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NACH DEM KONSISTORIUM
Aus Nr. 11 - 2003

KANADA. Interview mit dem Erzbischof von Québec.

Die Rolle Mariens ist grundlegender als die des Petrus


Ein Gespräch mit Kardinal Marc Ouellet: „Die ökumenische Orientierung ist nicht genügend auf die Glaubensgrundlagen konzentriert, also auf die Rolle Mariens, die – und darin sind uns die Orthodoxen sehr nah – noch grundlegender ist als die Rolle des Petrus oder der Bischöfe. Eine Reflexion zum marianischen Prinzip als Basis der Einheit der Kirche wäre angebracht.“


von Gianni Cardinale


Kardinal Marc Ouellet.

Kardinal Marc Ouellet.

Marc Ouellet ist unter den von Johannes Paul II. am 21. Oktober neu kreierten Kardinälen derjenige, der am polyglottesten ist. Es stammt aus Kanada, einem Land des britischen Commonwealth, ist aber ein Sohn des französischen Québec. Er hat viele Jahre in Lateinamerika gearbeitet, seine Doktorarbeit in Theologie auf deutsch geschrieben. Er spricht perfekt italienisch – immerhin hat er auch in Rom unterrichtet, wo er in der Römischen Kurie kurz, aber intensiv als Nummer zwei des Dikasteriums für den ökumenischen Dialog tätig war. Der 59jährige Ouellet wurde 1968 zum Priester geweiht. Unter den neuernannten „Papstwähler“-Kardinälen ist er derjenige, der erst seit jüngster Zeit zum Bischof ernannt worden ist: nämlich erst im März 2001. Im November vergangenen Jahres wurde er dann Erzbischof von Québec, dem kanadischen Primas-Sitz.
Ouellet ist nun der dritte kanadische Kardinal, der zur Gesellschaft apostolischen Lebens der Sulpizianer gehört – nach dem verstorbenen Paul-Émile Léger, Erzbischof von Montréal von 1950 bis 1968, und dem 85jährigen Edouard Gagnon, der sich vor ein paar Jahren nach langjähriger Dienstzeit in der Römischen Kurie in seine Heimat zurückgezogen hat. In der Erzdiözese Québec gibt es auch einen emeritierten Kardinal, Louis-Albert Vachon, kanadischer Primas von 1981 bis 1990.
Sowohl Gagnon als auch Vachon konnten an den Feierlichkeiten zum Papstjubiläum und am nachfolgenden Konsistorium nicht teilnehmen. „Gagnon,“ sagt uns Ouellet, „hat zwar schon seit Jahren Gesundheitsprobleme, aber einen überaus wachen Verstand. Vachon ist schon sehr alt: 91 Jahre. Er hat mich jedenfalls am Morgen des Tages meiner Ernennung zum Kardinal angerufen. Er war sehr froh darüber, daß die Kardinalstradition in Québec fortgeführt wird...“

Eminenz, im Mai 1968 – eine recht turbulente Zeit – wurden Sie zum Priester geweiht... Welches Klima herrschte damals?
MARC OUELLET: Ein recht chaotisches Klima. Ich kann mich noch gut erinnern, daß mir einer meiner engsten Verwandten am Tag meiner Priesterweihe sagte: Du solltest Dir das noch einmal gut überlegen. Es hat den Anschein, daß die Kirche, der Du dein Leben weihen willst, vor dem Abgrund steht, keine Zukunft zu haben scheint. Und das war kein Scherz, er meinte das vollkommen ernst.
Hat dieses „revolutionäre“ Klima auf Sie denn so gar keinen Reiz ausgeübt?
OUELLET: Nein. Auch wenn der Protest der Studenten durchaus tiefergehender war, über den einfachen politischen und sozialen Protest hinausging. Dahinter stand eine Sinn-Suche, eine globale Unzufriedenheit mit den Gesellschaftsstrukturen, auch den religiösen... Hierzu muß ich sagen, daß ich die Universität im April abgeschlossen hatte, den Monat Mai also nicht „live“ miterlebt habe. Ich kann mich aber daran erinnern, daß die Seminaristen, die die Universitäten frequentierten, im Oktober reihenweise an der Studentenbewegung teilnahmen und, im Namen einer größeren Glaubwürdigkeit, die radikalsten unter den Protestlern waren. Das Seminar wurde für zwei Wochen geschlossen, und danach wurden nur die wieder zugelassen, die sich verpflichteten, sich der Autorität der Oberen zu unterwerfen.
Nach Ihrer Priesterweihe waren Sie zwei Jahre lang als Kaplan von Val d’Or tätig...
OUELLET: Es war eine wunderschöne Zeit. Der Pfarrer war sechzig Jahre alt, und wir arbeiteten wirklich gut zusammen. Ich kümmerte mich vor allen Dingen um die Pastoral der Schulen, vor allem um Gesang und Liturgie, die in diesem Moment eine recht chaotische Zeit durchmachten...
Darauf kommen wir noch zurück. Sie haben dann mit Ihrer akademischen Laufbahn begonnen, vor allem in Lateinamerika. Auch dort fanden Sie eine delikate Situation vor...
OUELLET: Am Anfang, 1970, habe ich am Seminar von Bogotá Philosophie unterrichtet. In jener Zeit erlebten die Berufungen eine starke Krise. Es fehlte nicht an Momenten der Spannung und des Protestes seitens der Seminaristen, aber die Situation war dennoch unter Kontrolle...
In jener Zeit konnte die Befreiungstheologie Verbreitung finden.
OUELLET: Ja, das stimmt: das erste Buch des Theologen Gustavo Gutiérrez erschien 1971. Aber ich muß sagen, daß Kolumbien nicht besonders mit jener Version der Befreiungstheologie in Berührung kam, die von der marxistischen Ideologie abhing. Und das auch, weil der damalige Bischof und heutige Kardinal Alfonso López Trujillo entschieden dagegen anging.
Die St.-Anna-Basilika von Beaupré in Québec City

Die St.-Anna-Basilika von Beaupré in Québec City

Hatte die Befreiungstheologie auch positive Aspekte?
OUELLET: Ja, natürlich. Die Befreiungstheologie entsteht aus dem Wort Gottes: ist eine Manifestation des Geistes in dem Sinne, daß sie dem Schrei der Armen Gehör geschenkt hat, die Gerechtigkeit wollen, Hilfe suchen und sich an der Bibel inspirieren, besonders am Alten Testament. Die Befreiungstheologie hat dann durch die kirchlichen Basisgemeinschaften ein sehr positives Erbe hinterlassen, eine Manifestation der Vitalität. Das, was der Befreiungstheologie fehlte, war eine tiefergehende Christologie. In dem Maße, in dem da ein übertriebener Einfluß der marxistischen Gesellschaftsanalyse war, tendierte man dazu, die Inspiration des Evangeliums in Richtung Altes Testament zu verschieben, beispielsweise mit einer politischen Deutung des Exodus. In der Befreiungstheologie fehlte das Verständnis der Tatsache, daß Jesus nicht einfach ein Märtyrer für eine Sache ist, sondern die Erfüllung der menschlichen Geschichte. Daher waren die Beiträge der Kongregation für die Glaubenslehre auch so nützlich. Auch Gutiérrez hat nach diesen Beiträgen die spirituelle Dimension seiner Befreiungstheologie vertieft.
1982 haben Sie an der römischen Universität Gregoriana Ihre Doktorarbeit in Theologie über das Werk von Hans Urs von Balthasar gemacht. Welche persönliche Erinnerung haben Sie an den berühmten Schweizer Theologen?
OUELLET: Zum ersten Mal kontaktierte ich ihn im Jahr 1973. Er begann damals gerade mit seiner Theodramatik, dem zweiten Teil seiner Trilogie. Er war fast siebzig Jahre alt und fürchtete, nicht mehr fertig zu werden. Er hat noch versucht, mir mein Vorhaben auszureden, eine Doktorarbeit über seine Theologie zu schreiben. Aber das ist ihm nicht gelungen. Die mystische Dimension und der weite kulturelle Atem seiner Theologie haben mich fasziniert; ich konzentrierte mich auf ein „heißes Eisen“: das der theologischen Anthropologie. So entstand eine tiefe Freundschaft zwischen uns, die sich auch in einem regen Briefwechsel niederschlug. Ich war beeindruckt davon, wie schnell er mir immer zu antworten pflegte, obwohl er soviel zu tun hatte. Ich dagegen habe das nie geschafft. Was mir an ihm so gefiel, war vor allem sein Blick: der eines Adlers – und der Adler ist das Symbol des Johannes –, seine Fähigkeit, alles genau zu betrachten – die Heilige Schrift, die Tradition, die Literatur... – und zwar von einem höher gelegenen Punkt aus, und also auch von einem tiefergehenderen. Von Balthasar hat meinen Geist und mein Herz erleuchtet.
Nach der Zeit, in der Sie an der Universität Lateranense unterrichteten, waren Sie eine Zeitlang Sekretär des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen.
OUELLET: Nach dem II. Vatikanischen Konzil hat sich die katholische Kirche entschieden in der ökumenischen Bewegung engagiert. Und das ist ein bedeutendes pfingstliches Ereignis unserer Zeit, das sehr positiv zu beurteilen ist. Aber die 1000 Jahre, in denen unsere Beziehungen zur Orthodoxie von gegenseitiger Entfremdung geprägt waren, und die 500 mit den aus der Reformation entstandenen Gemeinschaften, kann man nicht von heute auf morgen ungeschehen machen. Ich glaube, daß die katholische Kirche mit diesem Pontifikat die Antriebsfeder der ökumenischen Bewegung geworden ist...
Nicht immer mit vollem Erfolg...
OUELLET: Die großen Erwartungen, die vom Gnadenereignis der Begegnung zwischen Paul VI. und Athenagoras ausgelöst wurden, haben sich leider nicht erfüllt. Wir sehen keine großen Hindernis für die Einheit mit der Orthodoxie von einem dogmatischen und sakramentalen Gesichtspunkt aus, wenn auch das nicht gerade zweitrangige Problem der Einheit der Kirche cum Petro und sub Petro bleibt. Aber vom orthodoxen Gesichtspunkt aus liegen die Dinge nicht einfach: dort besteht ein jahrhundertealtes Mißtrauen, da ist die Befürchtung, daß wir in ihre Territorien eindringen wollen, die Angst vor einer katholischen Proselytenmacherei. Ich frage mich manchmal, ob wir Katholiken diesen psychologischen, kulturellen, historischen Faktor bei unseren Dialogs- und Annäherungsmethoden auch genügend in Betracht ziehen.
Im Moment sind die Beziehungen zur russischen Orthodoxie ganz besonders gespannt, und in diesem Falle muß man auf die Tugend der Geduld zurückgreifen, aber auch anerkennen, daß gerade dieses Jahr mit Griechenland, Bulgarien und Serbien enorme Fortschritte gemacht werden konnten. In diesem Dialog muß man sich, wenn sich die Fronten verhärten, wohlweislich davor hüten, „politische Spielchen“ zu spielen, den Medienapparat miteinzubeziehen. Es ist nicht gesund, bei den ökumenischen Beziehungen solche Mittel anzuwenden.
Eine kanadische Gläubige auf dem Petersplatz bei der Seligsprechung von Mutter Teresa am 19. Oktober 2003.

Eine kanadische Gläubige auf dem Petersplatz bei der Seligsprechung von Mutter Teresa am 19. Oktober 2003.

Sie haben auf einen besonders delikaten Punkt in den ökumenischen Beziehungen angespielt, den bezüglich der Ausübung des Petrus-Primats.
OUELLET: Der Papst hat mit der Enzyklika Ut unum sint den Weg für die Diskussion dieses Themas geebnet und die getrennten Brüder dazu aufgefordert, ihren Standpunkt dazu darzulegen, wie der Petrus-Primat für sie akzeptiert werden könnte. Diese Diskussion ist noch im Gange. Von Seiten des Petrussitzes ist eine Öffnung für diesbezügliche Vorschläge festzustellen, und das bedeutet, daß da auch die Disponibilität ist, etwas zu ändern. Wir können das Prinzip der Synodalität wahrscheinlich mehr assimilieren, das im Orient sehr entwickelt ist. Auf der anderen Seite hat die orthodoxe Welt jedoch wieder große Schwierigkeiten dabei, sich in ihrem Innern zu koordinieren. Seit dreißig Jahren spricht man von einer panorthodoxen Versammlung, bisher hat man es jedoch nicht geschafft, sie auf die Beine zu stellen: was fehlt, ist das petrinische Prinzip mit seiner Effizienz, während das nationale Prinzip vorherrscht, das alles wegen Interessen anderer Art blockiert.
Die ganze Kirche muß daher für einen Austausch von Gaben disponibel sein, der über das Finden sogenannter politischer Formeln hinausgeht. Daher habe ich in meiner Reflexion über die ökumenische Bewegung das marianische Prinzip zu entwickeln versucht.
Inwiefern?
OUELLET: Die ökumenische Orientierung legt den Schwerpunkt zu sehr auf den Episkopat, auf die Beziehungen zwischen Kollegialität und Papsttum, und nicht genügend auf die Glaubensgrundlagen, und folglich auf die Rolle Mariens, die – und darin stehen uns die Orthodoxen sehr nah – grundlegender ist als die Rolle des Petrus und der Bischöfe. Was hier vonnöten wäre, ist eine Reflexion über das marianische Prinzip als Grundlage der Einheit der Kirche. Diesen Umstand hat man meiner Meinung nach beim ökumenischen Dialog nicht ausreichend vertieft.
Läuft dieses marianische Prinzip vielleicht Gefahr, im Hinblick auf die protestantische Welt weniger wirksam zu sein?
OUELLET: Das würde ich nicht sagen. Bei meinen Gesprächen mit den Anglikanern habe ich erkannt, daß in ihrer liturgischen Tradition auch Marienfeste beibehalten werden. Natürlich beten sie, im Unterschied zu uns, nicht zu Maria, rufen sie nicht an, in anderen wesentlichen Fragen wurde ein gemeinsamer Text über das Mysterium Mariae in Christus und in der Kirche abgefaßt, der in nächster Zeit erscheinen müßte. Und 1997 hat die Groupe des Dombes ein recht detailliertes Dokument zusammengestellt, in dem man zu der Überzeugung kommt, daß Maria kein Grund zur Spaltung zwischen reformierten und katholischen Theologen ist. Zwischen Katholiken und Orthodoxen, aber auch zwischen Katholiken und Anglikanern und zwischen Katholiken und Reformierten gibt es also auch sehr wichtige Gemeinsamkeiten, die zu positiven Entwicklungen führen könnten. Wohlgemerkt, immer von der Schrift ausgehend. Die Einheit ist nämlich von der Offenbarung ausgehend möglich, und von der Art und Weise, in der wir die Offenbarung gemeinsam annehmen können. Und Maria ist die biblische Schlüsselfigur, die uns lehrt, das Wort anzunehmen.
In diesem Zusammenhang muß ich gestehen, daß man in der protestantischen Welt zwar mit großem Nachdruck von der Heiligen Schrift spricht, aber leider nicht danach lebt. Jetzt sind es wir Katholiken, die den Dialog auf die Schriftgrundlagen zurückführen. Wenn es im anthropologischen und ethischen Bereich Divergenzen gibt, verlassen wir uns auf die Heilige Schrift, die Protestanten dagegen tendieren zum Bezug auf die Kultur.
Mit welchen Fragen muß sich die Kirche heute am meisten beschäftigen?
OUELLET: Die grundlegende Frage ist und bleibt die Sendung. Die erste Frage ist immer die, wie man das Evangelium der Welt verkündigen soll, die es noch nicht angenommen hat. Und das ist eine nur allzu vergessene Frage, die in den Massenmedien keine Beachtung findet, aber die Frage der Kirche ist. Von diesem Gesichtspunkt aus ist das, was mit der Seligsprechung von Mutter Teresa passiert ist, symbolisch und epochal. In dem Sinne, daß die kleine große Schwester die Missionarinnen der Nächstenliebe gegründet hat, und nicht die Nonnen der Nächstenliebe, und getan hat sie das in Indien. Diese Missionsschwestern – zum Großteil Inderinnen – sind heute überall auf der Welt zu finden, sie üben eine radikale, unentgeltliche Nächstenliebe, mit den Ärmsten unter den Ärmsten. Das ist das Symbol der Mission für das Dritte Jahrtausend. Paradoxerweise ist es also Asien, der am wenigsten christliche Kontinent, der uns entgegenkommt und uns evangelisiert, uns wieder-evangelisiert...
Kardinal Marc Ouellet bei der Inbesitznahme von Santa Maria in Traspontina (Sonntag, 26. Oktober 2003).

Kardinal Marc Ouellet bei der Inbesitznahme von Santa Maria in Traspontina (Sonntag, 26. Oktober 2003).

Zu Beginn des Interviews haben Sie auf das post-konziliäre Chaos angespielt. Halten Sie eine Reform der Liturgiereform für notwendig?
OUELLET: Nach dem II. Vatikanischen Konzil war es zu einer übertrieben progressistischen Bewegung gekommen, die die Schätze der Tradition verschwinden ließ, wie beispielsweise die Gregorianischen Gesänge. Schätze, die wiedererlangt werden müßten. Vor allem aber müßte – wie Kardinal Joseph Ratzinger betont – der Aspekt des Heiligen in der Liturgie wiedergefunden werden, die Wahrnehmung, daß die Liturgie nicht etwas ist, das uns gehört und das wir fabrizieren, etwas, das wir nach unserem Geschmack neu zusammensetzen können, sondern etwas, das man empfängt, das uns gegeben wird. Die Objektivität der liturgischen Formen hat also ihre Wichtigkeit. Ich denke, daß diese Denkanstöße Kardinal Ratzingers durchaus ihre Bedeutung haben. Ich glaube, daß das II. Vatikanische Konzil eine gute Konstitution über die heilige Liturgie hervorgebracht hat, die Sacrosanctum Concilium. Aber die Umsetzung der Liturgiereform war – nicht immer – auf der Höhe ihres Anliegens. Man müßte zum Buchstaben der Sacrosanctum Concilium zurückkehren.
Ein anderes „heißes Eisen“ in der Kirche ist das der Kollegialität. Sind Ihrer Meinung nach an dieser Front Reformen vonnöten?
OUELLET: Der ökumenische Dialog hat mich den Reichtum der anderen Traditionen wiederentdecken lassen. Wir Angehörigen des lateinischen Ritus haben ein zentrumsbezogeneres kirchliches Leben. Das Petrus-Prinzip ist unsere Kraft, und man darf keine Schwäche daraus machen. In der orthodoxen Tradition herrscht die Synodalität vor, während bei den Protestanten die Basis der Laien am Leben der Gemeinschaft vermehrt beteiligt ist. Die Entwicklung der Kollegialität macht Anpassungen nötig, die in gewisser Weise auch die Traditionen unserer getrennten Brüder beherzigen. Ich kann den Wunsch nach einer größeren Beteiligung der Diözesan-Bischöfe bei den Beziehungen mit den Dikasterien der Römischen Kurie wahrnehmen, spüre, daß es in diesen Beziehungen Schwierigkeiten gibt, die auf etwas starre Haltungen beider Seiten zurückzuführen sind. Es ist klar, daß man sich etwas ausdenken muß, aber ich habe auch kein Patentrezept parat, auch weil meine Erfahrung im Bischofskollegium noch eine frische ist.
Ihr Land, Kanada, könnte – nach Belgien und Holland – das dritte Land sein, in dem homosexuelle Paare rechtlich anerkannt werden. Was halten Sie davon?
OUELLET: Ja, diese Gefahr besteht tatsächlich, dieses jüngste Zeichen für die schreckliche anthropologische Krise, die die westliche Welt durchmacht, in der jeder geschlechtliche Unterschied bedeutungslos wird. Aber jetzt ist die kanadische Bevölkerung, dank der entschiedenen Bemühungen der Bischöfe, sozusagen aufgewacht und die Regierung, die diesen Gesetzesvorschlag machte, hat meiner Meinung nach erkannt, etwas zu weit gegangen zu sein... Es ist kein Zufall, daß es auch innerhalb der Partei mit der absoluten Mehrheit [die liberale, Anm.d.Red.] eine klare Spaltung zu diesem Thema gibt, das nun wirklich ein „heißes Eisen“ ist. Ich will hoffen, daß mit dem vorgesehenen Leader-Wechsel in der Mehrheitspartei, und folglich auch des Premierministers [von Jean Chretien zu Paul Martin, Anm.d.Red.], dieser Gesetzesvorschlag für immer verworfen wird.
Die Frage ist jedoch auch dem Obersten Bundesgerichtshof unterbreitet worden, und ich hoffe, daß die Richter die magna charta der Grundrechte nicht in einer rein formalen Weise interpretieren, sondern im Kontext des nationalen Lebens und auch der philosophischen und religiösen Weisheit der Menschheit, die die Ehe stets als eine Verbindung zwischen Mann und Frau verstanden hat. Das müßte allen klar sein. Und aus diesem Grund hoffe ich auch, daß der Oberste Bundesgerichtshof die Urteile der kleineren Gerichtshöfe nicht anerkennt, die sich für die rechtliche Anerkennung von homosexuellen Paaren ausgesprochen haben. Wir werden ja sehen... aber wenn sich auch der Gerichtshof von Ottawa dafür aussprechen sollte, wäre das weder für unsere Welt noch für unser Land eine gute Nachricht.


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