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SAKRAMENTE
Aus Nr. 05 - 2003

INTERVIEW MIT KARDINAL WALTER KASPER

Die Kirche gibt sich nicht selbst das Leben


Der Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen zur jüngsten Enzyklika des Papstes, Ecclesia de Eucharistia


von Gianni Valente


Kardinal Walter Kasper.

Kardinal Walter Kasper.

Die vierzehnte Enzyklika Johannes Pauls II. ist ein Dokument, das mit nüchternen und überzeugenden Worten dazu einlädt, den Blick auf die „Gabe Christi in seiner heiligen Menschheit“ zu richten, die der Herr selbst seiner Kirche im Sakrament der Eucharistie schenkt. Die Enzyklika ist keine bloße Auflistung von Warnsignalen und Gebrauchsanweisungen. Sie ist „gegen“ niemanden. Und vor allen Dingen ist in ihr kein Anflug von doktrinärem Stolz zu erkennen. Wenn die Kirche, wie schon der Titel sagt, von der Eucharistie lebt, kann eine erhaltene Gabe von ihrem Wesen her auch nicht zum Gegenstand eines anmaßenden Besitzes werden.
Der Mann, der in dem nachfolgenden Interview mit ähnlichen Argumenten seine Dankbarkeit für die jüngste Enzyklika des Papstes zum Ausdruck bringt, hat wahrlich nicht das Profil eines traditionalistischen Nostalgikers. Kardinal Walter Kasper wird oft von jenen, die auch das Kardinalskollegium gern in starre Kategorien eines Parteibipolarismus einteilen würden, dem „progressistischen“ Flügel zugeordnet. Seit März 2001 ist er Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen. Und damit ex officio in der Römischen Kurie derjenige, der am meisten mit den Beziehungen zu den Oberhäuptern der anderen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften zu tun hat. Seine klaren, ausgewogenen Überlegungen erhalten Wert auch im Blick auf die ihm anerkannte Rolle – immerhin wurde an Ecclesia de Eucharistia bisher vor allem die angebliche antiökumenische Rückständigkeit kritisiert, von der das Dokument durchdrungen sein soll.
Es muß noch gesagt werden, daß sich Kardinal Kasper im Laufe seiner langjährigen Tätigkeit als Professor und geschätzter Theologe während der postkonziliären Jahreszeit besonders intensiv mit der Beziehung zwischen Kirche und Eucharistie befaßt hat.

Eine Enzyklika sollte normalerweise die Aspekte gegenwärtig besonders aktueller Fragen hervorheben oder Antworten darauf geben. Eminenz, was war Ihrer Meinung nach ausschlaggebend dafür, daß es der Papst jetzt für angebracht hielt, eine Enzyklika über die Eucharistie zu schreiben?
WALTER KASPER: Es geht nicht so sehr darum, vor bestimmten Aspekten zu warnen. Die Enzyklika richtet ihr Augenmerk vielmehr auf die allgemeine Befindlichkeit der Kirche, wie sie sich uns darstellt. In der heutigen Zeit werden wir Zeugen einer wahren Flut von Ritualen, die fast schon in kommerziellem Rhythmus produziert werden, die Wahrnehmung der geschichtlichen Besonderheit der christlichen Sakramente scheint dagegen verloren zu gehen. Um es mit einem von Kardinal Danneels geprägten Begriff zu sagen, werden wir Zeugen einer Art Verkümmerung, einer „Verblendung“, die bewirkt, daß die Sakramentalität der Kirche nicht mehr wahrgenommen wird, vor allem in schon von alters her evangelisierten Ländern. Das II. Vatikanische Konzil verwies bereits mit der Konstitution Lumen Gentium und der Konstitution über die Liturgie auf die sakramentale Natur der Kirche. Aber danach konnte man eine Banalisierung feststellen, eine Verflachung, die gewiß nicht dem Konzil zuzuschreiben ist. Auch dank des Dialogs mit den protestantischen Brüdern und Schwestern haben wir erkannt, wie wichtig der Dienst am Wort ist. Die Sakramente aber laufen inzwischen Gefahr, nicht länger der Schwerpunkt der katholischen Pastoral zu sein.
Konnten Sie in dem Text Passagen erkennen, in denen die sakramentale Natur der Kirche in wirksamer Synthese dargelegt wird?
KASPER: Ja, sogar viele. So steht beispielsweise unter Punkt 12 über die Eucharistie zu lesen, daß „die Kirche unaufhörlich vom Erlösungsopfer lebt. Ihm nähert sie sich nicht nur durch ein gläubiges Gedenken, sie tritt mit ihm auch wirklich in Kontakt.“ Das Gnadenleben wird durch Kontakt vermittelt: darin besteht die den Sakramenten eigene Dynamik, wie sie in der Eucharistie offensichtlich ist. Das in der Eucharistie gefeierte Gedächtnis ist nicht nur die Erinnerung an ein vergangenes Ereignis, zu dem man sich in subjektiven religiösen Reflexionen ergeht: unter Punkt 11 steht zu lesen: „Die Eucharistie ist nicht nur eine Erinnerung an dieses Ereignis, sondern die sakramentale Vergegenwärtigung“ von Leiden und Sterben des Herrn. Die Wiederentdeckung dieses objektiven, realen Sachverhalts des eucharistischen Gedächtnisses ist auch im Dialog mit den Lutheranern hilfreich, dabei, auch sie die Opferdimension der Eucharistiefeier erkennen zu lassen.
Auf welche Weise?
KASPER: Die Lutheraner haben unsere Anerkennung des Opfercharakters der Eucharistiefeier oft als eine Vervielfältigung des einzigen, einzigartigen, nicht wiederholbaren Charakters des Leidens des Herrn betrachtet. Aber die katholische Kirche erkennt an, daß das einzige, einzigartige Ereignis vom Leiden und Sterben Christi nicht wiederholt werden kann. Es ist das gleiche Ereignis, das in sakramentaler, und daher geheimnisvoller Weise, in der liturgischen Feier gegenwärtig wird. Die Eucharistie ist die gegenwärtige Gabe der heiligen Leibes Jesu und nicht eine von den Menschen inszenierte metaphorische Darstellung dieser Gabe. Wer das eucharistische Brot ißt, tritt in persönlichen Kontakt mit dem einzigen Opfer Jesu Christi. Unter Punkt 12 wird – angelehnt an die Lehre des Konzils von Trient – in der Enzyklika bekräftigt: „Die Messe macht das Opfer des Kreuzes gegenwärtig, sie fügt ihm nichts hinzu und vervielfältigt es auch nicht.“ Hierzu wird auch der schöne, vom heiligen Johannes Chrysostomus geprägte Satz zitiert: „Wir opfern immer das gleiche Lamm, und nicht heute das eine und morgen ein anderes, sondern immer dasselbe. Aus diesem Grund ist das Opfer immer nur eines.“
Das Papstdokument befaßt sich besonders intensiv mit dem Opfercharakter der Eucharistie, warnt vor reduzierenden Interpretationen...
KASPER: Unter Punkt 13 wird betont, daß „kraft ihrer innigen Beziehung mit dem Opfer von Golgota die Eucharistie Opfer im eigentlichen Sinn ist, und nicht nur in einem allgemeinen Sinn,“ als ob es sich um eine bloße Hingabe Christi als „geistliche Speise“ an die Gläubigen handelte. Die Gabe Christi ist eine Ganzhingabe an den Vater und an uns. Sie auf eine brüderliche Versammlung zum Mahl zu reduzieren, bei der einem Ereignis aus der Vergangenheit gedacht werden soll, ist eine Banalisierung.
Angesichts eines allgemeinen Relativismus hoffen viele, daß die Kirche die eigenen Gewissheiten fast schon in einer herausfordernden Haltung neu bekräftigen möge. Daß eine Art „katholischer Stolz“ zutage tritt, der sich selbstgefällig am Besitz seiner Dogmen weidet. Haben Sie den Eindruck, daß die Enzyklika von diesem kulturell-kirchlichen Klima besonders beeinflußt ist?
KASPER: Ganz im Gegenteil. Wenn die Kirche die eigenen Glaubenswahrheiten wiederholt, ist das niemals eine prahlerische Zur-Schau-Stellung, so als wären die Glaubenswahrheiten eine Art Besitz. Der christliche Glaube ist, wie Thomas von Aquin sagt, „perceptio veritatis tendens in ipsam.“ Das Erkennen der Wahrheit, indem man auf sie zugeht, sie befragt. Hierin sind uns unsere orthodoxen Brüder ein Vorbild, für die die Wiederholung der Glaubenswahrheiten nur in Form einer Doxologie erfolgen kann, also als ein Bitt- und Dankgebet an den Herrn und den Heiligen Geist bei der liturgischen Feier. Auch diese Enzyklika scheint mir von Zügen einer Gebetsbitte geprägt, einer demütigen Erwartung dessen, was der Herr selbst durch das Sakrament der Eucharistie wirkt. Unter Punkt 18 ist beispielsweise von der eschatologischen Perspektive die Rede, welche die Eucharistiefeier auszeichnet, „bis du kommst in Herrlichkeit“. Und in Anlehnung an ein Antiphon des Hochfestes Fronleichnam wird die Eucharistie als Vorwegnahme des Paradieses auf Erden definiert, als „Unterpfand der künftigen Herrlichkeit“.
Auch die Wiederholung der Glaubenswahrheiten ist also eine Art zu beten, und nicht die prahlerische Zur-Schau-Stellung eines Besitzes...
KASPER: Der hl. Bonaventura hat gesagt: wir besitzen die Wahrheit nicht, die Wahrheit ist es, die uns besitzt. Das Dogma selbst ist gleichsam wie ein auf das Mysterium gerichteter Zeigefinger. Was zählt, ist die Wirklichkeit des Mysteriums, das, was das Mysterium selbst wirkt, und was noch vor der dogmatischen Definition kommt. Die Tradition, das depositum fidei, die Bewahrung der Glaubenswahrheiten ist wesentlich im Leben der Kirche. Aber der „Schatz“, auf den alle von der Tradition bewahrten Glaubensformeln verweisen und anspielen, ist Christus selbst. Er ist es, der „tradit“, der der Kirche von Geschlecht zu Geschlecht Leben vermittelt. Er ist das Subjekt der Tradition. Das kirchliche Lehramt ist nur ein demütiger Dienst dieses seines Wirkens. Und der Glauben bleibt nicht bei der Wiederholung der Formeln stehen, sondern ist die Anerkennung der Wirklichkeit, auf die die Formeln verweisen. Auch wenn wir also die Dogmen wiederholen, wenn wir beispielsweise das Glaubensbekenntnis sprechen, vollbringen wir vor allen Dingen eine Gebetsgeste, eine Geste der Bitte an den Heiligen Geist und bekräftigen damit nicht etwas, das wir besitzen.
Ein Kapitel der Enzyklika trägt den Titel „Die Eucharistie baut die Kirche auf“. Was fällt Ihnen zu diesem Bild ein?
KASPER: Die Wiederentdeckung der Kirchenväter, die wir auch Henri du Lubac zu verdanken haben, hat neue Anstöße für das Erfassen der Verbindung zwischen Kirche und Eucharistie gegeben. Durch die ganze Enzyklika zieht sich die Erkenntnis, daß sich die Kirche nicht selbst Leben gibt, sich nicht von selbst aufbaut, sich nicht selbst hervorbringt. Die Kirche ist kein rein äußerliches, von der Gemeinschaft der Glaubenden geschaffenes Organ, ebenso wenig ist sie eine Art transzendenter Hyostase, die quasi dem in die Welt Kommen Christi vorausgeht. Und die Gemeinschaft ist keine beliebige Versammlung von Gläubigen. Sie lebt von der Teilhabe an einer Wirklichkeit, die ihr vorausgeht, die vorher besteht und uns von außen entgegenkommt.
Paul VI. schrieb in seinem Credo des Gottesvolkes, das auch in der Enzyklika zitiert wird, daß die Kirche „kein anderes Leben besitzt als das der Gnade.“
KASPER: Und unter Punkt 23 der Enzyklika heißt es: „Das geeinte und untrennbare Handeln des Sohnes und des Heiligen Geistes, das der Kirche, ihrem Entstehen und ihrer Fortdauer zugrunde liegt, ist in der Eucharistie wirksam.“ Auch dank des letzten Ökumenischen Konzils haben wir erkannt, wie wichtig die Epiklese ist, das eucharistische Gebet, in dem der Priester den Vater bittet, seinen Geist zu schicken, damit Brot und Wein der Leib und das Blut Jesu Christi werden. Nicht der Priester bewirkt die Transsubstantiation: der Priester bittet den Vater, sie durch das Wirken des Geistes zustande kommen zu lassen. Man kann sagen, daß die ganze Kirche eine epiclesis ist.
Und doch hat man, wenn man der Messe beiwohnt, eher den Eindruck, daß die Gemeinde sich selbst feiert als die Gabe des Heiligen Geistes zu erbitten.
KASPER: Das ist eine reale Versuchung, die in vielen kirchlichen Kreisen besteht, wenn man z.B. sagt, die Kirche „von unten“ aufbauen zu wollen. Man kann nicht im eigentlichen Sinn Kirche „machen“, Kirche „organisieren.“ Weil die communio nicht von unten kommt, sondern vielmehr eine Gnade und Gabe ist, die von oben kommt.
Das Gnadenleben wird durch Kontakt vermittelt: darin besteht die den Sakramenten eigene Dynamik, wie sie in der Eucharistie offensichtlich ist.
Setzt man sich so nicht Kritiken an der hierarchischen Struktur der Kirche aus?
KASPER: „Von oben“ bedeutet vom Heiligen Geist, nicht von der Hierarchie. Die Kirche kann sich nicht von unten „machen“, aber ebenso wenig von der Führungsspitze aus. Nicht einmal die Hierarchie, der Papst, die Bischöfe dürfen meinen, daß sie es sind, die die Kirche „hervorbringen.“ In der Tat ist die Versuchung, „Kirche zu machen“ nicht nur auf die Basisgemeinschaften und Pfarreigruppen beschränkt, sondern zeigt sich auch auf den höchsten Ebenen der kirchlichen Institution, oder in den theologischen Akademien, wie beispielsweise dann, wenn die Eucharistiefeier auf den Vorwand reduziert wird, „Programme zu erstellen“, Pastoralprogramme über ihr zu errichten. Hierzu hat Ecclesia de Eucharistia eine gute Dosis Gegengift parat.
Die Enzyklika kommt mit Nachdruck auf die unersetzbare Rolle der Priester bei der Eucharistie zurück. Der ein oder andere sieht darin eine Rückkehr zur Unterordnung der Gemeinde unter den Klerus...
KASPER: Das sehe ich anders. Das Subjekt der Liturgie ist Jesus Christus selbst. Der Priester zelebriert in persona Christi: Er ist der Diener, der Christus Stimme verleiht. Wenn er sagt: „Das ist mein Leib, das ist mein Blut“, sind der angebotene Leib und das angebotene Blut natürlich nicht seines. Außerdem kann die Notwendigkeit des geweihten Amtsträgers für die Feier der Eucharistie – sofern korrekt dargestellt – auch Einwänden ökumenischer Natur standhalten.
Inwiefern?
KASPER: Wie unter Punkt 29 beschrieben, kann sich die Gemeinde nicht selbst einen geweihten Amtsträger geben. Der Priester wird ihr geschickt als eine Gabe, die die Fähigkeiten der Gemeinde weit übersteigt. Eine Gabe, die die Gemeinde „durch die auf die Apostel zurückgehende Sukzession der Bischöfe“ empfängt. In dieser Perspektive ist die Notwendigkeit des geweihten Amtsträgers ein Zeichen, das auch die Unentgeltlichkeit des eucharistischen Sakraments nahelegt und empfinden läßt. Zeugnis dafür ablegt, daß sich die Gemeinde nicht selbst die Eucharistie geben, sie nicht als Eigenleistung zustandebringen kann, als würde sie etwas ihr Immanentes aus eigener Kraft aus sich selbst hervorbringen..
In dem Kapitel mit dem Titel „Die Eucharistie und die kirchliche Gemeinschaft“ wird bekräftigt, daß man, um die Kommunion zu empfangen, von der Last der Todsünde frei sein muß.
KASPER: Schon Paulus schreibt in seinem ersten Brief an die Korinther, daß wer an die Eucharistie herantritt, sich selbst prüfen soll. Eucharistie und Buße sind eng miteinander verbundene Sakramente. Mein Vater ging früher keinen Sonntag zur Kommunion, wenn er nicht vorher gebeichtet hatte, was wohl ein wenig übertrieben scheinen mochte. Jetzt aber habe ich den Eindruck, daß in der anderen Richtung sogar reichlich übertrieben wird. Man kann nicht die Kommunion empfangen und dabei den Stand des eigenen Gewissens außer Acht lassen.
Das Dokument verweist auf die Norm des Kodexes des kanonischen Rechtes, nach der jene nicht zur eucharistischen Kommunion zugelassen werden können, „die hartnäckig in einer offenkundigen schweren Sünde verharren.“ Die von Ihnen und dem damaligen Bischof Lehmann 1993 in Betracht gezogene Möglichkeit, wiederverheirateten Geschiedenen die Sakramente zu spenden, machte Schlagzeilen...
KASPER: Darauf möchte ich nicht mehr eingehen. Wir haben damals jedenfalls nicht gesagt, daß alle wiederverheirateten Geschiedenen, verstanden als soziologische Kategorie, die Eucharistie empfangen können, sondern lediglich vorgeschlagen, bei der Beurteilung einzelner Fälle eine pastorale Unterscheidung vorzunehmen. Die Regel ist zu befolgen, wie es auch notwendig ist, daß jene, die darum bitten, die Sakramente empfangen zu dürfen, den aufrechten Vorsatz zur Umkehr haben. Es gibt aber auch Fälle, in denen es den Betroffenen nicht gelingt, die Beweise für die Nichtigkeit der Ehe beizubringen, eine Nichtigkeit, von der sie persönlich aber überzeugt sind.
Kardinal Ratzinger hat vor einiger Zeit geschrieben, daß auch die Kongregation für die Glaubenslehre dabei ist, die Frage abzuwägen, ob angesichts der völligen Unwissenheit, mit der heute oft geheiratet wird, tatsächlich jede Ehe zwischen zwei Getauften ipso facto eine sakramentale Ehe ist.
Fractio panis, Priszilla-Katakomben, Rom

Fractio panis, Priszilla-Katakomben, Rom

KASPER: Viele heiraten, ohne die ehelichen Bedingungen und Pflichten zu bedenken, denen zugestimmt werden muß, wie dem Band der Unauflösbarkeit. Dieser Situation muß man sich bei der Beurteilung heikler Fälle bewußt sein.
Das fünfte Kapitel lädt dazu ein, die liturgische Ausschmückung bei der Feier der Eucharistie zu pflegen. Halten Sie das heute für angebracht?
KASPER: Es scheint mir interessant, darauf zu verweisen, daß die Liturgie kein Privatbesitz ist, kein Niemandsland, auf dem man die eigene Kreativität ausleben kann. Bereits vor dem Konzil gab es die sogenannten „Privatmessen“, die in wenig würdevoller Weise zelebriert wurden. Dieser Verweis auf die Nüchternheit der liturgischen Normen der Kirche erscheint mir jetzt angemessener denn je.
Als Vorbild beschreibt die Enzyklika den Priester, der die heilige Messe getreu nach den liturgischen Normen feiert, und die Gemeinde, „die sich diesen Normen anpasst, schweigend und doch beredt ihre Liebe zur Kirche bekundet...“
KASPER: Es ist auch eine Frage der Ästhetik. Eine unaufhörliche liturgische Kreativität schafft oft Raum für Riten, die auch ästhetisch deprimierend sind. Und was die Eucharistie angeht ist festzuhalten, daß neue eucharistische Gebete zu erfinden, Ausdruck einer gewissen Anmaßung sein kann. Die Feier ist Feier der Kirche, nicht meine Feier. Gefeiert wird im Namen der Kirche, und gerade aus diesem Grund ist es von Vorteil, der Disziplin der Kirche zu folgen. Es würde mir nicht im Traum einfallen, die Anrufung des Heiligen Geistes einem neuen, von mir ausgedachten eucharistischen Gebet anzuvertrauen...
Die Enzyklika lädt auch dazu ein, die Praxis der eucharistischen Anbetung zu pflegen. So mancher hat darin ein antiökumenisches Element gesehen und darauf verwiesen, daß es sich um eine Anbetung handelt, die die orthodoxe Tradition nicht kennt, und die sozusagen das „Banner“ der antiprotestantischen Pastoral war....
KASPER: Die Enzyklika tut nichts anderes, als das zu registrieren, was vor sich geht. Das Gottesvolk selbst ist es, das auf die Praktiken zurückgreift, die sein Glaubensleben nähren und stärken. Formen der Frömmigkeit, die man nach dem Konzil vielleicht ein wenig beiseite geschoben hatte, vielleicht aufgrund eines übertriebenen Intellektualismus. Ich kenne jetzt auch in Deutschland viele Pfarreien und Seminare, die die eucharistische Anbetung praktizieren. Eine Anbetung, die auch auf die Dimension des Mysteriums verweist und daran erinnert, daß die Messe nicht nur eine brüderliche Versammlung zum Mahl ist.
Kommen wir auf das Thema zu sprechen, mit dem Sie sich „von Amts wegen“ am meisten beschäftigen. Welche Implikationen hat die Enzyklika vom ökumenischen Gesichtspunkt her?
KASPER: Es ist abwegig zu behaupten – wie das einige Protestanten getan haben –, daß diese Enzyklika ein Hindernis für den ökumenischen Weg darstellt. Andere, wie Manfred Kock, Präsident des Rates der evangelischen Kirche in Deutschland, haben mit Realismus anerkannt, daß das Dokument keinesfalls einen Rückschritt darstellt und sich darauf beschränkt, auf die strengen katholischen Normen für Beziehungen zu den Christen anderer Kirchen und kirchlicher Gemeinden hinsichtlich der Feier der Eucharistie zu verweisen, die bereits im Katechismus der Katholischen Kirche, im Ökumenismus-Direktorium und in den beiden Kodexen des kanonischen Rechtes Niederschlag fanden.
Trotz der in vielen Kommentaren festzustellenden Unrichtigkeiten verweist die Enzyklika auch darauf, daß ein Protestant – in einzelnen Fällen und unter besonderen Umständen – in einer katholischen Feier die Eucharistie empfangen kann, sofern er „die rechte Haltung“ hat. Wie kann man seine „rechte Haltung“ messen?
KASPER: Ich sage immer, daß er in Fällen schwerer geistlicher Not in der Lage sein muß, zu dem Priester, der ihm die Eucharistie reicht, „Amen“ zu sagen. Beziehungsweise, „Amen“ zu sagen zur Realpräsenz des Leibes und des Blutes Christi in den eucharistischen Gestalten, konsekriert in der Messe, bei der für den Papst, der namentlich genannt wird, gebetet wird. Eine Messe, bei der Gebete an die Muttergottes gerichtet und die Heiligen angerufen werden. Wer guten Gewissens zu all dem „Amen“ sagen kann, der hat „die rechte Haltung“...
Wie stehen die Dinge mit den Orthodoxen in Sachen gegenseitiger eucharistischer Gastfreundschaft?
KASPER: Mit den Orthodoxen teilen wir die gültigen Sakramente und den gleichen eucharistischen Glauben. Die eucharistische Gastfreundschaft wirft von der Glaubenslehre her weniger Probleme auf. Was in diesem Moment dazu anrät, Vorsicht walten zu lassen, sind vor allem Wertungen kirchlicher Opportunität. Es muß vermieden werden, daß auch die eucharistische Gastfreundschaft im einzelnen Fall als Gelegenheit eines Proselytismus mißverstanden werden kann.
Es wurde gemunkelt, daß die Enzyklika auch von der Besorgnis über ökumenische Eucharistiefeiern inspiriert gewesen sein soll, bei denen die sogenannte „Interkommunion“ praktiziert wird. Und daß in Deutschland der 1. Ökumenische Kirchentag einen Vorwand für Feiern dieser Art liefern könnte...
KASPER: Die deutschen Bischöfe haben sich zu diesem Punkt klar ausgedrückt; sie haben gesagt, daß das nicht zulässig ist. Aber das ist nicht nur ein deutsches Problem. Viele Bischöfe aus aller Welt haben es angesprochen, als sie zum Ad-limina-Besuch nach Rom kamen. Von den Reformierten trennt uns eine deutliche Distanz, was das Weiheamt und die Eucharistielehre angeht. Mit den Lutheranern dagegen besteht bezüglich der Eucharistie die Möglichkeit einer Annäherung. Auch wenn wir von einem wahren Konsens weit entfernt sind.
Worauf gründet sich diese deutlichere Nähe zu den Lutheranern?
KASPER: Die Lutheraner glauben an die Realpräsenz von Christi Leib und Blut. Für die wahren Lutheraner ist es klar, daß Jesus Christus mit seiner Menschheit und Göttlichkeit in den bei der Feier konsekrierten eucharistischen Gestalten gegenwärtig ist. Ihre Einwände setzen bei der Definition der „Transsubstantiation“ an. Vorbehalte haben sie bezüglich des Fortbestehens der Realpräsenz Jesu Christi in der Eucharistie nach dem Ende der eucharistischen Feier. Aber letzterer Punkt wird immer noch von ihnen diskutiert, und es könnte durchaus neue Entwicklungen geben.
Gerade mit den Lutheranern kam es im Falle der Rechtfertigungslehre zu einer ruhigen, realistischen und überlegten Annäherung an die Texte des Konzils von Trient und ihre ersten Glaubensbekenntnisse, was am 31. Oktober 1999 die Unterzeichnung dieses denkwürdigen Dokuments möglich gemacht hatte. Könnte etwas Ähnliches auch in Sachen Eucharistielehre passieren?
KASPER: Gerade das hoffe ich: mit den Lutheranern ein ähnliches Abkommen über die Eucharistielehre zu erreichen wie im Fall der Rechtfertigungslehre. Aber es sind noch Fragen offen, die keine Vorhersagen zulassen.
Gestatten Sie mir eine letzte Frage: welches Zitat in der Enzyklika hat Ihnen am besten gefallen?
KASPER: Sie sind alle interessant: die der Kirchenväter, des Konzils von Trient, die vielen Zitate des II. Vatikanischen Konzils... Als Ökumeniker scheint mir die mehrmalige Berufung auf Johannes Chrysostomos sehr angebracht, auf den die Liturgie vieler orthodoxer Kirchen zurückgeht. Das erscheint mir durchaus als ein gutes ökumenisches Zeichen.
(Deutsche Fassung: 30Tage)






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