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JAHRESTAGE
Aus Nr. 01 - 2004

Vor 25 Jahren fand die erste der 102 Auslandsreisen von Johannes Paul II. statt.

Erster Halt, Puebla


Vom 27. Januar bis zum 13. Februar 1979 wurde in Mexiko die dritte Generalkonferenz des lateinamerikanischen Episkopats abgehalten. Ein großes Ereignis, nicht nur für die Kirche. Erinnerungen von Kardinal Alfonso López Trujillo, damals Generalsekretär des CELAM und heute Präsident des Päpstlichen Rates für die Familie. Albino Luciani hatte nicht die Absicht, teilzunehmen. Karol Wojtyla beschloß, hinzufahren...


von Gianni Cardinale


Vor 25 Jahren, genau gesagt vom 27. Januar bis zum 13. Februar 1979 wurde in Puebla die dritte Generalkonferenz der lateinamerikanischen Bischofskonferenz (CELAM) abgehalten. Ein großes Ereignis, und das nicht nur aus kirchlicher Sicht. Bei jener Gelegenheit fand nämlich auch die erste der 102 Auslandsreisen von Papst Johannes Paul II. statt. Und schließlich stand Puebla auch – verglichen mit der vorherigen, 1968 in Medellín, Kolumbien, abgehaltenen Generalkonferenz – für eine Art Wende (im konservativen Sinne) beim Leadership des lateinamerikanischen Episkopats.
Alfonso López Trujillo

Alfonso López Trujillo

Zur Erinnerung an diesen 25. Jahrestag der Konferenz bat 30Tage Kardinal Alfonso López Trujillo um ein Gespräch. Der Purpurträger, der im November seinen 68. Geburtstag feiern konnte, ist seit 1990 Präsident des Päpstlichen Rates für die Familie. Zuvor war er Erzbischof von Medellín. Im Rahmen seiner langjährigen Tätigkeit für den CELAM kann man den kolumbianischen Purpurträger durchaus als einen der Protagonisten von Puebla bezeichnen. Der zunächst für die Vierjahresperiode 1972-1976 zum Generalsekretär des CELAM gewählte López Trujillo war dann für weitere vier Jahre bestätigt worden, also bis 1980 im Amt. Von 1980 bis 1983 schließlich war er als Präsident des CELAM tätig.
„Die dritte lateinamerikanische Konferenz von Puebla in Mexiko war von großer Bedeutung für die Kirche Lateinamerikas,“ erinnert sich Kardinal López Trujillo. „Das Thema war ‚Die Evangelisierung in Gegenwart und Zukunft Lateinamerikas‘. Der Geist und der Impuls von Evangelii nuntiandi, ein Dokument Pauls VI., das ich als außergewöhnlich bezeichnen möchte, gaben den Arbeiten der Konferenz eine entscheidende Prägung. Johannes Paul II. betonte, daß die ‚Kirche Lateinamerikas in ihrer kraftvollen Einheit, in der ihr eigenen Identität bekräftigt wurde‘“.

Eminenz, die Konferenz von Puebla war für 1978 angesetzt worden. Doch das war das Jahr der drei Päpste: nach dem Tod Pauls VI. und, kurz danach, dem von Johannes Paul I. Haben sich daraus Schwierigkeiten ergeben?
ALFONSO LÓPEZ TRUJILLO: Natürlich! Der ein oder andere sah darin ein Zeichen dafür, daß die Vorsehung die Konferenz von Puebla nicht wollte. Es wurde sogar versucht, sie zu vereiteln. Und das gerade in einem Moment, in dem schon alles vorbereitet war. Aber bei den vielen anstehenden Problemen war es ganz einfach unmöglich, die Konferenz nicht abzuhalten.
An welchem Punkt waren die Vorbereitungen mit Paul VI. angekommen?
LÓPEZ TRUJILLO: Die Konferenz hätte am 12. Oktober 1978 eröffnet werden sollen. Den Papst, der die Vorbereitungen mit sehr viel Sorgfalt, dem für ihn typischen Eifer eingeleitet und verfolgt hatte, hat der Herr zu sich gerufen, als wir gerade die letzte Versammlung in Bogotá abhielten. Man kann sich wohl unschwer vorstellen, welche Wirkung das hatte. Die Nachricht wurde uns vom damaligen Nuntius in Kolumbien überbracht, dem Erzbischof – und heutigen Kardinal – Eduardo Martínez Somalo, der aktiv mit dem CELAM an der Vorbereitung mitgewirkt hatte. Wir waren sehr traurig über den Tod des Papstes, und auch über das Schicksal Pueblas. Man beeilte sich jedenfalls, beim zukünftigen neuen Papst auf die Wiedereinberufung von Puebla zu drängen. Ein Wunsch, dem Johannes Paul I. dann ja auch nachkam.
Hat Paul VI. vorgehabt, die Konferenz persönlich zu eröffnen?
LÓPEZ TRUJILLO: Wenn es ihm sein Gesundheitszustand und sein Alter erlaubt hätten, zweifellos. Im Mai 1978, genau gesagt am 22., dem Tag, an dem meine Ernennung zum Erzbischof-Koadjutor von Medellín bekannt wurde, empfing der Papst die Vorsitzenden der Konferenz von Puebla und meine Wenigkeit (in meiner damaligen Eigenschaft als Sekretär). Auch Kardinal Paolo Bertoli, Berater der Kommission für Lateinamerika, war dabei. Am Ende dieser unvergeßlichen Konferenz antwortete der Papst auf die wiederholte Aufforderung, die Konferenz persönlich zu eröffnen: „Die Konferenz von Puebla werde ich vom Paradies aus verfolgten.“ Das war das letzte Mal, daß ich Paul VI. gesehen habe, den Papst, der mich zum Bischof ernannt und meinen gesamten Dienst beeinflußt hatte, mit einem Verständnis, das mir im Herzen geblieben ist.
Wann haben Sie Paul VI. kennengelernt?
LÓPEZ TRUJILLO: Als er nach Kolumbien kam – er war der erste Papst, der seinen Fuß auf lateinamerikanischen Boden setzte –, um den Vorsitz über den eucharistischen Kongress zu führen und die Konferenz von Medellín, die in der Kathedrale von Bogotà abgehalten wurde, persönlich zu eröffnen. Ich war damals mit der Vorbereitung des Kongresses betraut, mit dem pastoralen Aspekt. Für mich jungen Priester war es eine große Gnade, ihm in der Nuntiatur von Bogotà die Hand küssen zu dürfen. Ich wurde dann noch verschiedene Male in Audienz empfangen, als Weihbischof von Bogotà und als Sekretär des CELAM. Meine Bewunderung und Dankbarkeit ihm gegenüber sind sehr groß, und meine Arbeit beim CELAM und im Bereich der Befreiungstheologie wurden von ihm besonders inspiriert.
Hatten Sie Gelegenheit, Albino Luciani kennenzulernen, bevor er Papst wurde?
LÓPEZ TRUJILLO: Nicht persönlich. Als er Papst wurde, wurde ich wegen der Konferenz von Puebla zu ihm gerufen, deren Beginn kurz bevorstand. Ihn interessierten besonders Fragen wie die Laienämter, einige Probleme der Kirche, die Ordensleute, die Katechese. Papst Johannes Paul I. bat uns in seiner herzlichen Art, über verschiedene Punkte informiert zu werden. Er bereitete gerade die Rede zur Eröffnung der Konferenz im Fernsehen vor, da er nicht die Absicht hatte, persönlich daran teilzunehmen. Er hatte vorgehabt, die Botschaft in zwei Etappen aufzunehmen, weil er – wie ich später erfahren sollte – nicht daran gewöhnt war, lange zu sprechen. Das erklärt seinen Stil, seine knappen, aber erleuchteten Beiträge, wie die in Illustrissimi veröffentlichten, ein Buch, das ich damals gerade gelesen hatte. Es fiel ihm auch deshalb nicht leicht, lange zu sprechen, weil er gesundheitliche Probleme, mit seiner Lunge, hatte. Am beeindruckendsten an ihm waren seine Liebe zur Kirche und seine Einfachheit, die die ganze Welt überrascht hatte. Ich habe zweimal an dem seinen Namen tragenden Institut in seiner Diözese einen Vortrag gehalten.
Johannes Paul II. wird bei seiner ersten apostolischen Reise nach Puebla von begeisterten mexikanischen Gläubigen empfangen

Johannes Paul II. wird bei seiner ersten apostolischen Reise nach Puebla von begeisterten mexikanischen Gläubigen empfangen

Wie gut kannten Sie Kardinal Wojtyla?
LÓPEZ TRUJILLO: Ich habe ihn bei der Synode zur Evangelisierung kennengelernt, bei der Kardinal Wojtyla Generalrelator war. Hier muß daran erinnert werden, daß es die Synode war, die Evangelii nuntiandi hervorbrachte. Es war sozusagen eine „Schlüssel-Synode“, bei der auch so wesentliche und problematische Punkte wie die Kriterien für eine wahre christliche Befreiung behandelt wurden, eine nicht von Ideologien belastete: Themen, die vor allem von den Delegierten Lateinamerikas aufgeworfen wurden, und die für jemanden, der aus anderen Gefilden kam, fast schon etwas Neues waren. Auch die Frage der Inkulturation stand auf der Tagesordnung, die traditionellen afrikanischen Eheschließungen, die Basisgemeinschaften. Die von Paul VI. präsentierten Kriterien waren wie ein heller Strahl gewesen, der auf alle Probleme das notwendige Licht warf. Als der weiße Rauch dann die Wahl von Kardinal Wojtyla verkündete, war ich in Rom, in der Nähe des Obelisks auf dem Pe¬ersplatz. Ich befand mich gerade in Begleitung von Pater Cipriano Calderón (später Bischof und Vizepräsident der Kommission für Lateinamerika), der kurioserweise das Buch Zeichen des Widerspruchs in den Händen hielt, eine Sammlung der Texte der geistlichen Exerzitien, die der Erzbischof von Krakau vor der Römischen Kurie gepredigt hatte. Wenn man schon von den Wegen der Vorsehung spricht!
Wann haben Sie Johannes Paul II. zur Vorbereitung für Puebla getroffen?
LÓPEZ TRUJILLO: Um die Wahrheit zu sagen, hatte ich schon vor seiner Wahl zum Papst Gelegenheit, mich mit ihm über dieses Thema zu unterhalten... Ich war nämlich zum Beginn des Pontifikats von Johannes Paul I. in Rom, und stieß am Ende der Eucharistie am Ausgang der Sakristei von St. Peter auf Kardinal Wojtyla, der auf sein Auto wartete. Es regnete in Strömen, und ich bot ihm an, bei mir einzusteigen; er zog es aber vor, auf seinen Fahrer zu warten. Während ich ihm dabei Gesellschaft leistete – und da es wie gesagt in Strömen regnete und viel Verkehr war, war diese Wartezeit eine recht lange – stellte er mir ein paar Fragen zur Konferenz von Puebla. Ich konnte ihn also über einige Aspekte informieren, über die Hauptthemen, die zur Diskussion anstanden,über das Grundszenario von Evangelii nuntiandi. Da sein Fahrer lange ausblieb, kann ich wohl sagen, ihn über alles erschöpfend „aufgeklärt“ zu haben. Ich konnte ja nicht ahnen, daß ich, als Sekretär der Konferenz von Puebla, dem zukünftigen Papst sozusagen eine Art Berichterstattung gab. Jenem Papst, der dann später nach Puebla reisen sollte, um die Konferenz zu eröffnen, und damit auch seine überaus nützlichen, zahlreichen apostolischen Reisen einleitete, die ihn um die ganze Welt führen sollten.
Wie wurde die Reise des Papstes vorbereitet?
LÓPEZ TRUJILLO: Ich wurde nach Rom gerufen, als der Papst die Konferenz von Puebla wieder einberief, ein neuer Plan abgesteckt, das Datum verlegt wurde. Der CELAM war bereit. Es war offensichtlich, daß der Papst die Absicht hatte, die Konferenz selbst zu eröffnen, aber dafür mußten zuerst verschiedene Probleme gelöst werden. Johannes Paul II. sprach sich mit seinen Mitarbeitern in der Römischen Kurie ab, die sich mit Problemen herumschlagen mußten, die nicht einfach zu lösen waren. Uns vom CELAM lag das Projekt natürlich sehr am Herzen. Eine der problematischen Fragen war das Fehlen diplomatischer Beziehungen zu Mexiko. Der Papst wägte alles ab, und sein ausdrücklicher Wunsch, teilzunehmen, bewirkte schließlich, daß sich die Kurie, der CELAM, die Kirche Mexikos, ganz Lateinamerika, in Bewegung setzten. Soweit ich mich erinnern kann, war ich im Direktorat des CELAM der einzige, der sich für die Vorbereitungen mit Johannes Paul II. getroffen hatte.
Wie lief die Eröffnung ab? Gab es unvorhergesehene Schwierigkeiten?
LÓPEZ TRUJILLO: Nach der Konzelebration in der Basilika Unserer Lieben Frau von Guadalupe, die man – trotz einiger organisatorischer Probleme – als denkwürdig bezeichnen kann, versammelten wir uns zur Feier in Puebla vor einer riesigen Menschenmenge; am Abend fand die Eröffnungsrede statt. Das Ergebnis der langen Reise von drei Stunden und des ersten, improvisierten „Papamobils“ mit offenem Dach war ein leichter Sonnenstich: Die Ärzte waren sehr besorgt, und wenn ich mich recht erinnere konnte der Papst die berühmte Eröffnungsrede erst halten, nachdem er Unmengen von Flüssigkeit zu sich genommen hatte. Er sprach mit einer beeindruckenden Tiefe und Klarheit. Es war der berühmte „Tripus“ von Puebla: die Wahrheit über Christus, über die Kirche und den Menschen. Das war das tragende Gerüst der Konferenz.
Johannes Paul II. bei der dritten Generalkonferenz  des Celam  (8. Januar1979).  Im Vordergrund der damalige Erzbischof Alfonso López Trujillo.

Johannes Paul II. bei der dritten Generalkonferenz des Celam (8. Januar1979). Im Vordergrund der damalige Erzbischof Alfonso López Trujillo.

Gab es bei Vorbereitung und Ablauf der Konferenz von Puebla besonders schwierige Momente?
LÓPEZ TRUJILLO: Die dem CELAM anvertraute Vorbereitung war sehr intensiv gewesen. Der normale Ablauf war dadurch gewährleistet, daß die Verantwortlichen große Entschlossenheit an den Tag gelegt, die Kollaboration der Reflexionsequipe hervorragend war und, besonders mit den Episkopaten, eine große Harmonie geherrscht hatte. Präsident des CELAM war Kardinal Aloísio Lorscheider, und wir bereiteten gemeinsam das Konsultationsdokument vor, das wegen seiner grünen Titelseite auch „grünes Dokument“ genannt wird. Als wir dann die Antwort der Episkopate erhalten hatten, wurde das Arbeitsdokument vorbereitet, für das wir auch einige Bischöfe einluden, die nicht zum CELAM gehörten. Alles lief vollkommen normal ab – wenn man von einigen Ausnahmen einmal absieht.
Welche?
LÓPEZ TRUJILLO: Es gab eine Gruppe, die gegen die Konferenz von Puebla war, es kam sogar zu „Einschüchterungsbesuchen“ im Vatikan, mit denen die Vorbereitung behindert werden sollte. Man behauptete, daß fünf Episkopate gegen das Konsultationsdokument wären, darunter Brasilien und Panama. Und das, obwohl das Dokument noch nicht an die Bischofskonferenzen ausgegeben worden war, und was Brasilien angeht zu sagen ist, daß Kardinal Lorscheider, der das Dokument vorstellte, auch gleichzeitig Präsident der brasilianischen Bischofskonferenz war. Es handelte sich um eine in den Raum gestellte Behauptung, die zum Glück von Dom Aloísio selbst geklärt wurde. Die Teilnahme der Episkopate war eine vollkommen freie, in vollstem Bewußtsein ausgeführte. Die Reflexionsequipe nahm, gemeinsam mit einigen Mitarbeitern vom theologischen Institut des CELAM, besonders heikle Punkte unter die Lupe, die als Anhaltspunkte in Puebla präsentiert wurden, darunter das Thema des Martyriums. Sehr viele leisteten wirklich gute, wertvolle Arbeit. Was aber nicht heißen soll, daß es keine Meinungsverschiedenheiten gegeben hätte. Diese wurden jedoch nur selten öffentlich zum Ausdruck gebracht, und schließlich erfolgte in Puebla eine einstimmige Abstimmung. Am Prinzip gab es nichts zu rütteln: die Konferenz wurde von den Bischöfen geleitet, und daran hielt sich der CELAM. Experten oder pressure groups traten weder an ihre Stelle noch schmälerten sie deren Verantwortung. Und es ist kein Zufall, daß ich wenige Monate nach Puebla, ohne daß es zu irgendwelchen Spaltungen gekommen wäre, in vollkommenster Kontinuität, zum Präsidenten des CELAM gewählt wurde.
Eines der heiklen Themen von Puebla war das der sogenannten Basisgemeinschaften und der Befreiungstheologie.
LÓPEZ TRUJILLO: Und Puebla hat jene Basisgemeinschaften letzten Endes als wertvoll eingestuft, die evangelisierenden Charakter haben, in Gemeinschaft mit den Bischöfen sind. Man erkannte aber auch, daß es notwendig war, politische Manipulation dabei zu vermeiden und vielmehr ihre Kirchlichkeit zu bewahren, da einige die Basisgemeinschaften als von der „Basis“ der Volkskirche gebildet interpretierten. Was nun die Befreiungstheologie angeht, muß daran erinnert werden, daß nicht wenige in Lateinamerika den Gewalt bringenden Weg der Guerilla gewählt hatten, darunter auch Priester, Ordensleute, die zwar aus Großzügigkeit gehandelt hatten, sich aber vom marxistischen Mythos hatten einlullen lassen, der keineswegs dabei half, mit der Armut „aufzuräumen“, sondern sich letzten Endes als Seifenblase erwies. Puebla dagegen leitete die weltweite Wiedergeburt der Soziallehre ein, mit ihrem Eintreten für die Menschenwürde, die Armen und die unterdrückten, ausgebeuteten, von der weltlichen Ungerechtigkeit verwundeten Völker.
Ein weiteres „heißes Eisen“ war die Vorzugsoption für die Armen...
LÓPEZ TRUJILLO: Sowohl bei der Vorbereitung der Konferenz als auch während ihres Ablaufs legte man besonderes Augenmerk darauf, die rechte Perspektive und das Verständnis dieses Begriffs abzustecken, um eine wenig objektive Interpretation zu vermeiden. Die Bischöfe Lateinamerikas, und zwar sowohl jene, die am Konzil teilgenommen hatten, als auch die erst kürzlich ernannten, hatten ein ausreichendes Verständnis von der Soziallehre der Kirche. Sie arbeiteten für die Armen, ohne in eine verbreitete Interpretation marxistischen Ursprungs abzugleiten, nach der diese als „Lanzenspitze“ für den Klassenkampf betrachtet wurden. Bei der vorhergegangenen Konferenz von Medellín hatte man eine Option getroffen, die nicht ideologisch und auch keine Apologie der Gewalt war, wenngleich die Texte von Medellín von einigen auch wahllos interpretiert worden waren, worauf der Papst angespielt hatte.
In Puebla wurde also die Vorzugsoption für die Armen verteidigt, die zwar eine Vorzugsoption ist, aber keinen reduzierenden, exklusiven oder ausschließenden Charakter hat. Und das gefiel den Befreiungstheologen ganz und gar nicht...
Wie präsent waren die Befreiungstheologen und welche Haltung nahmen sie bei der Konferenz ein?
LÓPEZ TRUJILLO: Hier sollte daran erinnert werden, daß man sich im CELAM sehr um einen Dialog mit den wichtigsten Theologen bemüht hatte. In der mit der Vorbereitung betrauten équipe, unter meinem Vorsitz, war beispielsweise auch Gustavo Gutiérrez vertreten. Die Liberationisten nahmen nicht in Eigenschaft als Experten oder Gäste teil, weil es da das zuvor approbierte Kriterium gab, daß man den Bischofskonferenzen vorgestellt sein mußte, was bei diesen Personen nicht der Fall war. Die überwältigende Mehrheit der Bischöfe ging klar auf Distanz. In Puebla gab es eine pressure group, die die Absicht verfolgte, von außen Einfluß zu nehmen; sie konnte sich allerdings nicht durchsetzen und wurde weder bei ihrem Unterfangen noch in ihren Absichten unterstützt. Es blieb also bei dem Versuch, erreicht wurde nichts. Nach der einstimmigen Approbation des Dokuments von Puebla wurden Kritiken laut, nach denen es sich um einen Rückschritt handle. Diese kamen dann später zum Schweigen, und es wurde nur noch der eine oder andere Punkt herausgestellt.
Das Schlußdokument von Puebla war also nicht von den Reflexionen beeinflußt, die die Befreiungstheologen ausgearbeitet hatten?
LÓPEZ TRUJILLO: Sie haben schon versucht, Einfluß zu nehmen, aber ohne Erfolg. Die klaren Texte über die Befreiungstheologie wurden, wie wir alle wissen, von Dom Hélder Câmara und von mir geschrieben. Ich meine damit Nummer 480-490 des Schlußdokuments. Sie erhielten von der Konferenz die volle Approbation. Besagter Text stellt keine Verurteilung einer authentischen und unverfälschten christlichen Befreiungstheologie dar. Ganz im Gegenteil. Es wird allerdings jegliche ideologische Abdrift im marxistischen Sinne unmißverständlich verurteilt. Erlauben Sie mir, Ihnen Nr. 486 vorzulesen: „Es ist eine Befreiung, die es versteht, sich evangelischer Mittel zu bedienen, mit deren besonderer Effizienz, und die auf keine Art der Gewalt zurückgreift und auch nicht auf die Dialektik des Klassenkampfes, sondern vielmehr auf die kraftvolle Energie und Aktion der Christen.“ Das war es, was in dem Dokument vorherrschte, und daher einhellig war. Die wahre Befreiungstheologie würde ihren ursprünglichen Charakter verlieren, wenn sie sich von Ideologien vereinnahmen und manipulieren ließe (vgl. Nr. 483).
Sind Sie in letzter Zeit mit Befreiungstheologen zusammengekommen?
LÓPEZ TRUJILLO: Mich verband eine persönliche Freundschaft mit ihnen, auch innerhalb der équipe. Ich habe viel über das Thema der Befreiungstheologie geschrieben, wobei ich mich immer auf die Inhalte, nicht auf die Personen konzentriert habe. Vor einigen Wochen habe ich zufällig in der Buchhandlung der „Edizioni Paoline“ in der Via della Conciliazione in Rom Gustavo Gutiérrez getroffen. Es war eine sehr herzliche Begegnung, bei der wir alte Erinnerungen auffrischen konnten. Er ist sieben oder acht Jahre älter als ich, aber wir kannten uns schon vor meiner Priesterweihe. Ich war nämlich vor meinem Eintritt ins Seminar Präsident der Katholischen Aktion Bogotás, und er war in diesem Bereich überaus aktiv. Unsere Meinungen zu diesem Thema gingen bekanntlich auseinander. Und, um die Wahrheit zu sagen, ist mir nichts von einer Richtigstellung bekannt, die man zu gewissen Themen von ihm verlangt hat...
Was erhoffen Sie sich, fünfzig Jahre nach Gründung des CELAM, von einer neuen Konferenz?
LÓPEZ TRUJILLO: Ich hoffe, daß es eine Konferenz ist, die in der Vergangenheit verwurzelt ist, in der aktuellen Realität, daß sie offen ist für die Zukunft, für die großen Probleme der Kirche auf dem Kontinent und in der Welt. Und daß sie vielleicht gewissen, in Europa diskutierten Themen wenig Raum einräumt. Themen, die die Mission wenig in Betracht ziehen, Probleme, die normalerweise jeder Grundlage entbehren, wie den sogenannten „römischen Zentralismus“ oder eine mißverständliche Vorstellung von Kollegialität, die den Papst fast schon in Gegensatz zu den Bischöfen stellt.
Der ein oder andere hat gesagt, daß in Europa die Gefahr eines neuen Heidentums droht. Und das ist auch eine Gefahr für Lateinamerika, wie man heute besonders in einigen Parlamenten und Institutionen erkennen kann. Die lateinamerikanische Kirche trägt daher eine große historische Verantwortung: nicht nur wegen ihres unleugbaren „zahlenmäßigen“ Gewichts, sondern vor allem wegen dem qualitativen, wegen der Identität, der Gemeinschaft und dem Eifer der Evangelisierung; Dinge, durch die sie sich auszeichnet.



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