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LEKTÜRE
Aus Nr. 04 - 2003

In deinem leib entbrannte jene liebe


Meditation von Don Giacomo Tantardini Sanktuarium des hl. Leopoldo Mandic – Padua Mittwoch, 18. Dezember 2002


on Don Giacomo Tantardini


Wie oft kommen mir, wenn ich sprechen muß, jene von Péguy geprägten, und doch noch immer so aktuellen Worte in den Sinn: „Allzu viel hat man uns gesagt, oh Königin der Apostel / Wir haben die Lust am Reden verloren / Wir haben keine Altäre mehr als die deinen / Kennen nichts als ein einfaches Gebet .“ Heute abend wollen meine Worte, die Pflicht, sprechen zu müssen und also der Gehorsam dieser Pflicht gegenüber, eigentlich nichts anderes tun, als in mir und euch jenes einfache Gebet wachzurufen, jenes „komm“, „ja, komm“, „komm, Jesus“. Man kann nichts zum Herrn sagen, wenn nicht, indem man bittet. Das ist eines der schönsten Dinge, die uns der Herr, in der von uns gemachten Erfahrung der Gnade, erleben lässt. Ein Kind demonstriert nicht, daß seine Mama da ist. Wenn es „Mama“ sagt, dann erkennt es damit ihre Präsenz an, indem es darum bittet, geliebt zu werden. Das ist keine Demonstration. Eine Präsenz wird nicht demonstriert. Wenn man sie anerkennt, bittet man darum. Es kommt nicht von ungefähr, daß das Credo der Christen ein Gebet ist. Was kann man dem Herrn im Grunde auch anderes sagen als: „Komm“, „ja, komm.“
Die Anbetung der Hirten; Caravaggio, 1609, Nationalmuseum Messina.

Die Anbetung der Hirten; Caravaggio, 1609, Nationalmuseum Messina.

Ich mußte in diesen Tagen über folgendes nachdenken: wie oft haben wir gesagt: „Dein Wille geschehe“, wie eine von uns gegebene Antwort! Und dabei kann der Mensch doch nicht sagen „Dein Wille geschehe“, wenn nicht als Bitte. „Dein Wille geschehe“ ist eine Bitte. Auch wenn wir diese Worte sagen, ist es nicht eine von uns gegebene Antwort, sondern eine Bitte. Vor allem in jenen Momenten, in denen es unmöglich scheint, daß aus dem Herzen eine solche Bitte aufsteigt. „Dein Wille geschehe“ ist eine Bitte. Die in uns geschieht. Aber das Subjekt sind nicht wir, die seinen Willen tun. Dein Wille geschehe in mir, aber er geschehe durch Dich, Dein Wille geschehe in mir durch Dich. Das Vaterunser ist ein Gebet.
Ich möchte jetzt gerne eine Bemerkung am Rande machen, die für mich eine Entdeckung war, letzte Woche, als ich eine Messe besuchte. Und einem Priester zuhörte, einem guten Priester. Ich mußte plötzlich an meinen alten Pfarrer denken, denjenigen, wegen dem ich als Junge ins Seminar eingetreten bin (nach der dritten Mittelschulklasse; mein Vater und meine Mutter hatten nämlich nicht gewollt, daß ich das nach der fünften Grundschulklasse tat). Der Priester, wegen dem ich aufs Seminar gegangen bin, war wirklich ein guter Priester, einfach und konkret. Und ich dachte, daß alle Worte, die er sagte, im Grunde moralistisch seien. Im Grunde sprach er nur von den Geboten. Von dem, was zu tun sei. Und doch waren alle seine Worte katholisch. Während – so sagte ich mir – die Worte, die dieser Priester sagt, alle gnostisch sind. Gnosis oder Gnostizismus ist die große Häresie, die Johannes, der Lieblingsjünger, so definiert: „Der Antichrist leugnet, daß der Sohn Gottes, Jesus, im Fleisch gekommen ist.“ Alle Worte meines alten Pfarrers verwiesen auf das Menschsein Jesu. Und so auf die Sakramente. Alle! Während dagegen alle Worte, die man heute sagt, auf Ideen verweisen. Auf christliche Ideen, weil sie sich auf christliche Inhalte beziehen. Aber es sind Ideen, es sind christliche Worte, in denen das Menschsein Jesu nicht mehr enthalten ist.
Das Menschsein Jesu. Der von Gott geschaffene Mensch hatte gesündigt. Und man hatte viele Jahrhunderte lang auf den Messias gewartet. Und dann, vor zweitausend Jahren, ist er gekommen. Das Menschsein Jesu ist etwas Reales, das in Nazareth zu existieren begann, als er empfangen wurde. Die Muttergottes sagte: „hier bin ich“, und der ewige Sohn Gottes wurde Fleisch. In diesem Moment wurde er Mensch, erst in diesem Moment, zuvor war er nur Gott. In diesem Moment begann er, auch Mensch zu werden. Das Menschsein Jesu bedeutet, daß seine Mutter ihn neun Monate lang in ihrem Schoß getragen hat. Jesus wäre kein richtiger Mensch, wenn er nicht Zeit und Raum unterworfen gewesen wäre. Zeit und Raum unterworfen: neun Monate in Mariens kleinem Schoß. Und in diesen neun Monaten beobachtete Maria, wie ihr Bauch immer mehr anschwoll. Alvus tumescit virginis. Er war der Zeit unterworfen. Und dann die wunderbare Geburt, so voller Staunen, in Betlehem. Talis decet partus Deum. Und dann ist das Kind großgeworden, beantwortete schon im Alter von 12 Jahren die Fragen der Gesetzeslehrer. Und dann, nach dreißig Jahren Stille und Arbeit in Nazareth, die Wunder, seine Jünger. Dann der Tod. Und der Tod war ein wirklicher, realer Tod. Und die Auferstehung fiel nicht mit seinem Tod zusammen, sondern geschah am Morgen des dritten Tages nach dem Tod. Dem Ostermorgen. Die Entartung der Gnosis dagegen ist zu sagen, daß es keine solchen realen Unterscheidungen mehr gibt. Es gibt sie nicht mehr! Der Tod ist Leben, der Schmerz ist Glückseligkeit, die Sünde ist Gnade. Nein! Die Sünde ist Sünde. Die Todsünde gibt der Seele den Tod, und wenn man mit der Todsünde stirbt, kommt man in die Hölle. Alles ist der Barmherzigkeit Gottes überlassen, die Geheimnis ist und bleibt. Und so sagt die heilige Kirche im Bezug auf den Menschen hoffnungsvoll, also betend, daß wer in der Gnade Gottes stirbt, ins Paradies kommt, wer aber in Todsünde stirbt in den zweiten Tod stürzt, der kein Ende hat, den ewigen Tod.
Es ist, als gäbe es das alles nicht mehr. Die Worte verweisen nicht länger auf diese so einfachen Dinge, verweisen nicht länger auf das Menschsein Jesu. Péguy hat gesagt: Was ist der Unterschied zwischen einem christlichen und einem nicht-christlichen Kind? „Ein christliches Kind ist ein Kind, dem Tausende von Malen die Kindheit Jesu vor Augen geführt wurde.“ Die Geschichte Jesu wurde vor Augen geführt. Keine Ideen, sondern die Geschichte Jesu. Und deshalb müssen wir keine künstlichen Fragen aufwerfen. Das Leben ist es, das die Fragen stellt. Und die Antwort auf alle Fragen, die das Leben stellt, ist keine von uns gegebene christliche Erklärung. Die Antwort auf alle Fragen, die das Leben stellt, ist das Menschsein Jesu. Die Antwort auf den Schmerz ist Jesus und der Gekreuzigte. Am Karfreitag ist er am Kreuz gestorben. Und die Nacht zuvor, jene Nacht des Gründonnerstag (noctem cruentam crimine/diese blutige Nacht schweren Verbrechens), diese Nacht hat er so sehr gelitten, daß er im Garten von Getsemani sogar Blut schwitzte. Dann der Prozess, die Geißelung, die Dornenkrönung. Sein Menschsein! Nicht die christliche Antwort, die wir erfinden. Dieses sein Menschsein, sein Menschsein-Schauen ist Antwort auf den Schmerz. Und so bleibt das Geheimnis intakt, und im Herzen, wenn der Herr es berührt, bleibt das Warten erfüllt und jede Antwort gegeben.
Kurzum: vor fünfzig Jahren verwiesen die Worte, die man in der Kirche hörte, auch die moralistischsten, auf das Menschsein Jesu. Verwiesen auf eine Geschichte, verwiesen auf einen Menschen, der im Schoß seiner Mutter empfangen worden war, die Maria hieß, den sie neun Monate lang im Schoß trug, der geboren, gestillt worden war (wie wir vorher gehört haben: Lactas sacrato ubere), gestillt wie jedes kleine Kind, der begonnen hatte wie jedes Kind zu lächeln, seinem Vater und seiner Mutter ein Lächeln zu schenken. Dieses Kind hatte, als es zum Erwachsenen geworden war, jene drei Jahre gelebt, eine kleine Schar von Anhängern um sich versammelt. Dieser Mensch ist alles, was uns das Geheimnis offenbaren und mitteilen wollte. Dieser Mensch ist Gott. „Aus seiner Fülle haben wir alle empfangen Gnade über Gnade.“ So Johannes, der Lieblingsjünger. Und Paulus: „In Ihm wohnt leiblich die Fülle Gottes.“ Alles, was Gott uns zeigen und schenken wollte, ist in Seinem Menschsein.
„Tabernaculum eius, caro eius,“ schreibt Augustinus. Die Wohnstatt Gottes ist Sein Fleisch. Sein Menschsein: wie er schaute, wie er fragte, wie er staunte, wie er weinte, wie er sich abmühte. Wie damals, an jenem Nachmittag, als er am Jakobsbrunnen saß, und diese Frau vorbeikam, die im Dorf sicher kein Vorbild an Moral war, um Wasser zu holen. Alles, was Gott ist, was das ewige und unendliche Geheimnis ist, kennen wir durch Sein Menschsein, können durch es in seinen Genuß kommen. Indem wir sein Menschsein umfassen, schauen. So stimmt es auch, daß Jesus am Abend des Gründonnerstag, auf die Frage des Philippus (Philippus ist ein sympathischer Apostel, weil er viele Fragen stellt. Wie alle Apostel, von denen einer sympathischer ist als der andere): „Zeig uns den Vater, das genügt uns“ antwortete: „Philippus, schon so lange bin ich bei dir, und du hast mich nicht erkannt? Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen!“ Wer mich gesehen hat. Nicht in einer mystischen Vision. Wer mit den Augen gesehen hat, mit den Augen des Fleisches diesen Menschen gesehen hat, hat den Vater geschaut.
Kurzum: das vergangene Woche war also, als hätte ich zum ersten Mal einen Blick erhascht... Und mir sind folgende Worte des hl. Hieronymus durch den Kopf gegangen: „Ingemuit totus orbis, et arianum se esse miratus est.“ Die ganze Welt ist sich schockiert darüber klar geworden, nicht mehr christlich zu sein. Es hat erkannt, nicht länger christlich zu sein, mit all seinen christlichen Worten. Mit all seinen christlichen Ideen, nicht länger christlich zu sein. Wenn es keinen unmittelbaren Bezug mehr gibt, wenn die Worte nicht mehr unmittelbar auf sein Menschsein verweisen, gibt es kein Christentum mehr. Gibt es diese wunderbare Geschichte nicht mehr. Gibt es weder Schöpfung noch Gnade; so stimmt es auch, daß sie die Schöpfung und die Gnade verwechseln, soweit gehen zu sagen, daß in der Sünde Heil zu finden ist. Alles wird verwechselt, weil da nicht mehr der unmittelbare Verweis auf sein Menschsein ist, auf seine Geschichte.

Ich möchte nun drei Dinge ansprechen, auf die die Weihnachtslieder, die wir heute abend gehört haben, verwiesen haben.
1. Das erste, das, wogegen die Gnosis, die große gnostische Häresie vor allem kämpft, ist die Tatsache, daß das Geschöpf gut ist und von der Ursünde verwundet wurde. Alle Lieder, die wir gehört haben (alle!) sprechen von der Ursünde. Quod Eva tristis abstulit. Sie sagen, daß Eva traurig wurde. So schön war diese Gesellschaft, so schön war das irdische Paradies. Es war eine ständige Überraschung. Sie ist traurig geworden, Eva, als sie sündigte, und hat uns in diese Befindlichkeit fallen lassen, die nicht länger eine schöne ist. Was bleibt, ist das Herz voller Erwartung, aber die Befindlichkeit ist nicht länger eine schöne. Und statt Überraschung gibt es Sorge. Das ist eines der schönsten Dinge, die Péguy sagt. Was hat die Ursünde bewirkt? Sie hat alles zu einer Sorge gemacht. Anstelle der Überraschung hat sie aus allem eine Mühe, eine Sorge gemacht.
Aber zur Ursünde möchte ich euch eine Strophe aus Alessandro Manzonis Gedicht über Weihnachten vorlesen, das die Befindlichkeit des Menschen beschreibt, die von der Ursünde verwundet geboren wurde: „Wer unter diesen zum Haß Geborenen.“ So werden wir geboren nach der Sünde von Adam und Eva, wir werden zum Haß geboren. „Ihr seid alle böse,“ sagt Jesus. „Wer unter den zum Haß Geborenen, / Wer war derjenige, / Der zum unzugänglich Heiligen / Sagen könnte: Verzeih?“. Wer könnte „verzeih“ zum unzugänglich Heiligen sagen, der kein Antlitz hatte? Denn vor dem Menschsein Jesu hatte das Geheimnis kein Antlitz, das man schauen konnte, vor diesem Menschsein, das man schauen konnte, das Maria, das Josef geschaut haben. Diese beiden jungen Menschen, die als erste Gott geschaut haben, als sie, Marie, Ihn geboren hat.
„Wer unter den zum Haß Geborenen, / Wer war derjenige, / Der zum unzugänglich Heiligen...“ Unzugänglich. Zu dem man nicht gelangen kann. Immerhin heißt es in einem Lied: „Du bist das offene Himmelstor“, du, Muttergottes, du, Seine Mutter, bist das weit offene Tor, pervia, leicht zugängliche, zu Gott. „Wer unter den zum Haß Geborenen, / Wer war derjenige, / Der zum unzugänglich Heiligen / Sagen könnte: Verzeih? / einen neuen ewigen Pakt schließen?“. Wer konnte den Bund erneuern, damit das Geheimnis, der Herr, der Schöpfer keine Angst mehr einflößten? Nach der Sünde hat der Mensch nämlich Angst vor Gott: „Ich hatte Angst und habe mich versteckt.“ Wer konnte jene Freundschaft wieder geben, die bewirkt, daß das Sich-Gott-Nähern nicht länger Angst einflößt, sondern zur unsagbaren Gesellschaft wird, einer ständigen Überraschung?.
„Einen neuen ewigen Pakt schließen? / Der siegreichen Hölle / ihre Beute entreissen?“. Der Hölle, die triumphiert hatte, die Beute entreissen.
Das ist die Befindlichkeit des Menschen. Man wird so geboren, und niemand hätte sagen können „verzeih“. Man wird so geboren. Aber gerade, weil man so geboren wird, verurteilen die Christen niemanden. Denn jener Mann, der auf seinem Weg von Jerusalem nach Jericho den Räubern in die Hände fiel, den sie halbtot am Straßenrand liegen ließen, den hat der Barmherzige Samariter – der Jesus ist –, der vorbeikam, nicht verurteilt. Er hat nicht zu ihm gesagt: „Schau nur, in was für einem Zustand du dich befindest.“ Nein, er hatte Mitgefühl mit ihm. Wenn man die Ursünde nicht anerkennt, verurteilen wir einander, erpressen wir einander. Da ist dann nicht einmal jenes Mitgefühl, das ein Heide wie Cicero als die menschlichste der Tugenden bezeichnete. Wir werden verwundet geboren, schlecht geboren. Auf lange Sicht kann niemand allein jene ins Herz geschriebenen Gebote beachten, die 10 Gebote. Nicht einmal die. Wir sind arme Sünder. Der Barmherzige Samariter hat niemanden angeklagt, niemanden gescholten, er nahm den Verletzten in seine Arme, reinigte und verband seine Wunden.
2. Aber etwas ist passiert. Der Mann konnte nicht „verzeih“ sagen, der Mann konnte nicht umkehren – wie der Stein, der vom Berg gefallen ist und nun im Tal liegt, nicht umkehren kann, wenn ihn nicht eine freundliche Macht, eine andere als der Stein, wieder hochwirft. Das sagt auch Manzoni in seinem Gedicht. Und auch Dante: „In deinem Leib entbrannte jene Liebe!“ Vor zweitausend Jahren! Nicht außerhalb der Zeit. Sondern in einem Moment der Zeit. In Nazareth, im äußersten Grenzgebiet des auserwählten Volkes, im Galilea der Heiden. In jenem Moment der Zeit, „in deinem Leib“, im Leib dieser jungen Frau mit Namen Maria, dieser Frau (nicht dieser Frau schlechthin), im Leib dieser Frau (diesem Leib, diesem Fleisch und diesem Blut) „entbrannte jene Liebe“. Die Liebe, die Möglichkeit Vergebung zu erlangen, die Möglichkeit, „verzeih“ zu sagen, entbrannte im Leib dieses jungen Mädchens.
Die Anbetung der Hirten; Caravaggio, 1609, Nationalmuseum Messina.

Die Anbetung der Hirten; Caravaggio, 1609, Nationalmuseum Messina.

„In deinem Leib entbrannte jene Liebe / durch deren Glut“. Nicht durch die Worte, die wir sagen, nicht durch die Antworten, die wir uns ausdenken. „Durch deren Glut.“ Glut, was gibt es Körperlicheres als Glut, Wärme, die Wärme, die im Leib dieses Mädchens entbrannt ist? „Durch deren Glut in diesem ewigen Frieden / uns diese Blume hier erblühen konnte“. „Durch deren Glut“ erblüht das Leben neu, das Leben, dem eine tödliche Wunde geschlagen worden war, erblüht neu. „Durch deren Glut“, durch die Glut dieser menschlichen Präsenz, die im Leib Mariens entbrannte. „In deinem Leib entbrannte jene Liebe / durch deren Glut“. Im Kontakt mit diesem Menschsein, im sichtbaren Kontakt..., denn nach neun Monaten hat sie ihn geboren, mit einer wunderbaren Geburt, einer Geburt ohne Schmerzen. Während das Gebären einer jeden Frau, infolge der Ursünde, ein Gebären unter Schmerzen ist, war das Gebären dieser Frau, dieses jungen Mädchens, ein Gebären im Staunen. Wie schön ist doch das, was die Kirche die jungfräuliche Geburt Mariens nennt. Ein Gebären, das mit Staunen erfüllte. So hat sie ihn geboren, mit einer Geburt, die erst sie, dann Josef, und dann die Hirten... mit Staunen erfüllte und alle, die es gesehen haben.
„In deinem Leib entbrannte jene Liebe, /durch deren Glut in diesem ewigen Frieden“ im Paradies. Im Paradies erblüht das Leben für immer. Aber bereits dort, wenn diese Glut das Herz erreicht, wenn auch nur einen Augenblick lang, wenn auch nur durch einen Tropfen dieses Taus, wenn auch nur mit dem Versprechen einer Frühlingsknospe... diese Wärme, die die Herzen erreicht, ein Aufkeimen erfolgt. „Uns diese Blume hier erblühen konnte.“
Ich will euch vorlesen, auf welch einfache und schöne Weise Pius X. diese Dinge in seinem Katechismus sagt. „Wie ist der Sohn Gottes Mensch geworden? Der Sohn Gottes ist Mensch geworden, indem er einen Leib und eine Seele angenommen hat, wie unsere, in dem reinen Schoß der Jungfrau Maria, durch Wirken des Heiligen Geistes.“ Gott hat einen Leib und eine Seele angenommen, wie auch wir sie haben. Der Leib kam ganz aus diesem jungen Mädchen, ganz aus ihrem Blut, ihrem Fleisch. Und dann. „Hat der Sohn Gottes, der Mensch wurde...“ (denn es ist geschehen, ist geschehen! Verbum caro factum est: es ist geschehen, das ewige Wort ist Fleisch geworden. Vor zweitausend Jahren in Nazareth ist es geschehen!), „...aufgehört, Gott zu sein? Der Sohn Gottes, der Mensch wurde, hörte nicht auf, Gott zu sein, sondern begann, indem er wahrer Gott blieb, auch wahrer Mensch zu sein.“ Und dann, zum Schluß: „Ist Jesus Christus immer da gewesen? Jesus Christus als Gott ist immer da gewesen; als Mensch begann er da zu sein vom Moment der Menschwerdung an.“ Als Mensch begann er zu existieren, als Maria ja gesagt hat.
3. Was geschieht, wenn diese Wärme das Herz des Menschen erreicht, die im Leib dieses jungen Mädchens entbrannte Liebe? „In deinem Leib entbrannte jene Liebe .“ Liebe! Die Möglichkeit, Vergebung zu erlangen. Bis zu diesem Moment, zu diesem Augenblick hatte man nur einen Blick auf diesen Schatten, diesen Widerschein, die Erwartung dieser Liebe, dieser Vergebung erhaschen können. Das Alte Testament ist Schatten, Widerschein im Bezug auf diese Realität. Wenn die Realität kommt, wird der Schatten respektvoll beiseite geschoben. Wenn da die Präsenz ist, die liebt, schaut man diese Präsenz, sieht sich nicht weiter das Foto an. So ist es mit der Beziehung zwischen der menschlichen Realität Jesu und dem Alten Bund. Die menschliche Realität Jesu ist unvorhergesehene und unvorhersehbare Erfüllung einer jeden Erwartung. „Alles ist getan worden im Blick auf Ihn.“
Was löst diese Glut, wenn sie das Herz erreicht, aus? Sie lässt im Herzen die Hoffnung erwachen. Wenn diese Glut des Herz des Menschen erreicht, versetzt sie das Herz des Menschen in Staunen. Die zweite Tugend, die Hoffnung, weist auf dieses Staunen hin. Wenn sie es erreicht, rührt sie das Herz des Menschen. Wenn diese Glut das Herz des Menschen rührt, erlebt der sorgenvolle Mensch einen Moment, in dem er erstaunt ist, in dem er nicht mehr sorgenvoll ist. Eingenommen von tausend Dingen (sorgen-voll bedeutet, daß das Herz von vielen Dingen beschwert ist), das Herz staunt. Und das Herz kehrt um, bleibt oder wird wieder wie das eines Kindes. Wenn diese Glut das Herz erreicht, löst sie Rührung aus, löst dieses Staunen aus, löst diese Hoffnung aus. Diese Hoffnung ist nicht länger das bloße Wissen, daß danach etwas sein wird. Diese Hoffnung ist der Beginn dieses Erblühens des Paradieses auf der Erde. Das Aufkeimen ist der Beginn, ist noch nicht die fertige Blume. Die erste Knospe ist erst der Beginn. Wenn diese Glut das Herz berührt, beginnt das Herz, aufzukeimen. Das nennt man Hoffnung.
Lesen wir Dante. „Hier bist du uns “, hier im Paradies, betet der hl. Bernhard, „die mittägliche Leuchte / Der Nächstenliebe.“ Im Paradies ist es anders als auf der Erde. Denn das Paradies ist diese für immer gesicherte Liebe. Auf der Erde liegt alles nur in der Hoffnung, bzw. im Staunen, in realem, aber prekärem Staunen, da es stimmt, daß man es verlieren kann. Die Gnade Gottes kann man verlieren. So sagt das Dogma des Glaubens auch, daß man ohne eine besondere Hilfe der Gnade nicht in der Gnade bleiben kann. Es ist also eine prekäre Gnade. Eine reale, felsensichere, aber prekäre. „Die Dinge, die geschahen, als sie geschahen, lösten Staunen aus, so sehr war es Gott, der sie bewirkte.“ Mit diesen Worten beschrieb Giussani sein Leben. „Die Dinge, die geschahen, als sie geschahen, lösten Staunen aus, so sehr war es Gott, der sie bewirkte und aus ihnen die Handlung einer Geschichte machte, die vor meinen Augen geschah – und mir geschieht.“ So den Stoff eines Weges webend, der vor meinen Augen geschah und mir geschieht.
„Hier bist du uns die mittägliche Leuchte / Der Nächstenliebe“, hier bist du die leuchtende Sonne der Nächstenliebe, Glanz der Nächstenliebe. Nächstenliebe ist, wenn das Verlangen des Herzens gestillt ist, das, was das Herz wünscht, gegeben ist. „Drunten bei den Menschen“. „Drunten,“ unten auf der Erde, „bei den (sterblichen) Menschen“: wie realistisch das Christentum doch ist: bei denen, die dem Tode entgegengehen. „Drunten bei den Menschen/ Bist du der Hoffnung stets lebendige Quelle.“ Du bist die Möglichkeit, daß sich dieses Staunen immer wieder erneuert. Du! Du, oh Maria, Du, oh Muttergottes, bist die Möglichkeit, daß sich die Gnade Gottes erneuert, bist die Möglichkeit, daß diese Glut („In deinem Leib entbrannte jene Liebe“) unser Herz rührt, es so rührt, daß unser Leben von Anfang zu Anfang geht, fast jeden Augenblick umfaßt. Heiligkeit ist, wenn die Glut fast (fast, denn die Erde ist nicht das Paradies) jeden Augenblick umfasst. Pater Leopoldo war so. Diese Glut, dieses Staunen umfasste sein Herz fast in einem jeden Augenblick, so daß es seinem Herzen teuer war. „Wahres Staunen,“ erkannte Cesare Pavese, „ist nicht aus Neuem gemacht, sondern aus Erinnerung.“ So daß es dem Herzen teuer wird, wie das Haus, in dem das Herz wohnt.
„Hier bist du die mittägliche Leuchte / Der Nächstenliebe, drunten bei den Menschen / Bist du der Hoffnung stets lebendige Quelle.“ Und dann schließt Dante und spricht über das Gebet. Was kann der Mensch tun, der von der Sünde verwundete Mensch und der begnadete Mensch, wenn ihn diese Glut, diese vor zweitausend Jahren im Leib Mariens entbrannte Liebe, erreicht. Der Mensch kann fragen: „So groß bist du, o Herrin, und so mächtig / Daß wer die Gnade sucht und dich nicht bittet / Sich ohne Flügel nach dem Fluge sehnet“. Frau, du bist so groß und so mächtig, daß das Sehnen dessen, der Gnade wünscht und nicht zu dir kommt, fliegen würde ohne Flügel. Doch da ist noch eine andere, noch schönere Strophe, eine noch schönere, weil sie nahe legt, daß auch das Bitten, das Bitten Frucht Seiner Gnade ist. „Und deine Güte kommt nicht nur zu Hilfe / Dem, der da bittet, nein, gar viele Male / Ist sie der Bitte gern zuvorgekommen“. Und das ist ein Geheimnis. Das unergründliche Geheimnis der besonderen Liebe Gottes: der nicht nur die Bitte beantwortet, sondern dem Bitten selbst zuvorkommt. Sonst wüssten wir nicht einmal, wie wir bitten sollten. Deine Güte, Deine, Maria, steht nicht nur dem bei, der bittet, sondern (wir können auch sagen immer, denn sonst bitten wir nicht, sondern stellen Ansprüche oder sagen Worte) „ist der Bitte gern zuvorgekommen“ Geht voraus, kommt zuvor. „Deine Gnade gehe uns immer voran und begleite uns stets.“ Vorangehen heißt zuerst kommen, noch vor der Bitte kommen. Das Bitten erfordert, zumindest am letzten Horizont, von dieser Glut, die im Leib Mariens entbrannt ist, angezogen, angerührt zu sein.

Und damit komme ich zum Schluß. Zuvor, auf Knien, in der Beichtzelle von Pater Leopoldo, habe ich versprochen, mit diesen Worten zu schließen. Das zu sagen, was, meiner Meinung nach, nicht meiner Meinung nach, der Meinung der Heiligen Kirche nach, die Alternative zu der großen Häresie ist, von der ich anfangs gesprochen habe, als ich von Gnostizismus in der Kirche sprach. Judas war es, einer der Zwölf, der ihn verraten hat. Die Verfolgung der Welt, des Teufels, geschieht stets durch Christen. Judas, einer der Zwölf, hat ihn verraten: er war einer der Zwölf! Wie Petrus und Paulus, die in Rom ihr Leben lassen mußten, des Neids einiger Christen wegen. So ist es immer. Auch heute ist es so. Die Alternative zum Antichrist, dem, der Jesus, den Sohn Gottes im Fleische, nicht anerkennt, besteht in drei Dingen.
Das erste ist die Beichte. Die Beichte in der Form, in der sie vom Konzil von Trient definiert wurde. Demütige Gläubigkeit, zu der der Papst erst vor kurzem alle Christen aufgerufen hat. Beichte, die aufrichtiges, vollständiges, demütiges, knappes und umsichtiges Bekenntnis ist (das sind die fünf Merkmale des Sündenbekenntnisses des Katechismus von Pius X. Die aufrichtige und vollständige Beichte jeder einzelnen Todsünde. Die Beichte bringt diesen Realismus mit sich. Für den Sünde Sünde ist). Und die Geste, die einfachste auf der Welt, eines armen Sünders, vielleicht mehr Sünder als du, als der Beichtvater, ist eine Geste, die von ihm getan, aber von Jesus Christus erfüllt wird, eine Geste Jesu Christi vergibt dir. Das Sakrament der Beichte, wie es von Jesus eingesetzt wurde und nach Meinung der Heiligen Kirche sein soll: Urteil und Barmherzigkeit. So stimmt es auch, daß im Katechismus, als ich noch ein Junge war, ein Bild genau beschrieb, daß schlecht zu beichten ein Sakrileg ist. Es war das Bild eines Kindes, das wegging und hinter dessen Rücken der Teufel hervorschaute. Dem gegenüber stand das Bild des Schutzengels bei einem lächelnden Kind, das gut beichtete. Beichten also, wie es die Heilige Kirche verlangt. Das Sakrament der Beichte ist die erste Weise, in der Maria allein alle Häresien besiegt hat. So sagte ein Antiphon der Liturgie, das Don Bosco in seinem Gebet an die Muttergottes wiederaufgegriffen hat: „Du, die du allein [sie allein, nicht wir!] alle Häresie der Welt zerstört hast!“
Die Anbetung der Hirten; Caravaggio, 1609, Nationalmuseum Messina.

Die Anbetung der Hirten; Caravaggio, 1609, Nationalmuseum Messina.

Das zweite ist der heilige Rosenkranz. Ich möchte euch einige Zeilen vorlesen, die Papst Luciani über den Rosenkranz geschrieben hat, als er Patriarch von Venedig war. „Ich persönlich fühle mich, wenn ich allein zu Gott oder zur Muttergottes spreche, lieber als Kind denn als Erwachsener.“ Das gilt für das ganze Leben. Erwachsene im Glauben zu sein bedeutet, sich einfacher dessen bewußt zu werden, was man ist, nämlich gar nichts: „Getrennt von mir könnt ihr nichts vollbringen.“ Papst Luciani fährt fort: „...um mich ganz der spontanen Zärtlichkeit hinzugeben, die ein Kind seiner Mutter und seinem Vater entgegenbringt. Wenigstens eine halbe Stunde lang vor Gott das zu sein, was ich wirklich bin – mit all meiner Erbärmlichkeit und meinen besten Seiten. Der Rosenkranz, dieses einfache und schlichte Gebet, hilft mir, wie ein Kind zu sein. Und dessen schäme ich mich ganz und gar nicht.“ Der Rosenkranz (mit dem Vaterunser, dem Ave Maria, und den Wiederholungs-Stoßgebeten) ist das Gebet, in dem wir das sind, was wir wirklich sind, also nichts. In dem wir aus Gnade zu Kindern werden, in dem das Herz zum Kind wird, so daß es eintritt (daß es eintritt, bereits beim Sagen des Rosenkranzes!) in das Himmelreich. Und damit das Herz neu erblüht.
Und nun das Dritte: die Stoßgebete. Die Beichte, der Rosenkranz, die Stoßgebete. Die Stoßgebete, also die kleinen Gebete. Wie wenn man in die Kirche hineinkommt und sagt: „Lob und Dank sei allzeit dem heiligsten und göttlichsten Sakrament!“ In einem jeden Moment! Und da merkt man vielleicht, daß man schon lange nicht mehr Danke gesagt hat. Aber wenn man in die Kirche eintritt und niederkniet, wiederholt man: „Ihm sei Lob und Dank.“ Und das Danke dieses Augenblicks umfasst alles, umfasst die Stunden, die Tage, die Wochen und Monate, in denen wir nie Danke gesagt haben. Dann noch dieses andere Stoßgebet, dieses so einfache und teure, das uns Giussani so oft ans Herz gelegt hat: „Veni, Sancte Spiritus, veni per Mariam.“ Komm, oh Heiliger Geist. Der Heilige Geist ist derjenige, der im Leib Mariens „die Liebe entbrennen“ ließ. Der im Leib Mariens die Liebe entfachte. Der Heilige Geist ist die unendliche Beziehung zwischen dem Vater und dem Sohn. Das überrascht mich, seitdem ich einen Blick darauf erhascht habe. Ist die unendliche Beziehung zwischen dem Vater und dem Sohn. Die unendliche, ewige, überfließende Beziehung zwischen dem Vater, der den Sohn hervorbringt und dem Sohn, der hervorgebracht wird. Daher ist es aus Überfluß der Beziehung, und nicht aus Dialektik, aus Überfluß an Freude, daß die Trinität die Welt geschaffen, auch mich geschaffen hat. „Veni, Sancte Spiritus, veni per Mariam.“ Komm durch Maria.

Ich möchte mit dem Vers einer Hymne schließen, die uns Giussani vor zwei Wochen ans Herz gelegt hat: „Jesu mi dulcissime“, mein süßester Jesus. Nur das meinte er, das Menschsein Jesu. „Jesu mi dulcissime“, mein süßester Jesus. Nur eine Präsenz ist Süße für das Herz. Süße ist ein Wort, das wir zweimal im Salve Regina der Muttergottes gegenüber wiederholen: „dulcedo“, Süße, „dulcis virgo Maria“. Und so ihr das anvertrauen, wozu wir selbst nicht fähig sind, und was wir oft nicht wollen... „Jesu mi dulcissime, spes suspirantis animae“: Hoffnung, Überraschung, Rührung der Seele, die Sehnsucht empfindet, die wartet („mein Seufzen bleibt dir nicht verborgen“). Das Leben, die Realität lässt uns sehnen. Die Dinge lassen uns sehnen. Die Seele, die sich, auch wenn wir uns dessen nicht bewußt sind, nach dieser Süße sehnt, die Maria neun Monaten lang im Schoß getragen und in Bethlehem geboren hat. „Spes suspirantis animae. Te quaerunt piae lacrymae.“ Fromme Tränen suchen dich. Tränen, weil der Schmerz des Lebens weinen macht. Auch unsere armen Sünden bringen zum Weinen. Und die Tränen verwandeln sich in Tränen der Dankbarkeit. Sonst weinen wir nach einer Weile nicht einmal mehr, auch das Gesicht versteift sich, wird zur Maske. Die Tränen des Schmerzes, angesichts dieser Präsenz, werden Tränen der Dankbarkeit, weil Seine Vergebung, Seine Süße, größer ist.“ „Te quaerunt piae lacrymae et clamor mentis intimae.“ Der Ruf unseres Herzens sucht nach Dir, wenn wir wach sind und wenn wir schlafen. Nach Dir, Jesus Christus, Sohn Mariens, Sohn Gottes, sucht der Ruf eines jeden Herzens. Und uns, aus Gnade, ist es gegeben, schon hier, auf Erden, zu suchen zu beginnen und gefunden zu werden.


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