Kirche ist nämlich das Ergebnis seiner Gegenwart. Den Übergang von der donatistischen zur augustinischen Perspektive kann man als Übergang von der unitas zur caritas unitatis bezeichnen. Die Perspektive der Donatisten ist die Einheit der Gemeinschaft, mit der ganzen, aus einer solchen Perspektive resultierenden Tragik: wir dürfen nicht vergessen, dass der Donatismus – wie wir schon letztes Mal gesagt haben – recht verheerende Auswirkungen gehabt hat, ja sogar zu Gewaltakten nicht nur den Katholiken, sondern auch ihren Gemeinden gegenüber geführt hat4. Wenn die Perspektive die Gemeinschaft ist, und nicht das ungeschuldete Ereignis Jesu Christi, der seine Kirche baut, bringt man „eine Verunreinigung“ ein, „die die Urteile und Beziehungen beeinträchtigt“5 und die zu Gewalt führt. Bei Augustinus tritt der Übergang von der unitas zur caritas unitatis zum Tragen, zur Quelle der Einheit selbst, der Anziehungskraft Jesus. In De civitate Dei sagt Augustinus, dass caritas, amor und dilectio gleichbedeutende Begriffe sind, dass sie dieselbe Dynamik, denselben Inhalt haben6. Die Worte Nächstenliebe, Liebe, Zuneigung können auf eine christliche Weise mit einem Begriff ausgedrückt werden, der meiner Meinung nach der schönste Ausdruck ist, den Don Giussani geprägt hat: die Anziehungskraft Jesus.


1. „Vielmehr ist caritas [für Augustinus] gleichbedeutend mit Gnade und heiligem Geist“7

1.1 DIE LIEBE IST SO WICHTIG, DASS WENN SIE FEHLT, DER BESITZ ALLER ANDEREN DINGE VERGEBENS IST

IN EVANGELIUM IOANNIS IX, 8
Quisquis itaque nominat Patrem et Filium, oportet ibi intellegat tamquam caritatem invicem Patris et Filii, quod est Spiritus Sanctus. Fortassis enim discussae Scripturae: quod non sic dico, ut hodie docere possim, aut quasi aliud inveniri non possit: sed tamen fortasse scrutatae Scripturae indicant quod Spiritus Sanctus caritas est. Et ne putetis vilem esse caritatem. Quomodo autem vilis est, quando omnia quae dicuntur non vilia, cara dicuntur? Si ergo quae non sunt vilia, cara sunt; quid est carius ipsa caritate? Sic autem commendatur caritas ab Apostolo, ut dicat: «Supereminentiorem viam vobis demonstro. Si linguis hominum loquar et angelorum, caritatem autem non habeam, factus sum aeramentum sonans, aut cymbalum tinniens: et si sciero omnia sacramenta et omnem scientiam, et habuero prophetiam et omnem fidem, ita ut montes transferam, caritatem autem non habeam, nihil sum: et si distribuero omnia mea pauperibus, et tradidero corpus meum ut ardeam, caritatem autem non habeam, nihil mihi prodest». Quanta est ergo caritas, quae si desit, frustra habentur caetera; si adsit, recte habentur omnia? Tamen caritatem laudans apostolus Paulus copiosissime atque uberrime, minus de illa dixit quam quod ait breviter apostolus Ioannes, cuius est hoc Evangelium. Neque enim dubitavit dicere: «Deus caritas est». Scriptum est etiam: «Quia caritas Dei diffusa est in cordibus nostris per Spiritum Sanctum qui datus est nobis». Quis ergo nominet Patrem et Filium, et non ibi intellegat caritatem Patris et Filii? Quam cum habere coeperit, Spiritum Sanctum habebit: quam si non habuerit, sine Spiritu Sancto erit. Et quomodo corpus tuum sine spiritu, quod est anima tua, si fuerit, mortuum est; sic anima tua sine Spiritu Sancto, id est, sine caritate si fuerit, mortua deputabitur. Ergo «metretas binas capiebant hydriae», quia in omnium temporum prophetia Pater et Filius praedicatur: sed ibi est et Spiritus Sanctus; ideoque adiunctum est, «vel ternas. Ego et Pater», inquit, «unum sumus»: sed absit ut desit Spiritus Sanctus, ubi audimus: «Ego et Pater unum sumus». Tamen quia Patrem et Filium nominavit, capiant «hydriae binas metretas»; sed audi, «vel ternas: Ite, baptizate gentes in nomine Patris et Filii et Spiritus Sancti». Itaque in eo quod dicuntur binae, non exprimitur, sed intellegitur; in eo vero quod dicuntur vel ternae, etiam exprimitur Trinitas.
Quisquis itaque nominat Patrem et Filium, oportet ibi intellegat tamquam caritatem invicem Patris et Filii, quod est Spiritus Sanctus. / Wer immer den Vater und den Sohn erkennt [sie beim Namen nennt], muss dort [im Geheimnis des Vaters und des Sohnes] die gegenseitige Liebe des Vaters und des Sohnes erkennen, die der Heilige Geist ist. / Fortassis enim discussae Scripturae: quod non sic dico, ut hodie docere possim, aut quasi aliud inveniri non possit: sed tamen fortasse scrutatae Scripturae indicant quod Spiritus sanctus caritas est / [Augustinus sagt, dass er diese Behauptung nicht weiter vertiefen will. Er spricht in der Tat zu den Gläubigen und es ist nicht seine Absicht, eine detaillierte Exegese der Texte anzustellen. So bekräftigt er, dass] ... die konsultierten Schriften darauf schließen lassen, dass der Heilige Geist die Liebe ist“. Caritas, amor, dilectio ist der Heilige Geist. Wir werden später noch auf das zurückkommen, was Thomas von Aquin über diese Beziehung zwischen Heiligem Geist und Liebe sagt – mit der Unterscheidung, die man unmöglich übersehen kann, nämlich der zwischen dem ungeschaffenen und dem geschaffenen Geschenk. Der Heilige Geist ist ungeschaffenes Geschenk, geschaffenes Geschenk ist die heiligende Gnade, die der Heilige Geist schafft, indem er die Freiheit des Menschen annimmt und ihm einen eigenen Willen gibt.
Et ne putetis vilem esse caritatem. / Nun glaubt ja nicht, dass die Liebe etwas ist, das keinen großen Wert hat. / Quomodo autem vilis est, quando omnia quae dicuntur non vilia, cara dicuntur? / Wie sollen wir der Liebe wenig Wert beimessen, wo wir doch alles, was keinen geringen Wert hat, als teuer bezeichnen? [hier bringt Augustinus das Wortspiel mit den lateinischen Begriffen carus und caritas ein] / Si ergo quae non sunt vilia, cara sunt, quid est carius ipsa caritate? / Wenn also alle Dinge, die von nicht geringem Wert sind, teuer sind, was kann dann teurer sein als die Liebe? / Sic autem commendatur caritas ab Apostel, ut dicat: / So hat schon der Apostel [Paulus] die Liebe gepriesen, als er sagte: / ‚ Danach zitiert Augustinus folgende bekannte Textstelle des Paulus: „Si linguis hominum loquar et angelorum, caritatem autem non habeam, factus sum aeramentum sonans, aut cymbalum tinniens: / Wenn ich in den Sprachen der Menschen und Engel redete, / hätte aber die Liebe nicht, / wäre ich dröhnendes Erz oder eine lärmende Pauke; / et si sciero omnia sacramenta / und wenn ich alle Geheimnisse kennen würde...“: im Lateinischen wird das griechische Wort mysterion (mysterion) oft mit sacramentum übersetzt, und diese Entsprechung von Geheimnis und Sakrament ist zutiefst christlich. Für den Christen sind die Geheimnisse (beispielsweise die Geheimnisse des Rosenkranzes) nicht in erster Linie die Wahrheiten, die die Vernunft nicht verstehen kann (siehe die beiden grundsätzlichen Geheimnisse des Glaubens): für den Christen ist das Geheimnis vor allem das Sich-Offenbaren Gottes in der Geschichte, so stimmt es ja auch, dass das Geheimnis schlechthin das Sakrament der Eucharistie ist, das mysterium fidei, also das sakramentale Sich-Offenbaren des unaussprechlichen Geheimnisses Gottes.
Doch kommen wir wieder auf Augustinus zurück: „...Und wenn ich alle Geheimnisse wüsste / et omnem scientiam, / und alle Erkenntnis hätte, / et habuero prophetiam / und wenn ich prophetisch reden könnte / et omnem fidem, ita ut montes transferam, / und wenn ich alle Glaubenskraft besäße und Berge damit versetzen könnte / caritatem autem non habeam, nihil sum: / aber die Liebe nicht hätte, wäre ich nichts: / et si distribuero omnia mea pauperibus, / Und wenn ich meine ganze Habe verschenkte / et tradidero corpus meum ut ardeam, / und wenn ich meinen Leib dem Feuer übergäbe, / caritatem autem non habeam, nihil mihi prodest‘ [1Kor 13, 1-3] /, hätte aber die Liebe nicht, / nützte es mir nichts‘. / Quanta est ergo caritas, / Wie wichtig ist also die Liebe / quae si desit frustra habentur caetera / denn wo sie fehlt, nützen alle anderen Güter nichts“. Das ist das Geheimnis der Kirche: die anderen Dinge sind nicht von geringem Wert, doch wenn die caritas fehlt, wenn die amor fehlt, wenn die dilectio fehlt, wenn die Anziehungskraft Jesus fehlt, wenn seine Gegenwart fehlt, die die Freiheit spontan (prompte) und mit Freuden (delectabiliter) anzieht – denn das ist die Liebe9 –, nützt es nichts, die anderen Dinge zu besitzen. Ohne die caritas bewirken die anderen Dinge keine Freiheit10.
Augustinus fährt fort: „si adsit, recte habentur omnia? / wo dagegen [die Liebe] ist, sind alle anderen Dinge wirklich authentisch [recte habentur: oder – wie wir es auch übersetzen könnten –: schön11]! / Tamen caritatem laudans apostolus Paulus copiosissime atque uberrime, / Aber auch wenn der Apostel Paulus die Liebe mit so überschwänglichen und fruchtbaren Worten anpreist, / minus de illa dixit quam quod ait breviter apostolus Ioannes, / drückt er doch weniger aus als der Apostel Johannes mit knappen Worten gesagt hat / cuius est hoc Evangelium. / von dem das Evangelium stammt, das ich kommentiere. / Neque enim dubitavit dicere:Deus caritas est‘ [1Joh 4, 16]. / Johannes hat nicht gezögert zu sagen: ‚Gott ist Liebe‘. / Scriptum est etiam: / Und es steht auch [bei Paulus] geschrieben: / ‚Quia caritas Dei / ‚Die Liebe Gottes / diffusa est in cordibus nostris per Spiritum Sanctum qui datus est nobis‘ [Röm 5, 5]. / wurde in unsere Herzen gegossen [nicht von uns12] durch den Heiligen Geist, der uns geschenkt wurde‘. / Quis ergo nominet Patrem et Filium, et non ibi intellegat caritatem Patris et Filii? / Wer kann den Vater und den Sohn nennen und darin nicht die Liebe [also die Entsprechung] des Vaters und des Sohnes erkennen?“. Die Begriffe dilectio, amor, caritas können, wenn sie den Heiligen Geist meinen, mit dem Begriff Entsprechung zwischen Vater und Sohn übersetzt werden. Die Liebe des Heiligen Geistes ist nicht nur Liebe, die sich schenkt, sondern sie ist auch Entsprechung mit der Freundschaft, oder, wie der hl. Hilarius sagt, „Genuss des Geschenks“13. So ist unser Gott die Fülle der Glückseligkeit. Der Heilige Geist ist die Entsprechung, der Genuss des Geschenks des Vaters an den Sohn. Im Geheimnis der Dreifaltigkeit liegt die Entsprechung mit der Glückseligkeit. Der Heilige Geist ist sozusagen diese Erfahrung der Entsprechung, des Genusses im Geschenk des Vater und des Sohnes.
Augustinus fährt fort: „Quam cum habere coeperit, Spiritum Sanctum habebit: quam si non habuerit, sine Spiritu Sancto erit. / Und wenn jemand anfängt, Liebe zu haben [auch hier ist es interessant, den Unterschied festzustellen zwischen dem Verb habere / “haben” und dem Verb tenere / “besitzen”14. So stimmt es ja auch, dass man die Liebe verlieren kann. Die Liebe hat man als geschenkte Gnade], man hat den Heiligen Geist, und wenn man die Liebe nicht hat, hat man auch den Heiligen Geist nicht. / Et quomodo corpus tuum sine spiritu, quod est anima tua, si fuerit, mortuum est; / Und ebenso wie dein Leib, wenn er keinen Geist hätte, der deine Seele ist, tot wäre, / sic anima tua sine Spiritu Sancto, id est, sine caritate si fuerit, mortua deputabitur / so wäre auch deine Seele ohne den Heiligen Geist, also ohne Liebe, als tot zu betrachten“.


2. „Caritas und ecclesia rücken hier so eng zusammen, dass man sie in einem gewissen Sinn als identisch hinstellen darf“15. Die Ecclesia ist die Sichtbarkeit der caritas, die Sichtbarkeit der Anziehungskraft Jesus. Die Anziehungskraft Jesus, die den Menschen begegnet und die Personen an sich zieht, so dass sie sichtbar Kirche werden. Die Kirche ist die Sichtbarkeit dieser Anziehungskraft aus Liebe. „Caritas und ecclesia rücken hier so eng zusammen, dass man sie in einem gewissen Sinn als identisch hinstellen darf“16. Besonders wichtig in diesem Ausspruch Ratzingers ist dieses „in einem gewissen Sinn“; denn wir werden nachfolgend sehen, wie man sie unterscheiden muss.

2.1 DIE EINHEIT CHRISTI

IN EVANGELIUM IOANNIS VI, 21
Sed, inquies, habeo sacramentum. Verum dicis: sacramentum divinum est; habes baptisma, et ego confiteor. Sed quid dicit idem Apostolus? «Si sciero omnia sacramenta, et habuero prophetiam et omnem fidem, ita ut montes transferam»: ne forte et hoc diceres: Credidi, sufficit mihi. Sed quid dicit Iacobus? «Et daemones credunt, et contremiscunt». Magna est fides, sed nihil prodest si non habeat caritatem. Confitebantur et daemones Christum. Ergo credendo, sed non diligendo dicebant: «Quid nobis et tibi?». Fidem habebant, caritatem non habebant: ideo daemones erant. Noli de fide gloriari; adhuc daemonibus comparandus es. Noli dicere Christo: Mihi et tibi quid est? Unitas enim Christi tibi loquitur. Veni, cognosce pacem, redi ad viscera columbae. Foris baptizatus es; habeto fructum, et redis ad arcam.

Augustinus an die Donatisten.
Unitas enim Christi / Die Einheit Christi [auch das ist – wie wir letztes Mal schon angedeutet haben, etwas sehr Schönes: die Einheit der Kirche ist die unitas Christi, die Einheit, die Christus zustandebringt. Unitas Christi ist gleichbedeutend mit Ecclesia Christi] / tibi loquitur. Veni, cognosce pacem, redi ad viscera columbae. / er wendet sich an dich [an den Donatisten, an den, der getrennt ist] und der dir sagt: komm, lerne den Frieden kennen [mache die Erfahrung des Friedens, also der Gemeinschaft. Pax e communicatio], kehre ins Herz der Taube zurück [das Bild der Kirche als Taube]. / Foris baptizatus es; / Du wurdest außerhalb getauft [außerhalb der Einheit der Kirche. Erinnere dich an folgende Behauptung des Augustinus: „Außerhalb des Uterus der Kirche wurdest du getauft / de semine viri sui / aber mit dem Samen ihres Bräutigams“17. Auch die Taufe außerhalb der Kirche ist die Taufe Christi, es ist immer Christus, der tauft18]; / habeto fructum, et redis ad arcam / du mögest die Frucht haben [nämlich die Liebe, die die Frucht der Taufe ist, die Frucht des Sakraments] und so zur Arche zurückkehren“. Die Liebe trägt dich ins Herz der Kirche.


3. „Aber nicht jeder, der in ihr [der Kirche], d.h., in dem Volk, das diese Braut darstellt, steht, gehört wirklich zu ihr, d.h. hat wirklich die caritas“19. Wer in der Kirche ist, aber keine caritas hat, sagt das Zweite Ökumenische Vatikanische Konzil mit den Worten des Augustinus (Lumen gentium, Nr. 14), ist zwar mit dem Leib innerhalb, mit dem Herzen aber außerhalb der Kirche20. „Freilich, wer in der catholica steht, gehört scheinbar zur Braut und hat damit scheinbar die caritas. So sehr ist die rechtliche verfasste ecclesia nun doch mit der caritas verknüpft: aber diese äußerlich-sichtbare Teilhabe an der caritas genügt nicht, es kann ihr die innere Wirklichkeit und damit alles fehlen“21.

3.1 WENN ICH KEINE LIEBE HABE, KANN ICH ALLE ANDEREN GÜTER HABEN, ABER SIE WERDEN MIR NICHTS NÜTZEN

SERMO AD CAESARIENSIS ECCLESIAE PLEBEM 3
Et quid non habent, ait mihi aliquis, qui haec habent? Tu dicis: Habent baptismum Christi. Dico. Tu dicis: Habent fidem Christi. Dico. Si ergo haec habent, quid non habent? Quid est baptismus? Sacramentum. Audi Apostolum: «Si sciero omnia sacramenta». Multum est scire omnia Dei sacramenta. Quantacumque sciamus sacramenta, quis novit Dei omnia sacramenta? Quid ait Apostolus? «Si sciero omnia sacramenta, si habeam omnem prophetiam». Adde adhuc, «et omnem scientiam». Sed de fide dixeras. Audi adhuc: «Si habeam omnem fidem». Difficile est habere omnem fidem, quomodo difficile est noscere omnia sacramenta. Et quid est quod dicit, «omnem? Ita ut montes transferam; caritatem autem non habeam, nihil sum». Intendite, fratres; intendite, obsecro vos, Apostoli vocem, et videte quare cum tantis laboribus et periculis fratres nostros quaeramus. Caritas eos quaerit de cordibus nostris. «Propter fratres meos et propinquos meos», dicit Psalmus, «loquebar pacem de te», ad sanctam Ierusalem loquens. Videte ergo, fratres mei, quid dixit Apostolus: «Si habuero omnia sacramenta, omnem scientiam, prophetiam, fidem». Qualem fidem? «Ita ut montes transferam; caritatem autem non habeam, nihil sum». Non dixit: Illa omnia nihil sunt; sed: «si caritatem non habeam, nihil sum». Quis enim demens diceret: Nihil sunt Dei sacramenta? Quis demens diceret: Nihil est prophetia, nihil scientia, nihil fides? Non illa nihil sunt; sed cum illa magna sint, ego magna habens, «si caritatem non habeam, nihil sum». Magna illa sunt, et magna habeo, et nihil sum si caritatem non habeo, per quam mihi prosunt quae magna sunt. Si enim non habeo caritatem, illa inesse possunt, prodesse non possunt. Ideo te quaero, ut hoc sacramentum sit tibi in salutis adiutorium, non in damnationis testimonium.

Augustinus erzählt den Gläubigen der Kirche von Caesarea von dem Donatisten Emeritus: „Et quid non habent, ait mihi aliquis, qui haec habent? / Der ein oder andere wird mich fragen: und was haben jene, die diese Dinge haben, nicht? [mit diesen Dingen ist die Taufe gemeint, das Credo, die Eucharistie] / Tu dicis: Habent baptismum Christi. / Du sagst: sie haben die Taufe Christi [die Donatisten haben sie, die Taufe Christi]. / Dico. Tu dicis: Habent fidem Christi. / Ich gebe es zu. Du sagst: sie haben den Glauben Christi [der Taufglaube ist derselbe: das Credo der Apostel]. / Dico. Si ergo haec habent, quid non habent? / Ich gebe es zu. Wenn sie also diese Dinge haben [wenn sie denselben Glauben haben, dieselben Sakramente], was fehlt ihnen dann? / Quid est baptismus? Sacramentum. / Was ist die Taufe? Ein Sakrament. / Audi Apostolum: ‚Si sciero omnia sacramenta‘. / Hört den Apostel [und hier greift er den Text des Paulus über die Liebe wieder auf]: ‚Und wenn ich alle Geheimnisse wüsste‘ [alle Sakramente]. / Multum est scire omnia Dei sacramenta. / Es ist eine wichtige Sache, alle Geheimnisse Gottes zu kennen. / Quantacumque sciamus sacramenta, quis novit Dei omnia sacramenta? / Wie gut wir die Geheimnisse auch kennen mögen – wer kann sagen, alle Geheimnisse Gottes zu kennen? / Quid ait Apostolus? ‚Si sciero omnia sacramenta, si habeam omnem prophetiam‘. / Was aber sagt der Apostel? ‚Wenn ich alle Geheimnisse wüsste, und wenn ich prophetisch reden könnte‘. / Adde adhuc, ‚et omnem scientiam‘. / Und fügt noch an: ‚Wenn ich alle Wissenschaft hätte‘. / Sed de fide dixeras. / Du aber hast vom Glauben gesprochen. / Audi adhuc: / Höre also, was er dann sagt: / ‚Si habeam omnem fidem‘. / ‚Und wenn ich alle Glaubenskraft besäße‘. / Difficile est habere omnem fidem, quomodo difficile est noscere omnia sacramenta / Es ist schwer, den ganzen Glauben zu haben“: hier müsste man zwischen dem Glauben als theologaler Tugend und dem Glauben als besonderem Geschenk des Geistes unterscheiden (Vgl. 1Kor 12, 9), der jener Glaube ist, der Wunder vollbringt, von denen Augustinus spricht und von denen Paulus spricht. Es gibt da einen sehr schönen Satz, der mir ein großer Trost ist und der vom hl. Cyrill von Jersualem stammt, der sagt, dass man sich, um den Glauben zu erlangen, der Wunder vollbringt, nur an den Glauben des Credos halten muss22. Wunder sind ein Geschenk des Herrn. Wenn du dich an den Glauben des Credo hältst, kann dir der Herr auch den Glauben schenken, der Berge versetzt.
Doch kommen wir wieder auf Augustinus zurück: „Es ist schwer, den ganzen Glauben zu haben, und ebenso schwer ist es, alle Geheimnisse zu kennen. / Et quid est quod dicit, ‚omnem‘? / Und was bedeutet ‚die Fülle des Glaubens‘? / ‚Ita ut montes transferam; / ‚Dass man Berge versetzen kann [denkt an die Worte Jesu: „Wenn euer Glaube auch nur so groß ist wie ein Senfkorn, dann werdet ihr zu diesem Berg sagen: Rück von hier nach dort“ (Mt 17, 20)], / caritatem autem non habeam, nihil sum‘ / aber wenn ich die Liebe nicht hätte, wäre ich nichts‘. „Wenn ich den Glauben habe, der Berge versetzt, aber nicht die Liebe, bin ich nichts. Wenn ich die Liebe nicht habe, also die Anziehungskraft Jesus, die liebende Anziehungskraft der Gegenwart des Herrn, die mich in die Lage versetzt, den Herrn zu lieben und den Nächsten zu lieben, bin ich nichts.
Intendite, fratres; intendite, obsecro vos, Apostoli vocem, / Lauscht, o Brüder, ich bitte euch, lauscht dem Wort des Apostels, / et videte quare cum tantis laboribus et periculis fratres nostros quaeramus. / und seht, warum wir mit soviel Mühe und unter sovielen Gefahren unsere Brüder suchen. / Caritas eos quaerit de cordibus nostris. / Die Liebe ist es, die sie im Innersten unseres Herzens sucht [wie schön ist doch diese cordibus nostris: dem Innersten des Herzens, das sich von der Anziehungskraft Jesus einnehmen ließ, entspringt diese Möglichkeit, zu lieben]. / [...] Videte ergo, fratres mei, quid dixit Apostolus: ‚Si habuero omnia sacramenta, omnem scientiam, prophetiam, fidem‘. / [...] Seht daher, meine lieben Brüder, was der Apostel gesagt hat: ‚Und wenn ich alle Geheimnisse wüsste und alle Erkenntnis hätte, und wenn ich prophetisch reden könnte, und wenn ich alle Glaubenskraft besäße‘. / Qualem fidem? ‚Ita ut montes transferam; caritatem autem non habeam, nihil sum‘. / Welche Art Glauben? ‚Den, der Berge versetzt, aber wenn ich die Liebe nicht hätte, wäre ich nichts‘. / Non dixit: Illa omnia nihil sunt; / Er hat nicht gesagt, dass diese Dinge [die Prophetie, der Glaube, der Berge versetzt] nichts sind, / sed: ‚si caritatem non habeam, nihil sum‘. / sondern ‚wenn ich nicht die Liebe habe, bin ich nichts‘ [diese Dinge sind ein Geschenk Gottes, die Taufe ist ein Geschenk Gottes, der Glaube ist Geschenk Gottes, aber wenn ich die Liebe nicht habe, bin ich nichts]. / Quis enim demens diceret: Nihil sunt Dei sacramenta? / Wer ist so unintelligent [senza mens] zu sagen, dass die Sakramente Gottes nichts sind? / Quis demens diceret: Nihil est prophetia, nihil scientia, nihil fides? / Wer ist so unintelligent zu sagen, dass die Prophetie nichts ist, dass die Wissenschaft, der Glaube, nichts sind? / Non illa nihil sunt; sed cum illa magna sint, ego magna habens, / Es stimmt nicht, dass diese Dinge nichts sind, im Gegenteil: diese Dinge sind große Dinge, ich habe große Dinge, / ‚si caritatem non habeam, nihil sum‘. / [aber] ‚wenn ich die Liebe nicht habe, bin ich nichts‘ [ich habe große Gaben, aber wenn ich die Liebe nicht habe, bin ich nichts]. / Magna illa sunt, et magna habeo, / Diese Dinge sind große Dinge, und ich habe große Dinge / et nihil sum si caritatem non habeo, / und doch bin ich nichts, wenn ich die Liebe nicht habe / per quam mihi prosunt quae magna sunt. / denn aus Liebe geschieht es, dass mir diese großen Dinge nützen können [diese Dinge sind große Dinge, aber ohne Liebe nützen sie nichts. Die Liebe bewirkt, dass die Taufe etwas nützt; die Liebe bewirkt, dass der Glaube ewas nützt; die Liebe bewirkt, dass die Prophetie etwas nützt]. / Si enim non habeo caritatem, illa inesse possunt, prodesse non possunt / Wenn ich nicht die Liebe habe, können diese Dinge auch in mir sein, und mir doch nichts nützen“23. Sie können dem Heil nicht nützlich sein. Ich habe diese salubriter Gaben nicht als Quelle des Heils. Sie können nicht nützlich sein für die heutige und ewige Glückseligkeit.

3.2 NUR DIE LIEBE UNTERSCHEIDET DIE KINDER GOTTES VON DEN KINDERN DES TEUFELS

IN EPISTOLAM IOANNIS AD PARTHOS V, 7
Hoc, si meministis, commendavimus, cum istam Epistolam legere inciperemus, nihil in ea nobis sic commendari, quomodo caritatem. Et si videtur alia et alia dicere, illuc facit reditum; et ad ipsam caritatem omnia vult referre quaecumque dixerit. Videamus si et hic hoc facit. Attende: «Omnis qui natus est ex Deo, non facit peccatum». Quaerimus quod peccatum: quia si omne intellexeris, contrarius erit illi loco: «Si dixerimus quia peccatum non habemus, nosmetipsos seducimus, et veritas in nobis non est». Ergo dicat quod peccatum, doceat nos; ne forte ego temere dixerim peccatum hoc esse violationem caritatis, quia supra dixit: «Qui odit fratrem suum, in tenebris est, et in tenebris ambulat, et nescit quo eat, quia tenebrae excaecaverunt oculos eius». Sed forte dixit aliquid in posterioribus, et nominavit caritatem. Videte quia circuitus ille verborum hunc habet finem, hunc habet exitum. «Omnis qui natus est ex Deo, non peccat; quia semen eius in ipso manet». Semen Dei, id est, verbum Dei: unde dicit Apostolus: «Per Evangelium ego vos genui. Et non potest peccare, quia ex Deo natus est». Dicat hoc, videamus in quo non potest peccare. «In hoc manifestati sunt filii Dei et filii diaboli. Omnis qui non est iustus, non est a Deo, et qui non diligit fratrem suum». Certe iam manifestum est unde dicat: «Et qui non diligit», inquit, «fratrem suum». Dilectio ergo sola discernit inter filios Dei et filios diaboli. Signent se omnes signo crucis Christi; respondeant omnes, Amen; cantent omnes, Alleluia; baptizentur omnes, intrent Ecclesias, faciant parietes basilicarum: non discernuntur filii Dei a filiis diaboli, nisi caritate. Qui habent caritatem, nati sunt ex Deo: qui non habent, non sunt nati ex Deo. Magnum indicium, magna discretio. Quidquid vis habe; hoc solum non habeas, nihil tibi prodest: alia si non habeas, hoc habe, et implesti Legem. «Qui enim diligit alterum, Legem implevit», ait Apostolus: et: «Plenitudo Legis caritas». Puto istam margaritam esse illam quam homo negotiator quaesisse describitur in Evangelio, qui invenit unam margaritam, et vendidit omnia quae habebat, et emit eam. Haec est margarita pretiosa, caritas, sine qua nihil tibi prodest quodcumque habueris: quam si solam habeas, sufficit tibi. Modo cum fide vides, tunc cum specie videbis. Si enim amamus cum non videmus, quomodo amplectemur cum viderimus? Sed ubi nos debemus exercere? In amore fraterno. Potes mihi dicere: Non vidi Deum; numquid potes mihi dicere: Non vidi hominem? Dilige fratrem. Si enim fratrem quem vides dilexeris, simul videbis et Deum; quia videbis ipsam caritatem, et intus inhabitat Deus.

Dilectio ergo sola discernit inter filios Dei et filios diaboli. / Nur die Liebe unterscheidet die Kinder Gottes von denen des Teufels. / Signent se omnes signo crucis Christi; respondeant omnes, Amen; / Sie sollen nur alle das Kreuzzeichen machen, sie sollen nur alle “Amen” sagen [Augustinus sagt das nicht, um jene anzuklagen, die diese Gesten tun, sondern um Liebe zu erbitten, also die Frucht dieser Gesten. Liebe kann man nur erbitten]; / cantent omnes, Alleluia; baptizentur omnes, intrent Ecclesias, faciant parietes basilicarum: / sie sollen nur alle Halleluja singen, sie sollen alle getauft sein, in die Kirche gehen, die Mauern der Basiliken errichten: / non discernuntur filii Dei a filiis diaboli nisi caritate. / die Kinder Gottes unterscheiden sich nur durch die Liebe von denen des Teufels [das, was den Unterschied macht, ist nicht das “Halleluja”, das “Amen”, es geht auch nicht darum, ob man Mitglied der christlichen Gemeinde ist oder Basiliken baut. Das, was die Kinder Gottes von den Kindern des Teufels unterscheidet, ist die Liebe]. / Qui habent caritatem, nati sunt ex Deo / Jene, die die Liebe haben, sind von Gott geboren“. Die Liebe kommt von Gott. Das, was unterscheidet, ist ein objektives Faktum. Sie unterscheiden sich durch die Liebe, die „ex Deo est / von Gott kommt“ (1Joh 4, 7). „Si vides caritatem, vides Trinitatem / Wenn du die Liebe siehst, siehst du die Heiligste Dreifaltigkeit“24. Das hat nichts mit einer mystischen Sicht zu tun. Sondern mit verstandesmäßiger Erkenntnis. Wenn du eine Geste der Liebe siehst, wird dir klar, dass sie nicht der Freiheit des Menschen erwachsen kann, sondern von einer Anziehungskraft herrührt, die die Freiheit des Menschen voraussetzt. Es ist offensichtlich, dass es die Präsenz eines Anderen ist, die die Freiheit zustandebringt und ihr entspricht25.
Qui non habent, non sunt nati ex Deo. / Jene, die sie [die Liebe] nicht haben, sind nicht von Gott geboren. / Magnum indicium, magna discretio [das ist wunderschön]. / Welch bedeutender Ansatz, welch großes Unterscheidungskriterium. / Quidquid vis habe; hoc solum non habeas, nihil tibi prodest: / Du magst alles haben, was dein Herz begehrt; doch wenn du diese eine Sache [die Liebe] nicht hast, nützt das alles nichts; / alia si non habeas, hoc habe, et implesti Legem / und wenn du die anderen Dinge nicht hast, diese eine Sache aber doch, dann hast du das Gesetz erfüllt“. An dieser Stelle wäre ein Verweis auf den Katechismus von Pius X. angebracht. Ich würde fast sagen, dass der alte Katechismus von Pius X. einen befreienderen und hoffnungsvolleren Horizont hatte als die moderne Theologie. Man denke nur daran, wie Pius X. die Begierdetaufe definiert: die Taufe also, die auf jenes Verlangen hin erfolgt, das von der Liebe kommt26. Man kann durchaus nicht getauft sein, sich offen dazu bekennen, keine Kenntnis von Jesus Christus zu haben (da, wie Pius X. im Katechismus sagt, das Verlangen ja auch nur implizit sein kann27) – und doch kann man, wenn man das Verlangen nach Glückseligkeit verspürt, jenes Verlangen, das von der Liebe kommt – und folglich „ex Deo / von Gott“ (1Joh 4, 7) – gerettet werden. Die Begierdetaufe rettet. Sehr beeindruckt hat mich der Umstand, dass es im neuen Codex des Kanonischen Rechtes – dort, wo von der Taufe die Rede ist –, heißt: „Baptismus, ianua sacramentorum, / Um gerettet zu werden, ist die Taufe, das Tor zu allen Sakramenten, / in re vel saltem in voto ad salutem necessarius / notwendig – entweder tatsächlich oder zumindest als Wunsch [gerettet zu werden]“28. Der Wunsch rettet, weil es ein Wunsch ist, der von der Liebe kommt, also von Gott gegeben ist. Und diese christliche Perspektive ist eine Art hoffnungsvoller Blick auf jeden Menschen. Es ist nicht die Feststellung, dass etwas fehlt – es ist eine uns gegebene Möglichkeit. Wenn die Liebe nicht „ex Deo / von Gott“ (1Joh 4, 7) käme, wäre sie keine Möglichkeit, die für alle in greifbarer Nähe liegt29. Gerade weil sie von Gott kommt, „hast du das Gesetz erfüllt“.
Ich möchte abschließend einen Kanon der Synode von Karthago des Jahres 418 vorlesen, den ich wunderschön finde: Die Definitonen der ersten Dogmen des kirchlichen Lehramts zur Gnade und zur Ursünde. Bezüglich der Gnade und der Ursünde greift das gesamte kirchliche Lehramt bis zum Konzil von Trient, ja bis in unsere Tage (siehe das Credo des Gottesvolkes von Paul VI.), immer wieder die Definitionen dieses besonderen Konzils auf, das – nach einigem Hin und Her – von Papst Zosimus approbiert wurde. Sein Vorgänger, Papst Innozenz, war weitblickend genug gewesen, den afrikanischen Bischöfen recht zu geben, die Pelagius verurteilt hatten, Papst Zosimus dagegen hatte anfänglich nicht verstanden, warum sie das getan hatten. Im Grunde – sagte er sich – war Pelagius ein guter Mönch, der von der Güte des Menschen, vom moralischen Gesetz sprach, und die Wichtigkeit des moralischen Ansinnens des Christen herausstellte. Warum ihn also verurteilen? Zunächst hatte Papst Zosimus Bedenken. Dann aber entschied er sich doch, die Canones der Synode von Karthago mit einem Schreiben an alle Bischöfe als authentischen Ausdruck der Tradition der Kirche zu approbieren.
Canon 5. Item placuit / Ebenso haben sie [die Kirchenväter] / ut quicumque dixerit / beschlossen: Wer sagt, die Gnade der Rechtfertigung werde uns nur deshalb gewährt, / ideo nobis gratiam iustificationis dari / damit wir, / ut, quod facere per liberum iubemur arbitrium, facilius possimus implere per gratiam, / was wir durch den freien Willen zu tun geheissen werden, / tamquam et si gratia non daretur, / durch die Gnade leichter erfüllen können, / non quidem facile sed tamen possimus etiam sine illa implere divina mandata, / so als ob wir, auch wenn die Gnade nicht gewährt würde, zwar nicht leicht, aber dennoch auch ohne die göttlichen Gebote erfüllen könnten / anathema sit / der sei mit dem Anathema belegt“. Wer sagt, dass die Freiheit allein die Gebote Gottes befolgen kann und dass die Gnade nur etwas ist, das eine Möglichkeit, die der Mensch von sich aus hat, in greifbarere Nähe rückt – auch ohne die Gnade –, der werde mit dem Anathema belegt. Ich habe euch diesen Kanon wegen der Worte vorlesen wollen, die nun folgen, und die wunderschön sind: „De fructibus enim mandatorum Dominus loquebatur / Von den Früchten der Gebote redete der Herr nämlich, [ist das nicht schön: die Gebote tragen ihre Früchte] / ubi non ait: ‚Sine me difficilius potestis facere‘,


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