HEILIGE. Annibale Maria Di Francia und Luigi Orione
„Don Orione, stets ein Mann der Kirche und des Papstes“
Seine kindesgleiche Treue zum Nachfolger Petri und seine große Nächstenliebe erstaunten die Päpste, die ihn kennenlernen durften. Einige, schon bevor sie auf den Petrusstuhl stiegen. Der Präfekt der Kongregation für die Selig- und Heiligsprechungsprozesse läßt die Beziehung Don Oriones zu den Päpsten des 20. Jahrhunderts Revue passieren.
von Kardinal José Saraiva Martins
Don Orione mit den Waisenkindern im Piccolo Cottolengo von Claypole, Buenos Aires, in Argentinien (1935). Kleines Foto, links oben, Kardinal José Saraiva Martins.
So kommt es nicht von ungefähr, daß er mit dieser tiefen Verehrung für den Nachfolger Petri, „mit den Päpsten war“ – gleich fünf Päpsten. Die ihn bei verschiedenen Anlässen kontaktierten, ihn mit heiklen, spitzfindigen Fragen betrauten. Für sie vollbrachte Don Orione mit großem Scharfsinn sehr persönliche, engagierte, ja manchmal heldenhafte Aufgaben. Wenn wir also das Thema der kindesgleichen Nähe berühren, die Don Orione den Päpsten gegenüber fühlte, tauchen wir mitten in die Spiritualität und Geschichte dieses einfachen, außergewöhnlichen und heiligen Priesters ein. Seine Biographien sind voll von Episoden, aus denen sein Wirken an der Seite der Päpste des 20. Jahrhunderts hervorgeht.
Der Seminarist Luigi Orione auf einem Foto des Jahres 1892.
1892, mit zwanzig Jahren, bereitete er eine Veröffentlichung vor, Il martire d’Italia, mit der er den Wert des Papstes demonstrieren und die vielen ideologischen und politischen Fehlinterpretationen seiner Person und seines Wirkens „entlarven“ wollte. „Pius IX.,“ schrieb Don Orione, „war die größte Persönlichkeit unseres Jahrhunderts, Freund und Wohltäter der Völker, unbestrittener Verfechter der Wahrheit und der Gerechtigkeit: seine Werke werden unsterblich sein, und sein langes Pontifikat, das stolze 32 Jahre gedauert hat, wird als eine der leuchtendsten Epochen in die Geschichte der Kirche und unseres Heimatlandes eingehen“ (Messaggi di don Orione, N. 102, S. 31).
Im Jahr 1904 war Don Orione vielleicht der erste, der beim neuen Papst, Pius X., vorstellig wurde, um ihn dazu zu ermutigen, den Heiligsprechungsprozess für seinen Vorgänger einzuleiten: „Seligster Vater, zu Ihren gesegneten Füßen liegend flehe ich Sie demütig an, daß Sie geruhen mögen, die Kausa des Heiligen Vaters Pius IX. in die Hand zu nehmen, und ich ermutige Sie, ihn verherrlichen zu wollen“ (ebd.). Der Prozeß wurde tatsächlich eingeleitet und Don Orione fungierte eine Zeitlang als Vizepostulator.
Leo XIII. war der erste Papst, dem Don Orione persönlich begegnete. Das Engagement und der Weitblick, den Papst Pecci in Sachen einer weniger passiven, engagierteren Präsenz der Katholiken im sozialen Leben an den Tag legte, beflügelten auch den jungen Orione zu hohen Idealen und heiligen Projekten. Daran, daß Don Orione von einer deutlich im sozialen Leben verankerten Spiritualität und einer pastoralen Aktion geprägt war, waren das Lehramt und die Richtlinien von Leo XIII., mit denen er in vollem Einklang stand, sicher nicht unschuldig. Unleugbare Spuren dafür sind in den ersten Satzungen seiner Kongregation zu finden, die während des Pontifikats von Leo XIII. ausgearbeitet und diesem bei der denkwürdigen Privat-Audienz vom 11. Januar 1902 überreicht worden waren. „Ich überreichte ihm die Regel – wußte Don Orione von dieser Audienz zu berichten –: er segnete sie, berührte sie, legte mir mehr als einmal die Hand aufs Haupt und tätschelte mich, machte mir Mut; er sagte mir so viele Dinge; auch, daß ich das Engagement für die Einheit der Kirchen des Ostens in die Regel aufnehmen solle: ‚Das ist einer meiner größten Ratschläge‘ sagte er“ (G. Papasogli, Vita di Don Orione, S. 138).
1914. Don Orione, Mitte, mit Don Guanella (links von ihm) nach einer Audienz mit Pius X.
Der hl. Pius X. war zweifellos der Papst, der im Leben Don Oriones die entscheidendste Rolle gespielt hat. Von ihm sagte er: „Der Heilige Vater Pius X. wird stets unser größter Wohltäter sein, unser Papst!“ (Schriften, 82, S. 98). Nachdem er 1903 den Petrusstuhl bestiegen hatte, wählte Patriarch Giuseppe Sarto das Motto „Instaurare omnia in Christo“, das Don Orione schon vor 10 Jahren für seine Kongregation gewählt hatte. Dieser glückliche Zufall war Zeichen für die geistliche Affinität dieser beiden Männer und sollte sich auch auf die nachfolgende Geschichte ihrer Beziehungen auswirken.
Ihre erste Begegnung war wie die Antwort auf ein Gebet. Patriarch Giuseppe Sarto hatte den jungen Musiker Don Lorenzo Perosi nach Venedig gerufen, der nicht nur genauso alt war wie Don Orione, sondern auch aus demselben Ort stammte. Er erwies ihm die Ehre seiner Freundschaft, aß so manches Mal mit ihm zu abend und spielte mit ihm Karten. Der Vater Lorenzos, der fürchtete, der Kardinal könne seinen Sohn allzu sehr verwöhnen, vertraute sich Don Orione an. Dieser fackelte nicht lange, schrieb einen Brief an den Patriarchen und bat ihn, dem vielversprechenden „Maestrino“ keine Flausen in den Kopf zu setzen. Als der Brief dann tatsächlich abgeschickt war, hoffte er, über seine kleine, zwar respektvolle, aber doch gewagte „Gardinenpredigt“ möge alsbald Gras wachsen. Doch wie heißt es wieder? Papier ist geduldig! Als er, etwa 10 Jahre später, zum ersten Mal vom ehemaligen Patriarchen von Venedig, dem neuen Papst, in Audienz empfangen wurde, wollte er seinen Augen nicht trauen, als ihm dieser besagten Brief unter die Nase hielt. Doch der Heilige Vater war nicht erzürnt. Ganz im Gegenteil, er versicherte ihm, seinen Nutzen daraus gezogen zu haben: „Eine Lektion in Demut und Güte auch für den Papst“, lautete sein Kommentar (E. Pucci, Don Orione, S. 71f.).
Hier alle Dienste aufzulisten, die Don Orione Pius X. geleistet hat, alle Vertrauens- und Sympathiebeweise Pius’ X. Don Orione gegenüber – nach dieser Audienz – würde zu weit führen. Zwischen dem Heiligen Vater und dem jungen Priester aus Tortona konnte schon bald eine Beziehung entstehen, die von 100prozentigem Vertrauen geprägt war. Don Orione war stets bereit, alle ihm von Pius X. aufgetragenen Aufgaben zu erfüllen, auch wenn sie noch so heikel und delikat waren – wie das Amt des bevollmächtigten Generalvikars der Diözese Messina in den vier turbulenten Jahren nach dem großen Erdbeben von 1908, oder die, für die Aktion des Papstes den Modernisten gegenüber „verlängerter Arm“ zu sein, oft im Namen der Wahrheit von Strenge geprägt, doch stets von brüderlicher Liebe durchdrungen.
1921. Don Orione mit farbigen Waisenkindern bei einer seiner ersten Reisen nach Südamerika.
Auch zu Benedikt XV. unterhielt Don Orione zahlreiche persönliche Kontakte. Mit dem „Papst des Friedens“ stimmte er vor allem in dessen Programm eines entschlosseneren Universalismus des Missionswerkes überein. In diese Jahre fällt der mutige missionarische Aufschwung des Kleinen Werkes der Göttlichen Vorsehung, das nun Kurs nahm auf Lateinamerika, den arabischen Nahen Osten und das christliche Polen, mit Blick auf Rußland. Er selbst war damals, 1921 und 1922, in Brasilien, Argentinien und Uruguay. Nachdem er vom Wunsch des Papstes bezüglich der römischen Frage Kenntnis bekommen hatte, schrieb er einen mutigen Appell an die Staatsmänner, damit diese „einen mutigen Schritt nach vorn“ machen und eine Lösung herbeiführen würden (Schriften, 90, S. 352). Benedikt XV. schenkte Don Orione zu seinem 25. Priesterjubiläum einen Kelch und einen langen, von ihm handschriftlich unterzeichneten Brief, in dem er sein Verdienst anerkannte, „all diese Jahre nicht nur für Dich gelebt zu haben, sondern für das Gemeinwohl, zum bleibenden Vorteil der Heiligen Kirche“ (Papasogli, S. 367).
Die Beziehung Don Oriones zu Pius XI. war noch enger, es gab noch mehr Audienzen, Unterredungen und Berichterstattungen über vertrauliche und delikate Missionen, die durch die nicht weniger vertrauliche Beziehung zu Kardinal und Staatssekretär Pietro Gasparri noch mehr intensiviert wurden. So ging aus den Archiven beispielsweise erst kürzlich hervor, welch entscheidende und diskrete Rolle der Selige aus Tortona dabei gespielt hatte, die verwickelten Fakten um den hl. Pio von Pietrelcina zu klären. Am Ende eines schwierigen Vermittlungsversuches Don Oriones zur Vermeidung einer Initiative, die dem Prestige des Hl. Stuhls hätte schaden können, gab Pius XI. bei einer Audienz folgenden Kommentar ab: „Don Orione hat gearbeitet wie ein Pferd, aber er hat dem Papst Trost gebracht“ (Summarium, S. 894).
September 1934. Don Orione und Kardinal Eugenio Pacelli, Päpstlicher Legat bei der Tagung des internationalen Eucharistischen Kongresses, an Bord des Schiffes Conte Grande.
Kardinal Eugenio Pacelli hatte Don Orione 1934 kennengelernt, während einer Schiffsreise von Italien nach Buenos Aires, und bei dem nachfolgenden Aufenthalt in der argentinischen Hauptstadt. Am 12. März 1939 wurde er mit dem Namen Pius XII. zum Papst gewählt, genau ein Jahr vor dem Tod Don Oriones. Gerade Zeit genug für einen Gruß, voller Sorge wegen des Kriegshauches, der schon deutlich spürbar war. Es war fast schon ein Bild-Testament: Don Orione an der Seite und „auf Knien“ zu Füßen des Papstes. Man schrieb den 28. Oktober 1939. Das Auto des Papstes machte an der Via Appia halt – dem „römischen Patagonien“, das Pius X. den Orionianern anvertraut hatte. Don Orione kam heran und kniete an der Seite nieder, umringt von den Mitbrüdern und den 1200 „Zöglingen“ des Instituts San Filippo. Der Papst wandte sich ihm zu. Don Orione nahm seine Hand, küsste sie und legte sie sich in einer demütigen, dankbaren, gläubigen Geste aufs Haupt. Pius XII. ließ ihn gewähren und spendete ihm liebevoll seinen Segen (Papasogli, S. 494). Als Don Orione wenige Monate später, am 12. März 1949, starb, definierte ihn Pius XII. als „Vater der Armen und großen Wohltäter der leidenden und verlassenen Menschheit“ (Summarium, S. 86).
Wir dürfen sagen, daß Don Orione an der Seite der letzten Päpste stand, die auf dem Petrusstuhl einander nachfolgten, und das nicht nur wegen der geistlichen Gemeinschaft, die die Kirche verbindet, sondern auch wegen der Erinnerung, die die Päpste an ihn hatten.
7. März 1965. Paul VI. zu Besuch in der römischen Pfarrei Ognissanti.
Und auch Paul VI. konnte in den Genuß der Freundschaft und der Kollaboration Don Oriones kommen. Bei einer Papst-Audienz erinnerte er sich: „Uns war der außerordentliche Trost gegönnt, ihn bei einem unserer Besuche in Genua kennenzulernen. Er sprach mit einer so einfachen, entwaffnenden Offenheit, die so ehrlich, so liebevoll war, so geistlich, daß auch mein Herz gerührt war und ich nur staunen konnte über die von diesem so einfachen, demütigen Mann ausgehende spirituelle Transparenz“ (Audienz vom 8. Februar 1978). Diese erste Begegnung veranlasste Msgr. Montini, in den Dreißigerjahren, Don Orione für eine delikate und gute Sache zu gewinnen: die Hilfe für in Schwierigkeiten geratene Priester – lapsi, wie man sie damals nannte –, denen es unter die Arme zu greifen und die Richtung zum Guten zu weisen galt (Messaggi di don Orione, 105, SS. 65-71). Die Wertschätzung und die persönliche Verehrung, die Montini Don Orione entgegenbrachte, umfaßte auch seine Kongregation, die er großzügig unterstützte, vor allem während seiner Zeit als Bischof in Mailand.
26. oktober 1980. Die Seligsprechung von Don Orione.
Diese Erinnerungen der außerordentlichen Hingabe, die Don Orione im Laufe der Jahre den Päpsten gegenüber unter Beweis stellte, helfen uns, unsere Liebe, unsere Hingabe und unsere Treue dem Papst gegenüber zu erneuern. Und so klingt die Botschaft Don Oriones noch heute: „Wir müssen Tausende und Abertausende von Herzen um das Herz des Papstes pochen lassen. Wir müssen ganz besonders ihm die Kleinen und die Klasse der einfachen Arbeiter bringen, müssen dem Papst die Armen, die Leidenden, die Ausgestoßenen bringen, die Christus die Liebsten sind und der wahre Schatz der Kirche Jesu Christi. Von den Lippen des Papstes wird das Volk nicht Worte vernehmen, die zum Klassenhaß aufstacheln, zur Zerstörung und zum Völkermord, sondern Worte ewigen Lebens, die Worte der Wahrheit, der Gerechtigkeit, der Liebe: Worte des Friedens, der Güte, der Harmonie, die uns auffordern, einander zu lieben, einander die Hand zu reichen, um gemeinsam voranzuschreiten, einer besseren, christlicheren und zivileren Zukunft entgegen“ (Briefe, II, S. 490).