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TÜRKEI
Aus Nr. 02 - 2004

Der Staat und die christlichen Minderheiten.

Keine Kreuzzüge, wir sind Türken


Die von der gemäßigten islamischen Partei AKP kontrollierte derzeitige Regierung von Ankara zeigt ein erstes Interesse für die Probleme der christlichen Kirchen.


von Gianni Valente



VATER DES VATERLANDES. Bevor sie ins Klassenzimmer gehen, sprechen alle zusammen den „Schülereid“ vor der Büste Atatürks (Foto rechs).

VATER DES VATERLANDES. Bevor sie ins Klassenzimmer gehen, sprechen alle zusammen den „Schülereid“ vor der Büste Atatürks (Foto rechs).

In den blauen Palast der Evrim-Schule, im modernen Viertel Sisli, strömen jeden Morgen fast fünfhundert Schüler. Die Grundschüler in blauen Pullovern und Mänteln, die Mittelschüler grün gekleidet, die Gymnasiasten dagegen in bordeauxfarbenen Jacken über grauen Röcken und Hosen. Bevor sie in ihre Klassen gehen, sagen sie vor der im Innenhof aufgestellten Büste Atatürks noch schnell den Schülereid auf. „Wir versprechen, die Lehrer zu respektieren, den Größeren zu folgen und den Kleineren zu helfen.“ Dann folgen noch andere gute Vorsätze, die ein zukünftiger, braver türkischer Bürger haben muß. Evrim bedeutet Fortschritt. Und so scheint auch der Name der Schule den szientistischen Optimismus wiederzuspiegeln, der auf den Spruchbändern und Plakaten in den Korridoren und Aulen nicht zu übersehen ist, auf denen die gängigsten Slogans des Vaters des Vaterlandes prangen. „Die Wissenschaft ist das wichtigste Werkzeug der Vorbereitung aufs Leben“ kann man da immer und immer wieder lesen. Eine private türkische Schule also, wie alle anderen – wenn da nicht der Eigentümer und Rektor wäre: der aus Italien stammende Salesianer Pater Orazio.
Vor 100 Jahren wurde diese private katholische Schule von den Söhnen Don Boscos geleitet. Nach der von Atatürk gewollten Laisierung des Schulsystems konnte das Institut als italienische Schule „überleben.“ Aber vor ein paar Jahren kam ein neues Gesetz heraus, nach dem türkische Schüler erst ab der Oberstufe ausländische Schulen besuchen durften. Ohne Grundschul- und Mittelstufeklassen schien die Schule dem Untergang geweiht. Und da beschloß Don Orazio, ins kalte Wasser zu springen.
Drei Jahre lang, während der Unterricht zeitweilig ausgesetzt war, bereitete er die große Metamorphose vor. Er wandelte die Schule in eine private Aktiengesellschaft um – alle auf ihn ausgestellt. Er klapperte Büros und Ministerien ab, diskutierte unermüdlich mit gelangweilten Bürokraten über Unternehmensrecht, sammelte Stempel und Genehmigungen. So kam es, daß Evrim am Ende doch wieder seine Pforten öffnen konnte, so als wäre es eine ganz gewöhnliche, vollkommen in das Schulsystem des Landes integrierte Schule. Auch Orazio ist Türke geworden, heißt nun „Namik“, und kümmert sich schon um den salesianischen „Nachwuchs“, mit türkischer Staatsbürgerschaft versteht sich. Diesem seinem Nachfolger wird er, wenn es an der Zeit ist, in den Ruhestand zu gehen, die Gesellschaft, die Schule überschreiben, ganz so, wie das ein Vater für seinen Sohn tut.
Mit solch salesianischem praktischen Sinn hat es Orazio geschafft, die bürokratischen Hürden, die das Funktionieren der Institutionen in der Türkei so sehr erschweren, geschickt zu nehmen. Seine vollkommen von dem für das türkische Schulwesen typischen ernsten laizistischen Credo geprägte Schule ist, ohne jedes äußere Zeichen, das in irgendeiner Weise auf das Christentum verweisen würde, das lebende Beispiel für all die paradoxen Wege, die man so einschlägt, wenn man es Paulus darin nachtut, „allen alles zu werden“, um für Christus Zeugnis abzulegen. Von einem jeden der in die Klassenzimmer kommenden Kinder kann er sagen, welchen Glauben seine Familie hat. „Von den dreien ist einer Christ, einer Muslim und einer Jude,“ sagt er, und zeigt zufrieden auf drei Kinder, die untergehakt auf die Tür des Zimmers der 2. Grundschulklasse zumarschieren. Stolz erzählt er von seinen Lehrern, „von denen die Schüler nicht wissen, welchen Glauben sie haben...“ Ein Zeugnis ohne jeglichen missionarischen Anspruch also, ohne jeden Anflug von Aufdringlichkeit. Vollkommen den leisen Tönen des Alltagslebens angepaßt. Das schließlich der wahre „öffentliche Ort“ ist, wo man „ehrbarer Bürger“ wird, wie schon Don Bosco lehrte. Und wo es auch passieren kann, daß ein neuer Glaube die Herzen berührt, eins nach dem anderen.

Türkei – Europa, die unendliche Geschichte
Aber Orazios Entscheidung ist in der Türkei ein Einzelfall. Ein „Alleingang“, in dem es dem versierten Salesianer gelungen ist, das zu umgehen, was den Leaders der christlichen Gemeinschaften in der modernen, aus der Revolution Kemals geborenen Türkei so großes Kopfzerbrechen bereitet: die zahlreichen Probleme, die den Institutionen und Werken der religiösen Minderheiten des Landes das Leben schwer machen, deren Rechte formell immer noch in den Artikeln definiert sind, die ad hoc in das 1923 von der modernen Türkei, Erbin des Osmanischen Reiches, unterzeichnete Lausanner Abkommen eingefügt wurden. Eine kontroverse Problematik, die auch für die türkischen Behörden schwer verdaulich ist und die jetzt auch im Zentrum der ungewissen Verhandlungen um die Zulassung der Türkei zur Europäischen Union steht. Eine Zulassung, die von den Direktionsorganen der EU an eine Reihe von Reformen gebunden wurde, die die Türken durchführen müssen, um ihren institutionellen, wirtschaftlichen und sozialen Standard den europäischen Parametern anzupassen (siehe Kasten). Neben anderen Reformen verlangte die EU, daß die Türkei in Sachen Menschenrechte und Minderheiten „europäisches Niveau“ erreicht. Die von Europa vorgeschriebenen Richtlinien zu ihrem Vorteil auslegend, haben die Repräsentanten der wichtigsten christlichen Minderheiten in der Türkei (Katholiken, Orthodoxe, Armenier, Syrier) im vergangenen September zum ersten Mal ein gemeinsames cahier de doléances unterzeichnet, in dem ihre Forderungen beschrieben sind. In diesem Dokument, das an die Menschenrechtskommission der türkischen Nationalversammlung (und zur Kenntnisnahme auch an das Kabinett des Ministerpräsidenten und an die zuständigen Ministerien) geschickt wurde, werden – in sieben Punkten – die Reformen aufgelistet, die eingeleitet werden müssen, um die „chronischen Probleme“ der Minderheiten in der Türkei in den Griff zu bekommen. Laut den Repräsentanten der christlichen Gemeinschaften geht es darum, „allen Patriarchen und Kirchen [...] Rechtspersönlichkeit zuzuerkennen; die notwendigen rechtlichen Bedingungen für den Unterricht und die Ausbildung der religiösen Amtsträger zu gewährleisten [...]; das Zugeständnis der türkischen Staatsbürgerschaft oder die Ausstellung von Aufenthaltsgenehmigungen für ausländisches Religions-Personal zu garantieren [...]; einem ad hoc Ministerium die Zuständigkeit für die Probleme der religiösen Minderheiten zu übertragen [...];zu bewerkstelligen, daß die öffentlichen Einrichtungen und die Organisationen aufhören, die Muslime in Sachen Sicherheit des Landes als verdächtige soziale Gruppe zu betrachten [...]; den religiösen Institutionen die Möglichkeit einzuräumen, Vermögensgüter zu verwalten, mit dem Ziel, den Gemeinschaften, die deren rechtmäßige Eigentümer waren, jene Immobilien wiederzugeben, die den christlichen Gemeinschaften aus verschiedenerlei Gründen entzogen wurden; in wenigstens einer Stadt, in der Christen leben, das Funktionieren einer Kirche zu gewährleisten.“
NEUER KURS? Der Händedruck zwischen dem türkischen Präsidenten Tayyip Erdogan und Mesrop II. Mutafyan, armenischer Patriarch von Istanbul. Die armenische Gemeinschaft ist mit 80.000 Gläubigen die zahlenreichste christliche Gemeinde in der Türkei.

NEUER KURS? Der Händedruck zwischen dem türkischen Präsidenten Tayyip Erdogan und Mesrop II. Mutafyan, armenischer Patriarch von Istanbul. Die armenische Gemeinschaft ist mit 80.000 Gläubigen die zahlenreichste christliche Gemeinde in der Türkei.

In den wenigen Zeilen des Dokuments sind Jahrzehnte schwieriger Beziehungen zwischen den Minderheiten und dem modernen türkischen Staat zusammengefaßt, mit atavistischen Reflexen, die in den Jahrhunderten des Osmanischen Reiches wurzeln. Die derzeitige, von der gemäßigten islamischen Partei AKP kontrollierte Regierung in Ankara zeigt inzwischen ein gewisses Interesse an der Problematik. In die sogenannten „Harmonisierungspakete“, Maßnahmen, die ab 2002 anlaufen sollten, um die türkische Gesetzgebung der europäischen anzupassen, wurden einige Änderungen eingefügt, die sich auf das Leben der Gemeinschaft auswirken könnten. Eine Modifizierung des Gesetzes über die Stiftungen vom 9. August 2002 gesteht den „gemeinschaftlichen Stiftungen“ das Recht zu, Grundbesitz zu erwerben und frei darüber zu verfügen. Und eine Modifizierung vom 15. Juli 2003 des Gesetzes zu den Urbanisierungsplänen gesteht den Gemeinschaften das Recht zu, „den Bedürfnissen des Ortes und der Region entsprechend Kult- und Gebetsstätten“ zu bauen – wogegen im alten Text nur Moscheen erwähnt waren. Auf administrativer Ebene wurden die Gesetzesformeln jedoch noch nicht konkret angewandt. Und so läuft dieser ganze Wirrwarr Gefahr, im taktischen Spiel der Diktate und dem diplomatischen Druck unterzugehen, den Ankara und Europa im Laufe einer delikaten Verhandlung mit ungewissem Ausgang gegenseitig aufeinander ausüben. Eine komplizierte Situation, mit dunklen Gewitterwolken über der Türkei; und eine, die nicht selten von den kirchlichen Leaders noch geschürt wird. So wetterte am 4. Dezember der Erzbischof von Athen, Christodoulos, Primas der griechisch-orthodoxen Kirche, kräftig gegen die „türkischen Barbaren“, die meinen, Zugang zu Europa finden zu können, und bezichtigte all jene der kriminellen historischen Inkompetenz, die den Vorstoß des türkischen trojanischen Pferdes in die „christliche Welt“ unterstützen. Ein „Säbelrasseln“, das selbst der griechischen Regierung peinlich war. In einem ganz anderen Ton, und mit ganz anderen Argumenten, brachte Kardinal Camillo Ruini – im Mai 2003 vor der italienischen Bischofskonferenz – seine persönliche Sorge zum Ausdruck und machte darauf aufmerksam, daß die „Türkei, auch wenn sie eine laizistische Verfassung hat, eine faktisch stark islamische, dicht bevölkerte Nation mit einer überaus positiven demographischen Dynamik ist.“ Und meinte noch, daß „die Auswirkungen auf Europa daher ein sehr delikates Problem darstellen, das größte Aufmerksamkeit erfordert.“ Diese Alarmstimmung scheint sich bei den Verantwortlichen der christlichen Gemeinschaften in der Türkei jedoch nicht breitgemacht zu haben. „Der Gedanke, daß die islamische Türkei das christliche Europa erobern könnte, ist lächerlich. Angst ist hier nur ein Zeichen der Schwäche des europäischen Christentums,“ meint Ruggero Franceschini, Apostolischer Vikar von Iskenderun – und das, obwohl er eigentlich als militanter Bischof gilt, stets bereit, die von der Enteignung bedrohten Kirchengüter mit allen rechtlichen Mitteln zu verteidigen. Ins selbe Horn bläst auch Mesrop II. Mutafyan, armenischer Patriarch von Istanbul, wenn er meint: „Anstatt der Türkei im Namen der christlichen Wurzeln den Zutritt zu verwehren, sollten sich die europäischen Kirchen um den realen Agnostizismus kümmern, der das Leben der Europäer dominiert.“

Laizität auf Türkenart
In der großen sunnitischen Moschee von Antiochia wiederholt der Mufti immer wieder denselben Gedanken. Wie eine hängen gebliebene Schallplatte wird er nicht müde, auf tausend verschiedene Arten darauf zu pochen, daß „wir mit den uns von Allah gegebenen Gaben Gutes tun, ein positives Bild von der Religion geben müssen, so daß jeder, der uns sieht, sagt: was sind die Muslime nur für gute Menschen!“. Eine Welt voller guter Absichten, wo die einzigen Feinde „die bösen Muslime und Türken sind, die Gewalt anwenden.“
Artikel 312 des Strafgesetzbuches verfolgt zwar schon seit jeher die Anstiftung zum Religionshaß, doch in der letzten Zeit ist die Kontrolle der Predigten in den Moscheen zusehends strenger geworden. Seit den Attentaten vom November gegen zwei Synagogen und eine britische Bank in Istanbul belastet der Alarm vor der integralistischen Ansteckungsgefahr weltweit die ohnehin schon komplexen Beziehungen zwischen Institutionen und Religion in der Türkei zusehends. Eine auf komplizierte historische Prozesse zurückzuführende Anomalie, denen Rechnung getragen werden muß, wenn man die Probleme der christlichen Minderheiten wirklich verstehen will.

NACH DEN ATTENTATEN. Die Sicherheitskräfte wachen  über eine Demonstration im Istanbuler Einkaufsviertel

NACH DEN ATTENTATEN. Die Sicherheitskräfte wachen über eine Demonstration im Istanbuler Einkaufsviertel

Formell gesehen stellt die Laizität des Staates immer noch den Angelpunkt der türkischen Republik dar, die aus dem gewaltsamen Bruch mit der alten, „weitgehend auf die Religion gegründeten“ Ordnung geboren wurde, „die [die Religion] als Hauptgrund für den Untergang des Osmanischen Reiches galt“ (A. Bockel). Diesem Prinzip hatten die Väter des Vaterlandes die schwierige Aufgabe anvertraut, im Schnellverfahren auch in der Türkei jenen Prozess anzukurbeln, der im Westen von der Renaissance bis zur Epoche der Aufklärung stattfand. Auch in der Präambel der letzten Verfassung – seit 1982 in Kraft – heißt es, daß „die in sich zutiefst respektablen religiösen Gefühle in keinem Fall mit den Angelegenheiten des Staates und mit der Politik vermischt werden dürfen.“ Unter Artikel 24, Paragraph 4, wird jeder Versuch unterbunden, „die Religion dazu zu benutzen – auch nur teilweise – auf religiösen Regeln eine gesellschaftliche, wirtschaftliche, politische oder rechtliche Ordnung aufzubauen.“ Der laizistische Rigorismus, der die gesamte staatliche Struktur beeinflußt, wird von Historikern als Gegengewicht zu dem dem Islam innewohnenden theokratischen impetus und seinem Widerwillen gerechtfertigt, zwischen der religiösen Sphäre und der der politischen Organisation und des sozialen Miteinanderlebens zu unterscheiden. Ein Rigorismus, der schon immer von der mächtigen Armee und der juridischen Macht „bewacht“ wurde, wie nicht nur die verschiedenen Urteile zum Verbot des Tragens des Schleiers an öffentlichen Stätten beweisen, sondern auch jene, welche in den letzten Jahrzehnten – mit dem Vorwurf des islamischen Konfessionalismus – sogar zur Auflösung von vier Parteien geführt haben. Mit dem Vorwand, die religiöse Sphäre müsse unter politischer Kontrolle stehen, hatte man seinerzeit auch die Schaffung der Diyanet, Direktion für religiöse Belange, gerechtfertigt, die die Laizität der Institutionen, sowie „Solidarität und nationale Einheit“ gewährleisten sollte. Aber je mehr Zeit verstreicht, umso mehr modifiziert die politische und soziale Erfahrung die strengen ideologischen Regeln. „In den letzten Jahrzehnten konnte es zu einer merkwürdigen Osmose kommen,“ erklärt Emre Öktem, junger und brillanter Professor für Völkerrecht an der Galatasaray Üniversitesi, „das Politische ist ins Religiöse eingedrungen, um es besser kontrollieren zu können, und das Religiöse hat sich das zunutze gemacht und sich in den Staatsapparat eingeschlichen.“ Symbol der unterschiedlichen Herkunft der Ziele sind die Tariqat, die gesetzlich verbotenen islamischen Bruderschaften, denen jedoch bekanntlich einige der wichtigsten politischen Leaders der letzten Jahren angehörten, von Ozal bis Erbakan. Aber auch die ursprünglich als Kontrollwerkzeug gedachte Diyanet hat sich mit der Zeit in ein Organ zur Propagierung des sunnitischen Islam verwandelt, der faktisch Staatsreligion geworden ist, und das auf Kosten der islamischen Minderheitsgruppen, wie der mehreren Millionen Alawiten. Im Jahr 2000 hatte die Diyanet 90.000 Angestellte und ein staatliches Budget von 471,4 Millionen Euro. „So kam es in den vergangenen Jahrzehnten in Anatolien zu einer Islamisierungswelle, die die Region wahrscheinlich in osmanischer Epoche, als der Staat in den ländlichen Gebieten nicht sehr präsent war, nicht erlebt hat,“ erläutert Öktem. Diese Widersprüche haben die gesamte Beziehung zwischen institutionellem Islam und „politischem“ Auftauchen des Religionsfaktors in den letzten Jahren geprägt. „Nach dem Staatsstreich von 1980 benutzte die Militärregierung die Religion dazu, marxistische Bewegungen zu behindern, im Einklang mit der amerikanischen Politik der ‚grünen Zone‘ in Asien. General und Präsident Evren pflegte seine Reden zur Verteidigung des Staates mit koranischen Versen zu „würzen.“ Der negative Gebrauch des Wahlsystems hat jene, die sich auf die Religion verließen, zusehends belohnt.“ Der Sieg der AKP bei den Wahlen von 2002 muß in historischer Perspektive gesehen werden. Aber jetzt könnte – so Öktem – gerade die Partei Erdogans eine neue Synthese versuchen: „Auf ihre Inspiration als gemäßigte islamische Partei bauend könnte die AKP von der Logik der Vergangenheit abkommen und die Entstehung eines neuen Gleichgewichts zwischen politischer Stabilität, Laizität des Staates und Religionsfreiheit, europäischen Standards entsprechend, begünstigen.“
In dieser in Bewegung befindlichen Situation stellt die Tatsache, daß die Rechte der religiösen Minderheiten noch auf der Grundlage der vom Lausanner Abkommen auferlegten Artikel gewahrt werden, ein Überbleibsel früherer Unbeweglichkeit dar. Das die nicht muslimischen religiösen Gemeinschaften des Landes eindeutig in den Status ausländischer Realitäten drängt, die durch internationale Abkommen gewährleistet sind.

Es Roncalli nachmachen
Don Giorges Marovitch, der heutige Kanzler beim Apostolischen Vikariat von Istanbul, war noch ein Kind, als Angelo Roncalli als Nuntius nach Istanbul kam. Er wohnt jetzt im „Papst Johannes Haus“, der in ein kleines Museum umgewandelten ehemaligen Nuntiatur, wo er so manches Mal bei den Messen, die der ruhige Nuntius aus dem italienischen Bergamo jeden Tag in der Kapelle feierte, ministrierte. Und wenn er den Gästen die Säle und Korridore zeigt, wo der spätere Papst die schwierigen Jahre des 2. Weltkrieges zubrachte, gibt er gern die eine oder andere, ihm im Gedächtnis gebliebene Alltags-Episode zum Besten. Oder berichtet davon, daß Roncalli, als er die Messe auch in türkischer Sprache zelebrieren lassen wollte, einige Mitglieder der ausländischen katholischen Gemeinschaften in Istanbul gegen sich aufgebracht hatte. „Ein paar dieser ‚Levantiner‘ schrieben sogar nach Rom und schwärzten den Nuntius an, der sich anschickte, die katholische Religion zu ändern.“
Das alte Lied des „garantierten ausländischen Status“ überschattet auch die derzeitige Situation der christlichen Minderheiten in der Türkei. Ein Umstand, dessen sich jene bewußt sein sollten, die den rechtmäßigen Wunsch hegen, sich die türkischen Verhandlungen mit Europa zunutze zu machen, umRaum und rechtliche Anerkennung zu erlangen.




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