Startseite > Archiv > 07 - 2003 > Der süße Blick Mariens
MARIENHEILIGTÜMER IN DER...
Aus Nr. 07 - 2003

Der süße Blick Mariens


Die Geschichte des berühmtesten Marienheiligtums Mailands, Santa Maria presso San Celso. Bereits zu Ende des 4. Jahrhunderts kamen zahlreiche Pilger hierher, an diesen Ort, wo man die sterblichen Hüllen der Märtyrer Nazarius und Celsus gefunden hat. Und im Jahr 1485, vor den Augen von Hunderten von Zeugen, kam Leben in das antike Bildnis der Muttergottes mit Kind, das der hl. Ambrosius malen ließ.


von Giuseppe Frangi


Das Fresko der Muttergottes des hl. Ambrosius und des Wunders.

Das Fresko der Muttergottes des hl. Ambrosius und des Wunders.

Es ist eine sehr einfache Geschichte, aber auch eine, die in uralte Zeiten zurückreicht: die Geschichte des berühmtesten Marienheiligtums Mailands, Santa Maria presso San Celso. Der Beginn dieser Geschichte geht auf das ferne Jahr 395 zurück. Wie Paulinus von Mailand bezeugt, Biograph des Bischofs Ambrosius, wurde „in jenem Jahr, auf einem Friedhof vor den Stadtmauern“, an einem „drei Mohren“ genannten Ort, in südlicher Richtung, der unversehrte Leichnam des Märtyrers Nazarius gefunden. „Sein Blut war noch frisch, so, als wäre es erst an diesem Tag vergossen worden,“ merkt Paulinus an, der, wie er selbst sagt, Augenzeuge des Ereignisses war. „Sein von den Ungläubigen abgetrenntes Haupt war so integer und unversehrt, noch mit Haar und Bart, die aussahen, als wären sie eben in dem Moment gewaschen und gekämmt worden, in dem man ihn begraben hat.“ Die von dem Biographen angesprochenen Ungläubigen sind die Schlächter, die auf Befehl Neros gehandelt hatten: Nazarius soll, der Überlieferung zufolge, nämlich von Papst Linus getauft und den Verfolgungen unter Kaiser Nero zum Opfer gefallen sein. In der Chronik des Paulinus wird weiter erzählt, daß Bischof Ambrosius den Leichnam „auf einer Bahre“ in die vor der Porta Romana gelegene Basilica Apostolorum übertragen ließ (seither S. Nazario genannt). Doch dann wollte der Bischof zu den „drei Mohren“ zurückkehren, um „Anbetung zu halten“ an dem Ort, wo, laut Überlieferung, ein anderer Märtyrer begraben worden war. Celsus, der Junge, der Nazarius hatte folgen wollen, seine Heimat Nizza verließ und, ebenso wie Nazarius, bei den Verfolgungen durch Kaiser Nero den Tod gefunden hat.
Eine „Nachricht“, die von einem Zeugen zum anderen weitergegeben wurde, wie der Biograph erzählt: „Die Hüter dieses Ortes bestätigen, daß ihnen ihre Eltern aufgetragen hatten, diese Stätte niemals zu verlassen, da sich dort große Schätze befänden.“ Überaus zuverlässige Nachrichten, wie Paulinus betont, wenn man bedenkt, daß man auf diesem Friedhof nur kurze Zeit später auch den Leichnam von Celsus gefunden hat. Und dieses Mal gab Ambrosius den Befehl, ihn nicht an eine andere Begräbnisstätte zu überführen. Er ließ eine Kirche errichten, eine „cella memoriae“: unter dem Altar ließ er das Grab des Märtyrers anlegen (der Sarkophag aus dem 4. Jahrhundert ist noch im heutigen Sanktuarium aufbewahrt). Und in einer sich dahinter befindlichen Nische ließ er ein von einem Gitter geschütztes, rührendes Bildnis der Muttergottes mit Kind anbringen.
Im Laufe der Jahrhunderte diente der frühere Begräbnisplatz weiter als christlicher Friedhof. Und auch das von Ambrosius gewollte Bildnis blieb – von einem Gitter geschützt – an seinem Platz, gleich neben der letzten Ruhestätte des Celsus. Nach wie vor kamen Pilger, um ihm ihre Ehrerbietung darzubringen. Und wenn die Farben im Laufe der Zeit auch blasser wurden, fehlte es doch nie an der einen oder anderen hilfreichen Künstlerhand, die es wieder auffrischte und ihm neues Leben verlieh. Um das Jahr 996 beschloß der Erzbischof von Mailand, Landolfo von Carcano, ein größeres Gebäude zu errichten, um für die immer zahlreicher werdenden Pilger Platz zu schaffen. Die „basilichetta“ (kleine Basilika), wie sie von den Historikern genannt wird, wurde den Benediktinern anvertraut, deren rechts von dem Gebäude errichtetes Kloster bis zu den Dreißigerjahren des vergangenen Jahrhunderts bestehen sollte. Um das Kloster herum entstand eine Vorstadtsiedlung, der „Borgo di San Celso“. Im Jahr 1430 befahl der Herzog von Mailand, Filippo Maria Visconti, neben der antiken „basilichetta“ ein größeres Gebäude zu errichten. Die neue Kirche konnte 300 Personen fassen, wie die Historiker jener Zeit penibel genau vermerkten. Und 300 waren es auch an jenem 30. Dezember 1485, als sich das ereignete, was die Geschichte dieses Ortes so nachhaltig prägen sollte. Pater Pietro Porro feierte in der zum Bersten vollen Kirche gerade die Messe. Es war ein Freitag, gegen 11 Uhr. Die Figur der Muttergottes – obwohl fast verblaßt – begann sich zu bewegen; zuerst hob sich der Schleier, der sie, hinter dem Gitter, verhüllte; dann breitete sie die Arme aus und fügte dann die Hände zusammen. Auch das Jesuskind schien einen Segen für die Gläubigen anzudeuten. „Unter den Gläubigen kam es zu einem wahren Begeisterungssturm, es war wirklich bewegend,“ schrieb der namhafte Historiker des Marienheiligtums, Ferdinando Reggiori, „und die Begeisterung wollte kein Ende nehmen, es ging tagelang so weiter. Stoßgebete der Wehrlosen und Kranken, Gnaden und Wunderheilungen: die ganze Stadt stand kopf.“ Die Zeugenberichte, die in wenigen Monaten die kirchliche Anerkennung nach sich zogen (genaugesagt am 11. April des darauffolgenden Jahres) sind alle noch im Archiv des Marienheiligtums erhalten. Regelrechte Protokolle, eines nach dem anderen peinlich genau aufgezeichnet, Zeugenberichte von Gläubigen jeder Herkunft und Gesellschaftsschicht, die alle dabei waren, als sich das Wunder ereignete. Hier einer der vielen: „Im Jahr 1486, am Abend des 7. Januar, einem Samstag, [...] wurde Giovanni Battista Stramitis vorstellig, Sohn des Ambrogio, wohnhaft in Porta Ticinese, in der Pfarrei San Giorgio al Palazzo, der aufgefordert ist, die Wahrheit zu sagen...“ Der einfache Schreiner berichtete dann, was er eine Woche zuvor gesehen hatte: „Während der letzten Anbetung nach der Kommunion sah ich [...], wie in das Antlitz der Muttergottes Leben kam, es hatte fast den Anschein, als lehne sie sich an das Gitter. In dem Moment hörte man die Umstehenden unter Tränen im allgemeinen Tumult ausrufen: ‚Erbarmen!‘. Und da hob sich der Schleier, der sich vor dem Gitter befand, fiel herunter, und man konnte die Muttergottes in dieser Position sehen, mindestens zwei Ave Maria lang.“
Die Fassade des Marienheiligtums „Santa Maria presso Celso“

Die Fassade des Marienheiligtums „Santa Maria presso Celso“

Nichts anderes geschah. Kein einziges Wort, keine einzige Botschaft. In aller Einfachheit, wie von Ambrosius in seinen Predigten angedeutet, hatte die Muttergottes ihren Besuch abgestattet, aus Güte, wie schon bei ihrer Cousine Elisabeth. Sie war bei ihrer Verwandten geblieben – jetzt bei ihren Gläubigen – „zwei Ave Maria lang.“
Das ist alles. Aber die Gläubigen jener Zeit verlangten auch nicht mehr. Diese Menschen, die am Ort dieser Erscheinung, oder, besser, dieses „Auftretens“, eine große, der Muttergottes geweihte Kirche errichten wollten. Santa Maria presso San Celso: ganz genau wie es Ambrosius ursprünglich im Sinn gehabt hatte. Und in diesem „presso“ (zu deutsch: bei, in der Nähe von) liegt die ganze Körperlichkeit und Zärtlichkeit eines „Auftretens“, eines „Dableibens“, ohne jedes Aufsehen, ohne die geringste Rhetorik.
Santa Maria presso San Celso ist eine schöne Kirche. Majestätisch und eindrucksvoll wie die schönsten der lombardischen Kirchen, erhebt sie sich gleich neben einer pulsierenden Verkehrsader der Stadt (dem ehemaligen Corso San Celso und heutigen Corso Italia). Galeazzo Maria Sforza begann 1493 mit dem Bau dieses Gebäudes; mit dem Zuwachs der Pilger wurde die Kirche dann vergrößert. Im Jahr 1513 wurde die wunderschöne vierseitige Säulenhalle hinzugefügt – so groß und einladend, wie dafür gemacht, die Pilger direkt bis zur Stätte des Wunders zu begleiten. Im Innern des Sanktuariums steht ein kleiner Schrein mit lombardischen Kunstschätzen. Aber es gibt keine grellen Hinweise auf diese Präsenz, die, inzwischen seit mehr als 16 Jahrhunderten, an dieser Stätte zugegen ist. Unter dem Hochaltar, in einer Glasurne, befindet sich die mit vergoldeten Paramenten angetane sterbliche Hülle des Celsus, des Heiligen, der schon in jungen Jahren den Märtyrertod erlitten hat. Ein Hinweis: „presso“ (neben) ihm muß sich also auch die Muttergottes befinden. Und so ist es auch. Aber der kleine Altar steht da, unauffällig und versteckt, unter der Platte eines wuchtigen Barock-Altars, am linken Pfeiler angebaut. Wenn man die Muttergottes sehen will, muß man niederknien: Und da ist es tatsächlich, dieses rührende Bildnis, vom Zahn der Zeit blaß gemacht, fast schon runzelig. Maria, die dem Jesuskind einen zärtlichen Blick zuwirft, und das Jesuskind, das, in einer nicht weniger zärtlichen Geste, ihre Hand in die seine nimmt. Es befindet sich in einer Mauernische, wie eine Art Fenster mit vielen Sprießen. Und aus diesem Fenster blickt Maria. Die Älteren unter den Gläubigen kennen sie als die „Muttergottes des Ambrosius und des Wunders“. Wo mit „Wunder“ (im Singular, wohlgemerkt!) einfach ihr Herausschauen gemeint ist. Und die Freude, die sie in allen auslöst, die, niederkniend, in ihr Antlitz blicken können. Das ist alles.







Italiano Español English Français Português