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NEUE SEILIGE-HEILIGE
Aus Nr. 04 - 2003

Der Kapuzinermönch Marco d’Aviano

„Er ist kein Heiliger eines Präventivkreuzzuges“


Der Kapuzinermönch Marco d’Aviano ist vor allem wegen seiner Rolle bei der Befreiungsschlacht des von den Türken belagerten Wien bekannt. Aber nicht das ist der Grund für seine Seligsprechung, wie uns Kardinal Saraiva Martins, Präfekt der Kongregation für die Selig- und Heiligsprechungsprozesse zu verstehen gab. Und jeden Lügen straft, der darin eine Geste gegen den Islam sehen will. Interview.


von Gianni Cardinale


Eine Darstellung von Pater Marco d´Aviano

Eine Darstellung von Pater Marco d´Aviano

Aý 27. April wird auf dem Petersplatz von Rom die Seligsprechung des Kapuzinermönches Marco d’Aviano (1631-1699) erfolgen. Sein Name ist eng mit der denkwürdigen Schlacht des 12. September 1683 verknüpft, die zur Befreiung des von den Türken belagerten Wien führte. So war es wohl auch kein Zufall, wenn – gerade in Anbetracht des derzeitigen internationalen Szenariums – so mancher Artikel erschienen ist, in dem die Rolle dieses „kämpferischen“ und „anti-islamischen“ Mönches herausgestellt wurde.
30Tage hat das zum Anlaß genommen und dem portugiesischen Kardinal José Saraiva Martins einige Fragen gestellt. Der 71Jährige ist seit 1998 Präfekt der Kongregation für die Selig- und Heiligsprechungsprozesse.

Eminenz, welche Bedeutung hat die Seligsprechung des Marco d’Aviano?
JOSÉ SARAIVA MARTINS: Die Seligsprechung des Marco d’Aviano hat im Grunde keine andere Bedeutung als alle anderen Seligsprechungen auch. Indem ihn die Kirche zur Ehre der Altäre erhebt, erkennt sie sein in Heiliggemäßheit, unter Übung der heldenhaften Tugenden geführtes Leben an. Ein Leben ausgerichtet auf die Erfüllung einer besonderen Sendung, die ihm als Kapuzinerpriester und Apostolischem Missionar auf den Straßen Europas anvertraut war. Auf jenen Straßen, wo Pater Marco den Glauben und die Buße predigte und die Menge, die sich stets zahlreich einfand, um ihm zuzuhören, zur Umkehr und zu einem erneuerten Bemühen bei der Ausübung des christlichen Glaubens ermahnte. Den Gläubigen trug er auf, das Gebet mit dem vollkommenen Reueakt nachzusprechen, den er selbst verfaßt hatte, und wurde nicht müde, an ein Wecken des Bewußtseins der Sünde und eine Vertiefung des Glaubens zu gemahnen. Am Ende gab er allen seinen Segen, den der Hl. Stuhl mit dem vollkommenen Ablass verbunden hatte. Es ist bekannt, daß die Leute auch wegen der außergewöhnlichen Fakten, die sich auf seinen Segen hin ereigneten, in Scharen herbeikamen und daß gerade dieser Umstand seinen Predigten besonderes Gewicht verlieh.
Einige Kommentatoren stellten die Rolle heraus, die Bruder Marco bei der Belagerung Wiens durch die Türken 1683 spielte. Handelte es sich dabei tatsächlich um ein wichtiges Ereignis in der Ökonomie des Seligsprechungsprozesses?
SARAIVA MARTINS: Hier muß zunächst einmal gesagt werden, daß dieses historische Ereignis keinen Einfluß auf die Seligsprechung hatte. Bruder Marco wird aus den oben erwähnten Gründen seliggesprochen, nicht wegen seiner Rolle bei der Befreiung Wiens. Natürlich hat dieser historische Umstand einen besonderen Stellenwert in der gesamten Geschichte Europas. Aufgrund der historischen Fakten wissen wir, daß das Einwirken Marco d’Avianos ausschlaggebend war, wenn Wien am 12. September 1683 befreit werden konnte. Als Kapuziner hatte er aber nicht aus eigenem Antrieb gehandelt. Kaiser Leopold I. hatte ihn im August des Jahres 1683 nach Österreich gerufen. Er hatte enormes Vertrauen zu Pater Marco, setzte seine ganze Hoffnung auf ihn. So kam es dann auch, daß der Papst, der sel. Innozenz XI., dem aus Aviano stammenden Mönch für diesen Anlaß den Titel des Päpstlichen Legaten und Apostolischen Missionars verlieh. Pater Marco nahm aber nicht direkt an der Befreiungsschlacht teil. Seine Aufgabe war es, das heterogene kaiserliche Heer zusammenzuhalten, unter den Militärchefs Vermittler zu spielen, die Soldaten zum Gebet und zum Vertrauen zu gemahnen und ihnen die Gewissheit zu geben, daß der Sieg sicher war. Und so pflegte er sich also während des Schlachtengetümmels in die kleine Kirche am Kahlenberg zurückzuziehen, um dort inbrünstig zu beten.
Diese Seligsprechung soll jahrelang hinausgezögert worden sein, um Probleme im Dialog mit der islamischen Welt zu vermeiden.
SARAIVA MARTINS: Wenn sich die Seligsprechung verzögert hat, dann sicher nicht wegen eventueller Probleme beim Dialog mit der islamischen Welt, sondern der komplexen Prozedur des gesamten Prozesses, auf die ich hier nicht näher eingehen möchte. Da es sich nämlich um eine überaus facettenreiche historische Persönlichkeit handelt, war es notwendig, die Archive durchzukämmen und aufwendige dokumentarische Nachforschungen anzustellen. Nur so war es möglich, seine Person zu verstehen und sein gesamtes Wirken ins richtige Licht zu stellen.
Und doch wird Pater Marco manchmal als unerbittlicher Streiter der christlichen Sache gegen den Islam geschildert...
SARAIVA MARTINS: Zu behaupten, daß Marco d’Aviano gegen die islamische Welt gekämpft hat, ist historisch betrachtet ganz einfach falsch. Marco d’Aviano hat nicht den als Religion verstandenen Islam bekämpft, er war keinesfalls Verfechter einer Art „PräveÉtivkreuzzug“: Er hat nichts anderes getan, als zur Verteidigung gegen einen Angreifer beizutragen, der damals das Osmanische Reich war. Einen Angreifer, der keinen Hehl aus seiner Absicht machte, den goldenen Apfel, die Stadt Wien, zu pflücken, um dann – wie man damals glaubte – in den Besitz und Genuß des gesamten Gartens Europa kommen zu können. Marco d’Aviano wußte sehr wohl um die Legitimität einer Verteidigung, hatte aber im Grunde nichts gegen die osmanischen Muslime. Man denke nur an folgende Episode um die Befreiung Belgrads am 6. September 1688: als die Stadt eingenommen war, waren dort noch 800 türkische Soldaten eingeschlossen, deren Leben verwirkt schien, die aber durch das persönliche Eingreifen von Pater Marco gerettet werden konnten. Eine historische Quelle berichtet, daß ihm die Türken aus Dankbarkeit „kostbare Geschenke machen wollten, die er jedoch ablehnte.“ Weiter heißt es darin, daß sich sein Ruf, ein Gerechter zu sein, „auch unter den Muslimen verbreitete.“
Hat man sich in der muslimischen Welt an dieser Seligsprechung gestoßen?
SARAIVA MARTINS: Um ehrlich zu sein ist mir bisher nichts dergleichen zu Ohren gekommen. Natürlich werden die historischen Ereignisse je nach Perspektive und Gesichtspunkt unterschiedlich beurteilt. Aber dabei handelt es sich – wie ein türkischer Gelehrter kürzlich in einem Fernsehinterview feststellte – um Ereignisse, die der Vergangenheit angehören. Ereignisse, die die Geschichte inzwischen auf die ein oder andere Weise vollkommen geklärt hat.
Stimmt es, daß man aus Angst vor eventuellen Terroranschlägen für die Zeremonie am 27. April auf besondere Vorsichtsmaßnahmen gedrängt hat?
SARAIVA MARTINS: Davon ist mir nichts bekannt, aber ich kann bestätigen, daß eine solche Befürchtung jeder Grundlage entbehrt.
Kommen wir noch auf einen recht kuriosen Umstand zu sprechen: Bruder Marco soll bei der Erfindung des Cappuccinos seine Hände mit im Spiel gehabt haben...
SARAIVA MARTINS: Diese Geschichte ist ehrlich gesagt etwas komplexer. Es scheint historisch erwiesen, daß mit der Befreiung Wiens weniger die Erfindung des Cappuccino zu tun hat, als vielmehr die des Kipferls. Man erzählt sich nämlich, daß während der Belagerung einige Wiener Bäcker, die gerade nächtens mit dem wenigen verbliebenen Mehl Brötchen backten, die türkischen Sappeure hörten, die dabei waren, Laufgräben auszuheben. Sie gaben umgehend Alarm, und die Gefahr konnte gebannt werden. So erhielten sie das kaiserliche Privileg, ihre Kipferln in halbmondförmiger Form zu backen. Dem Kipferl wurde dann der Cappuccino beigefügt, vielleicht sozusagen zu Ehren von Marco d’Aviano.






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