Nachruf auf Johannes Paul II.
Die Zeugnisse von zwanzig Kardinälen
Die Zeugnisse von zwanzig Kardinälen. 1. Teil
Bernardin Gantin.
IN DEM ER AN PAUL VI. ERINNERT
von Kardinal Bernardin Gantin
emeritierter Dekan des Kardinalskollegiums
Ein großer Papst ist von uns gegangen. Die Trauer um ihn war eine universale Trauer, ich würde fast sagen, eine Jahrhundert-Trauer. Die Geschichte der Kirche wird Zeuge sein für seine menschliche, spirituelle, pastorale und missionarische Größe. Johannes Paul II. hat uns ein äußerst schlichtes Testament hinterlassen, in dem er mehrfach von Paul VI. sprach.
Ich habe viele Erinnerungen an ihn. Viele ranken sich um die mehr als 25 Jahre, die ich in Rom in seiner Nähe verbringen durfte, als einer seiner Mitarbeiter in der Römischen Kurie. Meine Erinnerungen an ihn sind daher mehr als zahlreich. Aber besonders eine werde ich immer im Herzen tragen. Sie hat mit dem Moment zu tun, als ich ihn gebeten habe, mir zu gestatten, in meine Heimat Benin zurückzukehren. Es war weder einfach für mich, als Kardinal, ihn darum zu bitten, noch für ihn, es mir zu gestatten. Drei Monate lang behielt er das Schreiben mit meinem Ansuchen, ohne mir eine Antwort zu geben. Schließlich lud er mich zum Essen ein und sagte: „Nun gut, ich bin einverstanden.“ Er hatte verstanden, wie sehr ich mit meiner Heimat verbunden war. Mich meiner Heimat wiedergegeben zu haben, war eine Geste, die mir für immer unvergeßlich bleiben wird. Er hat mir gestattet, in mein Afrika zurückzukehren – als römischer Missionar.
Roger Etchegaray.
ER HAT SEINE TAUFE GELEBT WIE JEDER CHRIST
von Kardinal Roger Etchegaray
Es ist nicht einfach für mich, über Johannes Paul II. zu sprechen. Ich habe ihn zwanzig Jahre vor seiner Wahl zum Papst kennengelernt. Ich habe ihn gut kennengelernt, weil wir schon damals zusammen für Europa gearbeitet haben. Er war der Pionier eines wirklich lebendigen Europas, eines erweiterten Europas, im Dienst der ganzen Welt. Und als er Papst geworden ist, ist Europa eine seiner „Baustellen“ geblieben.
Ich habe viele persönliche Erinnerungen, aber ich möchte nur eine erzählen: ich habe ihn viele Male auf seinen Reisen begleitet, ganz besonders gut erinnere ich mich aber an die erste in seine Heimat Polen. Er hat damals einen Satz gesagt, den ich nicht vergessen habe und der viele Male als Schlüsselsatz seines Pontifikats zitiert wurde. Es war in Warschau, auf dem Siegesplatz, genau dort, wo das kommunistische Regime seine Kundgebungen abgehalten hatte. Mir ist noch heute, als könnte ich die feste Stimme vernehmen, die er als junger Mann noch hatte, und folgende Worte sagte: „Man darf Jesus Christus nicht aus der Geschichte des Menschen ausschließen. Das wäre gegen den Menschen handeln.“ Sehr starke Worte, wie ich meine; Worte, die sein ganzes Pontifikat sehr gut zusammenfassen.Wenn ich mir heute so diese enorme Menschenmenge ansehe, dann bin ich wirklich sicher – und nicht nur ich –, eine Art geistlicher Exerzitien zu erleben, so, als würde man geistliche Einkehrtage abhalten. Ich verdanke das den Medien, die in diesen Tagen ermöglicht haben, daß wir alles, was geschehen ist, miterleben konnten. Sie haben uns die Menschenschlangen gezeigt, Männer, Frauen, Jugendliche, manchmal auch Kinder, die am aufgebahrten Leichnam von Johannes Paul II. vorüberzogen, auch sechs Stunden oder länger dauerndes Schlangestehen in Kauf nahmen. Ich habe mich gefragt, warum dieser Papst heute, in diesen Tagen, mehr Papst ist als je zuvor, in den größten Tagen seines Pontifikats. Als Toter ist er immer noch Papst, mehr denn je, wahrscheinlich, weil sich ihm die Menge so würdevoll, so voller Schweigen, nähert. Wahrscheinlich tut es ein jeder aus verschiedenerlei Gründen, doch jeder Mann, jede Frau, jeder Jugendliche, der sich dem Papst zur letzten Ehrerbietung nähert, wird doch von etwas Tiefgehendem bewegt, das uns zu denken gibt. Was ich damit sagen will ist, daß Johannes Paul II. in einem jeden von uns den – auch noch so kleinen – Teil der Unschuld zu wecken verstand, der in jedem Menschen wohnt, auch wenn er durch die Sünde gealtert, von der Sünde verletzt wurde. Ich glaube, daß es in jedem Menschen, so sündig er auch sein mag, einen Teil, einen Winkel gibt, der „der Sonne Gottes“ ausgesetzt ist, um es poetisch zu sagen. Und so hat es der Papst verstanden, einem jeden Menschen wieder Hoffnung zu geben, gerade, weil er Jesus nicht aus der menschlichen Berufung ausgeschlossen hat.Abschließend möchte ich sagen, daß ich glaube, daß man diesen Papst, Johannes Paul II., in seiner Gesamtheit sehen muß. Er war mehr als 26 Jahre lang Papst, und wir müssen ihn von der strahlenden Morgenröte seines Pontifikats bis hin zu seinem allmählichen Ausklang so voller Schmerz nehmen. Es ist stets ein- und derselbe Papst, ein Papst, der alle Aspekte der menschlichen Befindlichkeit repräsentiert. Gewiß, dieser Papst, dem ich so nahe war, hat sich über die Medien bekannt gemacht, aber vielleicht weiß man nicht, daß er für jene, die ihm nahestanden, ein sehr verinnerlichter Mensch war, voller Scham vor sich selbst, vor dem Glauben. Es ist außergewöhnlich, wie er sein Christentum, seine Taufe wie jeder Christ gelebt hat.
Giovanni Battista Re.
DER GROSSE.
EIN MANN DES GEBETS
von Kardinal Giovanni Battista Re
Dieser 263. Nachfolger Petri, dieser so zutiefst menschliche Papst, dieser Leader, der die Jugend in seinen Bann zog, war vor allem ein Mann des Gebets.
Es war beeindruckend, wie sehr er sich ins Gebet vertiefte: man konnte in ihm eine Begeisterung feststellen, die ihm wesenseigen war, ihn vollkommen einnahm, so als gäbe es keine Probleme und dringlichen Bestrebungen, die ihn zum aktiven Leben riefen. Im Gebet war er in tiefe Andacht versunken und gleichzeitig auch gelöst und natürlich, was für eine tief in seiner Seele verwurzelte Gemeinschaft mit Gott zeugte, Ausdruck eines überzeugten, genossenen, gelebten Gebets.Diese Einfachheit, Spontaneität, Bereitschaft, mit der er vom menschlichen Kontakt mit den Menschenmengen zur Andacht im Zwiegespräch mit Gott überging: Wenn er andächtig ins Gebet versunken war, schien ihn das, was um ihn herum vorging, nicht zu berühren und zu betreffen.Im Gebet bereitete er sich auf die verschiedenen Begegnungen vor, die ihn während des Tages oder der Woche erwarteten.Vor jeder wichtigen Entscheidung pflegte Johannes Paul II. lange zu beten. Je wichtiger die Entscheidung war, umso länger dauerte das Gebet.In seinem Leben konnte man eine bewundernswerte Synthese zwischen Gebet und Handlung erkennen. Die Quelle der Fruchtbarkeit seines Handelns lag gerade im Gebet. Er war überzeugt davon, daß sein erster Dienst an der Kirche und der Menschheit das Gebet war. Das hat er selbst gesagt: „Die Hauptaufgabe des Papstes der Kirche und der Welt gegenüber ist, zu beten“ (Homilie beim Marienheiligtum der Mentorella, L’Osservatore Romano, 31. Oktober 1978).Dieses Pontifikat ist nur dann verständlich, wenn man sich der internen, kontemplativen Dimension bewußt ist, die diesen Papst gestützt hat, diesen Mann des großen persönlichen Gebets und Lehrmeister des Glaubens. Daher hatte er die Augen, um „das Unsichtbare zu sehen.“ Und daher hatte er die Kraft, bis zum Schluß in vorderster Linie zu bleiben.
Godfried Danneels.
EIN MANN, DER ZUHÖREN KONNTE
von Kardinal Godfried Danneels
Erzbischof von Mechelen-Brüssel
Die persönlichsten Erinnerungen, die ich mir an Papst Johannes Paul II. bewahrt habe, gehen auf die Anfangszeit unserer Bekanntschaft zurück, als die Bischofssynode der holländischen Bischöfe einberufen wurde. Ich war gerade zwei Wochen vorher zum Erzbischof von Mechelen-Brüssel ernannt worden und begab mich also nach Rom, um an dieser Synode teilzunehmen, zu deren delegiertem Präsidenten ich ernannt worden war. Ich blieb drei Wochen lang in Rom, in der Nähe des Papstes. Der Eindruck, den ich mir dabei, und danach, vom Papst machen konnte, war der eines Mannes, der wirklich lange zuzuhören verstand. Während der Synoden-Woche tat er nichts anderes, als den holländischen Bischöfen zuzuhören, die ihm recht heikle Fragen unterbreiteten, ohne sich selbst groß einzumischen.
Meiner Meinung nach hatte Johannes Paul II. zwei Merkmale, die man nur selten in einer einzigen Person vereint findet. Er war ein natürlicher Leader, der seine Verantwortung zu übernehmen verstand. Und gleichzeitig war er auch ein sehr warmherziger und herzlicher Mensch. Ich kenne viele Leader, die zwar absolut kühl und unnahbar, aber dennoch gute Leader sind. Und wieder andere, die zwar sehr herzlich sind, als Leader aber überhaupt nichts taugen. Dann war er auch überaus intelligent und gebildet, verstand viel von Philosophie, Kunst, dem Sinn der Zivilisation. Er war ein wahrer Philosoph. Und seine Philosophie war ein Humanismus. Seine Reflexion war auf die tiefe Natur des Menschen konzentriert, und hier lag sein Ansatz, um den in der Moderne um sich greifenden Tendenzen der Enthumanisierung entgegenzuwirken. Auch alles, was er über die Sexualmoral gesagt hat, gehörte zu diesem Kampf.Ein anderer außergewöhnlicher Aspekt war seine große Kommunikationsfähigkeit, was man vor allem an seiner Beziehung zu den Jugendlichen gesehen hat, die meiner Meinung nach etwas Bemerkenswertes hatte. Er hat allen, besonders aber den Jugendlichen, den Sinn der Vaterschaft zu vermitteln verstanden. In einer Generation ohne Väter repräsentierte er den Sinn der Vaterschaft. Als er 1985 nach Belgien kam, lautete ein Kommentar: sie lieben den Sänger, nicht aber das Lied. Sie waren vielleicht nicht immer mit dem einverstanden, was er sagte, aber sie lauschten ihm, weil er ihnen Vertrauen einflößte.
Francis Arinze.
von Kardinal
Francis Arinze
Der Heilige Vater Johannes Paul II. war ein so großer Mann Gottes, daß jeder, dem die Gnade zuteil wurde, in seiner Nähe zu sein, nur einige Seiten seiner so überaus facettenreichen Persönlichkeit sehen konnte. Vier davon möchte ich hier kurz beschreiben.
Er vertraute auf die göttliche Vorsehung. Ich habe gesehen, wie er die Dinge in den Händen Gottes beließ und nicht versuchte, sie zu erzwingen.Er betete. Er war ein Mann des Gebets. Auch bei den großen Feierlichkeiten auf dem Petersplatz, oder bei den apostolischen Pilgerfahrten verstand er es, bei der heiligen Messe so tief in Andacht zu versinken, als wäre er allein.Mich beeindruckte sein Glaube, wenn ich ihn die Messe feiern sah. Seine ars celebrandi war beredter als die Enzykliken, wenngleich diese auch sehr reichhaltig waren.Papst Johannes Paul II. hatte in seinem großen Herzen für alle Platz: Katholiken, andere Christen, Andersgläubige,die Menschheit.Es überrascht mich nicht, daß die Schlangen der Pilger, die ihm die letzte Ehre erweisen wollten, kilometerlang waren. Was für ein großer Mann Gottes!
László Paskai.
ER HAT DIE CHRISTLICHE HOFFNUNG GEWECKT
UND GESTÄRKT
von Kardinal
László Paskai
emeritierter Erzbischof von Esztergom-Budapest
Die Person Johannes Pauls II. hat auf mich einen nachhaltigen Eindruck gemacht. Vor allen Dingen hat mich die Konsequenz und die Treue beeindruckt, mit der er seinen Petrusdienst erfüllt hat.
In seiner Pastoralaktivität hat sich der Auftrag gezeigt, die Brüder, die Jesus dem Petrus anvertraute, zu trösten. Der Papst hat das in die Tat umgesetzt, als er das Wort Gottes in Rom und in der ganzen Welt predigte. Dasselbe hat er auch in seinen Schriften getan. Durch die Enzykliken und die Apostolischen Schreiben hat er den Glauben der Gläubigen in den aktuellen Gegebenheiten bestärkt, in den heutigen geistlichen und moralischen Fragen.Er hat seinen Petrusdienst erfüllt durch das Wecken und das Bestärken der christlichen Hoffnung. Besonders eingeprägt haben sich mir der Umstand, daß seine Stellungnahmen, auch wenn es um heikle Fragen ging, stets mit einem Gedanken der Hoffnung endeten. Die Hoffnung nährte er vor allem bei seinen Begegnungen mit den Jugendlichen.Sein spirituelles christliches Leben war wesentlicher Bestandteil seines Petrusdienstes. Er folgte Christus auf heldenhafte Weise nach. Er war ein Papst des Gebets. Man konnte erkennen, daß er einen innigen Kontakt zu Jesus Christus hatte. Jeden Tag sprach er im Gebet von seinem Dienst mit Jesus, und von Ihm hat er die Kraft erhalten, die Lösungen zu finden und die universale Kirche leiten zu können.
Fiorenzo Angelini.
DAS LEIDEN ERTRUG
von Kardinal Fiorenzo Angelini
In diesen Tagen habe ich lesen können, wie sehr die Presse diesen Stellvertreter Christi wegen seiner vielen historischen Unternehmungen pries: der Niederschlagung von Regimen, dem Kontakt mit den verschiedensten Völkern, den verschiedensten Religionen, mit allen, auch mit denen, die am fernsten zu stehen schienen. Ohne die übernatürliche Kraft dieses Mannes wäre das nicht mehr möglich gewesen, eine Kraft, die aus der Liebe der Meditation kam, der Union mit Gott. Kurzum: sie kam aus seinem Gebet, seiner Fähigkeit, seiner Intelligenz im Gebet. Wenn dieser Papst betete, und er betete jeden Tag Stunde um Stunde, konnten wir sehen, wie tief er ins Gebet versunken war, wie entrückt er war, so als stünde er auch in sichtbarem Kontakt mit dem Herrn.
Es ist also nur recht und billig, daran zu erinnern, daß er der Papst des Friedens war, des Ökumenismus, der Jugend, der Sportler, der Wissenschaftler; daß er ein Vater war, jener spirituellen Vaterschaft, die alles und alle umfasst, nicht nur die Christen auf der Welt; aber er war eben ein Mann, der das, was er vollbracht hat, vollbringen konnte, weil er es aus der Kraft entstehen ließ, die er aus jener Union mit Gott erhielt, jener Fähigkeit, seinen Geist zu Gott zu erheben. Dieses sein Anhängen ans Übernatürliche war grundlegend für jede Initiative, die er ergriffen hat. Auch denen, die nicht wesentlich zu sein schienen, wie die Wertschätzung der Rockmusik, der Tänze und der Gesänge der Jugendlichen, bis hin zur Bewunderung für den sportlichen Wettbewerb, verstanden als Erbauung des Geistes, nicht nur des Körpers.Niemand konnte auch nur im entferntesten ahnen, was im Laufe seiner Krankheit und unmittelbar nach seinem Tod geschehen würde. Ich bin hier in der Via della Conciliazione, und unter meinem Fenster warten Zehntausende von Menschen mit heroischer Geduld. Viele sind gesundheitlich angeschlagen, und man fragt sich, wie sie eine so lange Wartezeit aushalten sollen. Da sind Leute aller Altersgruppen – schließlich war er der Papst aller Jahreszeiten des Lebens, einer jeden Person. Und heute wird er hochgelobt wie ein Heiliger. Hier in der Via della Conciliazione kann man nun auch viele kleine Altäre sehen mit Fotos, Kerzen und Papierstücken, auf denen Gnaden erbeten werden.Heilig. Ein Wort, das mir nicht erst jetzt über die Lippen kommt. Ich habe es mehrfach geschrieben und schon vor ein paar Jahren öffentlich gesagt: dieser Papst ist ein heiliger Papst. Und wenn die Verkündigung der Heiligkeit – wie in alter Zeit bereits geschehen – auch durch die Stimme des Volkes erfolgen könnte, dann würde dieser Stellvertreter Christi heute für heilig erklärt werden, denn kein Pontifex ist jemals in den Genuß von soviel Lobpreis gekommen. Dieser Papst hat fast schon einen umgekehrten Weg zurückgelegt, in seinem Durchqueren des irdischen Jerusalem, des Jerusalems Jesu. Er hat zuerst das Leiden der Passion erlebt, und dann die Hosanna-Rufe. Schließlich ist der Papst am Gipfel dieses, auch menschlichen, Ruhms durch ein ungewöhnliches persönliches Leid angelangt. Und er war ein Papst, der dem christlichen Wert des Leidens, dem Umstand, daß Christus Jesus das durch die Liebe besiegte Leid ist, große Bedeutung beimaß. Er war der erste Papst, der in der Geschichte der Kirche ein Apostolisches Schreiben über den christlichen Sinn des menschlichen Leidens verfaßt hat, Salvifici doloris vom Februar 1984. Er selbst hat das wunderschöne Gleichnis vom Barmherzigen Samariter gelebt und umgesetzt: wie damals, als er sich, begleitet von Mutter Teresa von Kalkutta, über die sterbenden Inder beugte; und das war nicht das einzige Mal. Wie oft habe ich, wenn ich ihn bei seinen Besuchen der römischen Krankenhäuser begleitete, miterleben können, wie er sich dort einem jeden Kranken widmete, ohne auf die Zeit zu schauen, einen jeden so behandelte, als wäre er der einzige. Man konnte sehen, daß es keine formalen Gesten waren, sondern Gesten eines Heiligen, eines Apostels. Von diesen Besuchen habe ich sehr viel gelernt. Auch die Art, wie er in der letzten Phase seines Lebens mit seinem Leiden umging, war ein großes Zeugnis. Seine Demut war nicht allein auf seine Güte zurückzuführen, sie war heroisch. Kein Herrscher, keiner von uns hätte wohl den Mut besessen, sich in einem solchen Zustand den Menschenmengen zu präsentieren, als Kränkster unter den Kranken, ja, manchmal nicht einmal mehr in der Lage, zu sprechen, hilflos wie ein Bettler. Wir haben die ein oder andere Geste gesehen, die uns als Unduldsamkeit erschienen sein mag, die aber dagegen Unterwerfung unter den Willen Christi war, der es ihm in diesem Moment nicht ermöglichte, eine Menschenmenge zu grüßen, ja, nicht einmal, sich zu verabschieden.Aber die Momente größten Leids für den Papst waren vielleicht mit zwei anderen Geschehnissen verbunden. Das erste war das Attentat von 1981, das ihn tief bestürzt machte. Neben dem körperlichen Leid bescherte es dem Papst auch ein Seelenleid, ein Leiden von Geist und Verstand, verbunden mit der Angst, zu sterben. Eine mehr als berechtigte Angst: ich war bei der Operation im Gemelli-Krankenhaus dabei und kann bezeugen, daß er nur durch ein Wunder gerettet werden konnte. Die Umstände, unter denen die Operation erfolgte, lassen keinen Zweifel daran, daß hier eine göttliche Hand im Spiel war, die Unserer Lieben Frau von Fatima.Aber das spirituelle Leid war noch größer: wer hätte jemals glauben können, daß man auf öffentlicher Straße ein Attentat auf den Papst verüben, auf ihn schießen würde? Für die damalige Weltordnung war das etwas Unerhörtes. An seinem Geist erlitt der Papst dadurch ein schweres Trauma, gerade er, der doch, als Slawe, zur Askese tendierte: er war ein Philosoph, ein Dichter, ein Künstler, mit dem ein oder anderen psychologischen Anstrich des Schauspielers.Das zweite, worunter er litt, wofür er sich aber, fast schon mit christlichem Fatalismus, dem Willen Gottes unterwarf, waren die Grenzen, die seinen apostolischen Reisen gesetzt waren, bzw. dem Umstand, daß er nicht nach Russland und China reisen konnte. Er hat oft mit mir darüber gesprochen. Sie haben nicht verstanden, daß der Papst kein Kolonisator, kein Eroberer war. Sie haben nie verstanden, wer dieser Papst wirklich war, seine grenzenlose Liebe. Diese Dinge bescherten ihm großes Leid. Aber ich möchte auch betonen, mit wie viel Demut er das hinnahm, wenn er die Dinge nämlich hätte erzwingen, impulsiv hätte handeln wollen, was er oft tat, hätte er auch diese Grenzen überschreiten können. Seine große Demut gab ihm aber zu verstehen, daß er nicht die Grenzen überschreiten durfte, die ihm jene Personen anrieten, die die entsprechenden Probleme besser kannten.Gewiß, dieser Papst hinterläßt eine Lücke. Er hat die Fähigkeit besessen, alles an sich zu ziehen, was man anziehen kann und was angezogen werden soll. Und die vielen Mächtigen dieser Welt, die – zusammen mit den einfachen Gläubigen – zu seinem Begräbnis kamen, sind der Beweis dafür. Viele von ihnen wissen sehr wohl, welche „Absagen“ sie dem Papst erteilt haben: die Divergenzen zum Thema Frieden, zu den christlichen Verweisen in der europäischen Verfassung, zu den Kruzifixen in den Schulen, der Heirat zwischen gleichgeschlechtlichen Partnern, usw. Aber Gott schreibt eben auch auf den krummen Zeilen der Welt und der Menschheit gerade. Lassen wir ihn nur machen.
Dionigi Tettamanzi.
DIE lIEBKOSENDE GESTE DES PAPSTES
von Kardinal
Dionigi Tettamanzi
Erzbischof von Mailand
Wieviele Erinnerungen gehen mir doch nun, in diesem Moment des irdischen Abschieds von unserem Papst durch den Kopf! Erinnerungen an soviele persönliche Begegnungen, bei Gelegenheiten der Zusammenarbeit mit dem Heiligen Vater in Ausübung seines Amtes, die ich alle für immer in meinem Herzen tragen werde. Und dennoch komme ich nicht umhin, in diesem Moment der allgemeinen Trauer, an die liebkosende Geste zu erinnern, mit der mich Johannes Paul II. Anfang Juli vor drei Jahren bedachte, als er mir Mut dafür zusprach, die Aufgabe anzunehmen, die er für mich vorgesehen hatte: Euer Erzbischof zu werden. Es war mir ein Anliegen, jene doch recht persönliche Erinnerung zu erwähnen, weil diese so delikate Geste nicht nur eine Liebkosung für mich persönlich bedeutete, sondern und vor allem für die Diözese Mailand. Johannes Paul II. hat unsere Mailänder Kirche – in deren Dom die sterbliche Hülle von Karl Borromäus ruht, des Schutzpatrons, dem er eine kindesgleiche Verehrung entgegenbrachte – stets mit herzlicher Aufmerksamkeit und wahrer väterlicher Zuneigung betrachtet: Gefühle und Gesten, die ich bei mehreren Gelegenheiten beobachten und bewundern durfte, besonders bei den beiden Besuchen in unserer Diözese – 1983 zum 20. Eucharistischen Nationalkongress, und im Jahr darauf zum 400. Todestag von Karl Borromäus – und bei unseren Wallfahrten nach Rom, die letzte zum großen Jubiläum 2000, als es dem Papst in seiner grenzenlosen Güte gefallen hat, den guten Kardinal Martini aufzufordern, zum Festtag des hl. Karl auf dem Petersplatz die heilige Messe nach dem ambrosianischen Ritus zu feiern.
So erklinge noch einmal für uns und für die ganze Welt der Appell, den Johannes Paul II. mit starker, leidenschaftlicher Stimme zu Beginn seines Pontifikats so nachdrücklich an alle gerichtet hat: „Fürchtet euch nicht! Öffnet die Tore für Christus, reißt sie auf!“.Lassen auch wir uns von den Worten und vom Zeugnis Johannes Pauls II. aufrütteln und „schreiten wir mit Hoffnung voran“, auf unserem Weg durch das dritte Jahrtausend, das sich „vor der Kirche ausdehnt wie ein immenser Ozean, in den es sich vorzuwagen gilt, auf die Hilfe Christi zählend.“ Laßt uns, mit durchdringendem Blick, fähig, das Werk zu sehen, das der Herr mit seinem Geist in der Geschichte der Welt vollbringt, und mit einem großen Herzen, damit auch wir Instrumente dieses Werkzeuges werden können, das Antlitz des Herrn schauen und lieben, uns auf den Weg machen, dem Missionsauftrag des Auferstandenen treu, beseelt von „demselben Enthusiasmus wie die Christen der ersten Stunde“.
(Aus dem Brief der Diözese Mailand zum Heimgang des Heiligen Vaters Johannes Paul II.)
Paul Shan Kuo-hsi.
ER SPIELTE EINE ROLLE AUF
DER BÜHNE DER WELTPOLITIK
von Kardinal Paul Shan Kou-hsi
Bischof von Kaohsiung
Ich betrachte meine Beziehung zu Johannes Paul II. als eine enge und persönliche. Ein Jahr nach seiner Wahl zum Papst ernannte er mich zum Bischof von Taiwan, zwanzig Jahre später kreierte er mich zum Kardinal. Als ich 75 Jahre alt wurde, reichte ich mein Rücktrittsgesuch ein, das er jedoch dreimal ablehnte. So kommt es, daß ich in Taiwan immer noch „aktiver“ Bischof bin, obwohl ich inzwischen schon das stolze Alter von 82 Jahren erreicht habe.
Dieser Papst hat mich sehr beeindruckt, er war wirklich ein großer Mann. Groß im Glauben, einem wahren und intensiven Glauben an Gott, und mit einem großen Vertrauen auf die göttliche Vorsehung.
Er war ein Mann des Gebets und einer tiefen Spiritualität. Das war die Grundlage und Quelle seines Handelns.
Und weil er Gott so nah war, war sein Herz den Menschen so nah, besonders den Kindern, den Armen, den Kranken.
Sein Herz schlug für die gesamte Menschheit. Er hat die soziale Gerechtigkeit gefördert, die Aussöhnung, den Dialog, den Frieden auf der Welt: deshalb sind soviele Menschen nach Rom gekommen, um ihm die letzte Ehre zu erweisen.
Er stand den Jugendlichen nah; er, der 84Jährige, zog sie an. Er wußte, wonach sie strebten, gab ihnen Hoffnung, eine Zukunft, eine Richtung. Viele Menschen sind heute eingeschüchtert, haben kein Ziel, keine Prinzipien, keine geistlichen oder moralischen Werte. Der Papst hat sie ihnen deutlich gezeigt. Mehr als es die Politiker tun. Der Papst hat den Jugendlichen die Wahrheit gesagt, und daher haben sie ihn respektiert und bewundert. Und viele haben sich in Rom nicht einmal von Wartezeiten von 24 Stunden abschrecken lassen, um ihn ein letztes Mal zu sehen: das hat mich zutiefst bewegt.
Und dann bin ich auch der Meinung, daß der Heilige Vater eine wirklich wichtige Rolle auf der Bühne der Weltpolitik gespielt hat. Und das, obwohl er kein Politiker war, sondern eine geistliche und moralische Autorität. Er hat der ganzen Menschheit gesagt, was recht und was wahr ist.
Heute scheinen viele vom Säkularismus, vom Materialismus und vom Atheismus verblendet zu sein; der Papst aber wagte es, ihnen zu sagen, welche die richtige Richtung ist. Er war ein großer religiöser Leader, nicht nur für die Katholiken, sondern für alle Christen, der orientalischen und der protestantischen Kirchen, und auch für die, die nicht glauben: ich habe Anrufe mit Beileidswünschen aus Taiwan und anderen Teilen der Welt erhalten, von Buddhisten, Taoisten, Muslimen, die mir das bestätigt haben.
Ich würde durchaus sagen, daß er für diese Menschen ein Heiliger ist. Ich hoffe und bete dafür, daß er eines Tages, früher oder später, selig- und heiliggesprochen wird.
Vielleicht müssen wir ihn Johannes Paul den Großen nennen.
Welches Erbe hat er der Kirche des Ostens hinterlassen?
1995 hatten sich in Manila zum Weltjugendtag 5 Millionen junge Menschen eingefunden. Zur selben Zeit hielt die Föderation der asiatischen Bischofskonferenzen ihre Plenarversammlung ab, und der Papst kam, um zu den Bischöfen zu sprechen. Bei dieser Gelegenheit behauptete er zum ersten Mal, daß „das dritte Jahrtausend Asien gehört.“ Im ersten Jahrtausend war nämlich der Mittelmeerraum evangelisiert worden, im zweiten Amerika und Afrika. Ich hoffe, daß es sich hierbei nicht nur um einen Wunsch oder um ein Gebet handelt, sondern um die Prophezeiung eines Propheten-Papstes.
Wenn die Kirche in Asien – mit Ausnahme der der Philippinen – auch sehr klein ist, so ist sie doch lebendig, läßt sich von der Tatsache, daß sie von anderen Religionen, vom Säkularismus und vom Materialismus „umzingelt“ ist, nicht einschüchtern, sondern vertraut auf die göttliche Vorsehung.
Johannes Paul II. liebte die Chinesen. Wann immer ich ihm bei den Privataudienzen oder bei den Begegnungen mit den anderen asiatischen Bischöfen begegnet bin, hat er uns gesagt, daß er jeden Tag nach dem Aufstehen für das chinesische Volk beten würde. Er hat oft – öffentlich und privat – dem Wunsch Ausdruck gegeben, China seinen Besuch abzustatten, was ihm aber aus vielerlei Gründen nicht möglich war. Jetzt, wo er im Paradies ist, hat er eine größere Freiheit, kann jeden Moment dorthin gehen. Er kann nun vor Gott für die Chinesen beten, sich für die Kirche dort unten verwirken.
Meine letzte Privataudienz bei Johannes Paul II. war im Mai letzten Jahres.
Wir haben uns dabei fast die ganze Zeit über die Kirche in China und Taiwan unterhalten. Er war ein universaler Hirte, dessen Sorge einer jeden Ortskirche galt; für die Kirche war er wie der Vater einer Großfamilie, ein Vater, der alle seine Kinder gern hat. Und jedes Mal, wenn man mit ihm zusammen war, hatte man nicht das Gefühl, dem Papst gegenüber zu stehen, so freundlich und ungezwungen war er. Er hat sich uns Gläubigen angenommen.
Geraldo Majella Agnelo.
von Kardinal Geraldo Majella Agnelo
Erzbischof von São Salvador da Bahia
Ich bin dem Heiligen Vater Johannes Paul II. zum ersten Mal Anfang 1991 in Natal begegnet, in Brasilien. Es war während des nationalen eucharistischen Kongresses. Der Nuntius stellte mich ihm vor und er ließ mich nach Rom kommen, um als Sekretär für die Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung zu arbeiten. Meine tiefempfundenen Erinnerungen an den Heiligen Vater ranken sich besonders um die Jahre, die ich in Rom verbracht habe. Ich empfinde eine große Dankbarkeit, wenn ich an die Kontakte zu ihm denke, an das Zeugnis gelebten Glaubens. Nie habe ich eine Audienz oder eine liturgische Feier verlassen, ohne mich im Glauben bereichert zu haben, und besonders in der Ausübung meiner priesterlichen Berufung waren diese Begegnungen für mich ein Vorbild vollkommener Nachfolge Jesu Christi. Besonders seine menschliche Erfahrung, die seit seiner Kindheit von Schwierigkeiten geprägt war, die ihn gelehrt hatten, den Menschen in seiner Suche nach der Glückseligkeit hervorzuheben, indem man diese bleibende Befriedigung sucht; diese Befriedigung, die in der Übergangsnatur der Bedingungen unserer Existenz liegt. Das Interesse am konkreten Menschen, der sich müht und hofft, der leidet und liebt, der arbeitet, hat sich in seinen Ansprachen niedergeschlagen, in seinen Dokumenten, Begegnungen, Reisen. Wir hier in Brasilien haben ihn als den Pilger-Papst kennengelernt. Auch in unserem Land hat er Hunderte, Tausende Kilometer zurückgelegt; zwischen ihm und meinem Volk war sofort Sympathie, Eintracht spürbar. Überall, in allen Städten, die er besuchte, kam es zu spontanen Sympathiebezeugungen des Volkes. Die Leute nannten ihn „Joao de Deus, Joao de Deus“ in Anerkennung einer außergewöhnlichen Persönlichkeit, durch die sich Christus gegenwärtig macht. Und jetzt fällt mir auch wieder eine ganz besondere Episode ein. Ich war einmal mit ihm essen, zusammen mit anderen Kardinälen, und wir unterhielten uns über das Thema der weiblichen Ministranten. Der ein oder andere war dagegen, daß sie am Altar dienten und berief sich auf Kanon 230 des Kirchenrechts. Da erhob sich der Papst und sagte mit fester Stimme: „Nein, nein. Wir müssen zulassen, daß auch die Frauen am Altar dienen dürfen!“ Und dann erzählte er, wie der Glaube in den Jahren der Verfolgung in Russland bewahrt werden konnte, und von den Großmüttern, den Müttern weitergegeben wurde, die ihre Kinder, ihre Enkelkinder am Sonntag um sich scharten und ihnen das ein oder andere zum Katechismus beibrachten, mit Gesten sogar die Messe nachahmten, um ihnen einen Eindruck davon zu vermitteln, wie wichtig die Eucharistiefeier wäre, damit in ihnen der Wunsch erwache, eines Tages daran teilzunehmen. Den Glauben bewahren, vermitteln. Den Glauben bezeugen. Stets auf Gott vertrauen. Und der Papst war uns dafür auch in der letzten Zeit als Kranker ein Vorbild, vom Krankenbett aus, bis zum letzten Atemzug. Darin lag seine Größe.
Oscar Andrés Rodríguez Maradiaga.
EINES GEISTLICHEN VATERS
von Kardinal Oscar Andrés Rodríguez Maradiaga
Erzbischof von Tegucigalpa
Der erste Mal bin ich Johannes Paul II. im Juli 1980 in Rio de Janeiro begegnet, während der Feierlichkeiten zum 25. Jahrestag der lateinamerikanischen Bischofskonferenz (CELAM). Ich war erst seit anderthalb Jahren Bischof, und als ich ihn begrüßen durfte, sagte er zu mir: „Sie sind aber ein junger Bischof!“, worauf ich antwortete: „Das ist Ihre Schuld, Sie haben mich schließlich ernannt.“ Da mußten wir beide lachen. Dann später, nach dem gemeinsamen Abendessen mit uns Bischöfen, sagte er: „Könnt ihr Bischöfe denn nicht singen?“. „Natürlich können wir das!“ lautete unsere Antwort. „Kennen Sie El pescador?“, fragte er uns dann, und so kam es, daß wir mit großer Begeisterung dieses Lied anstimmten. Und er sang mit.
Gut kann ich mich noch daran erinnern, als ich ihn 1983 in Rom traf. In jenem Jahr war mein erster ad-limina-Besuch fällig. Ich war Apostolischer Administrator in Santa Rosa de Copán. Als ich in sein Büro kam, sagte er zu mir: „Da kommt ein junger Bischof, aber einer, der viel Arbeit hat.“ Er hatte eine Landkarte von Honduras auf dem Tisch liegen – keine anderen Unterlagen – und meinte: „Kommen Sie nur näher, und sagen Sie mir: Santa Rosa de Copán ist doch hier, wie geht es den Flüchtlingen aus Salvador!“. Ich war beeindruckt: er dachte also tatsächlich an jene, die am meisten zu leiden hatten, und das waren tatsächlich die Flüchtlinge. Danach begann er, mir Dinge zu sagen, die in den Informationen enthalten waren, die ich ihm vor dem ad-limina-Besuch zugesandt hatte, was erstaunlich war, da er keine Unterlagen vor sich liegen hatte, alles auswendig wußte. Das hat mich nachhaltig beeindruckt. Er hatte ein wirklich erstaunlich gutes Gedächtnis, bis zum Schluß.
Das letzte Mal habe ich ihn im Januar diesen Jahres begleitet, nachdem wir die Vollversammlung der Kommission für Lateinamerika beendet hatten. Als ich mich von ihm verabschieden ging, erkannte er mich sofort. Er zog mich immer wegen meinem Namen auf, Oscar: „Du bist ein Filmpreis...“ pflegte er zu sagen.
Wie ich schon im Radio Vatikan gesagt habe, war Johannes Paul II. für mich ein wahrer geistlicher Vater, und daher ist es für mich, als wäre am 2. April mein Vater heimgegangen. Mein Vater starb, als ich 19 Jahre alt war, und ich habe jetzt genau dasselbe Gefühl des Verlorenseins empfunden wie damals.
Cláudio Hummes.
von Kardinal Cláudio Hummes
Erzbischof von São Paulo
Johannes Paul II. wird man immer mit großer Liebe und Dankbarkeit gedenken, vor allem jene Generationen, die ihn im Laufe seines langen Pontifikats zum Papst hatten. Man wird an seine apostolischen Reisen denken, mehr als hundert, die ihn in die ganze Welt führten. Die Menschenmengen, die ihn überall empfingen und nach den Worten des Evangeliums hungerten und in ihrem Glauben bestärkt wurden. Er hat sie im Glauben bestärkt. Und zwar in erster Linie die Bischöfe und Priester.
Bei diesen Reisen besuchte er alle und gab sich allen: den Bischöfen und den Priestern, den Armen und den Ausgegrenzten, den Kranken, denen, die im Gefängnis saßen, den Hungernden, den Obdachlosen und den Heimatlosen. Er hat die favelas besucht, die Baracken, die Kleinbauern, Arbeiter, Kaufleute, Unternehmer, Akademiker, die Oberhäupter aller Religionen und die Menschen guten Willens, die Ordensmänner und -frauen, die Seminaristen, die Laienverbände und die kirchlichen Bewegungen, die Jugendlichen, Familien, Kinder, Künstler, Männer und Frauen der Kultur und der Universitäten, Gesellschaftsbauer, Politiker, Regierungsmitglieder und Präsidenten. Er war der Papst aller.
Jorge Mario Bergoglio.
IM LEBEN DES PAPSTES
von Kardinal Jorge Mario Bergoglio
Erzbischof von Buenos Aires
Wenn ich mich recht erinnere, war es im Jahr 1985. Eines Abends bin ich zum Rosenkranz gegangen, den der Heilige Vater leitete. Er kniete vorne, vor den anderen. Die Gruppe war überaus zahlreich, ich konnte den Papst nur von hinten sehen und vertiefte mich schon bald ins Gebet. Und ich war nicht der einzige: ich betete inmitten des Gottesvolkes, zu dem ich ebenso gehörte wie all die anderen, die dort waren, geleitet von unserem Hirten.
Und während ich so betete und den Papst betrachtete, schweiften meine Gedanken ab: seine Frömmigkeit, seine Hingabe, waren ein Zeugnis. Und die Konturen der Zeit begannen vor meinem geistigen Auge zu verschwimmen; ich stelle ihn mir als jungen Priester vor, als Seminarist; Karol, den Dichter, den Arbeiter, das Kind von Wadowice... in derselben Situation, in der er sich in jenem Moment befand, ein Ave Maria nach dem anderen betend. Sein Zeugnis machte mich zutiefst betroffen. Ich spürte, daß sich dieser Mann, der gewählt worden war, die Kirche zu leiten, auf dem Weg zu seiner Mutter im Himmel befand, einem Weg, den er schon in seiner Kindheit begonnen hatte. Und mir wurde die tiefe Bedeutung der Worte bewußt, die Unsere Liebe Frau von Guadalupe zum hl. Juan Diego gesagt hatte: „Fürchte Dich nicht, oder bin ich etwa nicht Deine Mutter?“. Da verstand ich die Allgegenwart Mariens im Leben des Papstes.Das Zeugnis ist keinen einzigen Augenblick verloren gegangen. Seit jenem Tag bete ich jeden Tag die 15 Rosenkranzgeheimnisse.