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Aus Nr. 10 - 2011

SPIRITUELLE LEKTÜRE


„In den Demütigen erstrahlt die Gnade noch heller“

 

Padua, Basilika des Heiligen Antonius, Mittwoch, 28. September 2011, heilige Messe zum 33. Todestag von Papst Johannes Paul I.


Predigt von Don Giacomo Tantardini


<I>Die thronende Muttergottes</I>, Giusto de’ Menabuoi, Basilika des heiligen Antonius in Padua.

Die thronende Muttergottes, Giusto de’ Menabuoi, Basilika des heiligen Antonius in Padua.

Die Passage aus dem Evangelium, die wir eben gehört haben (Lk 9, 57-62), ist mir immer ein großer Trost. Im Grunde besagt sie, unter verschiedenen Aspekten, nämlich nur eines: dass die Initiative, Jesus nachzufolgen, nicht vom Menschen ausgeht, sondern eine Initiative Jesu ist. Niemand kann von sich aus die Initiative ergreifen, Ihm nachzufolgen. „Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt“ (Joh 15, 16). Die Initiative geht vom Herrn aus; sie ist vor allem Seine. Der Mensch kann sich anziehen lassen, aber er kann nicht von sich aus die Initiative ergreifen.

Das war in den wenigen, wunderschönen Mittwochs-Katechesenvon Papst Luciani wie ein immer wiederkehrender Refrain. So sagte er bei der Katechese über den Glauben, nachdem er in römischem Dialekt ein Gedicht Trilussas vorgelesen hatte: „Dieses Gedicht ist als Gedicht zwar schön, als Katechismus aber fehlerhaft“, weil – so der Papst – der Glaube nicht aus dem Menschen geboren wird. Der Glaube ist ein Geschenk Jesu. So hat Jesus ja auch gesagt: „ Niemand kann zu mir kommen, wenn nicht der Vater […] ihn zu mir führt “ (Joh 6, 44. 65).

Niemand kann zu Jesus gehen, wenn Jesus ihn nicht anzieht. Der Glaube ist eine Gnade des Herrn. Und in der Ansprache über die Liebe sagt der Papst sogar folgendes: „Ich gehe nicht los, wenn Gott nicht zuerst die Initiative ergreift“. Allein gehen wir nicht los, von allein ergreifen wir keine Initiative. Die Initiative ergreift der Herr. Wenn Er nicht beginnt, gehen wir nicht los. Wenn Er nicht anzieht, folgen wir Ihm nicht nach. Diese Tatsache, dass das christliche Leben Gnade ist, dass es eine Initiative der Gnade ist und dass unsere Antwort die Entsprechung auf diese Anziehung ist, kehrt in diesen vier wunderschönen Ansprachen wie ein Refrain immer wieder.

Was mich beim Lesen dieser Mittwochskatechesen nun aber am meisten beeindruckt hat, war, dass der Papst mehrfach sagt: „Betet für den armen Papst“. Dass er diesen Ausdruck gebraucht: „armer Papst“: „Wer weiß, ob der Heilige Geist diesem armen Papst hilft…“. „Wenn der arme Papst, wenn die Bischöfe, die Priester die Lehre vorschlagen…“. Und weiter: „Ich sehe hier neben mir einige Brüder im Bischofs­amt, und dann ist da noch der arme Papst.“ Was für ein schöner Ausdruck ist das doch: „armer Papst“! Ich glaube, ich verstehe jetzt, warum der gute Kardinal Gantin als Kommentar zu dem Konklave, das Papst Luciani gewählt hat, einfach nur gesagt hat: „Wir waren alle sehr zufrieden!“. Die Wahl Lucianis war keine Überraschung, sie war vorhersehbar, aber alle waren sehr zufrieden, weil ein armer, demütiger Mensch zum Bischof der Kirche von Rom gewählt worden war. Einer armen Kirche, einer demütigen Kirche, der Kirche, die eine kleine Herde ist, war ein armer Papst, ein demütiger Papst, geschenkt worden. Einer armen Kirche, einer demütigen Kirche, einer Kirche, die eine kleine Herde ist, war ein armer Papst geschenkt worden, ein demütiger Papst, und folglich waren alle sehr zufrieden. Wie schon der hl. Ambrosius sagte: „In den Demütigen erstrahlt die Gnade noch heller / In humilibus magis elucet gratia“. In den Armen, in den Demütigen, erstrahlt die Gnade noch heller. Und wenn die Gnade erstrahlt, sind wir alle zufrieden. Wenn das erstrahlt, was der Herr wirkt, sind wir alle zufrieden.

So gedenken wir dieses armen Papstes 33 Jahre nach seinem plötzlichen Tod. Wir feiern das Gedächtnis dieses armen Papstes. Dieses „armen Papstes“, so arm und doch so groß in den Augen des Herrn und in den Augen seiner Heiligen. Wir feiern es hier in Padua, in der Basilika des hl. Antonius.

Si quaeris miracula / Wenn du Wunder erhalten willst“, heißt es in dem Gesang, „dann bete zum hl. Antonius“. So beten wir also, gemeinsam mit Papst Luciani, gemeinsam mit unseren Freunden im Paradies, mit allen Heiligen des Paradieses, vor allem zum hl. Antonius, damit er uns Wunder gewähre, alle Wunder gewähre. Im Brevier, in den Vespern, finden wir heute folgenden Satz des Petrus: „Werft alle eure Sorge auf ihn, denn er kümmert sich um euch“ (1 Petr 5, 7). Wir müssen alle Wunder erbitten. Wir müssen alle Gnaden erbitten. In den letzten Monaten – und ich sage das aus der Zuneigung, der Freundschaft heraus, die uns verbindet – habe ich mir in den bangen Stunden, in denen mich die Angst übermannt hat, immer wieder diesen Satz gesagt: „Jesus ich opfere Dir alles auf, Jesus, heile mich, Jesus mach mich demütig“. Wir müssen alle Wunder erbitten, beispielsweise das Wunder der Heilung. Alle Wunder.

Aber das Bild des hl. Antonius mit dem Jesuskind im Arm suggeriert, dass alle Wunder in dieser Umarmung erbeten werden. „Neben dir erfreut mich nichts auf der Erde“ (Ps 72, 25). Außerhalb dieser Umarmung Jesu, außerhalb der Umarmung Jesu, außerhalb dieser Süße Jesu, erbittet man nichts. In dieser Süße – wie damals, als Antonius das Jesuskind im Arm hatte – kann man alles erbitten. Wie ein kleines Kind, das alles von seinem Vater und von seiner Mutter erbittet. In dieser Süße, in dieser Umarmung: „Neben dir erfreut mich nichts auf der Erde.“

So müssen wir zuerst und vor allem um diese mehr als wunderbare Vertrautheit mit Jesus bitten. Und um die Süße der Gemeinschaft mit Jesus. „Treu ist Gott, durch den ihr berufen worden seid zur Gemeinschaft mit seinem Sohn Jesus Christus, unserem Herrn“ (1Kor 1, 9). Wie liebreich ist sie doch, diese Gemeinschaft!

Der hl. Antonius trägt das Jesuskind im Arm, aber Jesus ist es, der Antonius trägt. Wie oft spreche ich nach der Kommunion dieses Gebet des Antonius: „Veni, Domine Iesu, / Komm, Herr Jesus , / ad me veni, / komm zu mir, / quaere me, / suche mich, / inveni me, / finde mich, / suscipe me, / nimm mich in den Arm, / porta me / trage mich“. Wenn man vom Herrn getragen wird, dann kann man alles erbitten. So ist mir in der letzten Zeit auch ein Vers aus dem Hohelied (2, 16) wieder ins Gedächtnis gekommen, aus der Zeit, in der ich – ein kleiner Junge – ins Seminar eingetreten bin. In dem Vers heißt es: „Dilectus meus mihi et ego illi qui pascitur inter lilia / Der Geliebte ist mein …“. Der Geliebte ist mein, weil das, was das Herz liebt, der Herr Jesus ist. Der Geliebte ist mein; und auch wir armen Sünder können, aus erneuerter Gnade, sagen: „Und wir [sind] Sein, der er in den Lilien weidet“. Mit Ihm, der der einzige Heilige ist, der einzige Herr. Tu solus sanctus, Tu solus Dominus. Der einzige, der uns liebt mit einer so süßen, so zarten Liebe, dass die Liebe unseres Vaters und unserer Mutter ein schwacher Abglanz dieser Liebe ist.

Bitten wir die Heiligen, bitten wir Papst Luciani, bitten wir den hl. Antonius, bitten wir Don Giussani, bitten wir die Heiligen im Paradies, dass sie auch uns hier auf Erden die Erfahrung machen lassen, wie süß es ist, von Jesus geliebt zu werden, und in dieser Süße bitten wir um alle Wunder. Alle Wunder, die dazu dienen, den Glauben zu bewahren und ihn zu leben.



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