Aus Die Menschheit Christi ist...

Die Menschheit Christi ist unsere  Gückseligkeit



von Don Giacomo Tantardini


Zunächst einmal ein herzliches Dankeschön, daß Sie mich wieder einmal in diese herrliche Kathedrale eingeladen haben. Danke schon allein deshalb, weil mir diese erneuerte Einladung das Ereignen jener „Gemeinschaft des Geistes“ zu sein scheint, die, wenn sie unentgeltlich geschieht, „die Freude vollkommen macht.“

So schreibt Paulus in seinem Brief an die Philipper (Phil 2, 1-2). Danke auch dafür, daß ich gleich am Eingang vom Pfarrer dieses Doms empfangen wurde, der mich nach dem Niederknien vor dem Tabernakel so selbstverständlich in die Krypta geleitete, damit ich die sterbliche Hülle des Märtyrers, Donninus, verehren könne, über der diese Kathedrale erbaut wurde. Diese so einfache Geste hat mich gerührt, weil eine Kirche zwei Schätze hat. Erstens, den Tabernakel, in dem Jesus ist: ich kann mich noch erinnern, wie mich meine gute Mutter als Kind in die Dorfkirche mitnahm, wo sie auf den Tabernakel zeigte und sagte: „Da ist Jesus.“ Und dann: „Schick Jesus einen Kuß.“ Meine gute Mutter wußte nicht, daß einen Kuß schicken dasselbe ist wie anbeten.Das lateinische Wort für Anbetung heißt ad-oratio, Berührung von Mund zu Mund, Kuß1.

Und dieses Jesus einen Kuß schicken bewegt und bestätigt meinen Glauben jetzt mehr als alle Bücher über Theologie. Der zweite Schatz in einer Kirche sind die sterblichen Hüllen der Märtyrer. Das ist für jemanden wie mich sonnenklar. Jemanden wie mich, dem die Gnade zuteil wurde, in der Diözese Mailand geboren zu sein und dort auch die Priesterweihe empfangen zu haben, das Seminar in Venegono machen zu dürfen. Der schönste Moment des Episkopats des hl. Ambrosius in Mailand war, als er die sterblichen Hüllen der Märtyrer Gervasius und Protasius fand – so hat er sich ja auch zwischen diesen beiden Märtyrern zur letzten Ruhe betten lassen (geht in die Basilika Sant’Ambrogio in Mailand, wo Bischof Ambrosius begraben ist!). „Nequimus esse martyres, sed invenimus martyres / Uns wurde nicht die Gnade zuteil, Märtyrer zu sein, aber wir haben die Märtyrer gefunden“2. Das nur, um Ihnen dafür zu danken, mich heute eingeladen zu haben.

 

 

„Die Menschheit Christi ist unsere Glückseligkeit“: dieser Satz stammt nicht von mir. Es ist der Satz, mit dem Thomas von Aquin den Teil der Summa theologica beginnt, in dem er von Jesus spricht3. Genauso sagt er es: „Ad hunc finem beatitudinis / Diesem ihrem Schicksal der Glückseligkeit [weil eben gerade die Glückseligkeit das Schicksal des Menschen ist: ad hunc finem beatitudinis] / homines reducuntur per humanitatem Christi / werden die Menschen durch die Menschheit Christi zugeführt.“ Ich möchte Ihnen helfen, das Weihnachtsfest und diese Tage sozusagen im Gebet zu leben (weil das Wort Gebet auf alles verweist; weil es auf die Haltung des Menschen dem Geheimnis Gottes gegenüber verweist. Jenem Geheimnis, das – wie der Satz von Giussani andeutet, den wir vorhin gelesen haben – sich in jeder menschlichen Erfahrung erahnen läßt). Und daher möchte ich gerne von einem Satz aus einer Weihnachts­predigt des hl. Antonius von Padua ausgehen, der ein Kirchenlehrer ist, also ein Heiliger; einer, den die Kirche in lehrmäßigen Dingen als sichere, für den Glauben erbauliche Quelle anerkennt.

Antonius, der bei seiner Beziehung zum Jesuskind auch mystische Erfahrungen machte, begann seine Homilie mit folgenden Worten: „Weihnachten: hier ist das Paradies“. Hier ist das Paradies. Als Maria vor 2000 Jahren in Bethlehem niederkam: hier ist das Paradies. Die nicht länger verheißene Glückseligkeit, nicht länger erwartete, nicht länger erhoffte, nicht länger nur von ferne erahnte. Die fleischgewordene Glückseligkeit war präsent. War sichtbar. Als es aus dem Schoß Seiner Mutter kam, war das Glück, also das Paradies, das höchste Glück (wie Dante sagt: „und daß das höchste Glück sich ihm enthülle“4) sichtbar zum Menschen gekommen: hier ist das Paradies.

 

 

So verweist dieser Satz des hl. Antonius (wie der Satz des Thomas von Aquin: „Die Menschen werden hingeführt“, hin-geführt) vor allem auf die Schöpfung Gottes; darauf, daß die Schöpfung gut ist. Die Schöpfung Gottes ist gut, die Schöpfung Gottes ist sehr gut (vgl. Gen 1, 31). Gott war erstaunt über Seine Schöpfung. Gott hat über die Schönheit Seiner Schöpfung gestaunt. „Pulchritudo eorum, confessio eorum“ sagt Augustinus: „Die Schönheit der Sterne ist die Anerkennung, das Zeugnis des Schöpfers“5. Gott selbst hat über die Schönheit Seiner Schöpfung gestaunt und über die Schönheit Seines Geschöpfs, das an der Spitze der Schöpfung steht: die Schönheit des Mannes und der Frau. Und er hat nicht nur gestaunt über diese Schönheit; er hat diese Schönheit mit Gnade – also mit einer noch unentgeltlicheren Schönheit – bekleidet. Schließlich hat er – so das poetische Bild der Genesis – Adam und Eva ins Paradies, in den Garten Eden gesetzt, und im Garten Eden war die Beziehung zum Schöpfer eine unmittelbare. Diese Unmittelbarkeit der Beziehung wird in der Bibel poetisch als Einherschreiten Gottes mit Adam und Eva beschrieben (vgl. Gen 3, 8). Péguy sagt: alles dort ist Staunen, ein Klima des Staunens, ein Klima der Gnade6. Das ist das Paradies, das ist das Schicksal der Glückseligkeit.

 

 

Doch dann kam die Sünde dazwischen, eine schwere Sünde.

Warum ist sie so schwer – auch in ihren Konsequenzen, die wir alle bezahlen – die Erbsünde? Augustinus meint: weil es so einfach war, nicht zu sündigen7. Im irdischen Paradies war es so einfach, nicht zu sündigen, weil das Geheimnis so gegenwärtig nah war, so unmittelbar, weil sich das Staunen Adams und Evas dieser Präsenz gegenüber kontinuierlich erneuerte. Es war so einfach, nicht zu sündigen. Und deshalb war diese Sünde auch so schwer. Es war so einfach, dem Verführer nicht nachzugeben. Es war so einfach, zu erkennen, daß die Glückseligkeit nicht darin bestand, wie Gott zu werden (vgl. Gen 3, 5), sondern daß die Glückseligkeit darin besteht, bei Gott zu sein: das war doch so einfach! Gerade weil es so einfach war, nicht zu sündigen, war die Sünde so schwer. Aber geblieben ist das Herz. Das ist wichtig. Auch Augustinus, der mit so großem Nachdruck die Erbsünde herausstellt – vor allem dem folgend, was ihn Ambrosius, Zeuge der Tradition, in Mailand lehrte8 –, sagt, daß das Abbild Gottes, wenngleich verletzt, im Menschen verbleibt9. Das Herz, wenngleich tödlich verletzt – es stimmt ja auch, daß man stirbt –, das Herz, wenngleich tödlich verletzt, bleibt in sehnsüchtiger Erwartung der Glückseligkeit, bleibt Sehnsucht nach Glückseligkeit, das Herz bleibt des Glückes fähig. „Capax Dei / des Glückes fähig“10. Und daß die Schöpfung so gut ist, wird auch durch sehr menschliche Zeichen bezeugt. Das Lächeln des Kindes, das seinen Vater und seine Mutter anlacht, ist Zeichen dafür, daß Gott Seine Schöpfung nicht verlassen hat. Wenn ein Kind auf die Welt kommt, ist das etwas Schönes. Die menschliche Natur, obgleich verletzt von der Sünde, bleibt Zeichen der Schönheit und Güte des Herrn. Sie erwartet das Glück. Bleibt Erwartung des Glücks.

Nach der Erbsünde hat der Herr zuallererst mit einem Versprechen eingegriffen... Wie schön ist es doch, am Fest Mariä Empfängnis die Bibelstelle über die Erbsünde zu lesen, dieses Versprechen zu hören, dieses schöne Versprechen: „Feindschaft setze ich,“ sagte der Herr zur Schlange, der Verführerin, dem Teufel „zwischen dich und die Frau, zwischen deinen Nachwuchs und ihren Nachwuchs;“ jene, die Satan angehören, dem Teufel, „und ihren Nachwuchs: Er trifft dich am Kopf“ (Gen 3, 15). Der Nachwuchs der Frau wird dich am Kopf treffen. Auch die Frau (wie das Bild der Unbefleckten Empfängnis hier in der Kapelle des Allerheiligsten zeigt) wird dich am Kopf treffen.

 

 

Zur Unterstützung dieses Versprechens hat der Herr Seinem Volk das Gesetz gegeben. Und das Gesetz ist für die Glückseligkeit. Auch das ist schön: alle Gebote Gottes sind für die Glückseligkeit. „Mache das, damit es dir gut geht“ (vgl. Dt 6, 3. 18. 24). Die 10 Gebote sind für die Glückseligkeit. Das Gesetz weist den Weg. Das ist es, was der Apostel Paulus vor allem in seinen Briefen an die Galater und an die Römer am meisten herausstellt: das Gesetz läßt den Weg erkennen, aber das Gesetz bewirkt nicht, daß man den Weg auch geht. Und daher bleibt die Glück­seligkeit in weiter Ferne. Das Gesetz zeigt, wo die Glückseligkeit ist. Das Gesetz und die Propheten haben gezeigt, wo das Glück ist: „Gott nahe zu sein ist mein Glück“ (Ps 73, 28). Soweit Psalm 73, der wunderschön ist. Es ist der Psalm über das scheinbare Glück der Frevler, der davon ausgeht, wie gut es den Frevlern geht, von der Frage, die sich durch den Umstand stellt, daß es jenen, die Gott faktisch leugnen, gut geht. Und der Psalmist ist sprachlos darüber, daß es den Frevlern so gut geht. Und sagt: „Ich war töricht und ohne Verstand; war wie ein Stück Vieh vor dir“ (Ps 73, 22). Und dann entdeckt man: „Dir nahe zu sein ist mein Glück“ (Ps 73, 28), daß Dir nahe zu sein mein Glück ist. Aber es ist eine Sache, das zu wissen, eine andere, danach zu leben. Sehen Sie, genau darin liegt im Grunde dasGeheimnis des Glaubens und das Geheimnis der christlichen Antwort: eine Sache ist es, zu wissen, wo das Glück ist, eine andere, glücklich zu sein; eine Sache ist es, zu wissen, wo der Weg zum Glück ist, eine andere, diesen Weg zu gehen, der zum Glück führt. Und wenn ein Mensch halbtot am Straßenrand liegt – wie in dem Bild vom Barmherzigen Samariter (vgl. Lk 10, 25-37) – dann kann der Mensch allein dem Glück nicht entgegengehen, auch wenn er weiß, daß der Herr das Glück ist. Auch wenn er weiß, daß bei Gott zu sein das Glück ist, auch wenn er das weiß. Ich glaube, daß Augustinus diesbezüglich ein immerwährendes Paradigma ist. Augustinus wußte, daß die Einheit mit dem Schöpfer das Glück ist. „Es war mir gewiß“11, sagt er, und dann: „Das eine [mich deiner Liebe hinzugeben] empfahl sich und überzeugte, das andere [meinen Gelüsten nachzugeben] tat wohl und überwältigte“12. Die weltlichen Gelüste sind verlockender selbst als eine sichere Wahrheit. Die weltlichen Gelüste, eine jede Art von weltlichen Gelüsten. Der Mensch folgt dem, was ihm am besten gefällt13. Die weltlichen Gelüste sind verlockender. Weiter heißt es in den Bekenntnissen: „Daß die wahre Glückseligkeit die Einheit mit Gott ist, war mir klar. Aber von den Bildern der partiellen Freuden konnte der Wille gar nicht lassen“14. Die Erkenntnis der Wahrheit schafft es nicht, den Willen von den Bildern abzubringen – wie wahr! – von den weltlichen Gelüsten, den Freuden, die keine wahren sind, den partiellen Freuden, die Augustinus als andere, nicht wahre Freuden, definiert.

Und doch kann auch die Erkenntnis der Wahrheit nicht bewirken, daß der Wille von jenen Bildern, jenen Freuden abläßt. Im besten Fall – und das ist das Beste der Pharisäer- Moral – sagt Platon, daß wir, wenn wir über die Wahrheit sprechen, sogar die Frauen vergessen. Im besten Fall haben wir in diesem Moment eine Vergeßlichkeit. Das Christentum vergißt nichts. Das Fassen der Gnade macht es möglich, auf keusche Weise zu lieben, nicht zu vergessen. Das Beste der Platonischen Moral ist jedenfalls, in diesem Moment des Sprechens über die Wahrheit, das Vergessen eines bestimmten Bildes des Genusses.

Das Gesetz ist gut, weist den Weg. Aber es gibt da ein Meer – sagt Augustinus mit einer leicht verständlichen Metapher –, ein unendliches Meer zwischen dem Gesetz, das auf das Glück verweist, und dem Glück. Der Mensch ist nicht fähig, dieses Meer zu überqueren15.

 

 

Vor zweitausend Jahren ist das Glück gekommen: hier ist das Paradies. Das Glück ist gekommen: nicht länger versprochen, nicht länger angezeigt als Ende des menschlichen Strebens. Das Glück ist gekommen, das Paradies ist gekommen. Es ist gekommen im Fleisch, damit wir es sehen, damit wir es anfassen und umarmen können. So daß Augustinus sagen konnte: „Und ich suchte den Weg [...] zum Genusse Deiner [weil nicht im Wissen der Genuß liegt, sondern man genießt, wenn man gefaßt, ergriffen wird], und noch faßte ich ihn nicht, demütig den Demutsvollen, meinen Gott Jesus“16. Das ist die Erfahrung des Glücks auf Erden: demütig meinen demutsvollen Gott Jesus zu fassen. Nicht Gott, das ferne Schick­sal, sondern Gott, der ein Kind wurde, ein neugeborenes Kind: so ist das Paradies, das Glück zu uns gekommen, so ist uns das Glück nahe gekommen, in unsere Blickweite gerückt, in die Nähe unseres Herzens, in die Nähe unserer Hände, die es fassen können. Das irdische Paradies ist Er: „Treu ist Gott...“. Wie hat mich doch zuerst, als ich die Vesper betete, dieser Satz ergriffen, den ich auf das Bild zum Andenken an meine Priesterweihesetzen ließ. Aber man versteht die Dinge, wenn der Herr sie verstehen läßt... „Treu ist Gott, durch den ihr berufen worden seid zur Gemeinschaft mit seinem Sohn Jesus Christus, unserem Herrn“ (1Kor 1, 9). Die Gemeinschaft ist mit seinem SohnJesus Christus, unserem Herrn. Es ist die Gemeinschaft seines Sohnes Jesus Christus, unseres Herrn. Das Glück des Menschen ist Jesus Christus. Es ist dieser Mann, in seiner Einzigartigkeit, ja, ich würde sagen in seiner Individualität17: dieser Mann. Die Gemeinschaft Seines Sohnes Jesus Christus, unseres Herrn.

 

 

Es gibt da einen Vorgeschmack auf dieses Paradies, diese Möglichkeit des Fassens, diese Möglichkeit der Vertrautheit mit Jesus Christus; mit dem Paradies, das einen Namen hat, ein Gesicht, einen Leib: Jesus Christus. Dieser Vorgeschmack ist die Unbefleckte Empfängnis. Denn 16 Jahre zuvor (Maria muß ungefähr 15 Jahre alt gewesen sein, als sie Jesus em­pfing), als Joachim und Anna auf die natürlichste Weise dieses kleine Geschöpf empfangen haben – wie ein jeder von uns empfangen wurde –, war dieses kleine Geschöpf nicht von der Erbsünde befleckt. Seit jenem Moment, jenem Moment, in dem sie empfangen wurde, wurde sie geliebt. Sie wurde geliebt. Sie war auserwählt. Das ist eine unerhörte Sache, daß es in dieser Welt ein Geschöpf gibt, das immer geliebt worden ist. Denn von hier muß man ausgehen, um die Muttergottes zu verstehen: ein Geschöpf, das immer geliebt wurde; das nie die Wunde der Fremdheit dem Glück gegenüber hatte; das immer vom Glück geliebt wurde, das der Herr ist; das immer geliebt wurde. Sie ist immer geliebt worden, weil sie, auch in jenem ersten Moment, vor der Erbsünde bewahrt wurde. Nicht aber durch ihr eigenes Zutun, denn auch Maria wurde erlöst. Maria ist erlöst, wie ein jeder von uns von dem einzigen Retter erlöst ist. Pius IX. hat in seinem Dogma von der Unbefleckten Empfängnis zwei Dinge anerkannt: erstens, daß sie erlöst ist, und zweitens, daß sie auf erhabenere Weise erlöst ist, wie es das II. Vatikanische Ökumenische Konzil definiert18. Sie ist im voraus erlöst und vor jeglichem Makel der Erbsünde bewahrt worden19. Sie wurde bewahrt vor der Wunde der Sünde, also ist sie immer geliebt worden, wegen des Blutes ihres Sohnes, wegen dieses Blutes, das sie ihrem Sohn gegeben hat. InVorausnahme des Todes ihres Sohnes, sagt das Dogma. In Vorausnahme dieses am Kreuz vergossenen Blutes, in Vorausnahme dieses Blutes, das das Blut ihres Sohnes war, und das sie ihm in jenen neun Monaten gegeben hat, die sie ihn in ihrem Schoß trug. In Vorausnahme dieses Blutes, das das Blut Jesu war und von Maria kam20. In Vorausnahme dieses Blutes Jesu ist sie immer geliebt worden, ist sie vom ersten Moment an erlöst, vom ersten Moment ihrer Existenz an vor der Sünde bewahrt worden.

So beschreibt Ambrosius in – wie ich meine – wunderbarer Weise dieses kleine Geschöpf, dieses kleine Mädchen, das Maria heißt. Er beschreibt sie so: „Virgo erat Maria / Maria war Jungfrau / corde humilis / und von Herzen demütig / in prece pauperis spem reponens / und sie setzte all ihre Hoffnung in das Gebet der Armen, in die Bitte der Armen“21. So lebte dieses Geschöpf, wegen seiner Gnadenfülle, der Gnadenfülle, mit der es vom ersten Moment seiner Existenz an erfüllt war. Als Jungfrau zu leben ist also wie immer geliebt zu sein. Die Jungfräulichkeit ist jene Unentgeltlichkeit, die das Geliebtsein dem Leben gibt. Diese Möglichkeit der Unentgeltlichkeit, also des Besitzes, die das Geliebtsein im voraus dem menschlichen Leben schenkt. Sie lebte als Jungfrau. Von Herzen demütig, weil sie immer geliebt wurde. Nicht sie selbst hatte sich dieses immer Geliebtsein geschenkt. Man kann sich das Geliebtsein nicht schenken, man kann es nur empfangen. Sie war von Herzen demütig und setzte so all ihre Hoffnung, alle Hoffnung ihres Lebens auf das Gebet der Armen, auf das Verlangen danach, daß diese Liebe in einem jeden Moment erneuert werden möge, daß diese Gnadenfülle kontinuierlich erneuert werden möge. Denn auch im Paradies werden wir immer danach verlangen, wie der Papst letztes Jahr so wunderschön in Köln gesagt hat22: auch im Paradies werden wir immer danach verlangen. Im Paradies werden wir immer danach verlangen. Auch im Geheimnis der Trinität erhält der Sohn stets sein ganzes Sein vom Vater und, wenn ich es einmal so ausdrücken darf, verlangt in einem unendlichen Überfluss der Wonne auch stets danach. So sagt er schließlich auch: „Der Sohn kann nichts von sich aus tun“ (Joh 5, 19. 30). Wie sehr gefällt mir, wie sehr tröstet mich doch dieser Satz, den Jesus zweimal im Johannes-Evangelium wiederholt: „Der Sohn kann nichts von sich aus tun.“ Seine Gottheit ist „kein eifersüchtig gehüteter Besitz“(vgl. Phil 2, 6): die Gottheit des Sohnes Gottes ist ewiges Geschenk: Gott von Gott, Licht von Licht, wahrer Gott von wahrem Gott, gezeugt, nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater.

 

 

Ich möchte nun gerne das ansprechen, was am Ereignis des Paradieses am meisten erstaunt: „Der Engel Gabriel wurde von Gott in eine Stadt in Galiläa namens Nazaret zu einer Jungfrau gesandt“ (Lk 1, 26-27). Zu einer Jungfrau: wie oft wird das im Evangelium wiederholt! Einer Jungfrau: im Herzen und an ihrem Leib; an ihrem Leib, weil im Herzen, aber an ihrem Leib!

Man muß die Glaubenslehre annehmen: daß sie immer im Herzen und an ihrem Leib Jungfrau geblieben ist. Weil diese Gnadenfülle das Heil des Fleisches ist. „Zu einer Jungfrau, die mit einem Mann namens Josef verheiratet war, der aus dem Haus David stammte. Der Name der Jungfrau war Maria. Der Engel trat bei ihr ein und sagte: „‚Sei gegrüßt, du Begnadete‘ [‚chàire kecharitomène / Freue dich, du von Freude Erfüllte‘], der Herr ist mit dir“ (Lk 1, 28).

Virgo Verbum concepit / die Jungfrau hat das Wort empfangen / Virgo permansit / und ist Jungfrau geblieben / Virgo genuit Regem omnium regum / die Jungfrau hat den König aller Könige geboren.“ Das ist die Antiphon, die wir – als ich als Junge ins Seminar Sankt Peter Märtyrer in Seveso eingetreten bin, in der vierten Gymnasialklasse – immer sonntags bei der Vesper sangen. In der Basilika, wo sich das Messer befindet, mit dem dieser Dominikaner ermordet wurde. Das Martyrium dieses Dominikaners war etwas Erschütterndes für die Kirche des Mittelalters. Ein Martyrium auf christlichem Boden war ein außergewöhnliches Ereignis.

Als Petrus von Verona, der aus Como nach Mailand gekommen war, im Wald nahe Seveso ermordet wurde, war sein Martyrium etwas Erschütterndes für die Christenheit jener Zeit23. Ich sagte, daß damals, als ich in der vierten Gymnasialklasse ins Seminar eingetreten war, sonntags in der Basilika die Vesper zur Muttergottes gebetet wurde. Und die Vesper zur Muttergottes endet in der ambrosianischen Liturgie mit dieser kleinen Antiphon: „Virgo Verbum concepit...“.

Sie hat gesagt fiat, da bin ich. „Ich bin die Magd des Herrn. Mir geschehe, wie du es gesagt hast“ (Lk 1, 38). „Da bin ich“ ist ein Gebet. „Mir geschehe, wie du es gesagt hast“: das ist ein Gebet. Weil nur Gott allein erschafft, nur das fiat Gottes ist Erschaffer. Das fiat Marias, jenes fiat, das den eingeborenen Sohn Gottes empfangen hat, jenes fiat war ein Gebet. Es war kein Heroismus von ihr, war nicht ihr Können, es war ein Gebet: „da bin ich, es soll sein, es geschehe“.

„Es geschehe“ ist eine Bitte. Und sie hat Ihn ebenso jungfräulich empfangen, wie sie Ihn jungfräulich geboren hat. Wie wichtig ist doch die virginitas in partu Marias. Wie wichtig ist es doch, die Gewißheit des Glaubens zu akzeptieren, daß sie Ihn jungfräulich geboren hat. Weil das Heil nicht vom Leiden kommt! Das Heil kommt von der Gnade. Das Heil kommt von der Gnade, es kommt nicht vom Leiden, das Heil kommt vom Geliebtsein. Es kommt nicht vom Schmerz des Menschen, das Heil! Es kommt von der Glückseligkeit Gottes, es kommt von der Fülle der Glückseligkeit Gottes, das Heil! Das Heil kommt immer vom Geliebtsein. Daß sie Ihn in einer Geburt ohne Schmerzen geboren hat24, daß sie Ihn in einer Geburt ohne Gewalt geboren hat, daß sie Ihn jungfräulich geboren hat, also im Staunen, ist ein Zeichen dafür, daß das Heil aus dem Geliebtsein kommt. Die Gewißheit des Glaubens bezüglich der jungfräulichen Geburt wird von Pius XII. in der Enzyklika Mystici Corporis mit folgendem Ausdruck beschrieben: „Sie hat ihn in Wundern geboren.“ Während ein jeder von uns durch eine mit Schmerzen verbundene Geburt zur Welt gekommen ist, war jene Geburt eine wundersame Geburt, ohne Schmerzen, ohne Gewalt: weil das Heil von der Gnade kommt. Das Heil wird nicht von der Sünde geboren, das Heil wird nicht von der Wüste geboren: es erblüht in der Wüste, läßt die Wüste erblühen, kommt aber vom Geliebtsein. Das Geliebtsein wird von der Glückseligkeit Gottes geboren. Man wird wegen eines Überflusses an Glück geliebt, das die Trinität ist, man wird wegen des Überflusses an Entsprechung geliebt, das die ewige Liebe des Vaters und des Sohnes ist, die wir Heiliger Geist nennen. Man wird aus Gnade geliebt. Die Niederkunft Marias, die wundersame Niederkunft Marias ist das physische Zeichen, das fleischliche Zeichen, daß das Heil nicht von uns kommt, daß das Heil nicht vom Leiden kommt, daß das Heil nicht vom Schmerz kommt, daß das Heil nicht vom Aufschrei des Menschen kommt. Das Heil kommt durch die Gnade Gottes, unendliches Glück, kommt durch einen Überfluß an Gnade.

Genauso die Jungfräulichkeit Josefs. Und so kann man die Tatsache, daß Maria immer Jungfrau geblieben ist, aus Erfahrung erahnen: wenn man nicht die Erfahrung des Paradieses hat, des Paradieses auf Erden, kann man nicht erahnen, daß die Liebe, also das gegenwärtige Paradies, stärker ist als die Anziehungskraft, stärker als die wenngleich natürliche Anziehung zwischen Mann und Frau. Thomas von Aquin sagt, daß die Caritas als Anziehung für den Menschen – wenngleich von der Sünde verwundet – eine stärkere Anziehung, ein größerer Genuß ist als jede natürliche Anziehungskraft25. Die Anziehung der Caritas als verlockende Anziehung ist nicht mit der natürlichen Anziehung zwischen Mann und Frau vergleichbar. Vielleicht haben sie Josef als alten Mann beschrieben, weil sie hierzu keine Erfahrung hatten, sozusagen um die Jungfräulichkeit der Muttergottes zu verteidigen. Dabei war es doch das gegenwärtige Paradies, war es das gegenwärtige mehr, das diese Beziehung so jungfräulich, so menschlich machte: kein Mann hat seine Frau so geliebt wie Josef Maria geliebt hat. Weil es eine Liebe war, die aus dem Glück geboren wurde, nicht aus einem Mangel, wie das mit unserer armseligen Zuneigung oft ist. Wenn sie aus einem Mangel geboren wird, ist die Zuneigung unweigerlich von einer unterschwelligen Gewalt geprägt. Sie wurde aus einer Fülle des Glücks geboren: das war die Liebe dieses Mannes, die Liebe dieses armen Mannes namens Josef zu dem schönsten Geschöpf, das Maria war. Es wäre ein weniger gewesen, wenn ihre Beziehung nicht jungfräulich gewesen wäre. Es wäre ein weniger gewesen. Ein weniger an Freude. Es war menschlich unmöglich, sich nicht an der Fülle des gegenwärtigen Paradieses zu erfreuen. Und das tut der Menschheit keinen Abbruch. Die Weihnachtsvesper der ambrosianischen Liturgie endet mit folgender Antiphon: „Ioseph conturbatus est de utero virginis / Josef war verwirrt, als er bemerkte, daß Marias Bauch immer dicker wurde, weil sie schwanger war“. Eines der Dinge, die auf exegetischer Ebene meinen Glauben gestärkt haben, wurde mir von dem verstorbenen Don Saldarini suggeriert, wenn er, im ersten Jahr Theologie, die Stelle im Matthäus-Evangelium erklärte, wo es heißt: „Josef, ihr Mann, der gerecht war und sie nicht bloßstellen wollte, beschloß, sich in aller Stille von ihr zu trennen“ (Mt 1, 19). Er wollte sich von ihr trennen, nicht, weil er an Maria zweifelte, sondern weil er bemerkt hatte, daß das Geheimnis gegenwärtig war und wirkte. Gerechtigkeit bedeutet für die Juden angesichts des Geheimnisses, das am Werk ist, auf Distanz zu bleiben(vgl. Ex 3, 5). Josef hat nie an Maria gezweifelt; er hat nicht gezweifelt, als er merkte, daß der Bauch Marias immer dicker wurde, weil sie schwanger war. Er hat nie gezweifelt. Aber weil er gerecht war, wollte er eben nicht in das gegenwärtige Geheimnis eingreifen, das Geheimnis des unendlichen Gottes, das sich in seiner Frau sichtbar, greifbar machte. Und so dachte er daran, sich in aller Stille von ihr zu trennen. Und der Engel erschien dem Josef und sagte zu ihm: „Josef, fürchte dich nicht, Maria als deine Frau zu dir zu nehmen, denn das Kind, das sie erwartet, ist vom Heiligen Geist“ (Mt 1, 20). In einem der schönsten Verse des Weihnachtshymnus’ des hl. Ambrosius heißt es: „Non ex virili semine / Nicht aus dem Samen des Mannes / sed mystico spiramine / sondern aus dem Hauch der Gnade / Verbum Dei factum est caro / wurde das Wort Gottes Fleisch / fructusque ventris floruit / und die Frucht des Leibes Marias blühte auf“26. „Blühte auf,“ wie Giussani am 24. Dezember 2004 sagte, zwei Monate vor seinem Tod: „es ist an jenem Ort [Bethlehem] aufgeblüht“27. Der Leib Marias blühte auf, die Frucht ihres Leibes blühte auf.

 

 

Vor einer Woche habe ich einen Journalisten von 30Giorni gebeten, Kardinal Martini in Jerusalem anzurufen und ihn zu fragen, ob er uns nicht eine Meditation zu Weihnachten schicken könne. Und nur 24 Stunden später, am Tag darauf, schickte Kardinal Martini aus Jerusalem tatsächlich eine wunderschöne Meditation. Eine so schöne, daß sie – mit Verweis auf der Titelseite – auch die Turiner Zeitung La Stampa in vollständigem Wortlaut veröffentlichte28. Die Meditation von Kardinal Martini ist schön vom ersten bis zum letzten Wort. Da ist ein Satz, der sie zusammenfaßt. Wenn Weihnachten so schlicht ist, wenn es die Schlichtheit eines Kindes ist, das geboren wird, geboren in wundersamer Weise, aber geboren von einer Frau und dem Gesetz unterstellt (vgl. Gal 4, 4), wenn das Geheimnis so menschlich ist, dann muß es auch menschlich, einfach sein, dieses zu erkennen. Der Glaube kann nur einfach sein. Wenn er in so einfacher Weise auf die Welt gekommen ist, kann er nicht gekommen sein, um uns das Leben zu verkomplizieren. Wenn das Glück gekommen ist, kann es nur einfach sein, das Glück zu fassen. Kann es nur einfach sein, froh zu sein, das Glück zu fassen. Sonst wäre es genug, das Gesetz zu halten, wäre uns schon damit angezeigt, wie wir das Glück erlangen können, wie wir ins Paradies kommen (vgl. Mt 19, 17). Deshalb genügte Moses, denn das Gesetz wurde durch Moses gegeben (vgl. Joh 1, 17). Es wäre unnötig gewesen, daß das Glück kommt, wenn man es dann nicht auch einfach fassen kann, wenn man es dann nicht auch einfach erkennen kann. „So hätt’ Maria nicht gebären müssen“29, würde Dante sagen. Und für die Hirten war es ja auch wirklich einfach, Ihn zu erkennen. Es war einfach, nachdem sie die Ankündigung der Engel gehört hatten, dieses Kind zu erkennen. Sie haben nicht erkannt, daß es die Zweite Person der Heiligen Dreifaltigkeit war, die Mensch geworden ist. Nein. Sie haben nur entdeckt, daß sie etwas so Schönes, eine so menschliche Glückseligkeit noch niemals im Leben erlebt hatten. Das haben sie erkannt. Angesichts dieses Kindes, angesichts Josefs und Seiner Mutter Maria haben sie erkannt, daß sie eine solche Erfahrung noch nie gemacht hatten. Sie haben erkannt, daß sie noch nie erlebt hatten, daß etwas so sehr dem Herzen entspricht.

An dieser Stelle möchte ich eine Passage vorlesen, die meiner Meinung nach eine der schönsten, der typischsten Giussanis ist. Darin sagt er, was diese demütige Beziehung zu dem demütigen Jesus ist, dieses demütige Fassen des demütigen Jesus, dieses demütige Fassen der Glückseligkeit auf Erden, diese unsere Gemeinschaft mit seinem Sohn Jesus Christus, diese Möglichkeit der Vertrautheit mit seinem Sohn Jesus Christus. Giussani sagt: „Deine Beziehung zu Christus muß nicht hochentwickelt, schlau und reif sein, damit deine Persönlichkeit daraus hervorgeht und damit deine Persönlichkeit daraus Gesellschaft zu schaffen weiß [zu lieben weiß. Wenn man unentgeltlich geliebt wird, kann man aus freiem Willen unentgeltlich wiederlieben]. Es genügt die Überraschung, die Johannes und Andreas empfanden [die die ersten beiden waren, am Anfang seines öffentlichen Lebens, die Ihm begegnet sind], die nichts verstanden [die nichts verstanden hatten, und die doch alles verstanden hatten: schließlich begegnete Andreas seinem Bruder Petrus und sagt zu ihm: „Wir haben den Messias gefunden“ (Joh 1, 41). Das, was sie erwarteten, das hatten sie gefunden. Und so hatten sie alles gefunden: weil das, was das Herz erwartet, alles ist. Und so hatten sie alles verstanden. Es genügt die Überraschung, die Johannes und Andreas empfanden, die nichts verstanden hatten]; es genügt die Überraschung, es genügt die Andeutung der Verehrung, es genügt das Staunen. Genauer gesagt: es genügt, zu bitten...“30. So war es auch mit den Sterndeutern. Wie schön ist doch die Tatsache, daß die Sterndeuter ausziehen wegen einer Ankündigung. Die Hirten machen sich auf nach Bethlehem, weil die Engel verkündigen, ziehen also aus auf ein Wort hin, das sie vernommen haben. Die Sterndeuter dagegen wegen eines Hinweises, den sie bekommen hatten. „Sic Magi ab ortu solis / per sideris indicium“: so heißt es im Mysterium Ecclesiae der Vesper zur Muttergottes, die ich als Kind sonntags im Seminar Sankt Peter Märtyrer betete. Auf einen Hinweis hin, den Hinweis eines Sterns. Wie Kardinal Martini in seinem Artikel in 30Tage sagt, den Sie lesen sollten. Es genügen kleine Hinweise, um zu glauben. Schließlich stimmt es, daß Johannes glaubte, als er am Ostermorgen zum Grab lief und nur das Schweißtuch sah, das in einer Weise gefaltet war, die erkennen ließ, daß der Herr auferstanden war: es war dieser kleine Hinweis. Die Sterndeuter machen sich wegen eines kleinen Hinweises auf den Weg, einem Stern, und setzen ihre Reise fort, indem sie dem Stern folgen. Doch dann sehen sie den Stern auf einmal nicht mehr. Und es ist wunderschön, daß sie fragen, als sie ihn nicht mehr sehen. Wenn man keinen Stern mehr sieht, kann man nichts anderes tun, als fragen. Nicht wir können die Gnade besitzen, wir können sie nicht besitzen.

Sie ist kein Wissen, das man besitzt. Wenn man die Gnade nicht mehr sieht, die vorausgeht, kann man nur fragen. Sie haben gefragt, sie haben sogar Herodes gefragt, sie haben nur gefragt. Man folgt der Gnade, und wenn der Stern der Gnade nicht deutlich erkennbar ist, kann man nur fragen. Und dann – „videntes stellam Magi gavisi sunt gaudio magno valde31 (vgl. Mt 2, 10) – als sie ihn wiedergesehen haben, als Neuanfang, als sie ihn wiedergesehen haben (die Worte der Liturgie wissen nicht, wie sie diese Freude eines Neubeginns ausdrücken können, weil diese Freude noch schöner ist, „gavisi sunt gaudio magno valde“), haben sie sich an einer Freude erfreut, einer noch größeren, einer noch schöneren Freude. Giussani fährt fort: „Genauer gesagt ist es genug, darum zu bitten [weil das Staunen darum bitten läßt]; diese embryonale Wahrnehmung dessen, was Er ist, die dich darum bitten läßt, warum du darum bittest, ist genug“32. Um diese Erfahrung auf der Erde beginnen zu lassen, um die Glückseligkeit auf Erden zu fassen, um, demütig, den demütigen Jesus zu fassen, ist diese embryonale Wahrnehmung genug, wegen der du nach Ihm fragst, diese embryonale Wahrnehmung, diese embryonale Wonne, wegen der du um Ihn bittest. Das ist genug, um auf der Erde damit zu beginnen, die Glückseligkeit zu fassen.

 

 

So möchte ich nun abschließend etwas vorschlagen, das das letzte war, was der Herr mir zu erahnen auf den Weg gab, den Er gibt. Weil er die Dinge zu ihrer Zeit gibt, zu ihrer Zeit! Man kann nichts vorwegnehmen, man kann nur danken für die Dinge, die geschehen. Und die Dinge, die geschehen, während sie geschehen, machen jenen goldenen Faden evident, der die ausgesuchte Liebe des Herrn ist. Ausgesuchte Liebe, die beim Auf-die-Welt-Kommen und bei jenem zum-Leben-der-Gnade-Kommen beginnt, das die Taufe ist, weshalb auch das Auf-die-Welt-Kommen etwas Wunderschönes wird. Die Dankbarkeit dem Vater und der Mutter gegenüber, die dich zur Welt gebracht haben, die mich zur Welt gebracht haben, wird unvergleichlich einfacher, unvergleichlich teurer, näher, wenn ich erkenne, daß ich durch sie zum Tauf­becken gebrachtworden bin. Und nach der Taufe, wie mir meine gute Mutter einmal erzählt hat – genau gesagt, hat sie es meinen Schwestern erzählt, die es wieder mir erzählt haben –, nach der Taufe hat sie mich zum Altar der Muttergottes gebracht, um mich der Muttergottes darzubieten. Unvergleichlich ist die Zuneigung, die man für seine Mutter empfindet, die einem das Leben geschenkt hat, wenn man von dieser so christlichen und menschlichen Geste erfährt, ihren ersten Sohn der Muttergottes darzubieten.

Ich will sagen, daß wenn man das Leben auf das Gebet zurückführt und somit auf das Faktum: „der Herr aber sorgt für mich“ (Ps 40, 18) (schließlich schenkt das Gebet, dieses Sich-Erneuern des Fassens des demütigen Jesus, dem Leben jene heitere Gelassenheit des Kindes, dieses „der Herr sorgt für mich“), und wenn dieses „der Herr aber sorgt für mich“ wirklich unsere armselige Person fasst, man dann zu entdecken beginnt, daß der Herr für alle sorgt. Und dann wird die Barmherzigkeit allen gegenüber wie die letzte Gnade, wie der letzte Weg der Gnade, den der Herr schenkt. Weil ich oft mit einer bis zu Tränen gerührten Dankbarkeit wiederholt habe:„der Herr aber sorgt für mich.“ Es kann aber sein, daß man, wenn man ein Kind ist, aber kein ganz kleines Kind, sondern ein fünf-, sechs-, siebenjähriges Kind, spielen und gewinnen will (und das entspricht der Natur des Menschen, Gewinnen ist das natürliche Verlangen des Menschen, und dieses natürliche Verlangen wird im Paradies vollkommen sein. „Unglücklich sind jene,“ sagt Augustinus, „die den ständigen Kampf dem Sieg vorziehen, wo man doch nur kämpfen kann, um zu gewinnen“33).

Wenn man ein vier-, fünf-, sechsjähriges Kind ist, will man gewinnen, aber man will auch, daß die anderen verlieren. Man will auch, daß die anderen besiegt werden. Wenn man dagegen noch ganz klein ist, wenn man noch ganz klein ist, will man nur siegen. Wenn man noch ganz klein ist, schläft man im Arm seines Vaters und seiner Mutter ein, und was kümmert es einen da schon, ob die anderen verlieren, ob die anderen besiegt werden. Und das ist der Anfang dieses: „Seid barmherzig, wie es auch euer Vater ist“ (Lk 6, 36), „denn er läßt seine Sonne aufgehen [...] über Gerechten und Ungerechten“ (Mt 5, 45) und schenkt das Leben, und in der Barmherzigkeit, vielleicht im letzten Augenblick, schenkt er auch den schlechtesten Menschen das ewige Leben. „Seid barmherzig, wie euer Vater barmherzig ist.“ Und das kommt daher, so sehr geliebt zu sein, kommt aus diesem: „Der Herr aber sorgt für mich.“ Wenn er aber wirklich für Leib und Seele sorgt – weil der Herr für alles sorgt, weil „der Herr aber für mich sorgt“ – wie schön ist es dann, daß er für alle sorgt! Wie schön ist doch dieses – wie Manzoni in La Pentecoste sagt –: „Dem Besiegten sei der Sieger göttlicher Preis.“ Daß es also in einer schlechten Welt keine Besiegten gibt, sondern alle von diesem so sehr Geliebtsein besiegt werden, von dieser Glückseligkeit, die wir vor Augen haben, in der Nähe unseres Herzens, in so greifbarer Nähe, daß wir sie beinahe mit Händen fassen können. Daß „dem Besiegten sei der Sieger göttlicher Preis.“ Der Lohn der Besiegten sei der Sieg, das Glück selbst, der Sieger. Jener, der allein siegt, der allein gesiegt hat, weil er nur verlockt, das Herz verlockt als höchste Freude. Jener, der allein das Herz in der Fülle der Entsprechung verlockt und es im Paradies verlockt auf ewig.

 

 

Lassen Sie mich zum Schluß eine Passage des Augustinus über die Schönheit Jesu verlesen: „Uns also, die wir Ihn erkennen, kommt das Wort Gottes in einer jeden schönen Gelegenheit entgegen / pulcher Deus, Verbum apud Deum, / schön wie Gott, Wort beiGott / pulcher in utero virginis, / schön im Schoß der Jungfrau, wo Er die Gottheit nicht verlor und die Menschheit annahm, schön das Kind, das gerade geboren wurde; weil, auch als er ein Kind war, das Milch saugte und im Arm getragen wurde, die Himmel von Ihm erzählten. Seinen, des kleinen Kindes Lospreis, haben die Engel gesungen, zu Ihm haben die Sterne die Sterndeuter geführt. Er wurde in der Krippe angebetet, der Mythen Nahrung. Schön also im Himmel, schön auf Erden; schön im Schoße Marias, schön, von seinen Eltern in den Arm genommen [von Maria und Josef], schön in den Wundern, schön auch in der Geißelung. [Ja, auch in der Geißelung, weil – wie Augustinus sagt – in der Geißelung, als er so schrecklich zugerichtet war, wenn man bedenkt, warum er so geworden war, warum er sich von den Geißeln so hatte schlagen lassen, wenn man die Barmherzigkeit bedenkt, aus der er sich um deiner, um deiner Liebe willen, so hat geißeln lassen, ist er schön auch in der Geißelung. Als Ihn Maria zu Füßen des Kreuzes in den Arm nahm ("vidit suum dulcem Natum morientem desolatum / sie sah ihr liebes Kind, ihren lieben Sohn, allein sterben, allein am Kreuz sterben"34), als sie Ihn in den Arm genommen hat, gab es nichts Schöneres als ihren so schrecklich zugerichteten Sohn. Und als der gute Schächer zu ihm sagte: "Jesus, denk an mich, wenn du in dein Reich kommst" (Lk 23, 42), hatte er in seinem ganzen Leben nichts Schöneres gehört als in diesem Moment, im Moment des Todes, als ihm gesagt wurde: "Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein" (Lk 23, 43)]. Schön in den Wundern. Schön in der Geißelung, schön, als er einlud, ihm nachzufolgen; schön, als er den Tod nicht schmähte; schön, als er sein Leben aushauchte; schön, als er von den Toten auferstand / pulcher in ligno, pulcher in sepulcro, pulcher in coelo / schön am Kreuz, schön auch im Grab, schön im Himmel“35.

Danke.

 

 

Anmerkungen

1 Vgl. Benedikt XVI., Homilie bei der Messe in Köln, 21. August 2005.

2 Ambrosius, Hymnus Grates tibi, Iesu, novas; vgl. Antico Breviario Ambrosiano, in festo sanctorum Gervasii et Protasii martyrum (19. Juni).

3 Thomas von Aquin, Summa theologiae III q. 9 a. 2.

4 Dante, Das Paradies XXXIII, 33.

5 Augustinus, Sermones 241, 2.

6 Vgl. Ch. Péguy, Eva, Oeuvres poétiques complètes, Gallimard 1975, S. 935.

7 Augustinus, De civitate Dei XIV, 15, 1.

8 Vgl. Augustinus, Contra Iulianum opus imperfectum 6, 21.

9 Vgl. Augustinus, De Trinitate XIV, 8, 11.

10 Ebd.

11 Augustinus, Bekenntnisse VIII, 5, 12.

12 Ebd.

13 Vgl. Augustinus, In Evangelium Ioannis XXVI, 4.

14 Vgl. Augustinus, Bekenntnisse X, 22, 32.

15 Vgl. Augustinus, In Evangelium Ioannis II, 4.

16 Augustinus, Bekenntnisse VII, 18, 24.

17 Vgl. L. Giussani, „Mir scheint, daß sie nicht Christus suchen“, in L’attrattiva Gesù, Bur, Mailand 1999, S. 148.

18 Dogmatische Konstitution Lumen gentium, Nr. 53; Paul VI., Credo des Gottesvolkes, 30. Juni 1968.

19 Pius IX., Bulle Ineffabilis Deus (Denzinger 2803).

20 Vgl. Stundengebet, Hochfest der Gottesmutter Maria, Leseoffizium, zweite Lesung :aus den Briefen des hl. Bischofs Athanasius.

21 Ambrosius, De virginibus II, 2; vgl. Antico Breviario Ambrosiano, in festo Praesentationis Beatae Virginis Mariae (21. November), ad Matutinum, Lectio III.

22 Vgl. Benedikt XVI, Begegnung mit den deutschen Bischöfen in Köln, 21. August 2005.

23 Vgl. Johannes Paul II., Brief an Kardinal Erzbischof Carlo Maria Martini zum 750. Jahrestag des Martyriums des hl. Petrus von Verona, 25. März 2002.

24 Vgl. Antico Breviario Ambrosiano, in festo Septem Dolorum Beatae Mariae Virginis (15. September), antiphona ad Laudes: „Maria virgo quos in partu dolores effugerat...“; inno Dum vitam in ara Golgothae: „Mater doloris nescia / Gavisa partum viderat“.

25 Vgl. Thomas von Aquin, Summa theologiae II-II q. 23 a. 2.

26 Ambrosius, Hymnus Veni Redemptor gentium; vgl. Antico Breviario Ambrosiano, in Nativitate Domini.

27 L. Giussani, Ein neues Sein ist an jenem Ort aufgeblüht, bei G. Tantardini, Erinnerung an Begegnungen, in 30Tage, Nr. 3, März 2005, S. 26.

28 C. M. Martini, Presepio, un piccolo segno che ci invita a credere, in La Stampa, 19. Dezember 2006, S. 47; Id., Die Schlichtheit von Weihnachten, in 30Tage, Nr. 11, November 2006, S. 31.

29 Dante, Der Läuterungsberg III, 39.

30 L. Giussani, „Riandare al primo incontro“, in L’attrattiva Gesù, op. cit., S. 23.

31 Antico Breviario Ambrosiano, in Epiphania Domini, ad Vesperas, psallenda II.

32 L. Giussani, „Riandare al primo incontro“, in L’attrattiva Gesù, op. cit., S. 23.

33 Augustinus, De vera religione 53, 102.

34 Jakob von Todi, Stabat Mater; vgl. Chi prega si salva, 30Giorni, Rom 2001, S. 60.

35 Augustinus, Enarrationes in psalmos 44,3.



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