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CHRISTENTUM
Aus Nr. 04 - 2009

Er lässt sich ansehen und berühren, damit sie die Realität seines Fleisches erkennen


In seinen Osterpredigten wiederholt Augustinus immer wieder, dass Christus selbst den Aposteln die Zweifel an der Realität seiner Auferstehung nehmen wollte. Ein Gespräch mit Pater Nello Cipriani, Ordentlicher Professor am Patristischen Institut Augustinianum.


Interview mit Nello Cipriani von Lorenzo Cappelletti


<I>Der ungläubige Thomas</I>, Caravaggio, Gemäldegalerie, Potsdam-Sanssouci.

Der ungläubige Thomas, Caravaggio, Gemäldegalerie, Potsdam-Sanssouci.

„Resurrexit tertia die
sicut apostoli,
suis etiam sensibus,
probaverunt“
(Augustinus, De civitate Dei XVIII, 54, 1)

Wir haben uns in der diesjährigen Osterzeit mit Pater Nello Cipriani darüber unterhalten, wie Jesus dadurch, dass er sich ansehen und berühren ließ, vor den Aposteln Zeugnis ablegen wollte für die Realität seiner Auferstehung.

In welchen Werken des Augustinus wird die Auferstehung des Herrn in seinem wahren Leib am eingehendsten kommentiert?
NELLO CIPRIANI: Er spricht oft davon, vor allem aber in den zahlreichen Sermones der Osterzeit, in der Augustinus jeden Tag predigte. In diesen Sermones werden verschiedene Aspekte des Geheimnisses der Auferstehung von den Toten behandelt. Beeindruckend ist, dass Augustinus den Gläubigen klarmachen will, dass Christus selbst die Zweifel der Apostel ausräumen wollte, die meinten, einen Geist zu sehen: „Was seid ihr so bestürzt? Warum lasst ihr in eurem Herzen solche Zweifel aufkommen? Seht meine Hände und meine Füße an: ich bin es selbst. Fasst mich doch an und begreift“, sagt der Herr (Lk 24, 38f). Und Augustinus, fast schon in persona Christi, kommentiert in Sermo 237: „Wenn es euch nicht genügt, mich zu sehen, dann streckt eure Hand aus. Wenn es euch nicht genügt, mich zu sehen und auch nicht, mich zu berühren, dann fasst mich doch an. Er hat keineswegs nur gesagt, dass sie ihn berühren sollen, sondern sie aufgefordert, ihn mit ihren Händen anzufassen. Eure Hände prüfen, ob euch eure Augen täuschen. Fasst mich an und begreift. Eure Hände dienen euch als Augen. Was aber soll angefasst und gesehen werden? Kein Geist hat Fleisch und Knochen, wie ihr es bei mir seht. Du bist demselben Irrtum verfallen [Augustinus benützt hier die allgemeine „Du“-Anrede] wie die Jünger: lass dich mit den Jüngern eines Besseren belehren! Irren ist menschlich, das stimmt. Auch Petrus und die anderen Apostel waren nicht dagegen gefeit: sie haben geglaubt, einen Geist zu sehen. Aber sie sind nicht in diesem Irrtum geblieben. Um dich wissen zu lassen, dass das, was sie im Herzen hatten, falsch war, ließ sie der Arzt nicht einfach von dannen gehen, sondern holte sie zu sich und verabreichte ihnen die Medizin. Er sah die Wunden der Herzen, und um diese Wunden des Herzens zu heilen, trug er auf seinem Leib noch seine Narben.“
Diese Worte zeigen besser als alles andere, dass der Herr selbst es war, der die Apostel – indem er sich ansehen und berühren ließ – zu Zeugen seiner Auferstehung machte.
CIPRIANI: In einem anderen Sermo (242) antwortet Augustinus auf eine Kritik des Porphyrius, einem neuplatonischen Philosophen des 3. Jahrhunderts und Verfasser von Contra Christianos. Eines seiner vielen Argumente gegen das Christentum war die Auferstehung der Leiber – etwas für einen Neuplatoniker absolut Inakzeptables. Porphyrius kritisiert auch den Evangelienbericht des Lukas, indem er eine Art Dilemma aufwirft: Wenn der auferstandene Christus etwas zu essen verlangt hat, dann hat er das entweder getan, weil er das Bedürfnis danach und folglich keinen unverweslichen Leib hatte – wenn er aber nicht das Bedürfnis danach hatte, warum hätte er dann etwas zu essen verlangen sollen? Augustinus antwortet darauf mit den Worten des auferstandenen Jesus: „‚Habt ihr etwas zu essen hier?‘ Sie gaben ihm ein Stück gebratenen Fisch und eine Honigwabe; er aß davon und forderte sie auf, ebenfalls davon zu essen [Wortlaut des lateinischen Textes, den Augustinus zur Hand hatte]“ (vgl. Lk 24, 41f). Und hier kommt folgender Einwand: wenn der auferstandene Leib nicht der Verwesung anheimfällt, warum hat Christus dann gegessen? Es stimmt zwar, dass ihr gelesen habt, dass er gegessen hat. Aber habt ihr vielleicht auch gelesen, dass er hungrig war? Zu essen war eine demonstrative Geste seiner Macht, kein Bedürfnis.“ Auf den weiteren Einwand, dass es, wenn man nicht mit Makeln aufersteht, unverständlich sei, warum der Herr noch die Narben seiner Wunden trug, antwortet Augustinus erneut, dass die Geste des Herrn „eine Geste der Macht war, kein Bedürfnis. Er wollte so auferstehen, wollte sich so jenen zeigen, die zweifelten [sic resurgere voluit, sic se voluit quibusdam dubitantibus exhibere]. Die Narbe der auf seinem Fleisch gebliebenen Wunde diente dazu, die Wunde der Ungläubigkeit zu heilen.“
Augustinus disputiert mit den Häretikern. Episode aus den „Geschichten des Augustinus“ von Ottaviano Nelli, Fresko aus der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts, Kirche Sant’Agostino, Gubbio, Perugia.

Augustinus disputiert mit den Häretikern. Episode aus den „Geschichten des Augustinus“ von Ottaviano Nelli, Fresko aus der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts, Kirche Sant’Agostino, Gubbio, Perugia.

Und damit wären wir wieder bei dem, was in Sermo 237 dargelegt wird. Kein Mangel und keine Notwendigkeit veranlassen den Herrn also zu essen, sondern sein Wunsch, seine Auferstehung selbst zu bestätigen.
CIPRIANI: Natürlich muss der auferstandene Leib nicht mehr essen, er ist geistlicher Leib; der Auferstandene hat keinen Hunger mehr. Aber Christus wollte diesen Beweis erbringen, um seine Jünger von der Realität seiner Auferstehung zu überzeugen. Es gibt noch einen anderen Sermo (246), der Sermo 237 ein wenig ähnelt. Wie wir bereits gesehen haben, sagt Christus im Lukas-Evangelium (Lk 24, 38f): „Was seid ihr so bestürzt? Warum lasst ihr in eurem Herzen solche Zweifel aufkommen? Seht meine Hände und meine Füße an: ich bin es selbst. Fasst mich doch an und begreift.“ Und Augustinus kommentiert: „War er vielleicht schon zum Vater aufgefahren, als er sagte: ‚Fasst mich doch an und begreift‘? Er lässt sich von seinen Jüngern berühren, ja, nicht nur berühren, sondern anfassen, um einen Beweis für die Realität seines Fleisches, die Realität seines Leibes, zu liefern. Diese Realität musste nämlich auch durch die Berührung durch die Hand des Menschen offensichtlich gemacht werden [ut exhibeatur etiam tactibus humanis soliditas veritatis]. So lässt er sich also von den Händen der Jünger berühren.“ Dann, bezugnehmend auf die Frau, der der Herr dagegen gebietet, ihn nicht zu berühren, weil er noch nicht in den Himmel aufgefahren ist, fährt Augustinus fort: „Weshalb diese Inkongruenz? Die Männer sollten ihn nur hier auf Erden berühren, die Frauen dagegen hätten ihn erst berühren dürfen, wenn er in den Himmel aufgefahren ist? Was aber bedeutet berühren anderes als glauben? Mit dem Glauben berühren wir Christus. Und es ist besser, ihn nicht mit der Hand, sondern mit dem Glauben zu berühren als ihn mit unseren Händen anzufassen und nicht mit dem Glauben.“ Der Beweis, den Christus anbietet, zielt also sozusagen auf den Glauben der Jünger ab. Augustinus antwortet – wie ich bereits gesagt habe – oft ustinus mit Ironie bedenkt) erfundenen – Fabel befasst, dass die Zauberkünste des Petrus die Entwicklung und den Fortschritt des Christentums ermöglicht haben sollen.
CIPRIANI: Auf den Einwand, dass das Christentum nichts anderes sei als Frucht der Magie, entgegnet Augustinus, dass das Christentum seine Entstehung und Entwicklung der göttlichen Gnade zu verdanken hat: illa superna gratia factum esse (vgl. De civitate Dei XVIII, 53, 2). In der Osterpredigt, in der er die Erscheinung des Herrn vor den Jüngern am Abend des Ostertages hinter geschlossenen Türen kommentiert (vgl. Joh 20, 19ff), schreibt Augustinus: „Manche hat dieses Faktum derart erschüttert, dass sie wanken – oder fast – und den von Gott gewirkten Wundern die Vorurteile ihrer Argumentationen entgegenhalten [afferentes contra miracula divina praeiudicia ratiocinationum suarum]. Ihre Überlegung ist folgende: wenn er Leib war, wenn er Fleisch und Knochen hatte, wenn das, was aus dem Grab auferstanden ist nichts anderes war als das, was man ans Kreuz gehängt hatte, wie konnte er dann durch geschlossene Türen kommen? Wenn das aber unmöglich war, muss man daraus schließen, dass es nicht passiert ist. Wenn er es dagegen tun konnte, wie war das dann möglich? Wenn man aber versteht, auf welche Weise es passiert ist, dann ist es kein Wunder mehr; wenn du es aber andererseits nicht als Wunder betrachtest, dann ist das fast schon, als würdest du die Auferstehung aus dem Grab leugnen. Denk an die Wunder, die dein Herr seit den Anfängen gewirkt hat, und erkläre mir, warum er das getan hat. Der Mann ist nicht beteiligt, und die Jungfrau empfängt. Erkläre mir, wie eine Jungfrau ohne Beteiligung eines Mannes empfangen konnte. Dort, wo die Vernunft aufgibt, kann der Glaube aufbauen. Daher ist die Empfängnis des Herrn also ein Wunder. Doch höre auch das, was mit der Geburt geschah: sie gebärt als Jungfrau und bleibt Jungfrau. Seit damals also, lange bevor er auferstand, kam der Herr – durch seine Geburt – schon durch geschlossene Türen.“ Kurzum: die göttliche Macht ist die wahre Ursache der Auferstehung. Ohne die Macht und das Wirken Gottes ist jedes Wunder unverständlich, um so mehr die Auferstehung des Herrn.


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