INTERVIEW MIT KARDINAL JOSEPH RATZINGER
Der Katechismus in einer postchristlichen Welt
Der Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre erklärt, warum er an einer kurzen, einfachen und klaren Synthese des Katechismus der Katholischen Kirche arbeitet: „Um einen guten Dialog zu führen, ist es notwendig zu wissen, worüber wir sprechen; es ist wichtig, die Substanz unseres Glaubens zu kennen. Das ist der Grund, warum ein Katechismus heute notwendiger ist denn je.“
von Gianni Cardinale
Joseph Ratzinger
30Tage wollte mehr darüber wissen und hat Kardinal Ratzinger um ein Gespräch gebeten. Der Kardinal hat uns mit der für ihn typischen Disponibilität in seinen Büros im ehemaligen Heiligen Offizium empfangen.
Eminenz, warum der Wunsch nach einem Kompendium des Katechismus? War der 1992 veröffentlichte Text zu umfangreich?
JOSEPH RATZINGER: Der Wunsch nach einem kurzen Katechismus wurde sofort nach der Veröffentlichung des großen laut. Die Ausgabe von 1992 ist ein wichtiger Bezugspunkt, um zu erfahren, was die Kirche lehrt, und daher auch für die Nicht-Katholiken nützlich. Andererseits erscheint er jedoch zu umfangreich – vor allem für den einfachen Gebrauch in der Katechese. Daher der Wunsch nach einer Synthese der wesentlichen Inhalte des Glaubens und der katholischen Moral: in knapper, einfacher und klarer Form. In der Zwischenzeit sind verschiedene dahingehende Versuche veröffentlicht worden. Keiner davon ist meines Erachtens wirklich gelungen. Anläßlich des Internationalen Kongresses zum 10. Jahrestag des Katechismus im vergangenen Oktober im Vatikan wurde dieser Wunsch an den Heiligen Vater herangetragen. Der Papst war einverstanden.
Und doch steht man – wie der Kardinal von Wien, Christoph Schönborn, bekräftigte – der Idee des Katechismus oft ablehnend gegenüber, zumindest in den deutschsprachigen Ländern, vor allem im Bereich der offiziellen Katechese.
RATZINGER: Das stimmt. Es gibt eine gewisse Aversion gegen jeden Versuch, eine Lehre in Worte zu „gießen“ – und dies im Interesse einer Flexibilität –; bei vielen ist ein gewisser Antidogmatismus vorhanden. Vor allem die nachkonziliare Katechese hat den anthropologischen Aspekt der Frage in den Vordergrund gestellt und meint, daß ein Katechismus – da zu doktrinär – für den notwendigen Dialog mit dem Menschen von heute ein Hindernis darstellen würde. Wir sind vom Gegenteil überzeugt. Um einen guten Dialog zu führen, ist es notwendig zu wissen, worüber wir sprechen; es ist wichtig, die Substanz unseres Glaubens zu kennen. Das ist der Grund, warum ein Katechismus heute notwendiger ist denn je.
Auch im Licht des von Ihnen vor ein paar Jahren beklagten „katastrophalen Ausgangs der modernen Katechese“?
RATZINGER: Das ist eine Tatsache. Ohne irgend jemanden verurteilen zu wollen, liegt es auf der Hand, daß eine erschreckende Unkenntnis in religiösen Dingen herrscht. Man muß nur mit der jungen Generation sprechen... In der Zeit nach dem Konzil ist es offensichtlich nicht gelungen, die Inhalte des christlichen Glaubens zu vermitteln.
In Ihrem Kongress-Beitrag spielten Sie auf das „Murren“ der Kritiker des Katechismus an. Ist ein solches auch jetzt zu vernehmen?
RATZINGER: Bis jetzt noch nicht, aber wenn das Projekt des Kompendiums erst einmal Gestalt annimmt, wird man damit wohl rechnen müssen.
Nach welchen Grundkriterien wird das Kompendium erstellt? Wird es in Fragen und Antworten gegliedert sein?
RATZINGER: Darüber denken wir derzeit noch nach. Es sieht ganz so aus, als würde man sich für das Frage-Antwort-Schema entscheiden, das auch außerhalb der katholischen Kirche gebraucht wird. Ich wage es aber nicht, den Propheten zu spielen. Und das auch, weil das Projekt allen Kardinälen und Vorsitzenden der Bischofskonferenzen vorgelegt wird und wir sehr von deren Antworten abhängen. Das Kompendium wird nicht irgendein Kompendium des katholischen Glaubens sein, sondern das Kompendium des Katechismus von 1992. Es muß aber gut lesbar sein, so daß es wirklich vielen zugänglich ist.
Würde eine Rückkehr zum Frage-Antwort-System nicht bedeuten, die Form des Katechismus von Pius X. wiederaufzugreifen?
RATZINGER: Auch die Katechismen in der Reformationszeit bedienen sich dieser Methode, und zwar sowohl die katholischen als auch die von Martin Luther. Denn der Mensch hat seine Fragen, und der Glaube gibt Antwort auf diese Fragen. Es erscheint mir gerade in einer Zeit wie der heutigen, in welcher der Dialog mit Recht als wesentlich für die Erziehung zum Glauben und die Beziehung zwischen den verschiedenen menschlichen Gruppen betrachtet wird, nur natürlich, daß die Dialogmethode von Frage und Antwort in einem Buch wie dem Kompendium Anwendung findet.
Apropos Katechismus von Pius X., der noch heute seine Anhänger findet: Kann man ihn mit der Veröffentlichung des Kompendiums als überholt betrachten?
RATZINGER: Der Glaube ist als solcher immer gleich. Und daher wird auch der Katechismus von Pius X. stets seinen Wert behalten. Was sich dagegen ändern kann, ist die Art und Weise, die Glaubensinhalte zu vermitteln. Und so kann man sich fragen, ob der Katechismus von Pius X. in diesem Sinne noch heute als gültig zu betrachten ist. Ich glaube, daß das Kompendium, das wir vorbereiten, den heutigen Erfordernissen sehr gerecht wird. Das schließt keinesfalls aus, daß es durchaus Personen oder Gruppen von Personen geben kann, die mit dem Katechismus von Pius X. besser zurechtkommen. Man darf nicht vergessen, daß dieser Katechismus auf einen Text zurückgeht, den er selbst abgefaßt hatte, als er Bischof von Mantua war. Einen Text, der Ergebnis der persönlichen katechetischen Erfahrung von Giuseppe Sarto war und sich nicht nur durch seine einfache Darlegung, sondern auch durch die inhaltliche Tiefe auszeichnete. Deshalb kann der Katechismus von Pius X. auch in Zukunft durchaus seine Freunde finden. Aber das macht unsere Arbeit sicher nicht überflüssig...
Kehren wir zum Kompendium zurück. Wann wird es fertig sein?
RATZINGER: Das ist schwer zu sagen, auch aus dem Grund, weil wir einen Text vorbereiten müssen, der – wie ich bereits sagte – allen Kardinälen und Vorsitzenden der Bischofskonferenzen zur Beurteilung vorgelegt werden muß; diese Phase wird mindestens sechs Monate in Anspruch nehmen. Wenn alles gut geht, müßte das Kompendium aber in zwei Jahren fertig sein.
Das ist eine Tatsache. Ohne irgend jemanden verurteilen zu wollen, liegt es auf der Hand, daß eine erschreckende Unkenntnis in religiösen Dingen herrscht. Man muß nur mit der jungen Generation sprechen... In der Zeit nach dem Konzil ist es offensichtlich nicht gelungen, die Inhalte des christlichen Glaubens zu vermitteln.
Wird es mit seiner Veröffentlichung dann auch zur Norm für alle Katechismen der Bischofskonferenzen?RATZINGER: Der Text wird Norm sein für die lehrmäßigen Inhalte, welche jene des Katechismus von 1992 sind. Zur Methode wird er allerdings nur Vorschläge enthalten: in diesem Bereich ist eine große Freiheit zu lassen, weil die sozialen und kulturellen Rahmenbedingungen im Bereich der katholischen Weltkirche sehr unterschiedlich sind. Von den wesentlichen Glaubensinhalten einmal abgesehen ist eine gewisse methodologische Flexibilität in der Katechese stets notwendig.
Muß das Kompendium auch in den Seminaren und theologischen Fakultäten angewandt werden?
RATZINGER: Das Kompendium wird der Gemeindekatechese, den Gebetsgruppen, den kirchlichen Bewegungen nützlich sein. Für die Seminare und theologischen Fakultäten ist es wichtig, vom „großen“ Katechismus von 1992 auszugehen. Denn in diesen Bereichen dürfte man bereits das assimiliert haben, was im Kompendium veröffentlicht wird...
Vom Katechismus von 1992 wurden Millionen von Exemplaren verkauft. Wurde er auch wirklich für die Abfassung von nationalen Katechismen verwendet?
RATZINGER: In den USA kann kein Katechismus und kein katechetisches Buch veröffentlicht werden, wenn nicht die Übereinstimmung mit dem Katechismus von 1992 gewährleistet ist. In einigen asiatischen Ländern, beispielsweise in Indien, wird er in den Colleges als maßgebliches Buch zur Einführung in die katholische Glaubenslehre verwendet. In anderen Ländern wiederum war das nicht der Fall. Vielleicht wurde der Katechismus von 1992 – wie das bei vielen Büchern der Fall ist – mehr verkauft als gelesen... Vielleicht hätte man mehr Gebrauch davon machen können. Ich bin aber dennoch der Meinung, daß er mit dazu beigetragen hat, den lehrmäßigen und pastoralen Weg des letzten Jahrzehnts zu konkretisieren.
Wird sich das Kompendium an diejenigen richten, die sich bereits mit dem Christentum befaßt haben?
RATZINGER: Dieses Kompendium, wie bereits der Katechismus von 1992, richtet sich vor allem an die Bischöfe, Priester, Katecheten, die Lehrer und Verkünder des Glaubens. Wir dürfen jedoch nicht vergessen, was uns Paulus lehrt, daß nämlich der Glaube nicht vom Lesen, sondern vom Hören kommt. Schließlich wird auch im Katechismus von 1992 festgehalten, daß das Christentum keine Buchreligion ist. Der Glaube wird persönlich vermittelt, nicht durch das Lesen des Katechismus. Eine Lektüre, die auch den Nicht-Christen hilfreich sein kann, die sich darüber informieren wollen, was die katholische Kirche glaubt und lehrt.
Wird sich das Kompendium auch mit umstrittenen Fragen beschäftigen, wie der Todesstrafe, oder solchen von trauriger Aktualität, wie der Lehre vom „gerechten Krieg“?
RATZINGER: Alle wesentlichen Inhalte der Katechese müssen in dem Kompendium Platz finden, auch die von Ihnen angesprochenen Themen, die bei der Kommission, die den Katechismus von 1992 vorbereitet hat, sehr intensiv diskutiert wurden. Es handelt sich dabei um überaus wichtige Themen christlicher Moral. Im Kompendium dürfen nicht nur Themen der individuellen Moral Platz finden, sondern auch diese Themen der öffentlichen Moral.
Ist es möglich, daß die beiden Themen, Todesstrafe und gerechter Krieg, heute anders behandelt werden als im Jahr 1992?
RATZINGER: In der Frage der Todesstrafe hat es seit der ersten Auflage des Katechismus von 1992 und der 1997 in lateinischer Sprache erschienenen editio typica in der Tat eine bemerkenswerte Entwicklung gegeben. Das Wesentliche ist gleich geblieben, aber die Strukturierung der Argumente hat sich in restriktivem Sinn entwickelt. Ich schließe nicht aus, daß es bei diesen Themen Variationen in der Argumentationsweise und der Gewichtung der Problemlage geben kann. Was ich allerdings ausschließe, sind radikale Änderungen.
Eminenz, eine aktuelle Frage, die in einem gewissen Sinne mit dem Katechismus zu tun hat: Fällt der von Engländern und Amerikanern gegen den Irak geführte Krieg unter die Kategorie des „gerechten Krieges“?
RATZINGER: Der Papst hat dazu seine Auffassung klar geäußert, und zwar nicht als persönliche Meinung, sondern als Stellungnahme eines Mannes des Gewissens in höchster Verantwortung in der katholischen Kirche. Gewiß, er hat diese Stellungnahme nicht als Lehre der Kirche vorgetragen, aber als Appell eines vom Glauben erleuchteten Gewissens. Das Urteil des Heiligen Vaters ist auch unter rationalem Gesichtspunkt überzeugend: es gab keine ausreichenden Motive dafür, einen Krieg gegen den Irak zu beginnen. Es war von Anfang an klar, daß eine Garantie für die Verhältnismäßigkeit von eventuellen positiven Konsequenzen und sicheren negativen Auswirkungen des Konflikts nicht möglich ist. Im Gegenteil scheint vielmehr klar zu sein, daß die negativen Folgen mögliche positive Auswirkungen überbieten werden. Ganz abgesehen davon, daß wir uns ernsthaft fragen müssen, ob es heutzutage mit den neuen Waffen, die Zerstörungen weit über die im Kampf stehenden Gruppen ermöglichen, überhaupt rechtens sein kann, von einem „gerechten Krieg“ zu sprechen.
In einem Leitartikel in La Stampa¡äußerte sich Barbara Spinelli lobend über die Stellungnahme von Johannes Paul II. gegen den Krieg. Diese sei von „christlichem Realismus“ inspiriert gewesen...
RATZINGER: Als ich sagte, daß die Stellungnahme des Papstes nicht eine Frage der Glaubenslehre ist, sondern Ergebnis des Urteils eines erleuchteten Gewissens und daß sie durchaus ihre rationale Evidenz besitzt, meinte ich genau das. Es handelt sich um eine Stellungnahme christlichen Realismus’, die, ohne doktrinelle Starrheit, die Realität wertet unter Beachtung der Würde der menschlichen Person als höchst zu respektierenden Wert.
Bei beiden Parteien des Konflikts hat es nicht an Berufungen auf Allah und Gott gefehlt...
RATZINGER: Eine solche Sprache ist bedauerlich. Es wird mit dem Namen Gottes Mißbrauch getrieben. Keine der beiden Parteien kann zu recht behaupten, das, was sie tut, im Namen Gottes zu tun. Der Heilige Vater hat viele Male betont, daß Gewalt nie im Namen Gottes angewandt werden kann. Da wir vom Katechismus gesprochen haben, ist es gut, daran zu erinnern, was uns das zweite Gebot gebietet: „Du sollst den Namen des Herrn, Deines Gottes, nicht mißbrauchen“. (Deutsche Fassung: 30 TAGE)