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JAHRESTAGE
Aus Nr. 06 - 2003

SECHZIG JAHRE Mystici Corporis

Sechzig jahre Mystici Corporis. Die Unterscheidung zwischen Schöpfer und Geschöpf


Die Aktualität der Enzyklika von Pius XII., die den „falschen Mystizismus“ verurteilt, „der die unverrückbaren Grenzen zwischen Geschöpf und Schöpfer zu beseitigen sucht und die Heilige Schrift mißdeutet.“


von Lorenzo Cappelletti


Auf diesen Seiten, Ausschnitte aus dem Letzten Abendmahl, Andrea del Sarto, Museum „Museo del Cenacolo di San Salvi“, Florenz.

Auf diesen Seiten, Ausschnitte aus dem Letzten Abendmahl, Andrea del Sarto, Museum „Museo del Cenacolo di San Salvi“, Florenz.

Beim Durchblättern der Zeitschriften – Fachzeitschriften, aber auch andere – von vor 10 Jahren, der Zeit, als sich die Veröffentlichung von Mystici corporis zum fünfzigsten Mal jährte, wird man vergebens nach einer Würdigung derselben oder einer kritischen Studie dieser Enzyklika suchen. Vielleicht weil sie schon seit geraumer Zeit nur noch ein peinliches Tabu bildete. So ist es auch nicht verwunderlich, daß der diskrete, vernünftige Vorschlag von Kardinal Hamer, einige Ausschnitte aus der Enzyklika erneut vorzulegen, kein Gehör fand (vgl. Nr. 6, Juni 1993): „Wir müssen daran arbeiten, die Lehre von Mystici corporis neu zu aktualisieren zum geistigen Wohl des Christenvolkes [...]. Ich hoffe, daß dieses Jahr, in dem sich der fünfzigste Jahrestag von Mystici corporis jährt, einen neuen Kontakt mit diesem Dokument herstellen wird.“
Heute, 10 Jahre später, am inzwischen schon 60. Jahrestag von Mystici corporis, kann diese von Hamer gemachte Einladung auch zu seinem Gedenken wiederaufgegriffen werden. Nicht, indem man dieses Dokument wie ein totem feiert (die andere Seite des Tabus), sondern indem man seine komplexe Entstehungsgeschichte wieder neu zu Bewußtsein bringt und die Aufmerksamkeit auf einige ihrer Aspekte lenkt, die uns von großer Aktualität zu sein scheinen. Als Journalisten.

Heißt Christsein
Christus werden?
Mystici corporis entstand in den entscheidenden Jahren des Zweiten Weltkrieges, und vor allem die deutsche Situation vor Augen, in einer zweifachen Absicht: einerseits, um die Abweichungen in Theorie und Praxis von der Ekklesiologie des mystischen Leibes zu korrigieren, die in Richtung eines spirituellen Biologismus und eines falschen Mystizismus tendieren, auf der anderen, um zu vermeiden, daß die Dringlichkeit dieser Korrektur die Auslöschung der Kategorie des mystischen Leibes Christi mit sich brachte, mit der man sich zwischen den beiden Kriegen so intensiv befaßt hatte.
Der Höhepunkt der Abweichung wurde von dem Werk eines Berliner Pfarrers erreicht, Karl Pelz, der 1939 pro manuscripto einen Text mit dem zweideutigen Titel veröffentlichte Der Christ als Christus. Eine überdies bereits im Vorwort gelöste Zweideutigkeit, wo es heißt, daß „das Studium unserer Einverleibung in Christus mit der Feststellung endigte, daß wir Christen tatsächlich Christus geworden sind“ (S. 7). Es war ihm ein Anliegen, diese Wahrheit zu enthüllen, weil es „unsere Aufgabe als Priester sei, den Wahrheitsgehalt unseres Glaubens unverkürzt den Gläubigen darzubieten, namentlich in einer Zeit, in der jeder wegen der heftigen Angriffe gegen Christus und die Kirche mit dem gesamten Waffenarsenal unseres heiligen Glaubens vertaut sein müßte“ (S. 8). Und wenn er die Kirchenväter reichlich als Bürgen zitiert, tut er nichts anderes, als aus verschiedenen Perspektiven zu wiederholen, daß „wir nach den Vätern in Christi Fleisch und Leib sind, das heißt in seiner heiligen Menschheit“ (S. 65). Und das auf vom Sakrament der Taufe vollkommen unabhängige Weise: „Überzeugen wir uns zuerst noch einmal genauer von der Tatsache, daß nach den Vätern Christus tatsächlich allein schon durch seine Menschwerdung alle Menschen in sich vereinigt hat“ (S. 66).
In den unmittelbar darauffolgenden Jahren stuften verschiedene Theologen die Lehre vom mystischen Leib aufgrund der von Pelz abgegebenen Interpretation als gefährlich ein und verlangten die Rückkehr zur Einfachheit und Reinheit der Definition der Kirche als societas perfecta, ein relativ neuerer Begriff, der sich zwischen dem 18. und 19. Jahrhundert durchsetzen konnte und den Thomas von Aquin bezeichnenderweise nicht gebraucht – er spricht nämlich von communitas perfecta, bzw. im augustinischen Sinn von civitas (vgl. Summa theologiae I-II. q. 90 a. 3), die er als die Zusammenarbeit mit der politischen Macht (regnum) umfassend auffaßte. Nicht weniger bezeichnenderweise wurde die Kategorie societas perfecta dagegen von Karol Wojtyla in seinem Konzilsbeitrag wiederaufgegriffen (vgl. Acta synodalia II/3, 155-156).
Aber kommen wir wieder auf die Kriegsjahre zurück. Schließlich entschloß sich auch der Erzbischof von Freiburg im Breisgau, ehemaliger Vertreter des deutschen Episkopats, in seinem Brief an seine Mitbrüder im Bischofsamt vom 18. Januar 1943, (in Die Krise der Liturgischen Bewegung in Deutschland und Österreich von Theodor Maas-Ewerd, Regensburg 1977, SS. 540-569)seine diesbezügliche Sorge zum Ausdruck zu bringen: „Es beunruhigt mich der sublime Supernaturalismus und die neue mystische Haltung innerhalb unserer Theologie, aber auch innerhalb unserer jungen Kirche“ (S. 548). Und weiter: „Er darf nicht in eine Mystik ausarten, in der die Grenzen des Geschöpflichen überhaupt verschwinden“ (ebd.). „Das ist dann jene moderne ‚Gnosis‘“, hatte er es vorher schnell abgetan, „die als die naturgemäße Kehrseite der neuzeitlichen Mystik erscheint“ (S. 544). Ja, „wir müssen bedauern, daß vorher extrem supernaturale Typen innerhalb der Jugend in einen völligen Unglauben umschlugen“ (S. 549). Es handelt sich vielmehr, angesichts einer noch weithin verbreiteten Unwissenheit, darum, „die einfachen Katechismuswahrheiten wieder ins Gedächtnis zurückzurufen und dem Verständnis zu erschließen [...] Wie wenig ist doch nach der Lehre der Kirche an ausdrücklichem religiösem Wissen zuletzt erforderlich, um noch zur Seligkeit zu gelangen!“ (SS. 549-550). Das von Pelz geschriebene Buch erscheint ihm nicht an sich als ein Unheil, sondern vielmehr, weil die darin vertretene unio mystica die Lehre von der Gnade und den Sakramenten in Frage stellt. Besonders die über die Gnade, weil „die heiligmachende Gnade als etwas Überflüssiges erscheint“ (S. 550) und man den Quietismus riskiert. Doch auch über die Sakramente, wenn es heißt:„Wozu übrigens bei einer solchen Gottes- und Christusinnigkeit der Empfang der heiligen Kommunion? Was wir haben, das brauchen wir uns doch nicht erst zu holen. Wozu die Einsetzung des allerheiligsten Sakramentes, wozu seine Aufbewahrung im Tabernakel, wozu Besuchungen, wozu Aussetzungen, wozu theophorische Prozessionen, sakramentale Andachten und die ‚ewige Anbetung‘, wo doch jeder Getaufte und mit Christus nicht Zerfallene ein bleibender Christophorus ist und deswegen selber als anbetungswürdig erscheint? Alles das sinkt nunmehr auf das nur Symbolhafte herab. Sofern man aber zwischen eucharistischer und mystischer Gegenwart Christi in uns unterscheidet, so geschieht das nur, um die mystische Gegenwart zu retten, während faktisch nicht wieder gegenwärtig werden kann, was dauernd und innig gegenwärtig ist“ (S. 551).
Gröber sieht unheilvolle Konsequenzen voraus: „Die Zukunft wird uns noch lehren, wohin uns die Minderbewertung des historischen Christus mit seiner wunderbaren Menschennähe, seiner vorbildlichen Herrlichkeit und erlösenden Wirklichkeit und die Bevorzugung des ‚erhöhten‘ Christus, der sich völlig jenseits von Raum und Zeit befinde, in der Predigt, in der Katechese und im christlichen Leben führt“ (S. 552).
Doch Gröber überläßt in seinem langen Brief praktisch nur der Nachwelt das Urteil, appelliert aber auch an ein Einschreiten der deutschen Bischöfe und Roms: „Können wir großdeutsche Bischöfe, und kann Rom da noch schweigen?“ (S. 569).
Und so erschien dann fünf Monate später, zum Fest der Apostel Petrus und Paulus des Jahres 1943, die Enyzklika Mystici corporis.

Mystici corporis hilft,
zu unterscheiden
Schließlich entschloß sich auch der Erzbischof von Freiburg im Breisgau, ehemaliger Vertreter des deutschen Episkopats, in seinem Brief an seine Mitbrüder im Bischofsamt vom 18. Januar 1943, (in Die Krise der Liturgischen Bewegung in Deutschland und Österreich von Theodor Maas-Ewerd, Regensburg 1977, SS. 540-569)seine diesbezügliche Sorge zum Ausdruck zu bringen: „Es beunruhigt mich der sublime Supernaturalismus und die neue mystische Haltung innerhalb unserer Theologie, aber auch innerhalb unserer jungen Kirche“ (S. 548). Und weiter: „Er darf nicht in eine Mystik ausarten, in der die Grenzen des Geschöpflichen überhaupt verschwinden“ (ebd.). „Das ist dann jene moderne ‚Gnosis‘“, hatte er es vorher schnell abgetan, „die als die naturgemäße Kehrseite der neuzeitlichen Mystik erscheint.“
Ohne das im Hinterkopf, was wir bisher, wenn auch äußerst synthetisch, ausgeführt haben, kann man die konkrete Situation nicht verstehen, die die Enzyklika vom Anfang bis zum Ende präsent hat.
So beginnt sie mit dem Verweis auf den Fortbestand alter Fehler, hat aber besonders den neuen „falschen Mystizismus“ im Visier, „der die unverrückbaren Grenzen zwischen Geschöpf und Schöpfer zu beseitigen sucht und die Heilige Schrift mißdeutet.“ Dieser falsche Mystizismus wirft schweren Verdacht auf die Lehre vom mystischen Leib, aber da es sich um eine geoffenbarte Lehre handelt, wie es in der Enzyklika heißt, besteht kein Grund dazu. Und wenn man mit Ehrfurcht und Nüchternheit vorgeht, dann kann, wenn Gott es fügt, wie das I. Vatikanische Konzil lehrt, auch die Vernunft in gewisser Weise sie verstehen: „Die vom Glauben erleuchtete Vernunft vermag durch eifrige, ehrfürchtige und bescheidene Erwägung mit Gottes Gnade eine gewisse Einsicht in die Geheimnisse zu gewinnen, und zwar eine überaus fruchtbare, auf Grund von Ähnlichkeiten im Bereich der natürlichen Erkenntnisse sowie aus dem Zusammenhang der Geheimnisse untereinander und mit dem letzten Ziel des Menschen“ (Nr. 11).
In ihren zentralen Teilen erläutert die Enzyklika, daß die Kirche einem Leib gleich ist, mehr noch, sie ist der Leib Christi, und macht sich, damit keine Mißverständnisse entstehen (in der Tat „ist jedoch diese erhabene Benennung nicht so zu verstehen, als ob das unaussprechliche Band, womit der Sohn Gottes eine bestimmte menschliche Natur mit sich vereinigte, auch die Gesamtkirche umfasse“, Nr. 56), den Begriff vom mystischen Leib zueigen. „Aber nicht bloß aus einem Grund ist dieses Wort berechtigt. Es unterscheidet zunächst den gesellschaftlichen Leib der Kirche, dessen Haupt und Lenker Christus ist, von dessen physischen Leib, der, aus der jungfräulichen Gottesmutter geboren, jetzt zur Rechten des Vaters thront und unter den eucharistischen Gestalteý verborgen ist. Ebenso – und dies ist wegen der Zeitirrtümer von großer Bedeutung – schließt diese Bezeichnung jeden natürlichen Leib, sei es einen physischen, sei es einen sogenannten moralischen, aus“ (Nr. 58). So kann man dann vom Wohnen des Heiligen Geistes in den Seelen sprechen, davon also, wie die einzelnen Gläubigen in seinem mystischen Leib mit Christ vereint sind, in Ablehnung „jeder Art von mystischer Vereinigung, wodurch die Gläubigen irgendwie die Grenzen des Geschöpfes überschreiten und so verwegen in den Bereich des Göttlichen einzudringen suchen, daß sie sich auch nur eine einzige Eigenschaft der ewigen Gottheit gleichsam selbst beilegen“ (Nr. 83). Andererseits wird in Mystici corporis, in Anlehnung an Divinum illud von Leo XIII. erklärt, daß sich in der Ordnung der Geschöpfe die Vereinigung der Seelen mit Christus im Paradies nicht von der auf Erden unterscheidet, es sei denn in unserer Befindlichkeit als Pilger auf Erden. Mit anderen Worten: es gibt keinen wesentlichen Unterschied zwischen den Seelen, die mit dem Herrn in der Gnade und in der Herrlichkeit vereint sind.
Abschließend lädt die Enzyklika dazu ein, sich die Lehre vom mystischen Leib, wie sie schon früher dargelegt wurde, zunutze zu machen, denn „dann können sie sich auch leicht vor jenen Irrtümern hüten, die von mancher Seite infolge einer willkürlichen Erforschung dieses schwierigen Gegenstandes nicht ohne große Gefahr für den katholischen Glauben und große Verwirrung der Seelen erwachsen“ (Nr 89). Neben Irrtümern bezüglich der Beichte und des Gebets, wird darauf verwiesen, daß der Irrtum vor allem darin liegt zu behaupten „der göttliche Erlöser und die Glieder der Kirche vereinigten und verbänden sich zu einer physischen Person“ (Denzinger-Hünerman). Woraus folgt: „Nicht weniger irrt der gefährliche Irrtum derer von der Wahrheit ab, die aus der geheimnisvollen Verbindung von uns allen mit Christus einen ungesunden sogenannten Quietismus abzuleiten versuchen [...]. In der Tat kann niemand bestreiten, daß der Heilige Geist Jesu Christi die eine Quelle ist, aus der alle himmlische Kraft in die Kirche und in ihre Glieder einfließt [immerhin wird in der Enzyklika gut zweimal Joh 15,5 zitiert: „ohne mich könnt ihr nichts tun“]. Daß jedoch die Menschen beständig in den Werken der Heiligkeit verharren, daß sie eifrigen Herzens in der Gnade und Tugend fortschreiten, daß sie schließlich nicht nur entschlossen zum Gipfel der christlichen Vollkommenheit streben, sondern auch nach Kräften die anderen anspornen, ihn zu erreichen, dies alles will der himmlische Geist nur wirken, wenn die Menschen selbst durch tägliche und tätige Regsamkeit ihren Teil dazu beitragen“ (Nr. 91).
Anziehungskraft der Gnade
und ökumenische Öffnung
Wenn also bezüglich der grundlegenden, von Gröber gestellten Frage gilt Roma locuta est, in dem von ihm gewollten Sinne, als gegen den katholischen Glauben gehende Unterschiedslosigkeit zwischen Schöpfer und Geschöpf, zwischen Christ und dem Christen, und die moralischen Folgen dieser Unterschiedslosigkeit, distanziert sich Mystici corporis von der Analyse und auch den Ansätzen, die von ihm und anderen gemacht wurden, indem sie es einerseits vermeidet, den Protestantismus zu bezichtigen, die Ursache der beanstandeten Übel zu sein, und auf der anderen keine reine und einfache Rückkehr zur Lehre von der societas perfecta anbietet. Mit einem größeren Weitblick hat die Enzyklika vielleicht bereits eine Intuition davon, daß die protestantische Spaltung nur eine Etappe ist, und nicht einmal eine notwendige, auf dem Weg zur gleichzeitig uralten und ganz neuen Verschmelzung von ich und Gott. Und erkennt, daß es inzwischen nicht nur durch die Forderung (letztendlich in antiprotestantischer Funktion) der societas-perfecta-Natur der Kirche ist, also ihrer Selbstgenügsamkeit im Hinblick auf die Erreichung ihrer Zwecke, der gegeben wird als entscheidender Beitrag zur effektiven Erreichung dieser Zwecke.
So gesehen ist es kein Zufall, daß die Enzyklika mit einem Verweis auf die Schönheit und Anziehungskraft als kennzeichnendes Merkmal der Zugehörigkeit zu Christus und der Kirche beginnt und schließt. So wird die Lehre vom mystischen Leib (schreibt der Papst unter Nr. 11) dargelegt, „damit also die erhabene Schönheit der Kirche in neuer Herrlichkeit erstrahle, damit der unvergleichliche, übernatürliche Adel der Gläubigen, die im Leib Christi mit ihrem Haupt verbunden sind, lichtvoller zutage treten“ (Nr. 11).

Dank der Stürme des Krieges, läßt sich in Mystici corporis sogar ein gewisser ökumenischer Hauch wahrnehmen. Zu Beginn (Nr. 5) heißt es: „Wir hoffen außerdem, es werde auch für jene, die vom Schoße der katholischen Kirche getrennt sind, nicht ungelegen noch unnütz sein, was Wir nun über den mystischen Leib Jesu Christi darlegen wollen. Und dies nicht bloß deshalb, weil ihr Wohlwollen gegen die Kirche täglich zu wachsen scheint, sondern auch aus folgendem Grund: wenn sie wahrnehmen, wie gegenwärtig Volk gegen Volk und Reich gegen Reich sich erhebt und wie Zwietracht und Mißgunst, wie der Same der Feindschaft ins Ungemessene wachsen, wenn sie dann ihr Auge auf die Kirche richten und ihre gottgegebene Einheit betrachten – wodurch alle Menschen jedweder Abstammung in brüderlichem Bunde mit Christus vereint sind –, dann werden sie sich wahrscheinlich genötigt sehen, eine solche Gemeinschaft der Liebe zu bewundern und unter der Anregung und Hilfe der Gnade sich angezogen fühlen, an dieser Einheit und Liebe teilzuhaben.“
Die ökumenische Öffnung kommt am Ende der Enzyklika ins Spiel: (Nr.100): „Gewiß ist die Braut Christi nur eine, die Kirche. Doch die Liebe des göttlichen Bräutigams ist so weit, daß sie niemand ausschließt und in der einen Braut das ganze Menschengeschlecht umfasst. Aus diesem Grund hat unser Erlöser sein Blut vergossen, um alle Menschen, so verschieden sie durch Abstammung und Volkszugehörigkeit sein mögen, in seinem Kreuz mit Gott zu versöhnen“. Damit „ wir zugleich die Menschen, die noch nicht im Leibe der Kirche mit uns vereint sind, als Christi Brüder dem Fleische nach betrachten sollen, die gleich uns zu demselben ewigen Heil berufen sind.“
Wenn also bei uns noch Nostalgie vorhanden ist, so gilt diese nicht so sehr der umfangreichen Lehre von Mystici corporis, möchten wir paradox sagen, sondern diesen Ansätzen des Respekts vor der Freiheit des Menschen als auch der Unentgeltlichkeit der göttlichen Gnade: „Doch wenn es auch unser Wunsch ist, es möchte unaufhörlich dies Gemeinschaftsgebet [...] um möglichst baldigen Eintritt aller Irrenden in die eine Hürde Jesu Christi zu Gott emporsteigen, so müssen Wir doch betonen, daß solch ein Schritt aus freiem Willensentschluß geschehen muß, da niemand glauben kann, der es nicht freiwillig tut,“ schreibt Pius, Augustinus zitierend. „Sollten also Menschen, die nicht glauben, wirklich zum Eintritt in den äußerlichen Bau der Kirche, zum Hintreten an den Altar und zum Empfang der Sakramente genötigt werden, so können dies gewiß keine wahren Christgläubigen sein. Denn der Glaube, ohne den man Gott unmöglich gefallen kann, muß eine völlig freie Hingabe des Verstandes und Willens sein [...] Weil aber die Menschen einen freien Willen haben und durch ihre Freiheit infolge ihrer verkehrten Neigungen und Leidenschaften auch mißbrauchen können, kann nur der Vater der Erleuchtung sie durch den Geist seines geliebten Sohnes wirksam zur Wahrheit bewegen“ (Nr. 108).
Um also, wie der Papst schreibt, den „inneren Antrieben der göttlichen Gnade“ zu entsprechen, muß man nichts anderes tun, als zu beten. Und das ist allen gemeinsam, Nah- und Fernstehenden. Denn „wenn also bedauerlicherweise so viele Menschen noch außerhalb der Wahrheit des katholischen Glaubens stehen und dem Walten der göttlichen Gnade ihre Freiheit nicht unterwerfen, so hat dies seinen Grund nicht nur darin, daß sie selbst, sondern auch darin, daß die Christgläubigen keine glühenderen Gebete um diese Gnade an Gott richten“ (Nr. 108).

Vom „Christ als Christus“
zum „Ich bin Du“
Kardinal Ratzinger gibt in seinem kürzlich beim Verlag Herder veröffentlichten Buch Glaube, Wahrheit, Toleranz. Das Christentum und die Weltreligionen einen Querschnitt durch seine Beiträge zum Thema Glaube, Religionen, Kulturen und Wahrheit. Das sich durch das ganze Buch ziehende Leitmotiv ist die Gegenüberstellung von monotheistischem Glauben, oder besser, die Vorstellung von Gott als Person, und einer Mystik, die letztendlich das Ich mit Gott identifiziert.
Hier einige Auszüge aus dem ersten Kapitel und einem ihm folgenden „Zwischenspiel“. „Letztlich geht es darum, ob das Göttliche ‚Gott‘, ein Gegenüber zu uns ist, so daß das Letzte der Religion, des Menschen, Beziehung – Liebe – ist, die Einheit wird (‚Gott alles in allem‘: 1 Kor 15,28), aber das Gegenüber von Ich und Du nicht aufhebt – oder ob das Göttliche auch noch jenseits der Person liegt und das Ziel des Menschen das Einswerden und Aufgehen im All-Einen ist.“
Natürlich erklärt Ratzinger, „daß damit nicht einfach eine Form von Frömmigkeit bezeichnet ist, wie sie auch in Einordnung in den christlichen Glauben stattfinden kann.“ „In der letzten Stufe solchen Erlebens wird der ‚Mystiker‘ zu seinem Gott nicht mehr sagen, ‚Ich bin Dein‘, sondern seine Formel lautet: ‚Ich bin Du‘. Die Differenz ist zurückgelassen im Vorläufigen, das Endgültige ist die Verschmelzung, die Einheit.“
Und hier taucht, in einer anderen Formel, der „Christ als Christus“ wieder auf, den Mystici corporis im Visier hatte; wir befinden uns hier in derselben Problematik: der abwegigen mystischen Interpretation des Christentums.
Die beiden Wege unterscheiden sich jedenfalls grundlegend voneinander: „In der Mystik gilt der Primat der Innerlichkeit, die Absolutsetzung der geistlichen Erfahrung. [...] „Es gibt kein Handeln Gottes, sondern es gibt nur die ‚Mystik‘ des Menschen, den Stufenweg der Einung.“
Für den monotheistischen Weg – der im Christentum seine Auswirkungen voll entfaltet (aber der von Ratzinger entworfene Gedankengang ist weiter: er „entstand in Israel auf dem Weg einer Revolution“, und „von der Wurzel Israels her im Christentum und im Islam“) - „wenn aber das Entscheidende nicht die eigene geistliche Erfahrung, sondern der göttliche Anruf ist, dann sind letzten Endes alle in der gleichen Lage, die diesem Anruf glauben.“
Das mag als etwas erscheinen, das für das moderne Religionsverständnis nur schwer zu akzeptieren ist. Schließlich hatten auch schon die Väter ihre Schwierigkeiten damit, allen voran Augustinus, der „die Schönheit der Wahrheit in Ciceros Hortensius entdeckt und lieben gelernt hatte, und die Bibel, nach der er griff, unwürdig fand, mit der ‚tullianischen Würde‘ zusammengebracht zu werden. [...]. Vor der Erhabenheit mythischen Denkens erscheinen die Träger der Geschichte des Glaubens beinahe pöbelhaft. [...] Religionsgeschichtlich gesehen, sind Abraham, Isaak und Jakob wirklich keine ‚großen religiösen Persönlichkeiten.“ Diesen Skandal bestreiten hat hier jedoch keinen Sinn, denn gerade dadurch wird man dem zugeführt, was „das Besondere und Einzigartige der biblischen Offenbarung“ ist. „[...] Sie ist nicht primär das Finden einer Wahrheit, sondern geschichtsbildendes Tun Gottes selbst. [...] Denn hier ist im Gegensatz zur Mystik Gott der Handelnde, und er ist es, der dem Menschen das Heil schafft.“ Und Ratzinger fährt mit einem Zitat Daniélous fort: „Für den Synkretismus sind die Geretteten die innerlichen Seelen, zu welcher Religion sie auch gehören mögen. Für das Christentum sind es die Glaubenden, welchen Grad der Innerlichkeit sie auch erreicht haben. Ein kleines Kind, ein mit Arbeit überschütteter Arbeiter stehen, wenn sie glauben, höher als die größten Aszeten.“
Interessant ist auch der Weg, den Ratzinger als möglichen Ausweg aus dem Morast des Synkretismus andedeutet. Außer Ehrlichkeit, dem für jeden Dialog notwendigen Respekt und Geduld kann ein Spiel der Bündnisse die Überwindung der mystischen Entstellung des Christentums erleichtern. Das Christentum muß also in der Lage sein, ein Bündnis mit der modernen laizistischen Rationalität einzugehen, denn „es ist bekannt, daß es in der Zeit der alten Kirche dem Christentum gelungen war, sich verhältnismäßig eng mit den Kräften der Aufklärung zu verbinden.“






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